Leitsatz (amtlich)
Bei der entsprechenden Anwendung der Ruhensvorschrift des RKG § 75 (= RVO § 1278) ist als eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates erworbene Leistung iS von EWGV 1408/71 Art 12 Abs 2 S 1 die vom belgischen Versicherungsträger nach Abzug der belgischen Steuern ausgezahlte Unfallrente zugrunde zu legen.
Normenkette
RKG § 75 Fassung: 1963-04-30; RVO § 1278 Fassung: 1963-04-30; EWGV 1408/71 Art. 12 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 08.05.1979; Aktenzeichen L 15 Kn 50/78) |
SG Aachen (Entscheidung vom 09.02.1978; Aktenzeichen S 5 Kn 40/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zunächst gewährten Knappschaftsausgleichsleistung und der anschließenden Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, insbesondere darüber, ob und in welcher Höhe die vom belgischen Versicherungsträger gewährte Rente wegen einer Berufskrankheit für das Ruhen nach § 75 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zu berücksichtigen ist.
Der Kläger, ein in Deutschland wohnender Deutscher, war von 1948 bis 1957 im belgischen und anschließend bis 1975 im deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigt. Er bezieht seit dem 21. September 1971 von dem für Berufskrankheiten zuständigen belgischen Versicherungsträger (FMP) eine Rente wegen Silikose, die in den Jahren 1975 und 1977 erhöht wurde.
Nachdem der Kläger das Anpassungsgeld bezogen hatte, gewährte die Beklagte ihm zunächst als vorläufige, allein unter Berücksichtigung der deutschen Versicherungszeiten berechnete Leistung und sodann mit Bescheid vom 15. Februar 1977 endgültig auch unter Berücksichtigung der belgischen Versicherungszeiten die Knappschaftsausgleichsleistung für die Zeit vom 1. April 1976 bis zum 31. Oktober 1976. Bei der Berechnung dieser Leistung berücksichtigte sie die belgische Rente wegen Silikose anteilig für das Ruhen nach § 75 RKG. Sie errechnete eine Überzahlung von 5.393,-- DM, deren Rückforderung sie ankündigte. Mit Bescheid vom 1. März 1977 gewährte die Beklagte dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. November 1976 an. Auch hierbei berücksichtigte sie die belgische Silikoserente für das Ruhen und stellte für die Zeit bis zum 30. April 1977 eine Überzahlung von 4.395,60 DM fest, wegen der sie die vom belgischen Versicherungsträger überwiesene Nachzahlung an belgischer Altersrente von 1.111,93 DM einbehielt und eine weitere Rückforderung ankündigte.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den gegen beide Bescheide gerichteten Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 20. Juni 1977 zurück.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Nachdem die Beteiligten sich in der Berufungsinstanz darüber verglichen hatten, daß die Rückforderung der Beklagten aus diesem Rechtsstreit ausgeklammert sein solle und die Beklagte nach Abschluß dieses Verfahrens über die Rückforderung einen neuen Bescheid erlassen werde, hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers mit Urteil vom 8. Mai 1979 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, nach § 75 RKG führe zwar nur eine Verletztenrente aus der deutschen Unfallversicherung zum Ruhen. Die innerstaatlichen Ruhensvorschriften seien aber sowohl in Art 12 Abs 2 Satz 1 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 als auch in Art 41 Abs 1 des Gesetzes vom 29. Mai 1963 (BGBl II, 404) zu dem "Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit" vom 7. Dezember 1957 für anwendbar erklärt worden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) sei Voraussetzung für die Anwendung der Ruhensvorschriften allerdings, daß die Leistungen aufgrund der EWG-Verordnungen erworben worden seien. Daran beständen im vorliegenden Fall deshalb Zweifel, weil der belgische Versicherungsträger die Berufskrankheitenrente bereits im September 1971 - vor Inkrafttreten der EWG-Verordnung 1408/71 - bewilligt habe. Diese Frage könne aber dahinstehen, weil bereits seit 1959 zwischenstaatliche Vereinbarungen gleichen Inhalts zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien beständen. Nach § 75 RKG sei für das Ruhen der Bruttobetrag der Rente zu berücksichtigen. Es sei daher ohne Bedeutung, daß die Verletztenrente nach belgischem Recht zu versteuern sei. In der Besteuerung liege keine Kürzung der Rente. Das gleiche gelte für die nach belgischem Recht von der Rente zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge. Die vom Kläger angefochtenen und die nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils erlassenen und kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Neufeststellungsbescheide vom 16. März 1978 und 19. Juni 1978 seien daher rechtmäßig.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Er ist der Ansicht, die Berufung sei auch insoweit statthaft, als sie die Höhe der Knappschaftsausgleichsleistung betreffe. Es handele sich nicht um Rente für abgelaufene Zeiträume iS des § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), sondern im Hinblick auf die anschließende Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit um eine zeitlich unbegrenzte Rentenleistung. Im übrigen sei sie auch nach § 150 Nr 1 SGG statthaft, weil das Sozialgericht (SG) die Berufung in der Rechtsmittelbelehrung zugelassen habe. Die vom belgischen Versicherungsträger gezahlte Rente wegen Silikose sei bei der Berechnung der knappschaftlichen Leistung unberücksichtigt zu lassen, weil die belgische Verletztenrente nicht auf der EWG-Verordnung Nr 1408/71, sondern auf dem deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen beruhe. Selbst wenn man aber § 75 RKG für anwendbar halte, so dürfe nicht die volle belgische Verletztenrente für das Ruhen berücksichtigt werden, sondern nur der Betrag, der dem Kläger nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ausgezahlt werde. Die Berücksichtigung einer deutschen Verletztenrente mit ihrem Nennbetrag sei deshalb berechtigt, weil dieser Betrag auch tatsächlich ausgezahlt werde. Die entsprechende Anwendung des § 75 RKG auf die belgische Verletztenrente müsse sich daher ebenfalls auf den tatsächlichen Zahlbetrag beschränken. Die Berücksichtigung des nichtausgezahlten Betrages verstoße gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1979 und des
Sozialgerichts Aachen vom 9. Februar 1978 abzuändern
und die Bescheide vom 15. Februar 1977 und 1. März 1977
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
20. Juni 1977 (nicht - wie beantragt - 20. Juli 1977),
ferner den Bescheid vom 16. März 1978, den Bescheid
vom 19. Juni 1978 und den Bescheid vom 21.Februar 1979
hinsichtlich der Ruhensberechnung aufzuheben und die
Beklagte zu verpflichten, die Leistungen ohne
Ruhensberechnung zu gewähren;
hilfsweise,
die Bescheide insoweit aufzuheben, als in ihnen
das Ruhen der knappschaftlichen Rentenleistung
unter Ansatz der belgischen Rente ohne Abzug der
auf sie entfallenden Steuer- und Sozialversicherungslast
erfolgt ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Berufung sei nach § 146 SGG ausgeschlossen, soweit sie die Höhe der Knappschaftsausgleichsleistung betreffe. Im übrigen hält sie das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und die Revision des Klägers für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und begründete Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, weil die festgestellten Tatsachen zur abschließenden Entscheidung nicht ausreichen.
Soweit der Kläger eine höhere als die festgestellte Knappschaftsausgleichsleistung für die Zeit bis zum 31. Oktober 1976 geltend macht, ist die Berufung unzulässig. Insoweit betraf die Berufung schon bei ihrer Einlegung die Höhe der Leistung für einen abgeschlossenen Zeitraum iS des § 146 SGG. Daran ändert sich dadurch nichts, daß die Knappschaftsausgleichsleistung durch die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelöst worden ist und die Berufung auch die Höhe dieser Leistung betraf. Knappschaftsausgleichsleistung und Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit schließen zwar nach § 98a Abs 3 RKG einander aus. Es handelt sich indes dabei um Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung, die zwar auf demselben Versicherungsverhältnis beruhen, sich aber im übrigen (Wartezeit, Versicherungsfall und Höhe) unterscheiden. Der Bescheid über die Gewährung der Knappschaftsausgleichsleistung und der Bescheid über die Gewährung der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit sind unabhängig voneinander der Bindung nach § 77 SGG fähig. Sind verschiedene Rentenleistungen für unterschiedliche Zeiträume streitig, so handelt es sich nicht um denselben, sondern um verschiedene Streitgegenstände, für die die Statthaftigkeit der Berufung jeweils getrennt zu beurteilen ist (vgl hierzu BSG SozR Nr 15 zu § 96 SGG und SozR 1500 § 146 Nr 2). Daran ändert sich auch dann nichts, wenn eine Rentenleistung sich zeitlich unmittelbar an die andere anschließt und sie ablöst und für die Höhe beider Leistungen dieselbe Rechtsfrage zu entscheiden ist. Die Berufung ist auch nicht nach § 150 Nr 1 SGG statthaft, denn das SG hat die Berufung - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zugelassen.
In dem unrichtigen Hinweis auf die Statthaftigkeit der Berufung in der Rechtsmittelbelehrung liegt nicht die Zulassung der Berufung (vgl BSG SozR Nr 51 zu § 150 SGG mwN). Das Berufungsgericht hätte also die Berufung des Klägers als unzulässig verwerfen müssen, soweit sie die Höhe der Knappschaftsausgleichsleistungen für die Zeit bis zum 31. Oktober 1976 betrifft. Obwohl der Kläger den darin liegenden Verfahrensmangel nicht gerügt hat und die Beklagte ihn mangels einer Anschlußrevision nicht rügen kann, ist die Unzulässigkeit der Berufung von Amts wegen zu berücksichtigen. Abgesehen davon, daß in der Sachentscheidung des LSG auch ein Inhaltsmangel des Urteils liegt, ist ein solcher Verfahrensmangel in jeder Lage des Verfahrens auch ohne Rüge zu beachten (vgl BSG SozR Nr 56 zu § 162 SGG).
Sachlich zu entscheiden ist daher nur über die Höhe der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. November 1976 an. Dabei kann die Entscheidung nicht auf die Frage beschränkt werden, ob die von der belgischen Verletztenrente gezahlten Steuern und Sozialversicherungsbeiträge für das Ruhen unberücksichtigt zu lassen sind. Der Kläger hat seinen ursprünglich gestellten Revisionsantrag in der mündlichen Verhandlung in zulässiger Weise erweitert. Dabei handelt es sich nicht um eine nach § 168 SGG in der Revisionsinstanz unzulässige Klageänderung, sondern um eine zulässige Klageerweiterung iS des § 99 Abs 3 Nr 2 SGG, bei der der Klagegrund nicht geändert wird und neue Tatsachen nicht eingeführt werden. Im übrigen wäre die Frage, ob die belgische Verletztenrente das teilweise Ruhen der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit rechtfertigt, im Rahmen des gestellten Antrags auch dann zu entscheiden, wenn der Kläger seinen ursprünglichen Revisionsantrag als Hauptantrag aufrechterhalten hätte. Diese Entscheidung kann nicht ohne weitere Tatsachenfeststellungen getroffen werden.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß § 75 RKG nicht unmittelbar anzuwenden ist, weil diese Vorschrift das teilweise Ruhen einer knappschaftlichen Rente nur beim Zusammentreffen mit einer Verletztenrente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung rechtfertigt (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1976 - 5 RKn 28/74 -). Da der Kläger Versicherungszeiten sowohl in Belgien als auch in Deutschland zurückgelegt hat, finden auf die ihm gewährte Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit die Vorschriften der EWG-Verordnung Nr 1408/71 Anwendung (vgl Art 2 dieser Verordnung). Nach Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 sind die für den Fall des Zusammentreffens mehrerer Leistungen vorgesehenen innerstaatlichen Ruhensvorschriften auch dann anwendbar, wenn es sich um Leistungen handelt, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates erworben wurden. Das bedeutet, daß die belgische Verletztenrente für das Ruhen nach § 75 RKG zwar nicht schon nach rein innerdeutschem Recht, wohl aber aufgrund der durch das europäische Recht angeordneten entsprechenden Anwendbarkeit für das teilweise Ruhen der knappschaftlichen Rentenleistung zu berücksichtigen ist.
Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt, denn nach der Rechtsprechung des EuGH darf die Anwendung des europäischen Rechts nicht zu einer Schmälerung der rein nationalen Ansprüche führen. Die entsprechende Anwendbarkeit der nationalen Ruhensvorschriften ist als Ausgleich für die Vorteile anzusehen, die das europäische Recht dadurch gewährt, daß es den Arbeitnehmern das Recht gibt, die gleichzeitige Anwendung der Sozialrechtsvorschriften mehrerer Mitgliedsstaaten zu verlangen; sie soll verhindern, daß den Arbeitnehmern aus dieser gleichzeitigen Anwendung Vorteile erwachsen, die nach innerstaatlichem Recht als unangemessen anzusehen sind (vgl SozR Nr 1 zu Art 11 EWG-Verordnung Nr 3; SozR 6040 Art 11 Nrn 3 und 4 aaO; Art 12 Nr 1). Der Kläger hat zwar allein nach deutschem innerstaatlichem Recht einen Anspruch auf die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, so daß es für den Erwerb des Anspruchs der Hinzuziehung der belgischen Versicherungszeiten nicht bedarf. Die nur nach deutschen Versicherungszeiten berechnete Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit ist allerdings niedriger als die unter Berücksichtigung der belgischen Versicherungszeiten nach dem Grundsatz pro rata temporis ohne Anwendung der Ruhensvorschriften berechnete Leistung. Ob allerdings dieser verhältnismäßig geringe Vorteil aus der Anwendung der EWG-Verordnung Nr 1408/71 die Berücksichtigung der belgischen Verletztenrente nach Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 iVm § 75 RKG rechtfertigt, ist sehr zweifelhaft, weil damit nicht nur der Vorteil aus der Berücksichtigung der belgischen Versicherungszeiten ausgeglichen wird, sondern dem Kläger ein erheblicher Nachteil entsteht. Der Senat neigt zu der Ansicht, daß in einem solchen Fall die nach Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 gebotene entsprechende Anwendung des § 75 RKG allenfalls in der Höhe zum Ruhen der knappschaftlichen Leistung führen kann, in der die Anwendung des europäischen Rechts dem Versicherten Vorteile gegenüber der reinen Anwendung des nationalen Rechts verschafft. Diese noch nicht hinreichend geklärte Rechtsfrage müßte allerdings nach Art 177 des EWG-Vertrages dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt werden, wenn sie rechtserheblich wäre.
Möglicherweise kommt es aber auf diese Frage nicht an, wenn nämlich der Kläger aus der Anwendung des europäischen Rechts andere Vorteile hat, die die entsprechende Anwendung des § 75 RKG auf die belgische Verletztenrente rechtfertigen. Aus dem Berufungsurteil geht nicht hervor, ob die Verletztenrente auch unter Berücksichtigung der in Deutschland verrichteten silikosegefährdenden Arbeiten vom belgischen Versicherungsträger gezahlt wird. Sollte das der Fall sein, so könnte darin gegenüber der Anwendung des rein nationalen Rechts ein Vorteil liegen, der nach der Rechtsprechung des EuGH die Anwendung der nationalen Ruhensvorschriften über Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 unter Berücksichtigung der in Deutschland verrichteten silikosegefährdenden Arbeiten festgestellt worden ist. Allerdings ist es - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - rechtlich ohne Bedeutung, daß das deutsch-belgische Sozialversicherungsabkommen in Art 41 Abs 1 - ebenso wie im übrigen auch die EWG-Verordnung Nr 3 in Art 11 Abs 2 - eine dem Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 3 in Art 11 Abs 2 - eine dem Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 entsprechende Vorschrift enthielt. Die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit ist unter dem zeitlichen Geltungsbereich der EWG-Verordnung Nr 1408/71 festgestellt worden, so daß sich die entsprechende Anwendbarkeit des § 75 RKG auch dann nach Art 12 Abs 2 dieser Verordnung richtet, wenn die belgische Verletztenrente nach dem deutsch-belgischen Sozialversicherungsabkommen oder der EWG-Verordnung Nr 3 festgestellt worden sein sollte. Das Berufungsurteil enthält allerdings keinerlei Feststellungen zu der Frage, ob die vom belgischen Versicherungsträger gezahlte Verletztenrente allein unter Berücksichtigung der in Belgien verrichteten silikosegefährdenden Arbeiten festgestellt worden ist oder ob dabei auch die in Deutschland verrichteten silikosegefährdenden Arbeiten berücksichtigt worden sind und wie sich das auf die Höhe der Verletztenrente auswirkt.
Aus dem Berufungsurteil geht auch nicht hervor, ob der Kläger bei der ihm gewährten belgischen Altersrente aus der Anwendung des europäischen Rechts gegenüber der Anwendung des rein nationalen Rechts Vorteile hat, die nach der Rechtsprechung des EuGH zum Ausgleich die Anwendung der deutschen Ruhensvorschriften bei der Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit rechtfertigen könnten. Es ist denkbar, daß der Kläger die Wartezeit nur unter Berücksichtigung sowohl der belgischen als auch der deutschen Versicherungszeiten erfüllt oder aber aufgrund der Berücksichtigung auch der deutschen Versicherungszeiten eine höhere Altersrente erhält als unter Berücksichtigung nur der belgischen Versicherungszeiten.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen an das LSG zurückverwiesen.
Bei der erneuten Entscheidung wird das LSG zu berücksichtigen haben, daß § 75 RKG nach Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 allenfalls entsprechend anzuwenden sein wird. Das bedeutet, daß die belgische Verletztenrente so zu berücksichtigen ist, als ob es sich dabei um eine deutsche Verletztenrente handele. Unter "Verletztenrente" ist in § 75 RKG zwar der Gesamtbetrag dieser Leistung gemeint, soweit er nicht ausdrücklich (Kinderzulage) eingeschränkt ist. Der deutsche Gesetzgeber konnte allerdings davon ausgehen, daß die in § 75 RKG angesprochenen Verletztenrenten auch mit ihrem Bruttobetrag ausgezahlt werden, da sie nach § 3 Einkommensteuergesetz (EStG) keine der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte und auch nicht beitragspflichtiges Entgelt sind. Nach der Rechtsprechung des EuGH (vgl SozR 6040 Art 11 Nr 1) dürfen im Rahmen des Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 nur wirklich miteinander vergleichbare Leistungen gleichgestellt werden. Die auf diese Vorschrift gestützte entsprechende Anwendbarkeit der nationalen Ruhensvorschriften kann sich deshalb nur auf den Betrag beziehen, der als gleichzustellende Leistung tatsächlich gewährt worden ist. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, unter tatsächlich gewährter Leistung in diesem Sinne die Rente in der Höhe zu verstehen, in der sie vom Versicherungsträger nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften festgestellt worden ist, also ohne Rücksicht auf die sich daran anschließende Versteuerung und den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen; diese Abzüge führen nämlich nicht zu einer Kürzung des Rentenanspruchs, sondern dienen der Erfüllung der Steuer- und Beitragsschuld. Die entsprechende Anwendung des § 75 RKG muß aber dazu führen, daß die belgische Verletztenrente nur in der Höhe als vergleichbar und berücksichtigungsfähig angesehen wird, in der eine deutsche Verletztenrente bei der Ruhensberechnung eingesetzt wird. Da die von einem deutschen Unfallversicherungsträger zu gewährende Bruttorente im Hinblick auf deren Steuerfreiheit mit der ausgezahlten Rente identisch ist, kann mit ihr - als nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates erworbene Leistung iS des Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 - nur die dem Kläger nach Abzug der Steuern tatsächlich ausgezahlte belgische Unfallrente verglichen werden. Bei der insoweit gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise darf sonach lediglich dieser Auszahlungsbetrag der Ruhensberechnung zugrunde gelegt werden.
Die in Art 12 Abs 2 der EWG-Verordnung Nr 1408/71 angeordnete entsprechende Anwendung der nationalen Ruhensvorschriften will eine unbeschränkte Kumulierung der Leistungen verhindern, die nach dem nationalen Recht als unangemessen angesehen wird. Wird einem Berechtigten aber ein Teil des Nennbetrages einer Leistung nicht ausgezahlt, ohne daß er für diesen Abzug eine Gegenleistung oder eine Anwartschaft darauf erwirbt, kann in dieser Höhe von einer unangemessenen Leistungskumulierung nicht die Rede sein. Aus § 75 Abs 4 RKG ergibt sich, daß die Renten iS des Abs 1 nur zusammentreffen, wenn und soweit die Verletztenrente aus der Unfallversicherung ausgezahlt wird (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 1278 Reichsversicherungsordnung -RVO-, wo nur die gezahlten Vorschüsse, nicht aber die später rückwirkend festgestellte Rente für das Ruhen berücksichtigt wurde). Die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind zwar nach § 22 EStG mit ihrem Ertragsanteil auch in Deutschland zu versteuern und gleichwohl nach § 75 RKG mit ihrem Bruttobetrag - also vor Abzug der Steuern - zu berücksichtigen. Das zwingt aber nicht dazu, auch die Verletztenrente mit ihrem Bruttobetrag für das Ruhen anzusetzen. Bei der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung muß bei Anwendung der Ruhensvorschriften schon deshalb die Bruttorente - vor Steuerabzug - berücksichtigt werden, weil für das EStG der Rentenzahlbetrag nach Anwendung der Ruhensvorschriften maßgebend ist, so daß vor Anwendung der Ruhensvorschriften - anders als bei der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung - eine Nettorente nicht feststellbar ist. Der Umstand, daß die endgültige Steuerschuld erst nachträglich für das jeweilige Kalenderjahr festgestellt wird, erschwert zwar die Anwendung des § 75 RKG, steht aber nicht der Berücksichtigung der belgischen Verletztenrente nach Abzug der Steuern zwingend entgegen. Solche Schwierigkeiten, die sich ähnlich bei der Anwendung des § 1248 Abs 4 RVO und § 86 Abs 2 RKG ergeben (vgl BSG SozR 2200 § 1248 Nr 29), sind ohne weiteres dadurch zu lösen, daß jedenfalls zunächst nur die Verletztenrente berücksichtigt wird, die dem Berechtigten nach dem - vorläufigen - Steuerabzug ausgezahlt wird.
Ob allerdings auch die von der Verletztenrente abgezogenen Beiträge zur belgischen Sozialversicherung für das Ruhen unberücksichtigt bleiben müssen, kann davon abhängen, ob der Berechtigte durch diese Beiträge Leistungsansprüche oder Leistungsanwartschaften erwerben kann. Zwar wären von einer deutschen Verletztenrente keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen, weil sie nicht zum Gesamteinkommen iS des § 16 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - gehört. Gleichwohl kann die belgische Verletztenrente unter Umständen auch in Höhe der abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge für das Ruhen berücksichtigt werden. Erwirbt der Berechtigte nämlich aufgrund der abgezogenen Sozialversicherungsbeiträge Leistungsansprüche oder Leistungsanwartschaften, so erhält er in dieser Form ein Äquivalent für den nicht ausgezahlten Rententeil, der ihm in dieser Form zugute kommt. Für die Anwendung des § 75 RKG muß es in diesem Fall gleichgültig sein, ob der Rentenberechtigte die Beiträge nach Auszahlung der Rente selbst zu erbringen hat oder ob sie unmittelbar von der Rente einbehalten werden. Das LSG wird daher - wenn § 75 RKG überhaupt anwendbar ist - festzustellen haben, ob nach belgischem Recht die von der Verletztenrente einbehaltenen Sozialversicherungsbeiträge zum Erwerb von Leistungsansprüchen oder Leistungsanwartschaften führen.
Soweit sich bei der erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts Zweifelsfragen aus der Anwendung der EWG-Verordnung Nr 1408/71 ergeben, wird das LSG zu prüfen haben, ob es diese Fragen dem EuGH nach Art 177 des EWG-Vertrages zur Vorabentscheidung vorlegen will.
Das Berufungsgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.
Fundstellen