Leitsatz (amtlich)

Die Bergmannsprämie ist auch nach Änderung des BergPG vom 1956-12-20 (BGBl 1 927) durch das ÄndG BergPG vom 1963-12-19 (BGBl 1 983) bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nach RKG § 45 Abs 2 nicht zu berücksichtigen.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; BergPG § 4; BergPGÄndG § 5a

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 27. August 1963 insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Gewährung der Bergmannsrente über den 30. September 1963 hinaus verurteilt worden ist.

Der Rechtsstreit wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG -) zusteht.

Der im Jahre 1932 geborene Kläger erlernte von 1946 bis 1950 das Schreinerhandwerk und legte im Jahre 1950 die Gesellenprüfung ab. Im September 1951 wurde er als Schichtlohnschlepper im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets angelegt. Vom 1. Oktober 1952 an arbeitete er als Gedingeschlepper und Lehrhauer und seit dem 1. Mai 1956 als Hauer. Im April 1959 wurde er auf Empfehlung der Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) nach ärztlicher Untersuchung auf Grund von § 308 Abs. 3 Bergverordnung (BVO) nach über Tage verlegt. Dort wurde er zunächst 10 Tage lang als Schlosser und vom 1. Mai 1959 an als Entlade- und Transportarbeiter beschäftigt. Die BBG zahlte ihm eine Übergangsrente; er besitzt den Bergmannsversorgungsschein. Im August 1959 kehrte er vom Bergbau ab. Seit dem 17. August 1959 ist er ständig als Hilfsarbeiter bei den Vereinigten Elektrizitätswerken im Kraftwerk D tätig.

Den vom Kläger am 12. März 1959 gestellten Antrag auf Gewährung von Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG lehnte die Beklagte ab. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen.

Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, er könne infolge der Silikose seine Hauerarbeit oder dieser Tätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten unter oder über Tage nicht mehr verrichten. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, dem Kläger Bergmannsrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Es führte aus, die Frühsilikose des als Hauer zu beurteilenden Klägers stelle eine Krankheit dar, weshalb er nach den bergbehördlichen Vorschriften auch nicht mehr unter Tage beschäftigt werden dürfe. Andererseits sei er aber auch nicht imstande, der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Übertagearbeiten zu verrichten.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und klargestellt, daß die Bergmannsrente seit Antragstellung zu zahlen ist; es hat die Revision zugelassen. Das LSG hält das Urteil des SG im wesentlichen für zutreffend. Hauptberuf des Klägers sei der des Hauers. Der Kläger habe diese Tätigkeit nicht freiwillig aufgegeben, vielmehr sei er infolge "Krankheit" nicht mehr imstande, Untertagearbeit zu verrichten, da er gemäß § 308 Abs. 3 BVO des Oberbergamtes D vom 15. Mai 1957 untauglich erklärt worden sei. Auch auf Übertagetätigkeit könne der Kläger nicht verwiesen werden. Unter Berücksichtigung des tariflichen Hauerdurchschnittslohnes falle nach der Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr vom 15. Februar 1956 und nach den folgenden Lohnordnungen die Lohneinbuße gegenüber dem aus einer Tätigkeit nach der Lohngruppe I über Tage (ohne Zuschlag) erzielten Einkommen wirtschaftlich so ins Gewicht, daß von einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der zu vergleichenden Arbeiten nicht mehr die Rede sein könne. Auf Übertagearbeiten der Lohngruppe I mit tariflichem Zuschlag und der seit dem 1. Oktober 1960 eingeführten Lohngruppe Ia könne der Kläger nicht verwiesen werden, weil er keins der dort genannten Handwerke erlernt habe, es für andere der aufgeführten Tätigkeiten keine Arbeitsplätze in nennenswertem Umfang gebe und er zur Verrichtung anderer der genannten Tätigkeiten beruflich nicht fähig sei, bzw. weil es sich nicht um Tätigkeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG handle.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt, soweit dem Kläger über den 30. September 1963 hinaus die Bergmannsrente zugesprochen worden ist. Sie ist der Auffassung, daß dem Kläger für die Zeit seit dem 1. Oktober 1963 die Bergmannsrente nicht mehr zustehe, da er als gelernter Schreiner in der Lage sei, eine der Tätigkeiten eines gelernten Handwerkers der Lohngruppe Ia der seit dem 1. Oktober 1963 geltenden Lohnordnung für den rheinischwestfälischen Steinkohlenbergbau zu verrichten. Der Kläger habe das Schreinerhandwerk erlernt und die Lehrzeit im Jahre 1950 mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten befähigten ihn zur Verrichtung der Tätigkeit als Schreiner im Bergbau. Nach der seit dem 1. Oktober 1963 gültigen Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau seien die gelernten Handwerker in Lohngruppe Ia über Tage (Arbeiter-Gradschlüssel Nr. 208) eingestuft. Diese Übertagetätigkeiten seien der Hauerarbeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig im Sinne von § 45 Abs. 2 RKG. Sei ein Hauer auf Grund einer besonderen Ausbildung in der Lage, die im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit eines gelernten Handwerkers zu verrichten, so könne er nicht als vermindert bergmännisch berufsfähig angesehen werden; denn bei der Tätigkeit eines gelernten Handwerkers handele es sich im Vergleich zur Hauertätigkeit um eine Arbeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten.

Sie beantragt,

unter Abänderung der Urteile des SG Dortmund vom 24. Oktober 1960 und des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27. August 1963 die Klage abzuweisen, soweit Rente über den 30. September 1963 gefordert wird.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt im wesentlichen aus: Es komme nicht auf seine Lehrzeit an, sondern darauf, ob er heute noch als Schreiner tätig sein könne. Nach dem vom Berufungsgericht beigezogenen medizinisch-psychologischen Gutachten des Technischen Überwachungsvereins in E vom 17. März 1961 bestehe bei ihm neben einer starken Nervosität bei beeinträchtigtem Reaktionsvermögen eine deutliche vegetative Dystonie. Es sei zumindest fraglich, ob er bei diesem Zustand noch an den stark unfallgefährdeten Holzbearbeitungsmaschinen eingesetzt werden könne. Er habe zweimal vergeblich versucht, die Fahrprüfung der Führerscheinklasse III abzulegen. Es sei ärztlicherseits überhaupt abgeraten worden, ihn nochmals für die Führerscheinprüfung zuzulassen.

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Nachdem die Beklagte mit ihrer Revision nur noch die Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG sowie Klageabweisung erstrebt, soweit Rente über den 30. September 1963 hinaus gefordert wird, war nur noch zu entscheiden, ob dem Kläger seit dem 1. Oktober 1963 ein Anspruch auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG zusteht. Da er die Wartezeit erfüllt hat, hängt sein Anspruch davon ab, ob er seitdem vermindert bergmännisch berufsfähig im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG ist.

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Kläger im Hauptberuf Hauer ist. Da ihm wegen silikotischer Einlagerungen auf Grund des § 308 Abs. 3 der BVO für den Oberbergbezirk D vom 1. Mai 1935 idF vom 1. Juli 1953 von der BBG nach ärztlicher Untersuchung am 26. Februar 1959 geraten wurde, nicht mehr unter Tage zu arbeiten, kann er auf Untertagetätigkeiten nicht verwiesen werden. Die Entscheidung hängt also davon ab, ob der Kläger noch in der Lage ist, eine im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten über Tage zu verrichten (SozR RKG Nr. 3 zu § 35 aF). Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats entschieden, daß der Hauer grundsätzlich nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppen Ia und I über Tage der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau verwiesen werden kann (vgl. dazu SozR RKG Nr. 15 zu § 45). Soweit es sich um Tätigkeiten der Lohngruppe I ohne Zuschlag handelt, sind diese der Hauerarbeit nicht im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig. Soweit es sich um Tätigkeiten der Lohngruppe I a und I mit Zuschlag handelt, kann ein Hauer auf diese Tätigkeiten grundsätzlich nicht verwiesen werden, weil er regelmäßig zu ihrer Verrichtung beruflich nicht fähig ist, oder es sich um Tätigkeiten handelt, für die es Arbeitsplätze nicht in nennenswerter Zahl gibt, oder es sich nicht um Tätigkeiten "von Personen mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten" handelt. Im vorliegenden Fall liegen die Verhältnisse allerdings besonders. Denn der Kläger ist gelernter Schreiner. Wenn der gelernte Schreiner auch in der Zeit vor dem 1. Oktober 1963 in Lohngruppe I ohne Zuschlag eingestuft und seine Tätigkeit daher nicht der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig war, so hat sich dies noch nach der seit dem 1. Oktober 1963 geltenden Lohnordnung geändert. Denn nach dieser Lohnordnung ist der gelernte Schreiner in Lohngruppe Ia eingestuft. Diese Tätigkeit ist seit dieser Zeit der Hauertätigkeit als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen.

Dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, daß, wie der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung angenommen hat, die Bergmannsprämie bei der Bewertung des Hauptberufs nicht mitzuberücksichtigen ist (BSG 13, 29, 31). Nach dieser Rechtsprechung ist die Bergmannsprämie nicht mitzuberücksichtigen, weil sie nach § 4 des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 20. Dezember 1956 (BGBl I, 927) nicht als Einkommen, Verdienst oder Entgelt im Sinne der Sozialversicherung und nicht als Lohn oder Gehalt im Sinne des Arbeitsrechts gilt. An dieser Auffassung hält der Senat auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 19. Dezember 1963 (BGBl I, 983) fest. Nach § 5 a aaO nF wird die Bergmannsprämie zwar nunmehr im Steinkohlen- und Eisenerzbergbau nicht mehr vom Staat, sondern vom Arbeitgeber des Versicherten getragen, jedoch ist § 4 des Bergmannsprämiengesetzes, auf den es auch im vorliegenden Rechtsstreit entscheidend ankommt, nicht geändert worden. Da mit § 4 aaO der Zweck verfolgt wird, die Bergmannsprämie frei von Steuern und Sozialabgaben zu lassen, könnte man jetzt vielleicht daran denken, die Bergmannsprämie, nachdem sie nunmehr von dem Arbeitgeber zu tragen ist, bei der nach § 45 Abs. 2 RKG erforderlichen Bewertung des Hauptberufs und der in Frage kommenden Verweisungsberufe mitzuberücksichtigen. Dem steht jedoch entgegen, daß für die Bergmannsprämie in Anwendung des § 4 aaO keine Versicherungsbeiträge an die Knappschaft zu zahlen sind. Es würde versicherungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, eine Entschädigung, gleich welcher Art, für die keine Versicherungsbeiträge entrichtet werden und auch nicht entrichtet zu werden brauchen, bei der nach § 45 Abs. 2 RKG erforderlichen Bewertung des Hauptberufs und der in Frage kommenden Verweisungsberufe zu berücksichtigen. Denn dadurch würde das Versicherungsrisiko zuungunsten des Versicherungsträgers und damit der Versichertengemeinschaft verschoben werden, ohne daß der Knappschaft entsprechende Versicherungsbeiträge zugeflossen sind. Die Bergmannsprämie kann daher bei Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG weder bei der Bewertung des Hauptberufs noch bei der Bewertung von Verweisungstätigkeiten berücksichtigt werden. Somit sind die Tätigkeiten der Lohngruppe Ia über Tage auch nach Inkrafttreten des § 5 a des Gesetzes über Bergmannsprämien idF des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Bergmannsprämien vom 19. Dezember 1963 der Tätigkeit des Hauers als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen.

Von dieser Rechtslage ausgehend hat die Beklagte zu Recht vorgebracht, daß nunmehr zu prüfen sei, ob der Kläger nach seinem Gesundheitszustand und nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten noch in der Lage ist, die Tätigkeit eines gelernten Schreiners (Arbeiter-Gradschlüssel Nr. 208 der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau vom 1. Oktober 1963) zu verrichten. Diese Lohnordnung ist zwar erst nach Schluß der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG (27. August 1963) in Kraft getreten, konnte also von diesem noch nicht angewandt werden. Dennoch muß der Senat diese Lohnordnung berücksichtigen. Denn Tarifverträge einschließlich der Lohnordnungen sind insoweit gesetzlichen Vorschriften gleichzuerachten und müssen daher vom Revisionsgericht auch dann noch angewandt werden, wenn sie erst nach Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ergangen sind (vgl. SozR RKG Nr. 9 zu § 35 aF). Allerdings liegen hier - verständlicherweise - keine Feststellungen darüber vor, ob der Kläger nach seinem Gesundheitszustand und nach seinen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten noch in der Lage ist, die Tätigkeit eines gelernten Schreiners auszuüben. Da das Revisionsgericht diese Feststellung nicht treffen kann, muß das Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, soweit Zahlung der Rente für die Zeit vom 1. Oktober 1963 an im Streit ist.

Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob der Kläger im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand noch in der Lage ist, die Tätigkeit eines gelernten Schreiners auszuüben, und ob er imstande ist, diesen - längere Zeit nicht ausgeübten - Beruf noch zu verrichten. Der Kläger hat zwar das Schreinerhandwerk erlernt, hat es aber nach seinem Vorbringen seit 1950 nicht mehr ausgeübt. Es wäre deshalb denkbar, daß er die beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung dieser Tätigkeit inzwischen so weit verloren hat, daß er die in Betracht kommenden Arbeiten nicht mehr verrichten kann.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2380198

BSGE, 296

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