Leitsatz (amtlich)

KVdRG Art 2 § 9, wonach bei Versicherten, die Rente oder Ruhegeld nach dem FAG beziehen, für die Berechnung der Frist des RVO § 165 Abs 1 Nr 3 der 1944-07-01 an die Stelle des Zeitpunkts der Stellung des Rentenantrags tritt, gilt nicht für Bezieher von Renten nach dem FRG idF des FANG.

 

Normenkette

RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3; SVFAG Fassung: 1953-08-07; FRG Fassung: 1960-02-23; KVdRG Art. 2 § 9 Fassung: 1956-06-12

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. März 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Art. 2 § 9 des 3. Gesetzes über Änderungen und Ergänzungen von Vorschriften des Zweiten Buches der RVO (Gesetz über Krankenversicherung der Rentner - KVdR - vom 12. Juni 1965; BGBl I 500) Pflichtmitglied der beklagten Landkrankenkasse ist.

Die am 21. November 1897 geborene Klägerin war vom 1. Oktober 1911 mit einjähriger Unterbrechung bis zum 25. Januar 1945 als landwirtschaftliche Gehilfin und Hausgehilfin in Ostpreußen versicherungspflichtig beschäftigt. Von Mitte Mai 1945 bis Mitte Oktober 1948 arbeitete sie in Ostpreußen auf einer russischen Kolchose. Seit dem 7. Februar 1949 wohnt sie im Gebiet der Bundesrepublik. Auf Grund des Bescheides der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) Oldenburg-Bremen vom 8. April 1963 bezieht sie vom 1. November 1962 an Altersruhegeld; bei der Berechnung der Rente ist nach den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) die Zeit der Beschäftigung auf der Kolchose berücksichtigt worden.

Den Antrag der Klägerin, sie als Pflichtmitglied nach dem KVdR aufzunehmen, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1. März 1963 und Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1963 ab, weil die Klägerin nicht gemäß § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen sei. Art. 2 § 9 KVdR, wonach bei Versicherten, die Rente oder Ruhegeld nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848) beziehen, für die Berechnung der Frist des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO der 1. Juli 1944 an die Stelle des Zeitpunktes der Stellung des Rentenantrages trete, finde keine Anwendung; sie gelte nur für diejenigen Versicherten, die bei Inkrafttreten des KVdR am 1. August 1956 schon Rente oder Ruhegeld nach dem FAG bezogen hätten.

Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der LVA durch Urteil vom 8. Oktober 1964 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Klägerin als Pflichtmitglied aufzunehmen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der beigeladenen LVA durch Urteil vom 9. März 1965 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Wortlaut und Zweck des Art. 2 § 9 KVdR begrenze seine Geltung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des KVdR. Die Vorschrift sei also nur auf Rentner anzuwenden, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits Rente bezogen hätten, der Klägerin sei jedoch erst später eine Rente bewilligt worden.

Dieses Ergebnis widerspreche nicht dem gesetzgeberischen Zweck des Art. 2 § 9 KVdR, denjenigen Rentnern, die vielfach durch Flucht oder Vertreibung an der Fortführung der Krankenversicherung gehindert gewesen seien und deshalb die Vorversicherungszeiten nicht hätten erfüllen können, gleichwohl die Vorteile der Pflichtversicherung zuteil werden zu lassen. Für Rentner, denen erst nach dem 1. August 1956 eine Rente nach dem FAG oder FANG bewilligt worden sei, habe der Gesetzgeber eine solche Vergünstigung für entbehrlich halten können, weil es inzwischen wieder möglich geworden sei, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Bundesgebietes neue Krankenversicherungsverhältnisse zu begründen. Wo dies ausnahmsweise nicht der Fall sei, hätten die Rentenempfänger wie auch die Klägerin unter den Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 Nr. 4 RVO das Recht, der Krankenversicherung freiwillig beizutreten.

Die Klägerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie rügt fehlerhafte Anwendung des Art. 2 § 9 KVdR und meint: Der Wortlaut dieser Vorschrift und die Stellung im Gesetz böten keine Stütze für die Rechtsauffassung des LSG. Da es sich nicht um eine Übergangs-, sondern um eine Schlußvorschrift handele, müsse gefolgert werden, daß diese Bestimmung auch auf alle Personen anzuwenden sei, die Rente oder Ruhegeld nach dem FANG bezögen. Dabei sei es unerheblich, wann die Rente oder das Ruhegeld bewilligt worden sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 9. März 1965 aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 8. Oktober 1964 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO sind pflichtversichert für den Fall der Krankheit Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit oder auf Altersruhegeld erfüllen, diese Rente beantragt haben und während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert waren. Diese letztgenannte Voraussetzung erfüllt die Klägerin nicht, da sie nicht während der letzten fünf Jahre vor Stellung ihres Rentenantrags mindestens 52 Wochen in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war.

Die Klägerin kann daher bei der beklagten Krankenkasse nur pflichtversichert sein, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 2 § 9 KVdR erfüllt. Hiernach tritt bei Personen, die Rente oder Ruhegeld nach dem FAG vom 7. August 1953 (BGBl I 848) beziehen, für die Berechnung der Frist des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO der 1. Juli 1944 an die Stelle des Zeitpunkts der Stellung des Rentenantrags.

Es kann dahinstehen, ob diese Vorschrift nur für solche Personen gilt, die bereits eine Rente im Zeitpunkt des Inkrafttretens des KVdR, dem 1. August 1956, bezogen haben, oder auch für solche Rentner, denen die Rente oder das Altersruhegeld erst später zugebilligt worden ist. Denn auf alle Fälle gilt die Vergünstigung nur für solche Personen, bei deren Rente - wenigstens teilweise - Zeiten nach dem FAG berücksichtigt worden sind, nicht aber für solche Rentner wie die Klägerin, bei denen die Rente unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem FRG idF des FANG vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) zugebilligt worden war. Dafür spricht einmal der Wortlaut des Art. 2 § 9 KVdR, der ausdrücklich auf das FAG vom 7. August 1953 abstellt.

Es bestehen aber auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß der Gesetzgeber dem Personenkreis, bei dessen Rente Zeiten nach dem FRG berücksichtigt worden sind, die Vergünstigung des Art. 2 § 9 KVdR hat zukommen lassen wollen. Er hat die Vorschriften des KVdR nicht geändert, obwohl er im FANG (vgl. Art. 6) eingehende Übergangsvorschriften erlassen hat, die in den von der Neuregelung betroffenen Versicherungszweigen die alten Vorschriften der neuen Regelung angepasst hat. Bei der Sorgfalt, mit der die Anpassung des überholten Rechts an den durch das FANG neu geschaffenen Rechtszustand in den verschiedenen Bereichen des Sozialversicherungsrechts durchgeführt worden ist, erscheint es ausgeschlossen, daß die Unterlassung der Angleichung des Art. 2 § 9 KVdR auf einem Versehen des Gesetzgebers beruhen könnte. Vielmehr muß das Schweigen des Gesetzgebers dahin verstanden werden, daß mit dem Inkrafttreten des FANG und der dadurch bedingten Umgestaltung des Fremd- und Auslandsrentenrechts die auf eine besondere Notsituation zugeschnittene Übergangsregelung des Art. 2 § 9 KVdR ihr Ende finden sollte. Bei den Rentnern, die wie die Klägerin erst seit 1962 Altersruhegeld beziehen, entfällt der Grund für eine Sonderstellung gegenüber den übrigen Versicherten. Während diejenigen Versicherten, bei deren Rente Zeiten nach dem FAG berücksichtigt worden sind, in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum nach ihrer Vertreibung oft nicht in der Lage waren, die Vorversicherungszeit des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO zu erfüllen, verlor dieses Hindernis in dem Maße an Bedeutung, in dem der zeitliche Abstand zur Flucht oder Vertreibung wuchs. Mit einer zunehmenden Eingliederung in das Wirtschaftsgefüge der Bundesrepublik bestand kein Bedürfnis mehr, einen Ausgleich für die fehlende Vorversicherungszeit als Folge der Vertreibung zu schaffen. Für die Erwerbsfähigen bot sich die Möglichkeit, durch neue Beschäftigungsverhältnisse die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung und damit eine entsprechende Vorversicherungszeit zu erwerben. Aber auch ältere Personen wie die Klägerin, die nicht mehr ein Beschäftigungsverhältnis in der Bundesrepublik eingegangen sind, konnten sich nach § 10 FAG in der Krankenversicherung freiwillig weiterversichern und damit die Vorversicherungszeit des § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO erfüllen.

Mit Recht hat schließlich das LSG auch darauf hingewiesen, daß der Klägerin auf jeden Fall die Versicherungsberechtigung nach § 176 Abs. 1 Nr. 4 RVO - verbunden mit dem Anspruch auf einen Beitragszuschuß nach § 381 Abs. 4 Satz 1 RVO - bleibt.

Demgemäß hat die beklagte Krankenkasse mit Recht die Auffassung vertreten, daß die Klägerin nicht Pflichtmitglied bei ihr geworden ist.

Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2351478

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