Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuschuß zu Zahnersatzkosten. Härteregelung. Ersatzansprüche des Sozialhilfeträgers gemäß § 1531 RVO
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der fehlerfreien Ausübung des der KK bei der Entscheidung über die - restliche - Kostenübernahme für Zahnersatz durch RVO § 182c S 3 eingeräumten Ermessens (Anschluß an und Fortführung von BSG 1979-03-28 3 RK 29/78 = SozR 2200 § 182a Nr 1 und BSG 1981-01-29 11 RK 7/80).
2. Wird die vom Träger der knappschaftlichen KV durch die Satzung sich selbst auferlegte Ermessensbindung nach der Ablehnung der - vollen Kostenübernahme für Zahnersatz ergänzt, so ist diese Änderung bei der Entscheidung über die vom Sozialhilfeträger gemäß RVO § 1531 erhobene Leistungsklage (SGG § 54 Abs 5) zu berücksichtigen.
Orientierungssatz
1. Um der Ermessensvorschrift des § 182c S 2 RVO zur Härteregelung bei der Übernahme von Zahnersatzkosten gerecht zu werden, muß zwischen dem Begriff "besonderer Härtefall" und dem das Ermessen ausdrückenden "Können" eine unlösbare Verbindung gesehen werden. Der Begriff "besonderer Härtefall" ragt in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens.
2. Die Anwendung der Härteklausel fordert von dem Versicherungsträger grundsätzlich eine auf den Einzelfall abgestellte Untersuchung, ob die Zahlungspflicht den Versicherten finanziell unzumutbar belasten und deshalb besonders hart treffen würde. Hierzu sind grundsätzlich die Höhe der Einkünfte, der Umfang der Zahlungspflicht und ggf sonstige finanzielle Belastungen gegeneinander abzuwägen.
3. Es begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn sich die Krankenkasse bei der Ausübung ihres Ermessens auf allgemeine Richtlinien stützt, soweit diese einer gleichmäßigen Ermessensanwendung dienen.
4. Bei der Bestimmung einer Einkommensgrenze für die Bestimmung eines generellen Ermessensmaßstabs muß aber stets Raum für eine Einzelfallentscheidung aufgrund besonderer Gegebenheiten des konkreten Einzelfalles bleiben. Eine Einkommensgrenze von einem Drittel der Bezugsgröße des § 18 SGB 4 ist aber generell als zu niedrig anzusehen.
Normenkette
SGG § 54 Abs 5 Fassung: 1953-09-03; RVO § 182c S 3 Fassung: 1977-06-27, § 1531 Fassung: 1945-03-29; RKG §§ 20, 109 Abs 1, § 155 Nr 7; BKnSa § 47a Abs 3 S 2 Buchst b
Verfahrensgang
SG Duisburg (Entscheidung vom 10.04.1979; Aktenzeichen S 4 Kn 5/79) |
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht Ersatz der Aufwendungen, mit denen sie sich in ihrer Eigenschaft als örtlicher Träger der Sozialhilfe an den Kosten der Eingliederung von Zahnersatz bei einem Mitglied der Beklagten beteiligt hat.
Die Witwe Elisabeth S. (Versicherte) bezieht von der Beklagten Hinterbliebenenrente und genießt deshalb zugleich den Schutz der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Sie ist durch die Folgen eines Schlaganfalls pflegebedürftig und erhält Hilfe zur Pflege gemäß § 68 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Ihre Witwenrente (im Jahre 1978 ein monatlicher Betrag von 1.095,50 DM) wird von der Klägerin vereinnahmt, die damit zu einem Teil die dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe anfallenden Kosten für die Unterbringung der Versicherten in einem Pflegeheim deckt. Der Versicherten bleibt lediglich ein Taschengeld, das im Jahre 1978 den Betrag von 138,-- DM im Monat ausmachte.
Im Januar 1978 erwies sich nach ärztlicher Beurteilung die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz als notwendig. Zu den durch die Behandlung verursachten Kosten leistete die Beklagte als Träger der knappschaftlichen KVdR einen Zuschuß von 80 vH des Rechnungsbetrages. Die Weigerung, wie beantragt auch die restlichen Kosten zu übernehmen, begründete sie der Versicherten gegenüber mit dem Hinweis auf deren Einkommensverhältnisse. Daraufhin verpflichtete sich die Klägerin gegenüber dem behandelnden Zahnarzt zur Zahlung der Restkosten von 261,60 DM und forderte in dieser Höhe von der Beklagten Ersatz. Dieses Verlangen lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 12. Mai 1978 ab.
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Beklagte "unter Abänderung der Entscheidung vom 1978-05-12" verpflichtet, dem Ersatzbegehren zu entsprechen und an die Klägerin den von dieser inzwischen beglichenen Restbetrag von 261,60 DM zu entrichten. Im Urteil vom 10. April 1979 hat es zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: § 49 Abs 2 der Satzung der Beklagten (in der bis zum 31. Juli 1978 geltenden Fassung aF), auf den diese ihre Ablehnung gründe, stelle keine dem Gesetz entsprechende Richtlinie für die Ausübung des durch § 182c Satz 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dem Krankenversicherungsträger bei der Entscheidung über die Übernahme der Gesamtkosten eingeräumten Ermessens dar. Die nach der Satzung vorgesehene Bindung an die starre Einkommensgrenze von einem Fünftel der Bezugsgröße des § 18 SGB - Gemeinsame Vorschriften (SGB 4) stehe im Widerspruch zu dem Gebot, bei einer Ermessensbetätigung alle Gegebenheiten des Einzelfalles angemessen zu berücksichtigen. Bei sachgerechter Würdigung der gesamten Umstände hätte die Beklagte einen Härtefall bejahen und die Kosten in vollem Umfange übernehmen müssen.
Gegen dieses Urteil hat das SG die Berufung und mit gesondertem Beschluß auch die Sprungrevision zugelassen.
Die mit Zustimmung der Klägerin eingelegte Sprungrevision der Beklagten rügt die fehlerhafte Anwendung des § 182c Satz 3 RVO. Entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts sei die durch § 49 Abs 2 aF der Satzung konkret ausgestaltete Härteregelung geeignet, eine der Zweckrichtung der genannten Gesetzesbestimmung entsprechende, gleichmäßige Ausübung des Ermessens gegenüber den Versicherten zu gewährleisten. Nach dem BSHG leistungsberechtigte Personen würden nicht benachteiligt. Der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens, aus dem die §§ 182a und 182c RVO mit der Härtefallregelung in der jetzt maßgeblichen Gestalt hervorgegangen seien, belege, daß die Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis nicht schlechthin zur Anerkennung eines Härtefalls führen solle.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Sprungrevision ist im wesentlichen unbegründet. Das SG hat im Ergebnis zutreffend die Beklagte für verpflichtet gehalten, der Klägerin die für die Versorgung der Versicherten mit Zahnersatz aufgewandten Kosten zu ersetzen.
Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit es auf die von der Klägerin mit dem Leistungsantrag verbundene Anfechtungsklage die eine Ersatzleistung ablehnende Entscheidung der Beklagten vom 12. Mai 1978 abändert. Die Klage auf Aufhebung oder Abänderung einer Verwaltungsentscheidung ist gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 SGG nur statthaft, wenn die angegriffene Maßnahme einen Verwaltungsakt iS des § 31 SGB - Verwaltungsverfahren - darstellt. Der Ersatzanspruch nach § 1531 RVO, der sich gemäß § 109 Abs 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) hier gegen die Beklagte richtet, ist einer Regelung durch Verwaltungsakt indessen nicht zugänglich, da sich die Beteiligten im Rahmen des Ausgleichsverhältnisses als gleichgeordnete öffentlich-rechtliche Rechtsträger gegenüberstehen (BSGE 45, 290, 291 mwN). Davon ist die Beklagte bei ihrer Entscheidung folglich mit Recht ausgegangen. Denn sie hat ihrem Schreiben vom 12. Mai 1978 weder die äußere Form eines Verwaltungsakts verliehen noch hat sie seinem Inhalt nach zum Ausdruck gebracht, daß sie verbindlich Klarheit über das Bestehen des geltend gemachten Ersatzanspruchs schaffen wollte. Vielmehr geht insbesondere aus dem abschließenden Satz des bezeichneten Schreibens deutlich hervor, daß sie von der Erteilung eines Bescheides bewußt absehen wollte.
Die hieraus resultierende Unzulässigkeit der Anfechtungsklage hat das Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten. Die Zulässigkeit von Klage oder Berufung zählt zu den unverzichtbaren Prozeßvoraussetzungen, die in jedem Stadium des Verfahrens und daher im Rahmen einer zulässigen Revision auch vom Revisionsgericht zu berücksichtigen sind, ohne daß es einer diesbezüglichen ausdrücklichen Revisionsrüge bedarf (BSGE 21, 292, 294; BSG SozR 1500 § 150 Nr 18 und § 147 Nr 2 S 2 mwN).
Das SG hat im übrigen aber auf die statthafte (vgl BSGE 45, 291) Leistungsklage iS des § 54 Abs 5 SGG) zutreffend entschieden, daß alle gesetzlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Ersatzanspruchs vorliegen.
Unterstützt ein Träger der Sozialhilfe einen Hilfsbedürftigen, der für den Unterstützungszeitraum einen Anspruch nach der RVO hatte oder noch besitzt, so erfüllt er damit zugleich eine Last des an sich leistungspflichtigen Versicherungsträgers (BSGE 9, 112, 114; BSG SozR Nrn 17 und 21 zu § 1531; BSG Urteil vom 11. Dezember 1980 - 2 RU 55/79 -). Deshalb räumt ihm das Gesetz in § 1531 Satz 1 RVO einen Ersatzanspruch ein, der sich, soweit Leistungen der Krankenkasse das Zugriffsobjekt darstellen, auf Ausgleich der diesen Leistungen in Art und Höhe entsprechenden Unterstützungen richtet (§§ 1532, 1533 Nr 3 RVO). Diese Ersatzverpflichtung des Versicherungsträgers besteht nicht nur wegen solcher Leistungen, auf die dem Versicherten ihrer Art nach ein Rechtsanspruch zusteht. Auch eine im Ermessen des Versicherungsträgers stehende Leistung vermag den Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers dann zu begründen, wenn der Versicherungsträger sein Ermessen iS der Leistungsgewährung ausgeübt hat oder bei Beachtung des Ermächtigungszwecks hätte ausüben müssen (BSGE 9, 112, 124; 13, 134, 139; 14, 261, 264; BSG SozR 2200 § 187 Nr 5 S 13 und § 182 Nr 36 S 68).
Die Klägerin als sachlich zuständiger (§§ 99, 100 BSHG) örtlicher Träger der Sozialhilfe hat die Versicherte im Rahmen der Krankenhilfe, die gemäß § 37 Abs 2 BSHG die Versorgung mit Zahnersatz umfaßt, durch Übernahme der noch ungedeckten Kosten der Zahnbehandlung unterstützt. Mit der Befolgung dieser gesetzlichen Pflicht hat die Klägerin einen Ersatzanspruch gegen die Beklagte erworben, die ihrerseits diese Aufwendungen gemäß § 20 RKG iVm § 182c Satz 3 RVO hätte tragen müssen.
Nach § 182c Satz 3 RVO in der seit dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes -KVKG- (siehe dort Art 1 § 1 Nr 8 und Art 2 § 17) vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1069) kann die Krankenkasse in besonderen Härtefällen auch den Restbetrag der Kosten für Zahnersatz übernehmen, der nach Gewährung des satzungsmäßigen Höchstzuschusses (hier 80 vH) grundsätzlich von dem Versicherten als Eigenanteil zu zahlen wäre. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung bringt zum Ausdruck, daß die Übernahme des Eigenanteils des Versicherten an den Zahnersatzkosten bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen in das Ermessen des Versicherungsträgers gestellt sein soll. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt dies. Mit ihr ist eine Regelung angestrebt, die in besonders begründeten Einzelfällen unzumutbare und unerwünschte finanzielle Belastungen vermeidet, welche sich aus der Tendenz des KVKG ergeben, dem Kostenauftrieb bei Zahnersatz durch Beteiligung der Versicherten an den hierfür erforderlichen Aufwendungen entgegenzuwirken. Dabei ist der Selbstverwaltung mit Vorbedacht ein größerer Entscheidungsspielraum belassen worden (vgl BT-Drucks 8/338 S 51 und das zu § 182a RVO ergangene Urteil des 3. Senats in BSG SozR 2200 § 182a Nr 1). Andererseits kann es nicht in Betracht kommen, daß zwar das Vorliegen eines Härtefalles bejaht, aber gleichwohl die - auch teilweise - Übernahme des Eigenanteils des Versicherten abgelehnt werden dürfte. Um die Struktur des § 182c Satz 3 RVO als Ermessensvorschrift zu bewahren, hält es der Senat daher für geboten - ähnlich wie er es im Zusammenhang mit der Anwendung des § 602 RVO in Anlehnung an die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 getan hat (vgl BSGE 34, 269 = SozR Nr 1 zu § 602 RVO; Urteil vom 28. Mai 1980 - 5 RKnU 3/79 -; für die Härteregelung in § 182a RVO bzw dem ihm entsprechenden § 14 Satz 2 KVLG ebenso BSG SozR 2200 § 182a Nr 1; BSG Urteil vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 21/80 - und Urteil vom 29. Januar 1981 - 11 RK 7/80 -) -, zwischen dem Begriff "besonderer Härtefall" und dem das Ermessen ausdrückenden "Können" eine unlösbare Verbindung zu sehen. Deshalb ragt auch hier der Begriff "besonderer Härtefall" in den Ermessensbereich hinein und bestimmt zugleich Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens. Die Verwaltung hat demnach bei der Prüfung eines besonderen Härtefalles sich aus diesem Begriff ergebende rechtliche Schranken zu beachten, deren Einhaltung von den Gerichten zu überprüfen ist (§ 54 Abs 2 Satz 2 SGG).
Die Beklagte verteidigt bei der Ablehnung des Ersatzbegehrens der Klägerin die Verneinung eines Härtefalls mit einer Begründung, die eine fehlerhafte Ausübung des ihr durch § 182c Satz 3 RVO eingeräumten Ermessens offenbart.
Die Anwendung der Härteklausel fordert von dem Versicherungsträger grundsätzlich eine auf den Einzelfall abgestellte Untersuchung, ob die Zahlungspflicht den Versicherten finanziell unzumutbar belasten und deshalb besonders hart treffen würde. Hierzu wären an sich die Höhe der Einkünfte, der Umfang der Zahlungspflicht und gegebenenfalls sonstige finanzielle Belastungen gegeneinander abzuwägen (BSG SozR 2200 § 182a Nr 1 S 4; BSG-Urteil vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 21/80 - und BSG-Urteil vom 29. Januar 1981 - 11 RK 7/80 -). Keinen Bedenken begegnet es allerdings, wenn sich die Krankenkasse bei der Ausübung ihres Ermessens auf allgemeine Richtlinien stützt, soweit diese einer gleichmäßigen Ermessensanwendung dienen und mit dem Gesetz in Einklang stehen (BSG aaO). Dabei hat es die Rechtsprechung des BSG für die Ermessensbetätigung im Rahmen der Anwendung der Härteregelung in § 182a Satz 2 RVO (bzw § 14 Satz 2 KVLG) noch nicht als einen unbedingten Widerspruch zum Zweck der gegebenen Ermächtigung angesehen, wenn der Versicherungsträger aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung anläßlich der Bedürftigkeitsprüfung nur auf das Einkommen des Versicherten abstellt (vgl Urteile vom 29. Januar 1981 und 21. Oktober 1980 aaO). Der Senat sieht keine durchgreifenden Bedenken, diese Auffassung für die Handhabung des § 182c Satz 3 RVO gleichfalls gelten zu lassen, allerdings mit der Einschränkung, daß neben der Anwendung des generellen Ermessensmaßstabs stets Raum für eine Einzelfallentscheidung aufgrund besonderer Gegebenheiten des konkreten Sachverhalts bleibt (so auch der 11. Senat des BSG im Urteil vom 25. Januar 1981 aaO). Das gilt auch dann, wenn die Richtlinien für die Ausübung des Ermessens - wie hier - in die Form einer Satzung gekleidet sind (vgl § 155 Nr 7 RKG). Ohne diese Einschränkung würde es im praktischen Ergebnis dazu führen, daß die Verwaltung nach eigenem Willen und im Widerspruch zur Absicht des Gesetzgebers eine Ermessensleistung unter eigener Bestimmung der Voraussetzungen in einen Rechtsanspruch umwandelt. Der Senat folgt den genannten Entscheidungen aber auch insoweit als zu fordern ist, daß bei der Wahl einer Einkommensgrenze als generelle Ermessensrichtschnur diese nicht in einer Weise festgelegt werden darf, die Versicherte von der nach dem Gesetz ersichtlich auch für sie gewollten Begünstigung ausschließt. Wenn die Rechtsprechung bei der Entscheidung über die Befreiung von der Gebühr für Arznei-, Verband- und Heilmittel nach § 182a Satz 2 RVO die Einkommensgrenze von einem Drittel der Bezugsgröße des § 18 SGB 4 als zu niedrig angesehen hat (BSG-Urteile vom 21. Oktober 1980 - 3 RK 21/80 - und vom 29. Januar 1981 - 11 RK 7/80 -), so kann hinsichtlich der Übernahme des Eigenanteils der Zahnersatzkosten nach § 182c Satz 3 RVO nichts anderes gelten. Zwar handelt es sich im ersten Fall um in der Regel wiederkehrende Belastungen, während der Zahnkostenanteil üblicherweise nur einmal oder allenfalls in großen Zeitabständen wiederholt anfällt. Demgegenüber macht aber der Eigenbetrag für Zahnersatz häufig eine der Höhe nach so erhebliche Summe aus, daß sie in einer Vielzahl von Fällen den bei laufendem Arzneimittelbedarf nach § 182a Satz 1 RVO zu zahlenden Gesamtbetrag der relativ geringen Einzelgebühren übersteigt. Die Beklagte kann demnach nicht den Anspruch der Versicherten auf Übernahme des Eigenanteils der Zahnersatzkosten und damit im Ergebnis ebenfalls nicht das Ersatzbegehren der Klägerin unter Berufung auf § 49 Abs 2 ihrer Satzung, der in der bis zum 31. Juli 1978 geltenden Fassung die vollständige Kostenfreistellung gar nur bei einem Einkommen von höchstens einem Fünftel der Bezugsgröße des § 18 SGB 4 zuließ, verneinen.
Der Senat ist mit dem SG zu dem Schluß gelangt, daß die Beklagte ihre ablehnende Haltung nicht durch andere fehlerfreie Erwägungen rechtfertigen kann. Die Verpflichtung der Beklagten, im Verhältnis zur Klägerin den Eigenanteil der Versicherten zu tragen, ergibt sich jedenfalls aus dem Gesichtspunkt der Selbstbindung. Die Beklagte hat mit Wirkung vom 1. August 1978 § 49 Abs 2 ihrer Satzung ergänzt (vgl den 30. Nachtrag zur Satzung der Bundesknappschaft in Kompaß 1978, 288). Danach übernimmt sie gemäß § 49 Abs 2 Satz 5 der Satzung den Eigenanteil des Versicherten an den Zahnersatzkosten, wenn die Voraussetzungen des ebenfalls neu eingefügten § 47a Abs 3 der Satzung vorliegen. Ein besonderer Härtefall wird nach § 47a Abs 3 Satz 2 Buchstabe b grundsätzlich angenommen, wenn bei Unterbringung des Versicherten in einem Pflegeheim der Träger der Sozialhilfe die Kosten ganz oder teilweise trägt und der Versicherte lediglich ein Taschengeld entsprechend den Vorschriften des BSHG erhält. Die Beklagte geht dabei offenbar davon aus, daß die Kostenübernahme iS des § 182c Satz 3 RVO gemäß § 155 Nr 7 RKG einer satzungsmäßigen Regelung zugänglich ist. Ob dies zutrifft und ob die Satzung insoweit Rechtsnormqualität hat oder lediglich als eine von der Beklagten selbst gesetzte und der Zielrichtung des § 182c Satz 3 RVO entsprechende Ermessensrichtlinie zu beurteilen ist, braucht in diesem Zusammenhang nicht weiter geprüft zu werden. Die Regelung hat jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung zur Folge, daß im vorliegenden Fall eine besondere Härte durch die Belastung mit dem Eigenanteil der Zahnersatzkosten anzuerkennen ist, weil die in § 47a Abs 3 Satz 2 Buchstabe b der Satzung genannten Voraussetzungen nach den unangegriffenen und für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des SG bei der Versicherten vorliegen.
Die Folgerung, daß diese durch die Ergänzung der Satzung eingetretene Änderung der Sach- und Rechtslage im Verfahren zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Charakter des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO als eines mit der Leistungsklage zu verfolgenden Rechts. Für die Entscheidung über eine Leistungsklage ist - ebenso wie bei der Verpflichtungsklage als einer Sonderform der Leistungsklage - die Sach- und Rechtslage maßgebend, die sich dem Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietet (BSGE 5, 238, 242; 10, 202, 205; 15, 239, 243; 16, 257, 260; 38, 168, 173 mwN). Das SG hätte daher die von der Beklagten durch die Satzung sich selbst auferlegte Ermessensbindung beachten und aufgrund dessen im Verhältnis zur Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zur uneingeschränkten Übernahme des Eigenanteils der Versicherten an den Zahnersatzkosten bejahen müssen. Da somit alle Möglichkeiten für eine ermessensfehlerfreie Ablehnung durch die Beklagte zu verneinen sind, hat das SG im Ergebnis zu Recht den Ersatzanspruch der Klägerin für begründet angesehen. Deshalb war sein Urteil insoweit durch Zurückweisung der Revision zu bestätigen (§ 170 Abs 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1655905 |
Breith. 1981, 837 |