Leitsatz (redaktionell)

Als der "letzte Beitrag" iS des RVO § 1311 zählt auch der bloße Arbeitgeberanteil, den der Arbeitgeber anstelle des vollen Beitrages entrichtet hatte, weil er den beschäftigten Rentenempfänger irrtümlich für versicherungsfrei hielt. Mit der Abführung des Arbeitgeberanteils sind bereits Beiträge entrichtet, auch wenn damit erst ein Teil des vollen geschuldeten Beitrags geleistet ist.

 

Orientierungssatz

Das berechtigte Interesse der LVA an der Feststellung der Zuständigkeit (SGG § 55 Abs 1 Nr 2) ist nicht deshalb zu verneinen, weil die LVA gegen die BfA möglicherweise auf Übernahme der Zahlungsverpflichtung aus dem Rentenbescheid hätte klagen können (SGG § 54 Abs 5), etwa unter dem Gesichtspunkt der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag und des öffentlichen-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vergleiche BSG 1957-12-20 3 RK 69/55 = BSGE 6, 197; BSG 1961-08-28 3 RK 65/56 = BSGE 15, 56, 57; BSG 1962-01-30 2 RU 219/59 = BSGE 16, 151; BSG 1962-02-28 2 RU 249/58 = BSGE 16, 222; BSG 1964-03-17 3 RK 28/60 = BSGE 20, 248, 249; BSG 1964-12-09 2 RU 147/61 = BSGE 22, 136, 137). Bei Feststellungsklagen gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wird das berechtigte Interesse nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger auch auf Leistung hätte klagen können (vergleiche BSG 1959-05-26 3 RK 36/56 = BSGE 10, 21, 24 f).

"Letzter Beitrag" iS von RVO § 1311 Abs 1 S 1 ist der Beitrag, der zur Zeit der Antragstellung der letzte ist.

Daß der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil zunächst offenbar für einen Beitrag iS des AVG § 113 gehalten hat, ist unbeachtlich. Die irrige Meinung des Arbeitgebers macht den Beitragsanteil nicht zu einem solchen iS des AVG § 113. Der Beitragsanteil ist vielmehr rechtlich ein Teil des vom Arbeitgeber aufgrund des AVG § 118 Abs 1 geschuldeten Versicherungsbeitrags. Mit der Abführung des Arbeitgeberanteils sind bereits Beiträge entrichtet, auch wenn damit erst ein Teil des vollen geschuldeten Beitrags geleistet ist.

 

Normenkette

SGG § 55 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; RVO § 1311 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-07-27; AVG § 113 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1386 Fassung: 1957-02-23; AVG § 90 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-07-27, § 118 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1396 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 24. Februar 1966 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Es ist darüber zu entscheiden, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) oder die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zur Zahlung des vorzeitigen Altersruhegeldes an den Kläger zuständig ist (§ 1311 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 90 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).

Der Kläger, geboren 1901, bezog seit Oktober 1958 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Von Januar 1961 bis Juli 1961 war er als Expedient wöchentlich 15 Stunden mit einem monatlichen Entgelt von 150,- DM beschäftigt. Der Arbeitgeber führte zunächst nur Arbeitgeberanteile zur Angestelltenversicherung ab. Bei einer Betriebsprüfung im Juli 1962 forderte die Allgemeine Ortskrankenkasse Berlin (AOK) die fehlenden Arbeitnehmeranteile zur Angestelltenversicherung nach. Sie wurden in voller Höhe entrichtet. Mit Bescheid vom 12. Mai 1964 stellte die AOK die Versicherungspflicht des Klägers während der genannten Beschäftigungszeit in der Krankenversicherung und in der Angestelltenversicherung noch ausdrücklich fest. Der Widerspruch des Klägers, der sich für versicherungsfrei hielt, wurde zurückgewiesen. Der dahingehende Bescheid wurde bindend.

Der Kläger beantragte im Juli 1961 bei der beklagten LVA das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit. Die beklagte LVA lehnte es zunächst ab, gewährte es dann aber während des Klageverfahrens für die Zeit seit 1. August 1962 (Bescheid vom 15. Februar 1963). Der Kläger beanspruchte es jedoch schon für die Zeit seit August 1961.

Seit Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der Angestelltenversicherung durch den Bescheid der AOK hält die beklagte LVA die beigeladene BfA nach § 1311 RVO, § 90 AVG zur Rentenzahlung für zuständig, da die letzten Beiträge zur Angestelltenversicherung geleistet worden seien. Die beigeladene BfA meint demgegenüber, bei Antragstellung im Juli 1961 und bei Bewilligung des Altersruhegeldes durch die LVA seien zuletzt Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet gewesen; die bisherige Zuständigkeit der LVA bleibe trotz Nacherhebung der Beiträge zur Angestelltenversicherung bestehen.

Die beklagte LVA hat vor dem Sozialgericht (SG)Berlin beantragt, festzustellen, daß die beigeladene BfA zur Zahlung des vorzeitigen Altersruhegeldes verpflichtet sei. Die beigeladene BfA hat beantragt, die Feststellungsklage abzuweisen. Das SG Berlin hat die Klage des Klägers abgewiesen und festgestellt, daß die beigeladene BfA verpflichtet sei, dem Kläger das vorzeitige Altersruhegeld zu zahlen (Urteil vom 11. Februar 1965).

Die beigeladene BfA hat mit der Berufung beantragt, die Feststellung des SG, daß sie zur Zahlung des Altersruhegeldes verpflichtet sei, aufzuheben. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die vom Kläger eingelegte Berufung und auch die Berufung der beigeladenen BfA zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 24. Februar 1966).

Das LSG hat zur Zurückweisung der Berufung der beigeladenen BfA ausgeführt, die beklagte LVA habe durch die Anweisung des Altersruhegeldes des Klägers nicht das Recht verloren, die Zuständigkeit gerichtlich klären zu lassen. Ihre Feststellungsklage entspreche § 55 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die BfA sei zuständig; denn die letzten Rentenversicherungsbeiträge für den Kläger aus der Zeit vor der Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes seien durch die Feststellung der Versicherungspflicht des Klägers in der Angestelltenversicherung durch die AOK (§ 1399 Abs. 3 RVO, § 121 Abs. 3 AVG) der beigeladenen BfA zugeflossen.

Die beigeladene BfA hat Revision eingelegt. Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG aufzuheben, soweit ihre Berufung zurückgewiesen wurde, sowie das Urteil des SG teilweise aufzuheben und die Feststellungsklage der LVA abzuweisen.

Die BfA führt aus, für die Zuständigkeit komme es auf den letzten Beitrag vor der Antragstellung an (BSG, Urteil vom 24. Februar 1966 in SozR Nr. 6 zu § 1311 RVO). Der letzte vor der Antragstellung am 12. Juli 1961 entrichtete Beitrag sei im Juli 1958 zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet worden. Daher sei die beklagte LVA zuständig. Für die Beschäftigung des Klägers von Januar bis Juli 1961 seien vor der Antragstellung keine Beiträge entrichtet worden. Erst im Jahre 1964 habe die AOK die Versicherungspflicht festgestellt und die Beiträge eingezogen. Daß zur Zeit der Antragstellung Arbeitgeberanteile entrichtet gewesen seien, genüge nicht; denn ein Beitrag bestehe aus dem Arbeitgeber- und dem Arbeitnehmeranteil (§ 112 AVG). Das Gesetz spreche von "Beitragsanteil" (§§ 113, 119 Abs. 6 AVG), wenn nicht der volle Beitrag gezahlt werde. Beitragsanteile hätten keine rechtliche Wirkung (§§ 82, 83 AVG).

Die beklagte LVA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält die Entscheidung des LSG für richtig.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat ohne Gesetzesverletzung die BfA für zuständig zur Zahlung des vorzeitigen Altersruhegeldes des Klägers angesehen.

Das LSG hat in dem anhängigen Verfahren über zwei Klagen entschieden (§ 113 Abs. 1 SGG). Einmal über die Klage des Klägers auf Verurteilung der beklagten LVA zur Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes von einem früheren Zeitpunkt an, hilfsweise auf Verpflichtung der BfA zur Zahlung der Rente. Diese Klage ist erledigt, nachdem das SG sie abgewiesen und der Kläger gegen die Zurückweisung seiner Berufung durch das LSG keine Revision eingelegt hat. Zum anderen über die Klage der LVA auf Feststellung der Zuständigkeit der BfA für die Zahlung des vorzeitigen Altersruhegeldes. Nur dieser Streit ist noch Gegenstand des Revisionsverfahrens.

Mit Recht hat das LSG die Feststellungsklage der LVA gegen die BfA als zulässig angesehen. Ihr steht nicht entgegen, daß die LVA mit dem Rentenbescheid an den Kläger ihre Zuständigkeit zur Feststellung und Zahlung der Rente angenommen hat; denn der Rentenbescheid der LVA ist nur in ihrem Verhältnis zum Kläger ergangen.

Das LSG spricht zwar von der Feststellung "der Leistungspflicht der Beigeladenen" und - durch die Bestätigung des Urteils des SG - von der Feststellung, daß die Beigeladene "verpflichtet ist, ... das ... Altersruhegeld zu zahlen". Das LSG hat aber die Klage der LVA als Klage auf Feststellung, welcher Versicherungsträger zuständig ist, behandelt; denn das LSG führt ausdrücklich § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG an, und der Streit geht nach dem Vorbringen der beteiligten Versicherungsträger auch nur um die Feststellung des zuständigen Versicherungsträgers.

Das berechtigte Interesse der LVA an der Feststellung der Zuständigkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG) ist nicht deshalb zu verneinen, weil die LVA gegen die BfA möglicherweise auf Übernahme der Zahlungsverpflichtung aus dem Rentenbescheid hätte klagen können (§ 54 Abs. 5 SGG), etwa unter dem Gesichtspunkt der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag und des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs (vgl. zur Krankenversicherung BSG 6, 197; 15, 56, 57; 16, 151, 222; 20, 248, 249; 22, 136, 137). Bei Feststellungsklagen gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wird das berechtigte Interesse nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger auch auf Leistung hätte klagen können (BSG 10, 21, 24 f). Da davon auszugehen ist, daß die BfA bei gerichtlicher Feststellung ihrer Zuständigkeit die Zahlung ohne ein besonderes Leistungsurteil übernehmen wird, durfte die LVA ihre Klage auf eine Feststellungsklage beschränken. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die BfA bei Feststellung ihrer Zuständigkeit die Rente nicht zahlen wird. Bei dieser Rechtslage hatte der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob und auf welcher Rechtsgrundlage der nichtzuständige Rentenversicherungsträger von dem zuständigen etwa die Übernahme einer bescheidmäßig festgestellten Rentenzahlung verlangen kann (siehe BSG, Urteil vom 31.1.1967 in SozR Nr. 7 zu § 1311 RVO).

Nach § 1311 Abs. 1 RVO, § 90 Abs. 1 AVG ist zuständig für die Feststellung und Zahlung der Leistung der Träger des Versicherungszweiges, an den der letzte Beitrag entrichtet ist. Der Senat hat bereits entschieden (SozR Nr. 6 zu § 1311 RVO), daß "letzter Beitrag" im Sinne von § 1311 Abs. 1 Satz 1 RVO, § 90 Abs. 1 Satz 1 AVG der Beitrag ist, der zur Zeit der Antragstellung der letzte ist. Der Senat hält an seiner Auffassung fest. Der Beitragsanteil, den der Arbeitgeber für den Kläger auf Grund seiner Beschäftigung vom Januar bis Juli 1961 gezahlt hat, ist der "letzte Beitrag" im Sinne von § 1311 Abs. 1 RVO, § 90 Abs. 1 AVG. Daß der Arbeitgeber seinen Beitragsanteil zunächst offenbar für einen Beitrag im Sinne des § 113 AVG (für versicherungsfreie Altersrentner) gehalten hat, ist unbeachtlich. Die irrige Meinung des Arbeitgebers macht den Beitragsanteil nicht zu einem solchen im Sinne des § 113 AVG; denn die objektiven Voraussetzungen einer Verpflichtung des Arbeitgebers aufgrund des § 113 AVG haben nicht bestanden. Der Beitragsanteil ist vielmehr rechtlich ein Teil des vom Arbeitgeber aufgrund des § 118 Abs. 1 AVG geschuldeten Versicherungsbeitrags.

Es kann dahinstehen, ob der durch das Rentenversicherungsfinanzausgleichsgesetz vom 23. Dezember 1964 - in Kraft getreten am 1. Januar 1965 - weggefallene Satz 3 des § 1311 Abs. 1 RVO, § 90 Abs. 1 AVG, wonach die Wirksamkeit der Beiträge für die Zuständigkeit unerheblich war, im vorliegenden Fall noch gilt, weil grundsätzlich eine einmal begründete Zuständigkeit auch bei späteren gesetzlichen Zuständigkeitsänderungen erhalten bleibt, wenn das neue Gesetz nichts besonderes bestimmt (vgl. Baumbach, ZPO, 28. Aufl., Anm. 5 zu § 263 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., Anm. IV 2 zu § 263 ZPO; a. A. anscheinend Verbandskommentar, Anm. 2 zu § 1311 RVO); denn der hier entrichtete letzte Beitrag ist wirksam zur Angestelltenversicherung entrichtet.

Mit der Abführung des Arbeitgeberanteils sind bereits Beiträge entrichtet, auch wenn damit erst ein Teil des vollen geschuldeten Beitrags geleistet ist. In § 1398 RVO werden die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zusammen als die "vollen Beiträge" bezeichnet. Wird nur der Arbeitgeberanteil des geschuldeten vollen Beitrags abgeführt, so ist zwar noch nicht der volle Beitrag, aber doch schon der Beitrag zur Hälfte (§ 1397 Abs. 1 RVO) entrichtet. Dies ist bereits ein "Beitrag". Seine Abführung ist eine wirksame Beitragsentrichtung, da der Beitrag als Pflichtbeitrag geschuldet und fristgerecht, wenn auch noch nicht in voller Höhe, an die zuständige Stelle bewirkt ist. Ob die anteilige Zahlung schon ausreicht, um daraus Leistungen zu gewähren, ist eine andere Frage, die die Anrechenbarkeit, aber nicht die Wirksamkeit betrifft.

Aus diesen Gründen ist die BfA zuständig; denn zur Zeit der Antragstellung im Juli 1961 waren bereits zur Angestelltenversicherung entrichtete "Beiträge" vorhanden. Das LSG hat zu Recht die Berufung der BfA gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die Revision der BfA ist daher nicht begründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2296992

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