Leitsatz (amtlich)
Ein Krankenversicherter, der vor Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente als Mitglied der KK ausgeschieden ist, kann von dem Tage an, an dem die Rente beginnt, keinen Anspruch auf Krankengeld aus dem früheren Versicherungsverhältnis mehr erwerben, auch nicht auf die Dauer von höchstens sechs Wochen (RVO § 183 Abs 4).
Leitsatz (redaktionell)
Ein nach dem Ende der Mitgliedschaft entstandener Krankengeldanspruch wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß während des Krankengeldbezuges auf Grund eines Rentenantrages die KVdR einsetzt; dabei ist es ohne Bedeutung, ob die Krankheit bereits während der Mitgliedschaft (RVO § 183 Abs 1 S 2) oder erst nach deren Ende (RVO § 214) eingetreten ist; der Anspruch fällt jedoch rückwirkend mit dem Tage weg, von dem an Erwerbsunfähigkeitsrente oder geld zugebilligt wird (RVO § 183 Abs 3).
Normenkette
RVO § 183 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12, § 214 Abs. 1 Fassung: 1911-07-19, § 183 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 3 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Auf die Revision der beklagten Krankenkasse werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 5. Mai 1964 und des Sozialgerichts Hamburg vom 6. November 1963 geändert.
Die Klage wird in vollem Umfange abgewiesen.
Die Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse dem Kläger auch für eine Zeit nach Beginn einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Krankengeld zu gewähren hat.
Der Kläger, der bis August 1962 in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis als Maurer stand, war vom 17. Mai bis 16. September 1962 arbeitsunfähig krank. Am 8. Oktober 1962 wurde er erneut arbeitsunfähig und stellte zwei Tage später einen Rentenantrag. Mit Bescheid vom 14. August 1963 wurde ihm rückwirkend vom 1. Oktober 1962 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich etwa 250 DM bewilligt.
Die beklagte Krankenkasse zahlte ihm bis zum 16. September 1962 und außerdem für den 9. Oktober 1962 Krankengeld (20,02 DM täglich). Die weitere Zahlung lehnte sie ab, weil der nur nach § 214 der Reichsversicherungsordnung (RVO) begründete Krankengeldanspruch des Klägers durch seinen Eintritt in die Krankenversicherung der Rentner - mit der Rentenantragstellung am 10. Oktober 1962 - verdrängt worden sei (Bescheid vom 19. Oktober 1962 und Widerspruchsbescheid vom 16. November 1962).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 11. Oktober 1962 bis zur Zustellung des Rentenbescheides am 14. August 1963 Krankengeld unter Anrechnung der für die gleiche Zeit gewährten Erwerbsunfähigkeitsrente zu zahlen (Urteil vom 6. November 1963).
Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten dem Kläger einen Anspruch auf Krankengeld (§ 214 RVO) nur für die Dauer von sechs Wochen (§ 183 Abs. 4 RVO) zuerkannt, auf die Anschlußberufung des Klägers jedoch eine Pflicht zur Anrechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente verneint (Urteil vom 5. Mai 1964).
Beide Beteiligten haben hiergegen die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg zu ändern und die Klage gegen ihre Bescheide in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg zurückzuweisen.
II
Die Revision der beklagten Krankenkasse ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG steht dem Kläger für die Zeit nach Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente (1. Oktober 1962) kein Anspruch auf Krankengeld mehr zu.
Das LSG hat angenommen, daß der Kläger, dessen Beschäftigungsverhältnis im August 1962 geendet hatte, mit dem Wegfall des Krankengeldes am 16. September 1962 als Mitglied der beklagten Krankenkasse ausgeschieden sei (§ 311 RVO), daß er - nach Wiedereintritt von Arbeitsunfähigkeit binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden (8. Oktober 1962) - gemäß § 214 Abs. 1 RVO einen neuen Anspruch auf Krankengeld erworben habe, der allerdings wegen späterer Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. Oktober 1962 auf sechs Wochen begrenzt gewesen sei (§ 183 Abs. 4 RVO), und daß er diesen Anspruch auch dadurch nicht verloren habe, daß er mit der Stellung des Rentenantrages am 10. Oktober 1962 wiederum Mitglied der Beklagten ohne Anspruch auf Krankengeld geworden sei (§§ 165 Abs. 1 Nr. 3, 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO).
Dem LSG ist darin beizutreten, daß der Kläger seit dem Wegfall des Krankengeldes am 16. September 1962 nicht mehr Mitglied der Beklagten war (§ 311 RVO i.V.m. Abschnitt I Nr. 6 a des Erlasses des Reichsarbeitsministers über Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 2.11.1943, AN II S. 485). Das gilt auch dann, wenn er - was sich nach den Feststellungen des LSG nicht mit Sicherheit ausschließen läßt - weiterhin behandlungsbedürftig gewesen sein sollte. Dann würde zwar der Versicherungsfall fortbestanden und der Kläger zunächst seinen Anspruch auf Krankenpflege behalten haben. Dadurch allein wäre aber seine Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht aufrechterhalten worden, wie sich auch aus § 183 Abs. 1 Satz 2 RVO ergibt, der davon ausgeht, daß ein Kassenmitglied während des Bezuges von Krankenpflege aus der Versicherung ausscheiden kann.
Entgegen der Ansicht des LSG hat jedoch der Kläger, dem später rückwirkend vom 1. Oktober 1962 ein Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt worden ist, mit dem Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit am 8. Oktober 1962 keinen neuen Anspruch auf Krankengeld erworben. Ein Versicherter, der - wie der Kläger - vor dem Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente als Mitglied der Krankenkasse ausgeschieden ist, kann von dem Tage, von dem an die Rente beginnt, keinen neuen Krankengeldanspruch aus dem früheren Versicherungsverhältnis mehr erwerben, auch nicht bei rückwirkender Bewilligung der Rente. Wenn nämlich nach § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO der Beginn einer Erwerbsunfähigkeitsrente sogar einen schon entstandenen Krankengeldanspruch zum Erlöschen bringt, so muß eine solche Rente erst recht die - schwächere - Wirkung haben, die Entstehung eines neuen Krankengeldanspruchs aus einem bereits beendeten Versicherungsverhältnis zu hindern. Dabei macht es keinen Unterschied, ob mit dem Ausscheiden aus der Versicherung auch die Behandlungsbedürftigkeit des bis dahin Versicherten und damit der Versicherungsfall geendet hat, so daß ein neuer Krankengeldanspruch allein aufgrund § 214 RVO entstehen könnte, oder ob der Betreffende weiterhin behandlungsbedürftig geblieben und später - nach Beginn der Erwerbsunfähigkeitsrente - wiederum arbeitsunfähig geworden ist.
Soweit das Gesetz neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente den Bezug von Krankengeld zuläßt (nach § 183 Abs. 4 RVO für höchstens sechs Wochen), setzt es voraus, daß der Rentenempfänger bei Beginn der Rente in einem mit Krankengeldberechtigung verbundenen Versicherungsverhältnis steht oder später in ein solches eintritt. Nur der Rentner, der noch bei Beginn seiner Rente oder danach krankenversichert ist, weil er seine versicherungspflichtige Beschäftigung über den Rentenbeginn hinaus fortgesetzt hat oder später eine Beschäftigung aufnimmt, der daher auch die seinem Arbeitsverdienst entsprechenden Krankenversicherungsbeiträge entrichtet hat (vgl. demgegenüber § 57 AVAVG, der einen solchen Rentner für arbeitslosenversicherungsfrei erklärt), sollte durch § 183 Abs. 4 RVO begünstigt werden (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Schmatz/Fischwasser, Das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, 4. Aufl., S. 52 f). Zu dieser Gruppe von krankenversicherten Rentnern gehört der Kläger nicht, da er schon vor Beginn seiner Rente als Mitglied der Beklagten ausgeschieden ist. Ihm steht deshalb entgegen der Ansicht des LSG auch nach § 183 Abs. 4 RVO kein Krankengeldanspruch zu.
Die Beklagte hätte allerdings, da bei Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit des Klägers am 8. Oktober 1962 noch kein Rentenbescheid vorlag, über den 9. Oktober 1962 hinaus Krankengeld zahlen müssen. Als Ersatz hätte ihr später die auf dieselbe Zeit entfallende Rentennachzahlung zur Verfügung gestanden (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO). Die Differenz zwischen dem Krankengeld und der - hier erheblich niedrigeren - Erwerbsunfähigkeitsrente wäre dann dem Kläger verblieben (§ 183 Abs. 3 Satz 3 RVO). Dieser kann jedoch nicht verlangen, nachträglich so gestellt zu werden, wie wenn die Beklagte nach Wiedereintritt der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld gezahlt hätte. § 183 Abs. 3 Sätze 2 und 3 RVO gelten nur, wenn die Krankenkasse tatsächlich Krankengeld nach dem Tage des Rentenbeginns gezahlt hat. Dann soll der Versicherte, der das Krankengeld im allgemeinen zum Lebensunterhalt verbraucht haben wird, vor Rückforderungen geschützt sein. Die genannten Vorschriften gelten dagegen nicht, wenn die Krankenkasse das Krankengeld, wie hier, rechtsirrtümlich nicht gezahlt hat. In diesem Fall bleibt es bei der Regel des § 183 Abs. 3 Satz 1 RVO, wonach der Krankengeldanspruch mit dem Tage des Beginns der Erwerbsunfähigkeitsrente endet (SozR Nr. 24 zu § 183 RVO).
Der Senat hat hiernach auf die Revision der Beklagten die Urteile der Vorinstanzen insoweit geändert, als sie dem Kläger einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit nach Beginn seiner Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt haben. Die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 19. Oktober und 16. November 1962 ist in vollem Umfang abgewiesen und die Revision des Klägers gegen das angefochtene Urteil als unbegründet zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen