Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenüberzahlung beim Zusammentreffen von Knappschaftsvollrente und Verletztenrente. Rückforderung zuviel gezahlter Rentenbeträge
Orientierungssatz
Der Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung darf den wegen einer Erhöhung der gleichzeitig gezahlten Verletztenrente überzahlten Betrag einer Knappschaftsvollrente von Rentenberechtigten nach RKG § 93 Abs 2 S 2 zurückfordern, wenn ihn für die Überzahlung kein Verschulden trifft und wenn der Leistungsempfänger beim Empfang der Leistung wußte oder wissen mußte, daß ihm diese nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand und soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.
Normenkette
RKG § 93 Abs. 2 S. 2; RVO § 1301
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 11.07.1968) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 22.06.1967) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 11. Juli 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin führt den Rechtsstreit ihres am 25. April 1966 gestorbenen Ehemannes A R (Versicherter) fort, mit dem sie bis zu dessen Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Zur Zeit des Todes des Ehemannes war das Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) anhängig. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte mit Recht einen Anspruch auf Rückzahlung zuviel gezahlter Rente für die Zeit vom 1. Januar 1961 bis zum 31. März 1963 gegen den Versicherten geltend gemacht hat.
Der Versicherte erhielt seit November 1954 Knappschaftsvollrente alten Rechts, die vom 1. Januar 1957 an in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit umgestellt wurde. Die daneben von der Bergbau-Berufsgenossenschaft wegen einer Silikoseerkrankung gewährte Verletztenrente erhöhte sich infolge zunehmender Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v. H. über 80 v. H. auf 100 v. H. vom 13. November 1960 an, so daß die Gesamtrente in entsprechend steigendem Maße ruhte. Mit Schreiben vom 10. Januar 1961 unterrichtete die Bergbau-Berufsgenossenschaft (BBG) den Versicherten und die Beklagte davon, daß die Unfallrente vom 13. November 1960 ab auf 100 % = 361,- DM monatlich erhöht worden sei. Mit Bescheid vom 26. Januar 1961 setzte darauf die Beklagte die Knappschaftsrente ab 1. Dezember 1960 unter Anwendung der Ruhensvorschriften nach § 75 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) neu fest. Nach einer der Beklagten und dem Versicherten zugegangenen Mitteilung der BBG vom 7. Februar 1961 über eine elektronische Rentenumrechnung der Rentenbezüge betrug die Unfallrente vom 1. Januar 1961 an jährlich 80 % von 4089,40 DM = monatlich 340,80 DM. Diese Mitteilung war unrichtig bzw. durch die Rentenerhöhung auf 100 % überholt. Sie war auch anders als die Mitteilung vom 10. Januar 1961 nicht an die damalige Ruhrknappschaft, sondern an die Arbeitsgemeinschaft der Knappschaften gerichtet und ist anscheinend von dieser an die damals für die Festsetzung der Rente des Versicherten zuständige Ruhrknappschaft weitergegeben worden, die sie unbeachtet gelassen hat. Am 1. Januar 1961 erhöhte sich die Verletztenrente wegen der Heraufsetzung des Jahresarbeitsverdienstes erneut von 361,- DM auf 426,- DM. Diese Veränderung teilte die BBG der Beklagten nicht mit; dagegen erteilte sie dem Versicherten hierüber den Bescheid vom 14. Februar 1961. Dieser unterrichtete seinerseits die Beklagte ebenfalls nicht von der Erhöhung der Unfallrente, so daß diese den ruhenden Teil der Rente entsprechend der Mitteilung der BBG vom 10. Januar 1961 unter Berücksichtigung einer Unfallrente von 361,- DM auch für die Zeit nach dem 1. Januar 1961 errechnete. In den Rentenbescheiden vom November 1954, September 1958 und zuletzt vom 26. Januar 1961 war der Versicherte auf seine Verpflichtung hingewiesen worden, Änderungen in der Höhe der Unfallrente unverzüglich der Beklagten anzuzeigen.
