Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 15.02.1991)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 1991 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem Kindererziehungsleistungsgesetz (KLG). Die 1913 geborene Klägerin ist anerkannte Vertriebene iS des § 1 Bundesvertriebenengesetz (BVFG). Sie lebte von 1931 bis zu ihrer Vertreibung im September 1944 in den Niederlanden. Dort sind am 31. Dezember 1939 ihr Sohn J. … O. … und am 15. Juni 1941 ihre Tochter M. … geboren worden. Vom niederländischen Versicherungsträger (Soziale Verzekeringsbank ≪SVB≫) erhält die Klägerin Versicherungsleistungen. Hierfür sind ua Wohnzeiten vom Dezember 1933 bis September 1944 nach Anhang VI Buchst J (Niederlande) Nr 2a der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates (EWGV 1408/71) berücksichtigt.

1989 beantragte die Klägerin Leistungen für Kindererziehung wegen der Geburt ihrer beiden Kinder. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 16. Mai 1989). Den Widerspruch wies sie zurück (Bescheid vom 19. Juli 1989). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben, die Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihre Kinder O. … und M. … Kindererziehungsleistungen zu gewähren (Urteil vom 16. März 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Februar 1991).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Klägerin macht eine Verletzung des Art 2 § 62 Arbeiterrentenversicherungsneuregelungsgesetz (ArVNG), der §§ 28b, 2 Fremdrentengesetz (FRG) und der §§ 62 und 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. Februar 1991 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16. März 1990 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

Das LSG hat zu Recht das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragten Leistungen für Kindererziehung nach dem KLG. Nach Art 2 § 62 Abs 1 ArVNG in der hier maßgebenden Fassung durch Art 13 Rentenreformgesetz (RRG) 1992 vom 18. Dezember 1989 (BGBl I S 2261) erhalten Mütter, die vor dem 1. Januar 1923 geboren sind, für jedes Kind, das sie im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder in dem jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze lebend geboren haben, eine Leistung für Kindererziehung. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, denn am Geburtsort der Kinder in den Niederlanden haben die Reichsversicherungsgesetze niemals gegolten. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG sind auch die in Art 62 Abs 3 ArVNG genannten Voraussetzungen, unter denen bei einer Auslandsgeburt Anspruch auf Kindererziehungsleistungen besteht, nicht erfüllt. Die Klägerin hat im Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des ArVNG oder im jeweiligen Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze gehabt. Weder sie noch ihr Ehemann haben im Zeitpunkt der Geburt oder unmittelbar vor der Geburt der Kinder wegen einer Beschäftigung oder Tätigkeit in den Niederlanden Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Weder sie noch ihr Ehemann hatten auch nur deshalb keine Pflichtbeitragszeiten, weil sie zu den in § 1229 Reichsversicherungsordnung (RVO) oder in entsprechenden früheren Regelungen genannten Personen gehörten oder von der Versicherungspflicht befreit waren.

Der Anspruch ist auch nicht nach § 28b Abs 2 FRG iVm Art 2 § 62 ArVNG begründet. Nach § 28b Abs 2 FRG steht für den Anspruch auf Leistungen wegen Kindererziehung nach Art 2 § 62 ArVNG bei dem in Abs 1 genannten Personenkreis – das ist der in § 1 FRG genannte Personenkreis – die Geburt eines Kindes im Herkunftsgebiet der Geburt eines Kindes im Geltungsbereich des FRG gleich. Die Klägerin erfüllt diese in § 28b Abs 2 FRG genannten Voraussetzungen insoweit als sie zum Personenkreis des § 1 FRG gehört, denn sie ist anerkannte Vertriebene. Sie hat auch ihre Kinder im Herkunftsgebiet, dh dem Vertreibungsgebiet, geboren (vgl zum Begriff des Herkunftsgebietes in § 28b FRG; BSG SozR 3-5050 § 28b Nr 1). Dies wird auch von der Beklagten nicht bezweifelt. § 28b Abs 2 FRG ist aber nach § 2 Buchst b FRG für die Klägerin nicht anzuwenden. Nach dieser Vorschrift gilt das FRG ua nicht für Versicherungs- und Beschäftigungszeiten, die nach einer von einer Europäischen Gemeinschaft erlassenen Rechtsvorschrift, die in der Bundesrepublik Deutschland verbindlich ist und unmittelbar gilt, in einer Rentenversicherung des anderen Staates, ohne Rücksicht darauf, ob sie im Einzelfall der Berechnung der Leistung zugrunde gelegt werden, anrechnungsfähig sind oder nur deshalb nicht anrechnungsfähig sind, weil es Beschäftigungszeiten sind.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) hat hierzu in seinem (zur Veröffentlichung vorgesehenen) Urteil vom 30. Oktober 1991 (8 RKn 14/90) entschieden, daß § 2 Buchstabe b FRG auch für Leistungen wegen Kindererziehung gilt und diese schon dann nicht zu gewähren sind, wenn für die Zeit der Geburt des Kindes Versicherungszeiten nach der EWGV 1408/71 in einem anderen Staat der Europäischen Gemeinschaft anzurechnen wären. Das ist hier der Fall. Der Klägerin werden Versicherungszeiten auch für den Zeitpunkt der Geburt ihrer Kinder in den Niederlanden von einem niederländischen Versicherungsträger aufgrund von EWGV 1408/71 Anhang VI Buchstabe J Nr 2a sogar tatsächlich angerechnet. Der Rechtsprechung des 8. Senats schließt sich der erkennende Senat an. Er bestätigt damit seine bereits im Urteil vom 23. April 1990 (SozR 3-5050 § 28b Nr 1) grundsätzlich vertretene Rechtsauffassung.

Soweit die Klägerin eine Verletzung der §§ 62, 136 Abs 1 Nr 6 SGG rügt, greifen ihre Rügen nicht durch. Das LSG hat sich in seiner Entscheidung auf ein Urteil des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen bezogen, das den Beteiligten vor Erlaß der Entscheidung nicht mitgeteilt worden ist. Dies hat es allerdings nur getan, soweit es auf Rechtsausführungen in dem in bezug genommenen Urteil verwiesen hat. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, daß die in bezug genommenen Rechtsausführungen für sie auch nur überraschend gewesen sind. Wann überhaupt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei fehlender Mitteilung der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts möglich ist, kann dabei dahingestellt bleiben. Soweit die Klägerin meint, die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil des LSG fehlten, weil das in bezug genommene Urteil ihr nicht bekannt gegeben worden sei, ist dies schon deshalb untreffend, weil das letztgenannte Urteil der Klägerin zugleich mit der angefochtenen Entscheidung übersandt worden ist. Dies ergibt sich aus den beigezogenen Akten des LSG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174073

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