Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungsbegrenzung zwischen Renten- und Krankenversicherung bei stationärer Heilbehandlung wegen Tuberkulose
Leitsatz (redaktionell)
Für die Feststellung der Leistungszuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nach RVO § 1244a, AVG § 21a ist eine Erkrankung an aktiver Behandlungsbedürftiger Tuberkulose schon dann anzunehmen, wenn der Träger der Rentenversicherung diese Diagnose als hinreichend gesichert vor Beginn der Heilbehandlung aufgrund eigener Prüfung bestätigt hat; seine Leistungsverpflichtung endet erst, wenn feststeht, daß keine aktive behandlungsbedürftige Tuberkulose vorliegt.
Eine nach RVO § 1244 a, AVG § 21a ausschließlich wegen Tuberkulose zugebilligte Leistung kann für den Fall, daß sich die Diagnose als unrichtig erweist, regelmäßig mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden.
Normenkette
AVG § 21a Fassung: 1959-07-23; RVO § 1244a Fassung: 1959-07-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgericht vom 22. Juli 1970 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin - die Landesversicherungsanstalt N - gewährte der Versicherten in Anwendung des § 1244 a RVO in der Zeit vom 8. bis 30. Mai 1967 stationäre Heilbehandlung. Die Diagnose, daß eine aktive behandlungsbedürftige Tuberkulose vorliege, war sowohl vom zuständigen Amtsarzt als auch vom ärztlichen Dienst der Klägerin gestellt worden. Am 30. Mai 1967 wurde die Versicherte - nachdem sich die ursprünglich gestellte Diagnose als unrichtig erwiesen hatte - wegen eines Bronchialkarzinoms in ein anderes Krankenhaus verlegt. Von diesem Tage an übernahm die beklagte Krankenkasse die Kosten der Behandlung.
Die Beklagte lehnt es ab, der Klägerin die Kosten für die in der Zeit vom 8. bis 30. Mai 1967 durchgeführte Behandlung zu erstatten. Die Klage ist durch Urteil des Sozialgerichts (SG) Landshut vom 1. Oktober 1969 abgewiesen worden. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 22. Juli 1970). In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ist ua ausgeführt: Die Klägerin sei nach § 1244 a RVO zur Gewährung der stationären Heilbehandlung verpflichtet gewesen. Der Verdacht auf eine aktive behandlungsbedürftige Tuberkuloseerkrankung reiche aus, diese Verpflichtung zu begründen. Da sie ihre Leistung nicht ohne rechtlichen Grund erbracht habe, stehe ihr kein Ersatzanspruch zu. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie ist der Auffassung, daß sie, da zu keiner Zeit eine Tuberkuloseerkrankung vorgelegen habe, die Heilbehandlung irrtümlich gewährt und der tatsächlich zuständige Versicherungsträger daher Ersatz zu leisten habe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der Heilbehandlung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die Klägerin war nach § 1244 a RVO verpflichtet, der Versicherten stationäre Heilbehandlung zu gewähren. Die Kosten der von ihr durchgeführten Behandlung hat sie bis zu deren Beendigung - am 30. Mai 1967 - zu tragen. An dieser Verpflichtung wird dadurch, daß sich die ursprünglich gestellte Diagnose später als unrichtig erwiesen hat, nichts geändert. Dies hat der erkennende Senat in einem ähnlich liegenden Fall (vgl. das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil vom 24. November 1971 - 4 RJ 275/71 -) bereits entschieden. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Hiernach liegt eine aktive behandlungsbedürftige Tuberkulose im Sinne des § 1244 a RVO schon dann vor, wenn von dem zuständigen Amtsarzt eine entsprechende Diagnose gestellt worden ist und der Träger der Rentenversicherung diese nach eigener Prüfung bestätigt hat. Die Verpflichtung des Trägers der Rentenversicherung, in Fällen der vorliegenden Art Heilbehandlung zu gewähren, ergibt sich aus dem der Vorschrift des § 1244 a RVO - jedenfalls auch - innewohnenden Sinn der Tuberkulosebekämpfung. Die Träger der Rentenversicherung gehören zu den Stellen, denen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) die vorbezeichnete Aufgabe - vgl. hierzu § 48 BSHG - übertragen ist (vgl. § 132 BSHG). Sie kann nur erfüllt werden, wenn die zur Bekämpfung der Tuberkulose notwendigen Maßnahmen unverzüglich und nicht erst dann eingeleitet werden, wenn jeder Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit der Diagnose ausgeräumt ist. Für eine solche Auslegung spricht auch die Vorschrift des § 135 BSHG, in der nicht auf das Vorliegen, sondern auf die Diagnostizierung der Tuberkulose durch einen amtlich bestellten Arzt abgestellt ist.
An der Verpflichtung der Klägerin, die Kosten der Heilbehandlung zu tragen, hat sich bis zum 30. Mai 1967 - von diesem Tage an wurde die Versicherte auf Kosten der Beklagten in einem anderen Krankenhaus behandelt - nichts geändert. Nach § 135 BSHG bleibt die Zuständigkeit des in § 132 genannten Leistungsträgers auch dann bis zur Beendigung der Heilbehandlung bestehen, wenn sich nach der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit durch einen amtlich bestellten Arzt die Umstände, welche die sachliche Zuständigkeit begründet haben, ändern. Die Anwendung des § 135 BSHG auf Fälle der vorliegenden Art führt nicht zu einem für den Träger der Rentenversicherung unzumutbaren Ergebnis. Es ist seine Aufgabe, die Heilbehandlung zu überwachen und ggf. ihre Beendigung durch eigene Entscheidung herbeizuführen. Daran ist er auch für den Fall, daß die Leistungszusage für eine festumrissene Zeitspanne erteilt worden ist, nicht gehindert. Sie enthält - auch wenn es an einem ausdrücklichen Vorbehalt fehlt - regelmäßig einen Widerrufsvorbehalt, der es gestattet, die Bindungswirkung des § 77 SGG - wenn man von ihr überhaupt ausgehen will - zu durchbrechen. Auch darauf hat der Senat in dem vorbezeichneten Urteil mit näherer Begründung hingewiesen. Er hat dort weiter entschieden, daß die zwischen den Trägern der Rentenversicherung und den Trägern der Krankenversicherung in Anwendung des § 1244 RVO abgeschlossene Vereinbarung vom 15. September 1958 (veröffentlicht ua in BKK 1958, 659; ErsK 1959, 15) an diesem Ergebnis nichts zu ändern vermag. Die - entgegenstehende - Kostenerstattungsregelung des § 2 der Vereinbarung ist durch die dargelegte, nunmehr im Gesetz enthaltene Neuregelung überholt, so daß es keiner Entscheidung darüber bedarf, von welchem Zeitpunkt an die - inzwischen gekündigte (vgl. SozVers 1966, 75) - Vereinbarung in ihrer Gesamtheit nicht mehr anzuwenden ist.
Da hiernach ein Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung nicht besteht, muß die Revision zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen