Leitsatz (amtlich)
Arbeitnehmer, die erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eine selbständige Nebentätigkeit aufnehmen, sind sachlich und rechtlich nicht anders zu behandeln als jene, die schon vor Verlust der unselbständigen Beschäftigung nebenher selbständig waren. In beiden Fällen sind die Grundgedanken des AVAVG § 75 Abs 3 S 2 anzuwenden, daß solche Personen als arbeitslos gelten, wenn sie kein über die Grenzen des AVAVG § 66 Abs 2 (65 DM monatlich bzw 15 DM wöchentlich) hinausgehendes Einkommen erzielen, der Umfang ihrer Tätigkeit wöchentlich 18 Stunden nicht überschreitet und den Gesamtumständen nach angenommen werden kann, daß sie auch künftig berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig sein wollen.
Normenkette
AVAVG § 75 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1957-04-03, § 66 Abs. 2 Fassung: 1957-04-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Februar 1961 dahin abgeändert:
Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Verurteilung zur Gewährung der Arbeitslosenhilfe entfällt.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I. Der 1909 geborene Kläger war mit Unterbrechungen von 1948 bis Oktober 1956 als Hilfsarbeiter, Maschinist, Erntehelfer und Holzfäller beschäftigt. Zwischendurch bezog er wiederholt Arbeitslosenunterstützung, vom 26. April 1957 an erhielt er Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Am 8. Mai 1957 erwarb der Kläger in B., Gemeinde W., ein Anwesen von 1,08 ha, das einen Einheitswert von 3370 DM und einen Hektar-Ertragsrichtsatz von 1 350 DM hatte. Dorthin übersiedelte er am 12. Juni 1957 mit Ehefrau und Adoptivsohn und arbeitete selbst etwa 9 Stunden wöchentlich in seiner Landwirtschaft mit. Von diesem Tage ab stellte das Arbeitsamt die Zahlung der Alhi ein, weil der Kläger mit Erwerb eines landwirtschaftlichen Besitztums während seiner Arbeitslosigkeit als Selbständiger gelte und deshalb nicht mehr als arbeitslos angesehen werden könne (Bescheid vom 24. Juni 1957). Dessen Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1957).
Als Arbeitnehmer war der Kläger dann wieder vom 18. Juli bis zum 28. September 1957 (Erntearbeiter; Einleger bei Drescharbeiten) beschäftigt; ab 2. Oktober 1957 bezog er abermals Alhi.
II. Auf seine Klage hob das Sozialgericht (SG) (Urteil vom 22. Mai 1958) die angefochtenen Bescheide der Arbeitsverwaltung auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger die gesetzliche Alhi für die Zeit vom 12. Juni bis zum 17. Juli 1957 zu gewähren, soweit er der Meldepflicht nachgekommen sei. Es war der Ansicht, daß der Kläger nicht als selbständiger Landwirt im Sinne des § 75 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) angesehen werden könne.
Die zugelassene Berufung der Beklagten wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 8. Februar 1961). Der Kläger habe durch den Erwerb des kleinen landwirtschaftlichen Anwesens seine Eigenschaft als Lohnarbeiter nicht verloren, weil er daraus den Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht bestreiten könne. Der Senat halte an der Rechtsprechung fest, daß als Selbständiger nur anzusehen sei, wer ein Vollgewerbe betreibe bzw. eine Vollbauernstelle bewirtschafte, die nach allgemeiner Anschauung die Lebensgrundlage bilde oder bilden solle. Wenn auch nicht auf den tatsächlichen Ertrag des Betriebes abzustellen sei, könne kraft Gesetzes Arbeitslosigkeit doch nur verneint und Selbständigkeit nur dann angenommen werden, wenn die aufgenommene Tätigkeit schon ihrer Struktur nach eine Lebensgrundlage bilde. Dieser Auslegung des § 75 Abs. 3 Satz 1 AVAVG stehe dessen Satz 2 nicht entgegen; denn hierdurch werde den Selbständigen als Vollgewerbetreibenden die Nebenherselbständigen als eine besondere Gruppe der Doppelberufler, die neben ihrer unselbständigen Beschäftigung nur in geringem Umfang selbständig sind, gegenübergestellt. Satz 2 bringe insoweit nur eine Beweiserleichterung bei der Feststellung der Arbeitslosigkeit, so daß Arbeitslosigkeit immer dann anzunehmen sei, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Daß der Kläger auf unselbständige Beschäftigung angewiesen sei, werde im übrigen dadurch bestätigt, daß er kurze Zeit nach Übernahme des Anwesens wieder als Lohnarbeiter tätig geworden sei.
Revision wurde zugelassen.
III. Gegen das am 22. März zugestellte Urteil hat die Beklagte am 15. April 1961 Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie rügt einen Verstoß gegen §§ 54, 106, 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie gegen §§ 75, 145 AVAVG. Nach ihrer Ansicht ist die Verurteilung zur Weiterzahlung der Alhi bis zum 17. Juli 1957 als wesentlicher Verfahrensmangel nach §§ 150 Nr. 2, 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG zu werten; denn für eine Leistungs- oder Verpflichtungsklage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides trete die ursprüngliche Verfügung des Arbeitsamts auf Bewilligung der Alhi wieder in Kraft. Das Begehren des Klägers sei deshalb nur als Anfechtungsklage berechtigt. Auch sachlich hätten die Vorinstanzen unzutreffend entschieden. Nach § 145 AVAVG sei eine der Voraussetzungen für den Bezug von Alhi die Arbeitslosigkeit des Antragstellers. Nicht als arbeitslos gelten nach § 144 Abs. 1 in Verbindung mit § 75 Abs. 3 Satz 1 AVAVG Selbständige ohne Rücksicht auf ihr Einkommen. Nach § 75 Abs. 3 Satz 2 AVAVG greife Satz 1 nicht Platz für diejenigen Personen, welche die dort genannten besonderen Voraussetzungen hinsichtlich des Arbeitseinkommens und der Arbeitszeit innehielten. Mithin bilde Satz 2 eine Ausnahme von Satz 1 aaO. Hieraus müsse gefolgert werden, daß Personen, die erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eine selbständige Tätigkeit aufnehmen, von Gesetzes wegen nicht als arbeitslos angesehen werden könnten. Dies beweise auch die Begründung zu § 87 a Abs. 3 AVAVG aF des Regierungsentwurfs, der ausführe: "Nach der derzeitigen Fassung des § 87 a AVAVG können Arbeitnehmer selbst nach langjähriger Beitragsleistung keine Alu erhalten, wenn sie während ihrer Arbeitnehmertätigkeit beruflich selbständig gewesen sind und diese Selbständigkeit auch nach Verlust der unselbständigen Beschäftigung beibehalten. ... Absatz 3 beseitigt diese unbillige Härte, die in erster Linie einen Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung verhindern sollte. Ein Selbständiger gilt nach dem Entwurf dann als arbeitslos, wenn er schon vor dem Verlust der unselbständigen Beschäftigung nebenher selbständig war und nach dem Verlust der unselbständigen Beschäftigung in seinem selbständigen Nebenberuf nur in begrenztem Umfange arbeitet. ..." (BR-Drucksache Nr. 358/54 S. 118). Somit gelte derjenige, der erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eine selbständige Tätigkeit gleich welchen Umfangs aufnehme, nicht als arbeitslos. Eine selbständige Tätigkeit liege vor, wenn sie von einem freien Unternehmer ohne Abhängigkeit von einem Arbeitgeber auf eigene Verantwortung und auf eigene Rechnung ausgeübt werde. Dies treffe beim Kläger zu. Die Ansicht, daß § 75 Abs. 3 Satz 1 AVAVG nur erfüllt werde, wenn die selbständige Tätigkeit die Lebensgrundlage darstelle, sei nicht mehr vertretbar. Für die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Frage der selbständigen Gewerbetreibenden, die im Hinblick auf § 87 a AVAVG aF zwischen Inhabern eines Vollgewerbes und eines Nebenhergewerbes unterschieden habe, bleibe nach Inkrafttreten der Novelle kein Raum mehr, da § 75 Abs. 3 Satz 2 AVAVG abschließend regele, wann und inwieweit Nebenherselbständige als arbeitslos gelten. Folglich seien nach der gesetzlichen Fiktion des § 75 Abs. 3 Satz 1 AVAVG in allen übrigen Fällen Selbständige nicht als arbeitslos anzusehen. Dabei habe der Gesetzgeber nicht darauf abgestellt, ob die selbständige Tätigkeit die Lebensgrundlage bilde; denn selbst in den Fällen des § 75 Abs. 3 Satz 2 AVAVG in Verbindung mit § 66 Abs. 2 AVAVG sei Arbeitslosigkeit dann ausgeschlossen, wenn der Umfang der Tätigkeit 18 Stunden wöchentlich überschreite oder das Einkommen daraus über 15 DM wöchentlich liege. Schon bei einem Einkommen von 16 DM sei also Arbeitslosigkeit zu verneinen, wiewohl nicht ernstlich behauptet werden könne, daß ein solcher Ertrag aus selbständiger Tätigkeit eine Lebensgrundlage ergebe, besonders dann nicht, wenn Art und Umfang des Betriebes seine Steigerung nicht erwarten ließen. Nach alledem könne der Kläger nicht als arbeitslos angesehen werden, weil er die Voraussetzungen des § 75 Abs. 3 Satz 2 AVAVG nicht erfülle.
Die Beklagte beantragte,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG vom 22. Mai 1958 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Verfahren vor dem BSG nicht vertreten.
IV. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist zulässig. Sie ist jedoch nur teilweise gerechtfertigt.
Prozeßrechtlich zunächst muß die Revision der Beklagten insoweit zum Erfolg führen, als diese vom SG verurteilt wurde, dem Kläger die gesetzliche Alhi auch über den 12. Juni 1957 hinaus zu gewähren.
Streitgegenstand ist der Entziehungsbescheid der Beklagten vom 24. Juni in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1957 (§ 95 SGG). Das Begehren des Klägers ging dahin, den Anspruch auf Alhi nach der ursprünglichen Bewilligungsverfügung auszuschöpfen und im Bezug jener Unterstützungsleistung, die grundsätzlich der Zeit nach unbegrenzt ist, zu bleiben. Dieser prozessuale Anspruch war aber bereits mit der Aufhebung des Entziehungsbescheides zu erreichen, da als Folge davon der frühere Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 3. Mai 1957 unmittelbar wieder in Kraft tritt (ständige Rechtsprechung des BSG vgl. Breithaupt 1960, 1030 und SozR zu § 144 SGG Bl. Da 4 Nr. 15). Mithin bestand hier neben der Aufhebungs- (Anfechtungs-)klage kein Rechtsschutzbedürfnis für eine damit verbundene Leistungs- oder Verpflichtungsklage. Das LSG mußte infolgedessen, nachdem das SG die Klage insoweit nicht als unzulässig abgewiesen hatte, diesbezüglich der Berufung stattgeben. Die Anfechtungsklage allein schon löst, wenn sie zur Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts führt, die Zahlungspflicht des Arbeitsamtes aus. Die Verurteilung der Beklagten zur Leistung entfällt.
V. Sachlich-rechtlich hat das LSG den Anspruch des Klägers auf Unterstützung auch über den 12. Juni 1957 hinaus im Ergebnis als zutreffend anerkannt und dementsprechend die Aufhebung des Entziehungsbescheids der Beklagten vom 24. Juni 1957 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1957 durch das SG bestätigt. Von Rechts wegen war, da die sonstigen Voraussetzungen für den Alhi-Bezug des Klägers nicht bestritten sind, lediglich darüber zu befinden, ob dieser trotz Übernahme der Landwirtschaft von 1,08 ha während seiner Arbeitslosigkeit weiterhin nach § 145 Abs. 1 mit § 75 AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957 (BGBl I, 322) als arbeitslos angesehen werden kann.
Von entscheidender Bedeutung ist also die Auslegung des § 75 Abs. 3 AVAVG nF. Dem Abs. 3 Satz 1 entsprach bis zum 31. März 1957 der § 87 a Abs. 1 Satz 1 AVAVG aF: "Selbständige Gewerbetreibende sind nicht als arbeitslos anzusehen". Der jetzige Wortlaut: "Nicht als arbeitslos gelten Selbständige" unterscheidet sich von dem früheren zunächst dadurch, daß der Begriff "selbständige Gewerbetreibende" unter Übernahme der Rechtsprechung des BSG (vgl. insbesondere Urteil vom 21. März 1956, BSG 2, 67 ff.) zur Verdeutlichung in dem Begriff "Selbständige" erweitert worden ist, so daß jetzt kraft ausdrücklicher Bestimmung auch die Angehörigen der freien Berufe grundsätzlich nicht als arbeitslos gelten können. Des weiteren sind die Worte "ohne Rücksicht auf ihr Einkommen" angefügt worden. Durch diese vom Bundestagsausschuß für Arbeit vorgenommene Ergänzung (Bundestags-Drucks. 2. Wahlperiode Nr. 1274) - ein Grund hierfür ist aus den Materialien nicht zu ersehen - sollte offenbar der Sinn der Vorschrift nicht verändert, sondern ihr Inhalt der Rechtsprechung des BSG zufolge ebenfalls nur geklärt werden.
Die Änderungen in der Formulierung des § 75 Abs. 3 Satz 1 nF gegenüber § 87 a Abs. 1 Satz 1 aF haben den erkennenden Senat (Urteil vom 19. Dezember 1961, BSG 16, 56 ff.) indessen veranlaßt, die seinerzeit zu § 87 a Abs. 1 Satz 1 aF entwickelte Rechtsprechung für überholt zu erachten. Vordem war diese davon ausgegangen, daß ein selbständiges Gewerbe nach allgemeiner Anschauung die Lebensgrundlage bilden müsse, und daß es bei einem Doppelberufler, der offensichtlich nicht an einem vollen Gewerbe teil hat, für die Frage der Arbeitslosigkeit darauf ankomme, ob er im Sinne des § 87 a Abs. 2 AVAVG aF durch den Betrieb soweit gebunden sei, daß er keine anderen als geringfügige Beschäftigungen auszuüben vermöge. -
Zu dem neuen Recht hat der Senat in dem vorbezeichneten Urteil vom 19. Dezember 1961 entschieden, daß die wesentlichen Merkmale für die Auslegung in § 75 Abs. 3 nF selbst enthalten sind. Satz 2 aaO bestimme nämlich, daß, wer schon vor dem Verlust der unselbständigen Beschäftigung nebenher selbständig war, als arbeitslos gilt, wenn er nach dem Verlust der unselbständigen Beschäftigung aus seiner Tätigkeit in dem selbständigen Beruf kein über die Grenzen des § 66 Abs. 2 hinausgehendes Einkommen erzielt, der Umfang seiner Tätigkeit 18 Stunden wöchentlich nicht überschreitet und nach den Gesamtumständen angenommen werden kann, daß er auch künftig berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig sein will. Diese Vorschrift, die eine unwiderlegliche Rechtsvermutung zu Gunsten der Arbeitslosigkeit enthalte, falls vor Verlust der abhängigen Arbeit eine selbständige Tätigkeit geringen Grades nebenhergelaufen sei, stelle insoweit eine Ausnahme vom Grundgedanken des Satzes 1 aaO dar, als es unter jenen Bedingungen keiner weiteren Prüfung bedürfe, ob die Eigenschaft als Selbständiger tatsächlich bereits erreicht - erfüllt - sei oder nicht. Diese begünstigende Ausnahmeregelung zwinge jedoch nicht zu dem Umkehrschluß, daß jede nach dem Verlust der unselbständigen Beschäftigung aufgenommene Tätigkeit die Arbeitslosigkeit schlechthin ausschließe. Sie habe eine solche Wirkung vielmehr nur dann, wenn ein "Selbständiger" sie wahrnehme. Das sei dann jeweils nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen.
Durch das Urteil vom 19. Dezember 1961 war - auf Grund des damals zu entscheidenden Falles - zunächst nur festgestellt, daß jemand, der nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eine selbständige Tätigkeit aufnimmt, Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe jedenfalls dann nicht besitzt, wenn er diese als "Selbständiger" wahrnimmt. Offen blieb, wie zu entscheiden ist, wenn er nicht "Selbständiger" im Sinne des § 75 Abs. 3 Satz 1 ist.
VI. Dieser Fall, der vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt ist, betrifft den Kläger, der die in den bisherigen Entscheidungen des Senats (BSG 14, 224 ff.; 16, 58 ff.) dargelegten Merkmale eines Selbständigen nicht erfüllt, jedoch die Betätigung in seinem neuerworbenen landwirtschaftlichen Anwesen erst nach Einbuße seines früheren Arbeitsplatzes aufgenommen hat. Dem Standpunkt der beklagten Bundesanstalt, daß die begünstigende Ausnahmeregelung des § 75 Abs. 3 Satz 2 nur anwendbar wäre, wenn die selbständige Nebentätigkeit bereits vor Verlust der unselbständigen Beschäftigung bestand und daß bei ihrer Aufnahme erst nachher der Gesetzgeber die Arbeitslosigkeit schlechthin verneinen wolle, vermag der Senat nicht beizutreten. Sachgerechte Anhaltspunkte oder vernunftbedingte Beweggründe für eine unterschiedliche Behandlung der beiden Personenkreise sind nicht erkennbar. Der im Regierungsentwurf zur Änderung des § 87 a AVAVG (Bundestags-Drucks. 2. Wahlperiode Nr. 1274) enthaltene Gedanke, den schon früher Nebenher-Selbständigen deshalb zu begünstigen, weil er in der Vergangenheit als Arbeitnehmer langjährig Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geleistet habe, bietet vielmehr gerade Anlaß dafür, die gleiche Wohltat auf jene Personen zu erstrecken, die erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit nebenher selbständig werden, solche Beiträge aber ebenfalls, im Zweifel vielleicht in noch höherem Ausmaß, entrichtet haben, da die selbständige Nebenhertätigkeit während der abhängigen Beschäftigung deren Umfang eher einengt. Schließlich ist auch die Annahme, daß in dem ersteren Falle das Nebeneinander von abhängiger und selbständiger Tätigkeit schon eine mehr oder weniger lange Dauer gehabt und sich dabei das Verbleiben des jetzigen Arbeitslosen in der Arbeitnehmersphäre bereits eingespielt habe, während man bei dem nach Eintritt der Arbeitslosigkeit nebenher selbständig Werdenden unsicher abschätzen könne, ob er nicht in den Bereich der Voll-Selbständigen überwechsle, allgemein nicht von wesentlichem Gewicht. Die Absicht, hauptberuflich Arbeitnehmer zu bleiben, ist in aller Regel leicht zu ermitteln. In Sonderheit beim Kläger ergeben sich diesbezüglich subjektiv und objektiv keine Bedenken.
VII. Nach alledem hält es der Senat für unerläßlich, im Wege der ergänzenden Rechtsfindung die in § 75 Abs. 3 AVAVG vorhandene Lücke zu schließen, wobei dahinstehen kann, ob diese für den Gesetzgeber nicht voraussehbar war, oder ob die von ihm gewählte Fassung der Vorschrift von einer unzutreffenden Würdigung rechtlicher oder tatsächlicher Gegebenheiten getragen wurde (vgl. Urteil vom 19. Dezember 1962 - 7 RAr 13/61).
Der Senat erachtet es für geboten, Arbeitnehmer, die erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit eine selbständige Nebentätigkeit aufnehmen, sachlich und rechtlich nicht anders zu behandeln als jene, die schon vor Verlust der unselbständigen Beschäftigung nebenher selbständig waren. In beiden Fällen sind die Grundgedanken des § 75 Abs. 3 Satz 2 AVAVG anzuwenden, daß solche Personen als arbeitslos gelten, wenn sie kein über die Grenzen des § 66 Abs. 2 AVAVG in Verbindung mit § 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des AVAVG vom 5. April 1957 - BGBl I, 365 - (66 DM monatlich bzw. 15 DM wöchentlich) hinausgehendes Einkommen erzielen, der Umfang ihrer Tätigkeit wöchentlich 18 Stunden nicht überschreitet und den Gesamtumständen nach angenommen werden kann, daß sie auch künftig berufsmäßig in der Hauptsache als Arbeitnehmer tätig sein wollen. Hierbei kommt es allein auf den Umfang der eigenen Tätigkeit an, nicht auch auf diejenige von etwa mithelfenden Familienangehörigen. Maßgebend ist die Tätigkeitsdauer im Jahresdurchschnitt. Abzustellen ist auf das von dem Arbeitslosen selbst durch seine Nebentätigkeit erreichte Einkommen (Nettoertrag). Etwaige Entgelte mitarbeitender Familienangehöriger sind abzusetzen (vgl. Urteil des Senats vom 25. Januar 1963 - 7 RAr 20/62).
VIII. Sachlich erwies sich daher die Entscheidung des LSG im Ergebnis als rechtmäßig. Demzufolge war die Revision der Beklagten insoweit zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG). Dabei war allerdings aus prozessualen Gründen hinsichtlich der Berufung der Tenor des angefochtenen Urteils, wie geschehen, zu berichtigen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen