Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhalt der Familie überwiegend bestritten

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Auslegung der Begriffe "Unterhalt der Familie" und "überwiegend bestritten" iS von RVO § 593 Abs 1 (Fortführung von BSG 1964-02-14 1 RA 203/60 = SozR Nr 4 zu § 1266 RVO, BSG 1972-11-16 11 RA 154/71 = SozR Nr 12 zu § 1266 RVO, BSG 1974-10-24 11 RA 112/73 = SozR 2200 § 1266 Nr 1, BSG 1975-08-26 1 RA 93/73 = SozR 2200 § 1266 Nr 3, BSG 1976-11-25 11 RA 138/75 = SozR 2200 § 1266 Nr 4, BSG 1977-02-03 11 RA 38/76 = SozR 2200 § 1266 Nr 5).

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der RVO § 593 Abs 1 ist verfassungsgemäß.

2. Bei der Frage, ob der Witwer den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, ist BGB § 1360a und das gesamte Nettoeinkommen der Ehegatten sowie deren Lebensverhältnisse und persönliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Der Befriedigung des Lebensbedarfs der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder, der Haushaltsführung und der Kinderbetreuung ist hinreichende Bedeutung beizumessen.

3. Das Sammeln von Möbeln und Kunstgegenständen gehört zu den "persönlichen Bedürfnissen" iS von BGB § 1360a, die zumindest dann zum Familienunterhalt zählen, wenn es sich um ein Sammelinteresse beider Ehegatten gehandelt hat.

 

Normenkette

RVO § 593 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BGB § 1360a Abs. 1 Fassung: 1957-06-18; GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 13.12.1977; Aktenzeichen L 3 U 320/75)

SG München (Entscheidung vom 07.07.1975; Aktenzeichen S 23 U 13/72)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1977 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine Witwerrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu zahlen ist.

Der Kläger ist der Witwer der am Sonntag dem 19. März 1967 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Privatdozentin Dr. I.. Der Unfall ereignete sich bei Schneetreiben auf glatter Straße, als sie mit ihrem Ehemann abends mit dem PKW von ihrem Haus in H. zu der Mietwohnung des Ehepaares in M. zurückfahren wollte, um am nächsten Morgen den Dienst anzutreten. Die Ehefrau des Klägers war damals Oberärztin der Dermatologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses in der Th.-Straße in M.. Der Kläger war Werkarzt bei der B. M. AG (...) in M.; außerdem führte er in M. eine Arztpraxis und war Belegarzt der Klinik W. in G., wo ihm seine Ehefrau assistierte.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Witwerrente für ihn und Waisenrente für seine beiden 1955 und 1960 geborenen Kinder, Sterbe- und Überbrückungsgeld, wurde durch Bescheid vom 25. Oktober 1967 abgelehnt, weil die Beklagte das Haus in H. nicht als ständigen Familienwohnsitz ansah. Das Sozialgericht (SG) München verurteilte die Beklagte, "die gesetzlichen Leistungen" zu gewähren (Urteil vom 13. April 1970). Während des Berufungsverfahrens lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 22. Dezember 1970 die Gewährung der begehrten Leistungen erneut ab, diesmal mit der Begründung, die Verstorbene habe den Unterhalt ihrer Familie nicht überwiegend bestritten. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Klage.

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) verwarf die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München als unzulässig, soweit dieses Sterbegeld und Überbrückungsgeld betraf (Urteil vom 16. Dezember 1971). Hinsichtlich der Witwerrente hob es das Urteil auf und verwies die Sache wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels an das SG zurück. Im übrigen wies es die Berufung zurück. Die von der Beklagten eingelegte Revision wies das Bundessozialgericht (BSG) zurück (Urteil vom 29. Mai 1973). Das SG ermittelte die Einkommensverhältnisse der Eheleute Dr. S., hob die Bescheide der Beklagten von 1967 und 1970 auf und verurteilte sie, dem Kläger die gesetzliche Witwerrente zu gewähren (Urteil vom 7. Juli 1975).

Das Bayerische LSG hat das Urteil des SG München aufgehoben und die Klagen gegen die Bescheide abgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 1977).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt Verletzung der Art 3 und 6 des Grundgesetzes (GG), des § 593 Abs. 1 RVO und des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Das LSG hat zutreffend die Vorschrift des § 593 Abs. 1 RVO für verfassungsmäßig gehalten und daher zu Recht auf den hier streitigen Fall eines Witwers mit zwei minderjährigen Kindern angewendet. § 593 RVO verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen Art 3 und 6 GG. Wie das LSG verweist der erkennende Senat auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 12. März 1975 (BVerfGE 39, 169). Danach ist die der Rentenversicherung angehörende Vorschrift des § 1266 Abs. 1 RVO bis Ende 1984 noch nicht als verfassungswidrig anzusehen. Entsprechendes hat für die unfallversicherungsrechtliche Vorschrift des § 593 Abs. 1 RVO zu gelten (vgl. BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 7).

Allerdings hat das Berufungsgericht § 593 RVO nicht richtig angewendet. Nach § 593 Abs. 1 RVO iVm § 590 RVO erhält der Witwer eine Witwerrente, wenn die durch Arbeitsunfall verstorbene Ehefrau den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat und solange sie ihn bestritten haben würde. Da der Anspruch des Klägers auf Witwerrente allein nur noch streitig ist, hätte das LSG, nachdem das BSG die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG vom 16. Dezember 1971 in vollem Umfang zurückgewiesen hatte (Urteil vom 29. Mai 1973), also auch soweit es die Zahlung von Witwerrente betraf, sämtliche Voraussetzungen dieses Anspruchs prüfen und feststellen müssen, nämlich, ob die Ehefrau durch Arbeitsunfall verstorben ist, ob sie den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat und wie lange sie so die Familie unterhalten hätte. Die rechtskräftige Entscheidung über den Waisenrentenanspruch enthob das LSG insbesondere nicht seiner Pflicht, den Arbeitsunfall festzustellen (vgl. BSGE 5, 96, 99 f; 10, 167, 168 f; 11, 194, 195 f; SozR Nr. 41 zu § 128 SGG).

Das LSG hat sich nicht dazu geäußert, ob es die erste der genannten Voraussetzungen für eine Witwerrente - Tod durch Arbeitsunfall - als erfüllt angesehen oder ob es die Meinung vertreten hat, es komme darauf nicht an, weil jedenfalls die Unterhaltsfrage zu verneinen sei. Es hat lediglich im Tatbestand des Urteils festgestellt, daß die Ehefrau des Klägers durch "Verkehrsunfall" ums Leben gekommen sei. Die Wiedergabe der gesetzlichen Voraussetzungen einer Witwerrente (vgl. S 6 des LSG-Urteils) und die Zulassungsbegründung (vgl S 12 des LSG-Urteils) reichen für die erforderliche tatsächliche und rechtliche Feststellung des Arbeitsunfalls nicht aus. Läßt sich aber das erste Tatbestandsmerkmal des Witwerrentenanspruchs mangels ausreichender Feststellungen nicht hinreichend begründen, wird es Sache des LSG sein, im Rahmen der auch aus anderen Gründen erforderlichen Zurückverweisung die insoweit erforderlichen Feststellungen nachzuholen. Das LSG wird dabei zu beachten haben, daß es bei seinen neuen Feststellungen an die früheren Feststellungen in der rechtskräftigen Entscheidung über die Waisenrente nicht gebunden ist.

Was das zweite Merkmal des Witwerrentenanspruchs nach § 593 Abs. 1 RVO - die Verstorbene muß den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten haben - angeht, ist die von dem LSG gegebene Begründung mehrfach rechtsfehlerhaft. Es trifft zwar zu, daß der überwiegende Unterhalt vom letzten wirtschaftlichen Dauerzustand her zu beurteilen ist (vgl. BSGE 14, 129, 132; SozR Nr. 3 zu § 1266 RVO und Urteil vom 28. September 1978 - 4/5 RJ 16/77 -). Das LSG hat aber die Begriffe "Unterhalt der Familie" und "überwiegend bestritten" verkannt, indem es auf Rechtsprechung des BSG abgehoben hat, die zu anderen gesetzlichen Vorschriften ergangen ist.

Nach § 1360a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der eine für das Sozialrecht brauchbare Begriffsbestimmung des Unterhalts bietet (vgl. SozR 2200 § 1266 Nr. 5 mwN), umfaßt der Unterhalt der Familie alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen. Auszugehen ist von dem gesamten Nettoeinkommen der Ehegatten und ihren allgemeinen Lebensverhältnissen (BSG SozR Nr. 12 zu § 1266 RVO. Die unentgeltliche Betreuung von Kindern durch die Großeltern ist ein Unterhaltsbeitrag Dritter, während eine entgeltliche Betreuung zu den Kosten des Unterhalts zählt. Danach kann es wesentlich darauf ankommen, ob und in welcher Höhe die Verunglückte Aufwendungen für die Kinderbetreuung gehabt hat (vgl. BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 4). Haushaltsführung, Kinderbetreuung und etwaige Pflegedienste für Familienangehörige dürfen nicht schematisch bewertet werden (BSG SozR Nr. 7 zu § 1266 RVO). Insoweit hat das LSG keine Feststellungen getroffen, weshalb es sie nachholen muß, sofern es darauf ankommt.

Zu Unrecht hat es die Ausgaben für die Renovierung eines Altbaus und die Erstellung eines Hauses in H. einschließlich des Schuldendienstes nicht zum Familienunterhalt gerechnet. Aufwendungen für Wohnzwecke sind aber genauso familienbezogen wie die Kosten für Ernährung, Heizung, Kleidung, Miete, Auto, Telefon, Gas und Strom, an die das LSG gedacht haben mag. So hat das BSG zB Aufwendungen für einen Bausparvertrag und Rücklagen für eine PKW-Beschaffung zum Familienunterhalt gerechnet (SozR Nr 10 zu § 1266 RVO). Um so mehr muß dies dann gelten, wenn Aufwendungen bereits tatsächlich vorhandenem Wohnraum und dessen Ausstattung und Mobiliar zugute kommen. Entscheidend ist immer, ob die Ausgaben der Familie zugute kommen, also dem Familienunterhalt dienen und dem Familienverband zuzurechnen sind (BSG SozR Nr 4 zu § 1266 RVO; BSG SozR 2200 § 1266 Nr. 5). Gleiches gilt für Aufwendungen, die entsprechend den Lebensverhältnissen und den persönlichen Bedürfnissen gemacht werden. Das Sammeln von Möbeln und Kunstgegenständen gehört zu den "persönlichen Bedürfnissen" iS von § 1360a BGB, die zumindest dann zum Familienunterhalt zählen, wenn es sich um ein Sammelinteresse beider Ehegatten - wie hier - gehandelt hat. Auch das Schrifttum (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 9. Aufl unter Einschluß der 50. Ergänzungslieferung, Band III, S 687; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl unter Einschluß der 38. Ergänzungslieferung, § 593 Anm 5, S 543; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, Kommentar zum AVG, 2./3. Aufl, § 43 Anm II) faßt den Begriff des "Unterhalts der Familie" weit, so daß nur Ausgaben für nicht zur Familie gehörende Personen, Ausgaben für besonders wertvollen Schmuck und für ganz persönliche Liebhabereien nur eines Ehegatten nicht hierunter gezählt werden. Die dabei anzulegenden Maßstäbe können unter Berücksichtigung eines erhöhten Lebensstandards unterschiedlich sein. Abzustellen ist deshalb vorrangig auf die gemeinsamen Interessen der Familie entsprechend den Lebensverhältnissen, auch wenn sich diese auf Investitionen in ein Haus erstrecken, das nicht in ihrem Eigentum steht. Dem wirtschaftlichen Interesse, sei es in Form einer Nutzungsmöglichkeit oder einer Anwartschaft auf künftiges Eigentum, kommt hier besondere Bedeutung zu.

Die zwischen den Ehegatten über die Verwendung ihrer beiderseitigen Einkommen entsprechend ihren Verhältnissen getroffene Vereinbarung ist nicht unwirksam (vgl. § 1360b BGB). Schon während des zeitlichen Geltungsbereichs des Familienrechts vor dem Ersten Eherechtsreformgesetz (1. EheRG) hatte die Rechtsprechung der Vereinbarung von Eheleuten über die Verteilung der innerhalb der Ehe anfallenden Aufgaben weitgehende Bedeutung beigemessen (vgl. zB BGHZ 56, 389). Nach § 1356 Abs. 1 Satz 1 BGB idF durch das 1. EheRG vom 14.6.1976 (BGBl I, 1421) regeln die Ehegatten die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. Ob eine solche Vereinbarung dann als unwirksam angesehen werden kann, wenn sie "Rentenschleicherei" ermöglichen soll, bedarf hier keiner Erörterung, weil das LSG eine solche Absicht der Ehegatten nicht hat feststellen können. Die Parallelen, die das LSG zu dem Urteil des erkennenden Senats vom 26. Juni 1973 - 8/7 RU 4/71 (BSGE 36, 68 - SozR Nr. 1 zu § 593 RVO) glaubte sehen zu müssen, bestehen nicht. Dort handelte es sich um eine Verfügung, die den Zeitraum "solange sie ihn - den Familienunterhalt - bestritten haben würde" in § 593 Abs. 1 RVO verlängern sollte, die vom Überlebenden nach dem Versicherungsfall getroffen worden war. Hier wurde dagegen eine Absprache getroffen, bevor daran gedacht werden konnte, daß einmal eine Witwerrente geltend gemacht werden könnte. Das BSG hat deshalb auch bei der Feststellung, wer den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat, den Abreden der Ehepartner entscheidendes Gewicht beigemessen (vgl. SozR 2200 § 1266 Nrn 1 und 3).

Bei einem Bruttoeinkommen von über 7.000,-- DM muß das der Verstorbenen verbleibende Nettoeinkommen wesentlich höher gewesen sein als die 3.000,-- DM, die sie nach den Feststellungen des LSG für den "Unterhalt der Familie" aufgewendet hat. Es ist möglich, daß von dem darüber hinausgehenden Betrag Kosten bestritten worden sind, die das LSG aufgrund seiner fehlerhaften Rechtsansicht als nicht zum Unterhalt der Familie gehörig betrachtet hat, die aber gleichwohl dazugehören. Gerade bei hohem Einkommen ist aber die Feststellung zwingend notwendig, wieviel und von wem zum Unterhalt der Familie beigetragen worden ist (vgl. BSG SozR Nr. 4 zu § 1266 RVO). Wenn das LSG nur glaubte, die Arbeiten beider Ehegatten im Haushalt würden keine Verschiebung des Wertverhältnissee ihrer Leistungen herbeiführen, hätte es insoweit genauerer Ermittlungen bedurft, soweit es darauf überhaupt noch ankommen konnte.

Sobald die fehlenden Feststellungen - vor allem hinsichtlich des Umfangs der besonderen Verwendung des Einkommens des Klägers, der Höhe seines Nettoeinkommens, der Verwendung des über 3.000,-- DM hinausgehenden Nettoverdienstes der Ehefrau des Klägers - nachgeholt sind, ist festzustellen, wer von den beiden Ehepartnern den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hat. Die verstorbene Versicherte hat den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten, wenn sie mehr als die Hälfte dazu beigetragen hat (vgl. BSGE 31, 91; BSG SozR Nrn 1, 4, 5, 9 zu § 1266 RVO; BSG SozR 2200 § 1266 Nrn 4 und 5; Brackmann, aaO, S 588; Lauterbach, aaO, § 593 Anm 5 S 544f; Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, aaO, § 43 Anm II). Dieser aus dem Wortlaut zwanglos folgenden Auslegung steht auch nicht der Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. Mai 1969 - GS 2/67 - (BSGE 29, 225) entgegen. Dort wurde zu § 18 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) ausgesprochen, daß ein Versicherter den Ehegatten nur dann überwiegend unterhalten hat, wenn sein Beitrag nach Abzug der Hälfte des gemeinsamen Unterhalts größer gewesen ist als der Beitrag des Ehegatten selbst, so daß der Versicherte im Ergebnis mehr als dreimal soviel verdienen mußte wie der Ehegatte. Diese Entscheidung kann im vorliegenden Fall nicht angewandt werden. Das folgt zwar nicht ohne weiteres daraus, daß dort ein kinderloser Haushalt Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, während hier der Kläger mit zwei unmündigen Kindern hinterblieben ist. Der 5. und 12. Senat des BSG haben mittlerweile die vom Großen Senat herausgearbeiteten Grundsätze auch auf Haushalte mit Kindern übertragen (vgl. Urteil vom 19. März 1970 - 5 RKn 59/67 - in WZS 1970, 277; Urteil vom 21. November 1969 - 12 RJ 110/66 -). Das Urteil des Großen Senats erging nämlich zu § 18 AVG, der von einem Familienangehörigen spricht, während § 593 Abs. 1 RVO - anders als § 589 RVO idF vor dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz - vom "Unterhalt der Familie" ausgeht. Dieser Unterschied im Wortlaut ist Ausdruck der Verschiedenartigkeit der zu beurteilenden Gegebenheiten. Die Hinterbliebenen einer verstorbenen Versicherten stehen bei der Berechnung der Witwerrente anders da als der Versicherte mit einem noch lebenden Ehegatten bei der Bemessung des Übergangs-, Kranken- oder Hausgeldes. Der "überwiegende Unterhalt der Familie" ist somit anders zu beurteilen, als das "überwiegende Unterhalten" eines Ehepartners. Die Auslegung, die der Große Senat des BSG diesem Begriff gegeben hat, erlaubt daher keine unmittelbare Anwendung für die Auslegung des § 593 Abs. 1 RVO. Die Senate des BSG haben deshalb den "überwiegenden Unterhalt der Familie" nach der Entscheidung des Großen Senats in entsprechenden Fällen weiterhin so definiert wie früher (vgl. etwa BSGE 31, 91; SozR Nr. 9 zu § 1266 RVO; SozR 2200/1266 Nrn 4 und 5).

Das LSG wird daher weiter zu ermitteln haben, wie hoch die Kosten des richtig verstandenen Unterhalts der Familie gewesen sind (§ 1360a BGB) und in welcher Höhe der Kläger und seine verstorbene Ehefrau dazu beigetragen haben. Ist der Beitrag der Frau höher gewesen, wofür neben der getroffenen Vereinbarung auch ihr wesentlich höheres Einkommen spricht, steht dem Kläger Witwerrente zu. Das LSG wird ferner durch Tatsachen belegte Feststellungen, die es - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bisher unterlassen hat, darüber treffen müssen, wie lange die Ehefrau des Klägers den Unterhalt der Familie überwiegend bestritten hätte. Dabei wird neben den Einkommensverhältnissen des Klägers auch die Entwicklung der Kinder bedeutungsvoll sein.

Bei dem Hinweis der Revision auf die Erziehungsrente nach § 1265a RVO übersieht der Kläger die völlig andere Sachlage. Die Erziehungsrente ist eine Rente aus eigenem Recht des überlebenden Ehegatten, die auf seinen Beiträgen aufbaut.

Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1656887

Breith. 1980, 279

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