Erst bei der Berechnung des ab 1. April 1963 gezahlten Altersruhegeldes stellte die Beklagte die tatsächliche Höhe der Unfallrente seit dem 1. Januar 1961 durch Anfrage bei der BBG fest. Mit Bescheid vom 17. Dezember 1963 berechnete sie den ruhenden Teil der Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit vom 1. Januar 1961 bis zum 31. März 1963 nunmehr unter Berücksichtigung der höheren Unfallrente und forderte die entstandene Überzahlung im Betrag von 2300,40 DM in Teilbeträgen von monatlich 80,- DM zurück. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung der später erhobenen Klage wurden bereits einbehaltene Teilbeträge an den Versicherten zurückgezahlt.
Im Widerspruchs- und Klageverfahren wandte sich der Versicherte nur gegen die Rückforderung von Rentenbezügen. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Gegen das Urteil des SG hat der Versicherte Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) trug gegen die Fortsetzung des Verfahrens durch die Klägerin keine Bedenken. In der Sache selbst ist es der Auffassung, daß die Beklagte den überzahlten Betrag von dem Versicherten habe zurückfordern dürfen, weil die Rentenleistung in dieser Höhe kraft Gesetzes geruht habe. Die Beklagte sei zwar an der Überzahlung nicht schuldlos. Die beiden Mitteilungen der BBG vom 10. Januar und 7. Februar 1961 hätten sie veranlassen müssen, sich über die tatsächliche Höhe der Verletztenrente Klarheit zu verschaffen. Den Versicherten treffe aber eine derart überwiegende Schuld, daß die des Versicherungsträgers dahinter zurücktrete. Er habe unabhängig von § 78 RKG die Pflicht gehabt, auf die Erhöhung seiner Unfallrente seit dem 1. Januar 1961 hinzuweisen, weil er damit habe rechnen müssen, daß die Beklagte, so wie er selbst, von der BBG falsch unterrichtet worden sei, zumal die erneut erforderliche Umrechnung unterblieben sei. Aus dem letzten Umrechnungsbescheid, der bereits 14 Tage nach der Benachrichtigung ergangen sei, habe er auch entnehmen können, daß die Erhöhung der Unfallrente auf 361,- DM seine Gesamtrente weiter vermindert habe. Bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens sei zu berücksichtigen, daß die Beklagte eine Vielzahl von Fällen zu erledigen habe, während der Ehemann der Klägerin seine Aufmerksamkeit nur seiner eigenen Angelegenheit zu widmen brauchte. Seine Silikoseerkrankung habe erst im November 1962 ein Stadium erreicht, das zu einer weitgehenden Interesselosigkeit habe führen können. Deshalb habe er wissen müssen, daß ihm die Rente nicht in der gewährten Höhe zustand. Er habe in der fraglichen Zeit ein Renteneinkommen von monatlich über 750,- DM und zuletzt 993,80 DM gehabt, so daß die Rückforderung auch wirtschaftlich ohne weiteres vertretbar gewesen sei. Auf das wesentlich geringere Einkommen der Klägerin sei in diesem Zusammenhang nicht abzustellen. Das LSG hat aus diesen Gründen die Berufung zurückgewiesen und gegen sein Urteil die Revision zugelassen.
Mit der Revision trägt die Klägerin vor, ihr Ehemann habe Veränderungen der Unfallrente nie angezeigt, weil allgemein bekannt sei, daß Meldungen der Versicherten keine Arbeitsunterlagen für die Beklagte seien. Die Rentner seien auch niemals zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Anzeigepflicht angehalten worden. Wenn den Versicherten überhaupt eine gewisse Mitschuld treffe, sei die der Beklagten jedenfalls weit größer, weil ihr als Kennerin der Materie offenbare Unrichtigkeiten hätten auffallen müssen.
Sie beantragt,
bei Aufhebung der Entscheidung des Landessozialgerichts Essen vom 11. Juli 1968 und der Entscheidung des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 22. Juni 1967 sowie Aufhebung der Bescheide der Beklagten zu erkennen, daß die Beklagte keinen Rückforderungsanspruch über 2.300,40 DM hat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und führt aus, daß bei der Prüfung, ob der Versicherte wissen müsse, daß ihm die Leistung nicht zustehe, ein objektiver Maßstab anzulegen sei. Es sei in Bergmannskreisen allgemein bekannt, daß die Erhöhung der Unfallrente die Herabsetzung der Knappschaftsrente zur Folge haben könne.
Die Klägerin hat dem Revisionsgericht einen Erbschein vorgelegt, der sie und den Sohn Manfred als Erben zu je einem halben Anteil am Nachlaß ihres verstorbenen Ehemannes ausweist.
II
Die statthafte Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klage richtet sich gegen den Bescheid vom 17. Dezember 1963, soweit in diesem der Anspruch der Beklagten gegen den Versicherten auf Rückzahlung der in der Zeit vom 1. Januar 1961 bis zum 31. März 1963 erfolgten Überzahlung der knappschaftlichen Rente in Höhe von 2300,40 DM festgestellt ist. Der Versicherte ist während des gerichtlichen Verfahrens gestorben. Die Klägerin, die mit dem Versicherten bis zu dessen Tode in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, ist neben ihrem Sohn Miterbin des Versicherten. Sie hat das durch den Tod des Versicherten unterbrochene Verfahren aufgenommen. Es kann dahinstehen, ob sie in diesem Verfahren Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten i. S. des § 88 RKG oder Miterbin ist, weil sie in jedem Fall berechtigt war, das durch den Tod des Versicherten ruhende Verfahren mit Wirkung für sich aufzunehmen und fortzusetzen.
Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klagabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Es durfte bedenkenfrei entscheiden, daß der angefochtene Teil des Bescheids der Beklagten vom 17. Dezember 1963 rechtmäßig ist. Denn die Beklagte hat in diesem Bescheid den Versicherten zu Recht verpflichtet, die ihm zuviel gezahlten knappschaftlichen Rentenleistungen zurückzuerstatten. Die knappschaftliche Rente des Versicherten ist unter Anrechnung seiner Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 75 RKG zunächst richtig festgestellt und ausgezahlt worden. Diese Feststellung wurde jedoch zum 1. Januar 1961 dadurch unrichtig, daß die BBG die Verletztenrente erhöhte, ohne daß sie oder der Versicherte die Beklagte hiervon benachrichtigte, so daß diese - zunächst - nicht in der Lage war, die knappschaftliche Rente entsprechend herabzusetzen. Sie konnte diese vielmehr erst durch Bescheid vom 17. Dezember 1963 der wirklichen Rechtslage entsprechend rückwirkend für die Zeit ab 1. Januar 1961 herabsetzen, nachdem sie inzwischen Nachricht davon erhalten hatte, daß die Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung für die Zeit ab 1. Januar 1961 erhöht worden war. Die hiernach zuviel gezahlten knappschaftlichen Rentenleistungen, deren Höhe unbestritten ist, konnte die Beklagte aufgrund des im Sozialversicherungsrecht anerkannten und in § 93 Abs. 2 RKG vorausgesetzten allgemeinen Rückerstattungsanspruchs zurückfordern.
Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 RKG darf die Beklagte eine Leistung, die sie zu Unrecht gezahlt hat, allerdings nur zurückfordern, wenn sie für die Überzahlung kein Verschulden trifft, und auch dann nur, soweit der Leistungsempfänger beim Empfang der Leistung wußte oder wissen mußte, daß ihm diese nicht oder nicht in der gewährten Höhe zustand, und nur soweit die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist.
Die Beklagte trifft für die Überzahlung kein Verschulden. Die BBG hatte ihr mit Schreiben vom 10. Januar 1961 mitgeteilt, daß die Unfallrente für die Zeit vom 13. November 1960 an wegen einer MdE von 100 % auf 361,- DM festgestellt worden war. Die Beklagte durfte bei der Festsetzung der Höhe der knappschaftlichen Rente solange von diesem Betrag ausgehen, als sie nicht von der BBG oder vom Versicherten eine andere Mitteilung erhielt. Als die Beklagte die weitere, allerdings unrichtige, Mitteilung der BBG vom 7. Februar 1961 erhielt, nach welcher die Unfallrente des Versicherten vom 1. Januar 1961 an wegen einer MdE von 80 % auf 4089,40 DM jährlich bzw. 340,80 DM monatlich festgestellt sei, hätte sie zwar eigentlich die an den Versicherten gezahlte Rente erhöhen müssen, doch hat sie dies unterlassen. Das war jedoch für die hier streitige Überzahlung nicht ursächlich; bei einer Berücksichtigung dieser - unrichtigen - Mitteilung wäre vielmehr eine noch höhere Überzahlung eingetreten. Mit Bescheid vom 14. Februar 1961 hat dann die BBG die Unfallrente des Versicherten für die Zeit ab 1. Januar 1961 in Höhe von 426,- DM monatlich festgestellt. Hiervon hat die Beklagte weder von der BBG noch von dem Versicherten eine Mitteilung erhalten. Da die Beklagte zunächst keine Mitteilung von der Neufeststellung der Unfallrente erhielt, konnte sie auch keine Kürzung der knappschaftlichen Rente vornehmen, so daß sie an der Überzahlung der knappschaftlichen Rente kein Verschulden trifft.
Der Versicherte mußte dagegen seit Zustellung des Bescheids der BBG vom 14. Februar 1961, durch den die Verletztenrente erhöht wurde, wissen, daß ihm die knappschaftliche Rente nun nicht mehr in der festgestellten und ausgezahlten Höhe zustand. Er mußte damit rechnen, daß die Beklagte die knappschaftliche Rente demnächst mit rückwirkender Kraft herabsetzen würde, wodurch die laufenden knappschaftlichen Rentenleistungen rückwirkend zum Teil zu Unrecht ausgezahlt sein würden. Es kann davon ausgegangen werden, daß der Versicherte jedenfalls im Grundsatz Kenntnis von dieser Abhängigkeit der knappschaftlichen Rente von der Verletztenrente hatte. Rentner der gesetzlichen Rentenversicherung, die gleichzeitig auch Rentner der gesetzlichen Unfallversicherung sind, kennen im allgemeinen zumindest die Grundsätze dieser Zusammenhänge. Hinzu kommt, daß der Versicherte auch noch auf diese Zusammenhänge dadurch hingewiesen worden ist, daß ihn die Beklagte vorher aufgefordert hatte, ihr gegebenenfalls von einer etwaigen Erhöhung der Unfallrente Mitteilung zu machen.
Schließlich war die ratenweise Rückforderung bei einem vom LSG in der fraglichen Zeit festgestellten Einkommen des Versicherten von zunächst über 750,- und zuletzt von 993,80 DM auch wirtschaftlich vertretbar. Da in dem vorliegenden Rechtsstreit nur darüber zu entscheiden ist, ob der angefochtene, sich gegen den Versicherten richtende Bescheid rechtswidrig oder nicht rechtswidrig ist, bedurfte es hier keiner Prüfung, ob auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zu berücksichtigen sind und ob sie die Rückforderung rechtfertigen.
Der gegen den Versicherten gerichtete Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1963 ist daher, soweit durch ihn der Rückforderungsanspruch gegen den Versicherten festgestellt ist, rechtmäßig.
Mit Erlaß dieses Urteils ist dieser Bescheid insoweit bindend geworden. Ob und auf welche Weise die Beklagte aus diesem gegen den Versicherten gerichteten Bescheid gegen die Klägerin vollstrecken kann, bedarf, da diese Frage nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, ebensowenig einer Prüfung wie die Frage, ob die Klägerin in einem solchen Vollstreckungsverfahren die beschränkte Erbenhaftung geltend machen kann, falls deren Voraussetzungen vorliegen sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen