Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall eines betrunkenen Fußgängers. Loslösung vom Betrieb

 

Orientierungssatz

Eine Unfallentschädigung für den Wegeunfall eines betrunkenen Fußgängers mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille kann nur dann nicht gewährt werden, wenn eine Lösung vom Betrieb vorliegt. Diese ist allerdings nur dann gegeben, wenn der Weg zur Arbeitsstätte, dh, das Sichfortbewegen zur Arbeitsstätte hin, gegenüber der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit des Klägers in seiner Bedeutung für den Unfall so in den Hintergrund getreten wäre, daß die Verkehrstüchtigkeit als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls angesehen werden müßte.

 

Normenkette

RVO § 543 Abs. 1, § 542

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.07.1962)

SG Duisburg (Entscheidung vom 24.06.1960)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juli 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1928 geborene Kläger ist Vermessungssteiger. Als er sich am Morgen des 21. Januar 1958 auf dem Wege von seiner Wohnung zur Zeche befand und gegen 7.35 Uhr im Begriff stand, eine Fahrbahn zu überqueren, wurde er, nachdem er bereits 2/3 des 14 m breiten Fahrdamms überquert hatte, von einem PKW angefahren. Er trug eine Platzwunde am Hinterhauptbein sowie einen Trümmerbruch des rechten Unterschenkels davon und wurde in das ... Hospital in M eingeliefert. Wegen verzögerter Bruchheilung mußte er bis zum 18. Juli 1958 stationär und anschließend noch geraume Zeit ambulant behandelt werden. Am 30. Oktober 1958 bescheinigten die Ärzte der Chirurgischen Abteilung des ... Hospitals, daß bei dem Kläger, der damals noch einen Unterschenkelgipsverband trug, nach Abschluß des Heilverfahrens eine Erwerbseinbuße in rentenberechtigendem Grade zurückbleiben werde. Seine berufliche Tätigkeit nahm der Kläger am 10. November 1958 wieder auf.

Die bei dem Kläger am Unfalltage um 8.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,6 0 / 00 . Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen den PKw-Fahrer mangels Schuldbeweises und gegen den Kläger wegen geringer Schuld (falsche Geschwindigkeitseinschätzung) ein.

Zur Frage der Verkehrs- und Arbeitsfähigkeit des Klägers holte die Beklagte vom Hygiene-Institut in G ein Gutachten ein. Dr. ... vertrat den Standpunkt, daß bei dem Kläger im Zeitpunkt des Unfalls mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Blutalkoholspiegel von 1,7 0 / 00 bestanden habe; der Kläger sei infolge des alkoholbedingten "geistigen Mangels" im Zeitpunkt des Unfalls in seiner Leistungsbereitschaft als Fußgänger stärkstens beeinträchtigt gewesen, so daß eine sehr erhebliche potentielle Verkehrsunfallgefährdung vorgelegen habe. Gestützt auf dieses Gutachten, lehnte die Beklagte den Entschädigungsanspruch des Klägers durch Bescheid vom 4. November 1958 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage. Zur Begründung hat der Kläger ua vorgetragen, die alleinige Schuld an dem Unfall treffe den PKw-Fahrer.

Das Sozialgericht (SG) ... hat durch Urteil vom 24. Juni 1960 die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei zwar als Fußgänger weder absolut noch relativ verkehrsuntüchtig gewesen, er sei aber nicht in der Lage gewesen, die ihm obliegenden Arbeiten als Vermessungssteiger im Büro auszuführen. Der im Zeitpunkt des Unfalls zurückgelegte Weg habe daher nicht dem Unternehmen dienen können. Es fehle somit der nach § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF notwendige Zusammenhang mit dem Unternehmen.

Der Kläger hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt.

Er hält die Auffassung der Vorinstanz, er sei wegen Alkoholgenusses arbeitsunfähig gewesen, für unzutreffend. Er sei auch nicht verkehrsuntüchtig gewesen, so daß der festgestellte Blutalkoholgehalt nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache für den Unfall sei.

Die zum Rechtsstreit beigeladene Ruhrknappschaft, die dem Kläger wegen der Unfallfolgen Krankenhilfe gewährt hat, ist der Ansicht, daß es nach der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamtes (RVA) für die Frage des Versicherungsschutzes darauf ankomme, ob der Kläger infolge Alkoholbeeinträchtigung außerstande gewesen sei, seiner augenblicklich zu verrichtenden Tätigkeit nachzukommen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die mit dem Betrieb zusammenhängende Betätigung zum Unfallzeitpunkt aber allein die Fortbewegung des Klägers zur Arbeitsstätte gewesen. Es komme daher nur darauf an, ob er als Fußgänger aus alkoholbedingten Gründen verkehrsuntüchtig gewesen sei. Verkehrsuntüchtigkeit habe bei ihm jedoch nicht vorgelegen.

Das Landessozialgericht (LSG) ... hat durch Urteil vom 3. Juli 1962 die Beklagte - unter Aufhebung des Urteils des SG - verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 21. Januar 1958 Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren; es hat die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das Berufungsgericht im wesentlichen ausgeführt: Der von der Beklagten und von dem SG vertretenen Ansicht, der Versicherungsschutz sei deshalb zu versagen, weil der Kläger infolge Alkoholbeeinträchtigung nicht imstande gewesen wäre, zu Beginn der Schicht die ihm am Unfalltage im Betrieb obliegenden Arbeiten als Vermessungssteiger auszuführen, könne nicht beigepflichtet werden. Da sich der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls als Fußgänger auf dem Wege zur Arbeitsstätte befunden habe, sei allein diese Tätigkeit in Betracht zu ziehen. Dem in dieser Hinsicht von der Beklagten im Ablehnungsbescheid eingenommenen Standpunkt, der Kläger sei mit einem Blutalkoholgehalt von 1,7 0 / 00 unfähig gewesen, als Fußgänger ordnungsgemäß am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, so daß er sich von seinem Betrieb gelöst habe, könne nicht beigetreten werden. Rechtserheblich sei vielmehr, ob die Verkehrssicherheit des Klägers durch den vorausgegangenen Alkoholgenuß beeinträchtigt gewesen ist und, zutreffendenfalls, ob dieser Umstand die einzige rechtserhebliche Ursache im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre gewesen ist. Die im Schrifttum und in der Rechtsprechung angenommenen Grenzwerte der BAK, oberhalb deren bei Fußgängern Verkehrsuntüchtigkeit angenommen werde, bewegten sich zwischen 1,7 und 2 0 / 00 . Einer genauen Feststellung des Grenzwertes bedürfe es nicht, weil der Blutalkoholwert des Klägers jedenfalls unter dem in Betracht kommenden Grenzwert gelegen habe. Auch unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalles könne Verkehrsunfähigkeit nicht angenommen werden. Aus der Tatsache, daß es zum Unfall gekommen ist, könne keineswegs geschlossen werden, daß der Kläger aus alkoholbedingten Gründen verkehrsuntüchtig gewesen sei. Denn täglich verunglückten Fußgänger, ohne daß sie unter Alkoholeinfluß gestanden hätten. Es handele sich im vorliegenden Fall auch nicht um einen charakteristischen Alkoholunfall. Da der PKw in dem Augenblick, als der Kläger die Fahrbahn betreten habe, nach den Ausführungen des Verkehrssachverständigen ... einen Abstand von noch rund 85 m zur Unfallstelle gehabt habe, zeuge es nicht von alkoholbedingter Sorglosigkeit oder Fehleinschätzung der Verkehrssituation durch den Kläger, wenn er schnell und zügig den Fahrdamm zu überqueren versucht habe. Nicht anders sei aber das Verhalten des Klägers zu beurteilen, als er nach Überschreiten der Mitte des Fahrdamms seinen Weg trotz des Herannahens des PKw fortgesetzt habe. Da es am Unfalltage dunkel und diesig und die Straße eisignaß und sehr glatt gewesen sei, habe für den Kläger besonderer Anlaß bestanden, seinen Weg zum sicheren Bürgersteig fortzusetzen. Auch ein von Alkohol völlig unbeeinflußter Fußgänger hätte sich in dieser Verkehrssituation unter Umständen so verhalten wie der Kläger. Dieser habe die Straße nicht etwa blindlings betreten. Wenn er es kurz vor dem Unfall unterlassen habe, in Richtung des herannahenden PKw zu schauen, so könne daraus nicht zwingend geschlossen werden, daß bei ihm alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit vorgelegen habe. Denn dieses Verhalten könne sich aus einer Fehleinschätzung der Annäherungsgeschwindigkeit des PKw erklären, die auch einem von Alkohol völlig unbeeinflußten Fußgänger unterlaufen könne. Jedenfalls sei der Einfluß des genossenen Alkohols nicht als die alleinige rechtserhebliche Ursache des Unfalls anzusehen. Die Witterungsverhältnisse, der Zustand der Straße und insbesondere auch die Fahrweise des Kraftwagenfahrers, der schneller gefahren sei, als es die Sichtweite zugelassen habe, hätten in erheblichem Maße am Zustandekommen des Unfalls mitgewirkt.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt und zur Begründung im wesentlichen vorgetragen: Das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß der Kläger bei dem Unfall unter dem Schutz des § 543 Abs. 1 RVO gestanden habe. Es sei schon zweifelhaft, ob bei einem Versicherten, der sich in alkoholbeeinflußtem, wenn vielleicht auch noch nicht volltrunkenem Zustande von seinem häuslichen Wirkungskreis in Richtung auf seine gewöhnliche Arbeitsstätte auf den Weg mache, überhaupt von einem Weg zur Arbeitsstätte im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO gesprochen werden könne. Denn eine BAK von mehr als 1,5 0 / 00 schließe die Wegefähigkeit eines Fußgängers regelmäßig aus. Das LSG hätte auch prüfen müssen, ob bei der gleichen Verkehrssituation, in der sich der Kläger befunden habe, ein nüchterner Verkehrsteilnehmer nicht verunglückt wäre. Dabei sei zu berücksichtigen, daß die BAK eines Verunglückten dann im Rechtssinne die allein wesentliche Ursache eines Verkehrsunfalles sei, wenn sie zur unbedingten Wegeunfähigkeit des Betroffenen geführt habe. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. ... in ... sei der Kläger allein deswegen verunglückt, weil er sich wegen seines alkoholbedingten Zustandes allzu leichtsinnig verhalten habe. Den Ausführungen des Sachverständigen sei zu entnehmen, daß der Kläger, wenn er nüchtern gewesen wäre, dieser Verkehrssituation nicht erlegen wäre, weil er dann nicht sorglos, rasch und kritiklos versucht hätte, die Fahrbahn der Straße zu überschreiten. Hätte das Berufungsgericht das vorgenannte Gutachten erschöpfend und richtig gewürdigt, so hätte es zu einem anderen Ergebnis kommen müssen.

Der Kläger sei, wenn er im Augenblick des Unfalles auch noch nicht eine BAK von 2,0 0 / 00 erreicht gehabt habe, doch bereits absolut wegeuntüchtig gewesen. Auf keinen Fall sei er, worauf es entscheidend ankomme, imstande gewesen, seine Arbeit als Vermessungssteiger im Betrieb aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts ... vom 24. Juni 1960 zurückzuweisen;

hilfsweise,

die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Kläger führt insbesondere aus: Eine Lösung vom Betrieb komme nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Wegeunfalls volltrunken gewesen sei. Volltrunkenheit habe aber beim Kläger nicht vorgelegen. Im übrigen aber komme es darauf an, ob der Alkohol die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen sei. Die Behauptung der Beklagten, er sei im Hinblick auf die bei ihm festgestellte BAK von 1,7 0 / 00 als Fußgänger absolut verkehrsuntüchtig gewesen, sei durch nichts bewiesen und daher rechtlich ebenso unbeachtlich wie die Behauptung, ein Fußgänger sei wegen der heutigen Verkehrsdichte, die eine besondere Aufmerksamkeit aller Verkehrsteilnehmer erfordere, schon bei einer BAK von mehr als 1,5 0 / 00 wegeunfähig. Die Rüge der Revision, das LSG habe dem Problem, von welchem Grade der BAK an ein Fußgänger absolut verkehrsuntüchtig sei, weiter nachgehen müssen, gehe fehl. Auch die Rüge, das LSG habe das Gutachten des Dr. ... nicht zutreffend gewürdigt, sei unbegründet. Denn selbst wenn die Gründe des angefochtenen Urteils so zu verstehen sein sollten, daß der Kläger den Unfall durch Alkoholeinfluß mitverursacht habe, so wäre die Alkoholeinwirkung - wie das LSG mit Recht ausgeführt habe - bei der gegebenen Verkehrssituation nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Berufungsgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 21. Januar 1958 Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 543 Abs. 1 RVO aF i. V. m. § 542 RVO aF zu gewähren. Denn der Kläger befand sich, als er am 21. Januar 1958 um 7.35 Uhr den Unfall erlitt, auf einem mit seiner Tätigkeit im Betrieb zusammenhängenden Weg nach der Arbeitsstätte.

Das Berufungsgericht hat zutreffend die Annahme einer Lösung vom Betrieb infolge des bei dem Kläger festgestellten Blutalkoholgehaltes von 1,7 0 / 00 abgelehnt. Eine Lösung von dem Betrieb könnte allenfalls in Betracht kommen, wenn infolge Volltrunkenheit von einem zweckgerichteten Sichfortbewegen zur Arbeitsstätte oder von einer irgendwie zweckgerichteten Arbeitsverrichtung nicht mehr gesprochen werden könnte.

Wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, hat sich der Kläger bei einer BAK von 1,7 0 / 00 aber nicht in einem solchen Zustand befunden (vgl. BSG 12, 242, SozR RVO Nr. 27 zu § 542 aF; BSG 13, 172, SozR RVO Nr. 30 zu § 543 aF).

Der Anspruch des Klägers wäre daher nur dann unbegründet, wenn der Weg zur Arbeitsstätte, d. h. das Sichfortbewegen zur Arbeitsstätte hin, gegenüber der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Verkehrsuntüchtigkeit des Klägers in seiner Bedeutung für den Unfall so in den Hintergrund getreten wäre, daß die Verkehrsuntüchtigkeit als die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls angesehen werden müßte (vgl. BSG und SozR aaO).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muß bei einem Kraftwagenfahrer, bei dem im Zeitpunkt des Unfalls eine BAK von mindestens 1,5 0 / 00 und bei einem Kraftradfahrer, bei dem eine solche von mindestens 1,3 0 / 00 vorlag, nach allgemeiner Erfahrung des Lebens davon ausgegangen werden, daß die auf dem Alkohol beruhende absolute Fahruntüchtigkeit den Unfall verursacht hat, soweit nicht besondere Umstände dieser Annahme entgegenstehen. Weiter muß grundsätzlich angenommen werden, daß in einem solchen Fall die Fahruntüchtigkeit die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls ist (vgl. BSG und SozR aaO). Das Berufungsgericht hat die Frage aufgeworfen, ob auch bei Fußgängern eine entsprechende Grenze absoluter Verkehrsuntüchtigkeit angenommen werden kann. Es kann hier dahinstehen, ob auch bei ihnen von einer solchen Grenze auszugehen ist und bei welchem Grade der BAK sie zu suchen ist. Denn die vom Berufungsgericht festgestellten besonderen Umstände des Falles lassen es nicht zu, die Entscheidung allein auf Grund der allgemeinen Erfahrungen des Lebens zu treffen. Das Berufungsgericht ist zwar, wenn auch nur hilfsweise, davon ausgegangen, daß die Verkehrstüchtigkeit des Klägers auf Grund der Alkoholeinwirkung beeinträchtigt gewesen ist, es hat aber andererseits auch festgestellt, daß es zur Zeit des Unfalls dunkel und diesig und die Straße eisignaß gewesen ist, daß der Fahrer des Pkw ferner mit einer höheren Geschwindigkeit gefahren ist, als es bei Fahren mit Abblendlicht zulässig ist. Besondere Umstände dieser Art lassen immerhin die ernstliche Möglichkeit gegeben erscheinen, daß die alkoholbedingte Verkehrsuntüchtigkeit nicht die Ursache des Unfalls gewesen ist. In einem solchen Fall kann die Frage der Verursachung nicht auf Grund der allgemeinen Erfahrungen des Lebens allein beurteilt werden, sondern es bedarf unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles der Prüfung, ob das Sichfortbewegen des Versicherten zur Arbeitsstätte mit den ohnehin gegebenen besonderen Gefahren oder die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit des Versicherten den Unfall entscheidend verursacht haben.

Das Berufungsgericht hat auf Grund der im vorliegenden Fall von ihm festgestellten Gefahrenmomente entschieden, daß die - hilfsweise - unterstellte alkoholbedingte Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit des Klägers den Unfall jedenfalls nicht in einem solchen Maße verursacht hat, daß die sonstigen besonderen Gefahrenmomente in ihrer Bedeutung für den Unfall derart in den Hintergrund gedrängt worden wären, daß sie als unerheblich angesehen werden könnten. Damit hat das Berufungsgericht die Grenzen des ihm nach § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gesetzten Beweiswürdigungsermessens nicht überschritten. Es hat auch zu Recht entschieden, daß die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit des Klägers nicht die rechtlich allein wesentliche Ursache des Unfalls gewesen ist, sondern daß besondere Gefahrenmomente den Unfall wesentlich mitverursacht haben, so daß der Unfallschutz nicht versagt werden kann (vgl. zur Frage der Mitverursachung SozR RVO Nr. 73 zu § 542 aF).

Die Beklagte hat zwar einige der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen angegriffen. Die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen über die Geschwindigkeit des Kraftwagens und die ungünstigen Straßen- und Witterungsverhältnisse sind von der Beklagten jedoch nicht angegriffen worden. Andererseits ist das Berufungsgericht mit der Beklagten davon ausgegangen, daß der Kläger, nachdem er die Straße betreten hatte, nicht mehr nach ankommenden Kraftwagen Ausschau gehalten und daß er sich somit fahrlässig verhalten hat. Es hat auch unterstellt, daß der Kläger, wie Dr. ... in seinem Gutachten ausgeführt hat, infolge der BAK in seiner Leistungsbereitschaft als Fußgänger stark beeinträchtigt gewesen ist. Dadurch aber wird die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß die übrigen Gefahrenmomente erhebliche Mitursache des Unfalls gewesen sind, nicht berührt.

Die Revision der Beklagten ist somit nicht begründet und muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380612

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