Leitsatz (amtlich)
1. Das Landessozialgericht kann die Zulassung der Revision nicht auf Entscheidung bestimmter Rechtsfragen beschränken. Eine solche Beschränkung der Zulassung ist unwirksam; das angefochtene Urteil ist im vollen Umfange nachprüfbar.
2. Dem Erfordernis, vor dem Anschluß von Innungen an eine bestehende Innungskrankenkasse die Gemeindebehörden der Orte zu hören, an denen die Innungen ihren Sitz haben (RVO § 251 Abs 2, ist genügt, wenn das Versicherungsamt die Anhörung vor der Entscheidung des Oberversicherungsamts über den Anschluß herbeigeführt hat.
3. Ist in der Satzung einer Innung bestimmt, daß bei Beschlußfassungen mehr als ein Drittel der Mitglieder anwesend sein müssen, so ist nicht erforderlich, daß die das Drittel übersteigende rechnerische Mehrheit mindestens eine volle Stimme beträgt. Bei 137 Innungsmitgliedern genügt daher für die Beschlußfassung die Anwesenheit von 46 Mitgliedern.
4. Die für den Anschluß von Innungen an eine Innungskrankenkasse erforderliche Zustimmung der Gesellenausschüsse (RVO § 250 Abs 1 S 1) kann auch vor den entsprechenden Beschlüssen der Innungsversammlungen erteilt werden.
Haben bei der Beschlußfassung des Gesellenausschusses auch Gesellen mitgewirkt, die dem Ausschuß nicht angehört haben, so wird dadurch die Wirksamkeit des Beschlusses jedenfalls dann nicht beeinträchtigt, wenn aus dem Abstimmungsprotokoll klar hervorgeht, wie die allein stimmberechtigten Mitglieder des Gesellenausschusses gestimmt haben.
5. Bei der Prüfung der Frage, ob durch den Anschluß von Innungen an eine Innungskrankenkasse der Bestand oder die Leistungsfähigkeit der Allgemeinen Ortskrankenkasse gefährdet wird (RVO § 251 Abs 1 Nr 1), sind nur die durch den Anschluß selbst hervorgerufene Veränderung und ihre voraussichtlichen Folgen, nicht aber die Möglichkeit künftiger ähnlicher Ausgliederungen zu berücksichtigen.
6. Vor dem Anschluß von Innungen an eine Innungskrankenkasse sind die Verbände der beteiligten Kassen zu hören (RVO § 414 h).
Ist diese Anhörung unterblieben, haben aber geschäftsführende Angestellte der beteiligten Kassenverbände als Prozeßbevollmächtigte ihrer Verbandsmitglieder alle überhaupt in Frage kommenden Gesichtspunkte ausführlich behandelt und läßt sich mit Sicherheit voraussehen, daß bei einer nur zum Zweck der formgerechten Anhörung der Kassenverbände durchgeführte Wiederholung des Genehmigungsverfahrens neue Gesichtspunkte nicht zur Sprache gebracht werden konnten, so ist der Mangel der unterbliebenen Anhörung geheilt.
Normenkette
RVO § 250 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1956-06-12, § 251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1930-07-26, Abs. 2 Fassung: 1930-07-26, § 414h Fassung: 1955-08-17; SGG § 162 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Die Buchbinder- und Kartonager-Innung Mittelfranken und die Konditoren-Innung Mittelfranken beschlossen im Jahre 1956 durch ihre Innungsversammlungen, eine gemeinsame Innungskrankenkasse (JKK) zu errichten und die neugegründete Kasse mit dem Tage ihrer Errichtung an die Vereinigte Innungskrankenkasse Nürnberg-Fürth ( VJKK ) anzuschließen. Die Schreiner-Innung Fürth beschloß am 16. Februar 1957, sich der VJKK anzuschließen. Die Gesellenausschüsse der beteiligten Innungen stimmten den Beschlüssen der Innungsversammlungen - teils vorher, teils nachher - zu.
Das Versicherungsamt (VA) Nürnberg hörte die Stadt Nürnberg, die Stadt Fürth sowie die Handwerkskammer von Mittelfranken, die gegen den Anschluß der Innungen an die VJKK keine Bedenken erhoben. Es legte die Genehmigungsanträge der Innungen dem Oberversicherungsamt (OVA) bei der Regierung von Mittelfranken in Nürnberg vor mit dem Bericht, daß die Gleichwertigkeit der Kassenleistungen der VJKK und der klagenden Ortskrankenkasse (OKK) bereits durch Beschluß vom 12. Dezember 1955 festgestellt worden sei und daß es eine Prüfung, ob die Leistungsfähigkeit der klagenden OKK durch den Anschluß der drei Innungen an die VJKK gefährdet werde, mangels einer Stellungnahme der klagenden OKK nicht habe vornehmen können.
Vor dem OVA erhob die klagende OKK grundsätzliche Bedenken gegen die Zulässigkeit des von den Innungen eingeschlagenen Verfahrens, sich unmittelbar einer bestehenden JKK anzuschließen. Außerdem beanstandete sie, daß die Beschlüsse der Innungen nur von einer verhältnismäßig geringen Zahl von Mitgliedern gefaßt worden seien, daß zwei Gesellenausschüsse dem Anschluß ihrer Innungen bereits vor Beschlußfassung der Innungsversammlungen zugestimmt hätten und daß bei der Beschlußfassung zweier Gesellenausschüsse auch nicht zu den Gesellenausschüssen gehörige Gesellen mitgewirkt hätten.
Das OVA genehmigte durch Beschlüsse vom 19. Juni 1957
1. den Anschluß der drei beigeladenen Innungen an die VJKK ,
2. die Änderung der Satzung der VJKK , daß die genannten drei Innungen weitere Trägerinnungen sind.
Das OVA hielt den unmittelbaren Anschluß von Innungen an eine bereits bestehende JKK für zulässig. Die Beschlüsse der Innungsversammlungen und der Gesellenausschüsse seien rechtmäßig zustande gekommen. Die in § 251 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Errichtung einer JKK genannten Voraussetzungen, die beim Anschluß von Innungen an eine bestehende JKK entsprechend anzuwenden seien, lägen vor.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg beantragte die klagende OKK
festzustellen, daß die Beschlüsse des OVA vom 19. Juni 1957 nichtig seien,
hilfsweise: die genannten Beschlüsse aufzuheben.
Außer den schon vor dem OVA erhobenen Beanstandungen machte die klagende OKK noch geltend, das OVA habe weder die Handwerkskammer in ihrer Eigenschaft als Aufsichtsbehörde (vgl. § 251 Abs. 2 RVO) noch die Verbände der beteiligten Kassen (vgl. § 414 h RVO) gehört.
Das SG wies mit Urteil vom 24. Juli 1957 die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse des OVA vom 19. Juni 1957 ab, hob jedoch auf den Hilfsantrag der klagenden OKK die angefochtenen Beschlüsse des OVA auf.
Gegen dieses Urteil legten alle Beteiligten Berufung ein, und zwar die klagende OKK mit dem Antrag, unter Abänderung des Urteils des SG die Nichtigkeit der Beschlüsse des OVA vom 19. Juni 1957 festzustellen, während das beklagte Land und die Beigeladenen (die VJKK und die drei beigeladenen Innungen) die Aufhebung des Urteils des SG begehrten, soweit es der Klage durch Aufhebung der Beschlüsse des OVA stattgegeben hatte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) waren auch ein Vertreter des Landesverbandes der Krankenkassen in Bayern (als Prozeßbevollmächtigter der Klägerin), ein Vertreter des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen (als Prozeßbevollmächtigter der beigeladenen VJKK ) und des Landesverbandes der Innungskrankenkassen anwesend, die auch in ihrer Eigenschaft als Verbandsvertreter gehört wurden. Das LSG wies in seinem Urteil vom 22. Januar 1958 die Berufung der klagenden OKK zurück; auf die Berufung der übrigen Beteiligten wurde das Urteil des SG aufgehoben, soweit es die Beschlüsse des OVA vom 19. Juni 1957 aufgehoben hatte, und die Klage auch insoweit abgewiesen. Die Revision wurde zugelassen, "soweit es sich um die Frage handelt, ob der Anschluß der Beigeladenen an die VJKK zulässig ist."
Gegen dieses Urteil hat die klagende OKK Revision eingelegt mit dem Antrag,
"I. Es wird festgestellt, daß der unmittelbare Anschluß der Schreiner-Innung für den Stadt- und Landkreis Fürth, Fürth, Erlanger Straße 12, der Konditoren-Innung Mittelfranken, Geschäftsstelle in Fürth, Luisenstraße 4, und der Buchbinder-Innung Mittelfranken, Nürnberg, Tafelhofstraße 26/II, an die bestehende Vereinigte Innungskrankenkasse Nürnberg-Fürth, Nürnberg, Ostendstraße 149, im Gesetz keine Stütze findet und daher unzulässig ist.
II. Ziffer 2 des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts in München - Nr. L/4 Kr. 35/57 - vom 8.3.1958 sowie die Entscheidungen des Oberversicherungsamtes bei der Regierung von Mittelfranken - 793/II/23/57 und 794/II/23/57 - vom 19.6.1957 werden daher aufgehoben."
Die klagende OKK wendet sich in erster Linie dagegen, daß das OVA den unmittelbaren Anschluß von Innungen an eine bestehende JKK für zulässig erachtet hat. Ein solches Verfahren sei im Gesetz nicht vorgesehen. Für eine Lückenausfüllung durch Fortentwicklung des Rechts sei kein Raum, weil das bestehende Organisationsrecht der Krankenversicherung erkennen lasse, daß die Vorschriften über die Errichtung von JKK'n zu denen über die Errichtung von allgemeinen OKK'n der Landkrankenkassen im Verhältnis der Ausnahmevorschriften zu Regelvorschriften stünden. Ausnahmeregelungen könnten aber nicht erweiternd ausgelegt werden. - Selbst wenn man aber den unmittelbaren Anschluß von Innungen an eine bestehende JKK für zulässig hielte, müßten die angefochtenen Beschlüsse des OVA als rechtswidrig aufgehoben werden. Zwingende Verfahrensvorschriften seien verletzt worden:
1. Die Gemeindebehörden und die Handwerkskammer seien erst nach der Beschlußfassung der Innungsversammlungen, und zwar durch das VA gehört worden (Verstoß gegen § 251 Abs. 2 RVO).
2. Die Anhörung der Verbände der beteiligten Kassen sei unterblieben (Verstoß gegen § 414 h RVO).
3. Bei der Innungsversammlung der Schreiner-Innung, die 137 Mitglieder umfasse, seien nur 46 Mitglieder anwesend gewesen. Da die Satzung dieser Innung (§ 25 Nr. 2) für die Beschlußfassung der Innungsversammlung die Anwesenheit von mehr als einem Drittel der Mitglieder verlange, sei der Errichtungsbeschluß der Innungsversammlung ungültig.
4. Der Gesellenausschuß der Konditoren-Innung habe einem Beschluß der Innungsversammlung vom 5. Oktober 1956 zugestimmt. Der Inhalt dieses Beschlusses sei nicht bekannt. Der Errichtungsbeschluß der Innungsversammlung sei am 22. Oktober 1956 gefaßt worden.
5. Die Gesellenausschüsse der Konditoren-Innung und der Schreiner-Innung hätten ihre Zustimmung bereits vor der Beschlußfassung der Innungsversammlungen erteilt.
6. Bei der Beschlußfassung der Gesellenausschüsse hätten auch Gesellen mitgewirkt, die nicht Mitglieder der Gesellenausschüsse gewesen seien.
Ferner habe das LSG verabsäumt, in ausreichendem Maße zu prüfen, ob ihre - der klagenden OKK - Leistungsfähigkeit nicht durch den Anschluß der beigeladenen Innungen an die VJKK gefährdet sei (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Dabei hätte nicht nur der aktuelle Mitgliederabgang (etwa 1 500 bei rd. 500 000 Gesamtmitgliederstand), sondern auch die künftige Entwicklung berücksichtigt werden müssen.
Das beklagte Land hat um
Zurückweisung der Revision
gebeten. Es verweist auf das Urteil des erkennenden Senats vom 29. April 1958 (BSG 7, 169), wonach sich Innungen ohne vorherige Errichtung einer JKK einer bereits bestehenden JKK anschließen können. Soweit die Klägerin im einzelnen Mängel des Anschlußverfahrens gerügt hat, seien diese Rügen unbegründet:
1. Die Anhörung der in § 251 Abs. 2 RVO genannten Behörden durch das VA sei rechtens. Es wäre widersinnig, Stellungnahmen zu noch gar nicht gefaßten Beschlüssen einzuholen.
2. Die Anhörung der Landesverbände der Kassen nach § 414 h RVO sei in dem hier vorliegenden Fall des Anschlusses einer Innung an eine bestehende JKK nicht erforderlich.
3. Die Beschlußfähigkeit der Innungsversammlung der Schreiner-Innung sei vom LSG festgestellt worden. Hieran sei das Revisionsgericht gebunden.
4. Daß die Innungsversammlung der Konditoren-Innung, deren Beschluß der Gesellenausschuß zugestimmt habe, in Wirklichkeit am 22. Oktober 1956 - und nicht am 5. Oktober 1956, wie im Beschluß des Gesellenausschusses angenommen - sei ein Schreibfehler, der die Wirksamkeit der Zustimmung des Gesellenausschusses nicht beeinträchtige.
5. Ebenso sei unschädlich, daß die Gesellenausschüsse der Konditoren-Innung und der Schreiner-Innung erst später gefaßten Beschlüssen der Innungsversammlungen zugestimmt hätten. Wesentlich sei nur, daß nicht zweifelhaft sei, daß die Gesellenausschüsse dem Anschluß ihrer Innungen an die VJKK zugestimmt hätten. Daß dabei auch Gesellen, die nicht den Gesellenausschüssen angehörten, zugestimmt hätten, sei unerheblich.
6. Bei Prüfung der Frage, ob die Leistungsfähigkeit der klagenden OKK durch den Anschluß der beigeladenen Innungen an die VJKK gefährdet sei, hätte nur die durch dieses Ereignis herbeigeführte Änderung der Verhältnisse, nicht aber die völlig unsichere künftige Entwicklung berücksichtigt werden können.
Die Beigeladenen haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II
1. Die Revision ist zulässig.
Das LSG hat die Revision nach dem Tenor seiner Entscheidung zwar nur zugelassen, "soweit es sich um die Frage handelt, ob der Anschluß der Beigeladenen an die Vereinigte Innungskrankenkasse zulässig ist". Es hat damit, wie auch seine Begründung der Zulassung zeigt, nur die bezeichnete Rechtsfrage der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich machen wollen. Eine solche Beschränkung der Zulassung ist jedoch unzulässig, wie daraus folgt, daß im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit nicht Rechtsfragen als solche Gegenstand des Rechtsstreits sein können und auch das Revisionsgericht über den konkreten Streit, nicht über eine abstrakte Rechtsfrage entscheidet (BSG 3, 135, 139; vgl. auch BGHZ 9, 357, 358 f). Es wäre gerade im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG), das nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Begründetheit der Revision regelmäßig in der Sache selbst zu entscheiden hat, mit dem hierin zum Ausdruck gebrachten Grundsatz der Prozeßökonomie und -beschleunigung unvereinbar, wenn das Revisionsgericht sich - an die vom Berufungsgericht vorgeschriebene "Marschroute" gebunden (vgl. Baur, JZ 1953, 372, 374 in der Besprechung zu BGHZ 7, 62) - auf die Beantwortung einer Rechtsfrage beschränken müßte, ohne bei Entscheidungsreife in der Sache selbst entscheiden zu können.
Hat das LSG fehlerhaft die Zulassung der Revision auf eine bestimmte Rechtsfrage beschränkt, so wird dadurch nicht die Zulassung als solche zu Fall gebracht. Immerhin hat das Berufungsgericht - seiner Verpflichtung gemäß (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbs. SGG) - die Zulassung, wenn auch unvollkommen, ausgesprochen. Es ist anzunehmen, daß das LSG, wenn es sich der Unzulässigkeit der von ihm ausgesprochenen Beschränkung der Zulassung bewußt gewesen wäre, die Zulassung unbeschränkt ausgesprochen hätte; denn die vom LSG in seiner Zulassungsentscheidung herausgestellte Rechtsfrage war im Zeitpunkt des Zulassungsausspruchs noch nicht vom BSG entschieden und eindeutig eine "Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbs. SGG). Bei dieser Sachlage (vgl. auch den Rechtsgedanken in § 139 BGB) ist die verfehlte Beschränkung der Zulassung als unwirksam und nicht vorhanden anzusehen (im Ergebnis ebenso Wieczorek, ZPO § 546 Anm. A I b 5; Stein/Jonas/Schönke/Pohle, ZPO 18. Aufl. § 546 Anm. VI 2a).
Das angefochtene Urteil ist demnach in vollem Umfang nachprüfbar.
2. Die Revision ist nicht begründet.
Die klagende OKK wendet sich mit ihrer Revision gegen das angefochtene Urteil nur insoweit, als es das Urteil des SG aufgehoben hat, das seinerseits die angefochtenen Beschlüsse des OVA aufgehoben hatte. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist somit nur noch die - ursprünglich hilfsweise erhobene - Aufhebungsklage, nicht mehr die Nichtigkeits- Feststellungsklage.
Die grundsätzlichen Bedenken der klagenden OKK gegen den unmittelbaren Anschluß von Innungen an eine bereits bestehende JKK sind unbegründet. Der Revision ist darin recht zu geben, daß die RVO keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren enthält. Der erkennende Senat hat jedoch bereits in seiner Entscheidung vom 29. April 1958 (BSG 7, 169) näher dargelegt, warum eine lückenausfüllende Interpretation geboten ist, die bei sinnvoller Würdigung der das Organisationsrecht der Krankenkassen beherrschenden Grundgedanken die Zulässigkeit des Anschlusses von Innungen an eine JKK ergibt.
Dabei wird entgegen der Meinung der Revision nicht die besondere Stellung der allgemeinen Orts- und Landkrankenkassen im Organisationsgefüge der Krankenkassen verkannt. Diese findet vielmehr ihre gebührende Berücksichtigung darin, daß die für den Fall der Errichtung neuer Sonderkassen im Interesse der allgemeinen Orts- und Landkrankenkassen erlassenen Schutzvorschriften (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 1, § 252 Abs. 2 RVO) auch bei unmittelbarem Anschluß von Innungen an eine bestehende JKK zur Anwendung kommen (BSG aaO S. 173 f.). Gegenstandslos ist auch die Befürchtung der klagenden OKK, das Recht der Kassenorgane zur selbständigen Entschließung darüber, ob sie ihre bisher selbständige JKK mit einer anderen JKK vereinigen wollen, und damit das Selbstverwaltungsrecht würden verletzen, wenn nicht die Kassenorgane, sondern die Innungen hierüber befänden; denn es handelt sich bei dem in Rede stehenden Anschlußverfahren nicht um die Vereinigung zweier Krankenkassen, sondern um "eine ergänzende Form des Errichtungsverfahrens" (BSG aaO S. 173). Was den Sonderfall vom Regelfall unterscheidet, ist im wesentlichen der Umstand, daß das Errichtungsverfahren beim nachträglichen Anschluß einer Innung zeitlich auseinandergezogen ist, während es sich sonst in einem Vorgang abspielt. Die Initiative - und die damit zusammenhängende Beschlußfassung - bei der Errichtung einer JKK liegt aber bei den Innungen (§ 250 Abs. 1 RVO).
3. Ist demnach im Sinne der Entscheidung des Senats vom 29. April 1958 daran festzuhalten, daß sich Innungen einer bestehenden JKK unmittelbar anschließen können, so bleibt zu prüfen, ob die - auf der Grundlage dieser Auffassung ergangenen - Beschlüsse des OVA ordnungsgemäß gefaßt sind und ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für ihren Erlaß vorliegen.
a) Unbegründet ist die Rüge der Revision, das OVA habe sich mit seinem Beschluß vom 19. Juni 1957, mit dem es den Anschluß der Konditoren-Innung und der Buchbinder- und Kartonnager-Innung an die VJKK genehmigt habe, über den Beschluß der Innungsversammlungen dieser Innungen hinweggesetzt. Richtig ist, daß die Innungsversammlungen beschlossen hatten, gemeinsam eine JKK zu errichten, die mit dem Tage ihrer Errichtung an die bestehende VJKK angeschlossen werden sollte. Zutreffend hat das OVA in diesen Beschlüssen nur die umständliche Fassung des seinem rechtlichen Gehalt nach klaren Begehrens nach Anschluß der Innungen an die VJKK erblickt (vgl. BSG 7, 177, wo der gleiche Sachverhalt ebenso gewürdigt wurde).
b) Ebensowenig kann die Revision damit durchdringen, daß die Gemeindebehörden der Orte, an denen die beteiligten Innungen ihren Sitz haben, und die Handwerkskammer erst vom VA - und nicht schon von den Innungen vor ihrer Beschlußfassung - gehört wurden (vgl. § 251 Abs. 2 RVO). Das Gesetz enthält keine Vorschriften darüber, wer diese Anhörung herbeizuführen hat. Peters (Handb. d. Krankenvers., 16. Aufl. § 251 Anm.2) nimmt an, daß in erster Linie die Innungen den bezeichneten Behörden Gelegenheit zur Äußerung zu geben haben. Dafür könnte sprechen, daß die in § 252 Abs. 2 RVO vorgeschriebenen Anhörungen ausdrücklich dem VA als Aufgabe zugewiesen sind. Andererseits wäre es ungewöhnlich, wenn eine im Gesetz vorgeschriebene Anhörung von Behörden nicht durch die zur Entscheidung oder zur Vorbereitung der Entscheidung berufene Verwaltungsbehörde, sondern vom Antragsteller und Interessenten der Entscheidung eingeholt würde. Wie dem aber auch sei, so ist jedenfalls mit dem LSG davon auszugehen, daß dem Sinn des Gesetzes genügt ist, wenn die Anhörung vor der Entscheidung des OVA durchgeführt und das OVA dergestalt in den Stand versetzt ist, die Stellungnahme der vom Gesetz zur Stellungnahme berufenen Beteiligten vor seiner Entscheidung zu berücksichtigen (so im Ergebnis auch Peters aaO).
c) Daß die Handwerkskammer vom VA nicht um zwei Stellungnahmen - nämlich einmal in ihrer Eigenschaft als "Handwerkskammer" und außerdem in ihrer Eigenschaft als "Aufsichtsbehörde der Innung" (vgl. § 251 Abs. 2 RVO) - ersucht wurde und auch nur eine Stellungnahme abgegeben hat, folgt zwangsläufig daraus, daß die Handwerkskammer zugleich die Aufsichtsbehörde der Innung war. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, genügt in einem solchen Falle eine Stellungnahme der Behörde mit doppelter Funktion.
d) Die Beschlüsse der jeweiligen Innungsversammlungen sind rechtlich bedenkenfrei zustande gekommen.
An der Innungsversammlung der Schreiner-Innung haben nach den Feststellungen des LSG 46 stimmberechtigte Mitglieder teilgenommen. Bei 137 Innungsmitgliedern war damit dem in der Innungssatzung (§ 25 Abs. 2) für Beschlußfassungen aufgestellten Erfordernis genügt, daß mehr als ein Drittel der Mitglieder anwesend sein müsse. Daß die das Drittel übersteigende rechnerische Mehrheit, wie die Revision annimmt, mindestens eine volle Stimme betragen müsse, ist nicht erforderlich.
e) Auch die Bedenken der Revision gegen die Beschlußfassungen der Gesellenausschüsse sind nicht begründet. § 250 Abs. 1 Satz 1 RVO verlangt für die Errichtung einer JKK (bzw. den gleichzusetzenden Fall des Anschlusses einer Innung an eine JKK) die Zustimmung des Gesellenausschusses. In welcher Form und zu welchem Zeitpunkt der Gesellenausschuß seine Zustimmung zu erklären hat, ist im Gesetz nicht vorgeschrieben und nach dem Zweck der Vorschrift auch von untergeordneter Bedeutung. Wesentlich ist nur, daß der Gesellenausschuß vor der Entscheidung des OVA sein Einverständnis zum Anschluß der Innung an eine bestimmte JKK bekundet hat. Das haben die Gesellenausschüsse der Konditoren-Innung und der Schreiner-Innung getan. Daß die entsprechenden Beschlüsse der Innungsversammlungen erst nach den zustimmenden Erklärungen der Gesellenausschüsse gefaßt wurden, ist unerheblich.
Ebenso ist unschädlich, daß der Gesellenausschuß der Konditoren-Innung in seiner Erklärung auf einen Beschluß der Innungsversammlung vom 5. Oktober 1956 Bezug nimmt, der in Wirklichkeit erst am 22. Oktober 1956 gefaßt wurde. Dieser Irrtum in einem nebensächlichen Punkt berührt nicht den wesentlichen Inhalt der Erklärung, die unmißverständlich die Zustimmung des Gesellenausschusses zum Anschluß der Innung an die VJKK zum Ausdruck bringt.
Schließlich begegnet es in den vorliegenden Fällen auch keinen durchgreifenden Bedenken, daß bei der Beschlußfassung der Gesellenausschüsse auch Gesellen mitgewirkt haben, die nicht den Gesellenausschüssen angehört haben. Eine solche Beschlußfassung wäre, wie das LSG zutreffend ausführt, dann zu beanstanden, wenn der Beschluß nicht klar erkennen ließe, wie die allein abstimmungsberechtigten Mitglieder der Gesellenausschüsse gestimmt haben. Aus den Protokollen über die Sitzungen der Gesellenausschüsse der Konditoren-Innung und der Buchbinder- und Kartonager-Innung - in denen vermerkt ist, daß der Zustimmungsbeschluß ohne Gegenstimmen und ohne Stimmenthaltungen gefaßt wurde - ergibt sich zwingend, daß die anwesenden Mitglieder der Gesellenausschüsse mit Ja gestimmt haben. Im übrigen ist auch von der Sache her nichts dagegen einzuwenden, daß die Mitglieder der Gesellenausschüsse bei einer für die Arbeitnehmerschaft der Innungsbetriebe wichtigen Frage wie der, welcher Krankenkasse sie in Zukunft angehören soll, die Meinung anderer Gesellen erforschen, wenngleich der eigentliche Abstimmungsvorgang auf den Kreis der Abstimmungsberechtigten beschränkt bleiben sollte. Doch stellt die Ausweitung des Kreises der Abstimmenden unter den besonderen Umständen dieses Falles, die eine eindeutige Feststellung zuläßt, wie die Stimmberechtigten gestimmt haben, eine bloße Ordnungswidrigkeit dar, die vermieden werden sollte, die aber die Wirksamkeit der Zustimmungserklärung des Gesellenausschusses nicht beeinträchtigt.
f) Die Rüge der Klägerin, das OVA hätte bei Prüfung der Frage, ob ihre Leistungsfähigkeit gefährdet werde (§ 251 Abs. 1 Nr. 1 RVO), nicht nur die gegenwärtige Situation - d.h. den drohenden Verlust von 1 500 Mitgliedern bei einem Bestand von etwa 500 000 Mitgliedern, was die Klägerin offenbar selbst als nicht ins Gewicht fallend ansieht -, sondern auch die Künftige Entwicklung, die besonders "durch weitere Errichtungsanträge" bestimmt werden könnte, berücksichtigen müssen ist gleichfalls unbegründet. Mit Recht hat das LSG darauf hingewiesen, daß sichere Prognosen über die künftige Entwicklung besonders des Mitgliederstandes nicht möglich sind. Die genannte Vorschrift stellt allein darauf ab, ob durch die Errichtung der JKK - d.h. im vorliegenden Falle durch den Anschluß der beigeladenen Innungen an die VJKK - der Bestand oder die Leistungsfähigkeit der allgemeinen OKK gefährdet wird, es müßte also schon durch den Anschluß der beigeladenen Innungen an die VJKK eine bereits in der Gegenwart feststellbare Gefährdung eintreten. Da dies nach den Feststellungen des LSG nicht der Fall ist, liegt ein Verstoß gegen die Schutzvorschrift des § 251 Abs. 1 RVO nicht vor.
g) Wenn die Revision als Mangel des Genehmigungsverfahren weiterhin geltend macht, die nach § 414 h RVO vorgeschriebene Anhörung der beteiligten Kassenverbände sei unterblieben, so ist ihr in ihrem rechtlichen Ausgangspunkt beizutreten, daß diese Anhörung erforderlich war. Zu Unrecht sieht das LSG den Zweck der genannten Vorschrift allein darin, den Kassenverbänden das Recht der Anhörung zu sichern, wenn es um den Bestand einer Krankenkasse geht. Wie die Aufzählung der anhörungspflichtigen Vorgänge in § 414 h RVO zeigt - "Errichtung, Vereinigung, Auflösung oder Schließung von Mitgliedskassen" -, erfaßt diese Vorschrift alle wichtigen Veränderungen im Organisationsgefüge der Krankenkassen. Dazu gehört auch der Anschluß von Innungen an eine JKK, der, wie bereits dargelegt, nur ein Sonderfall der Errichtung einer JKK ist und deshalb auch die entsprechende Anwendung der für die Errichtung einer JKK - auf dem Regelwege - erlassenen Vorschriften erfordert (BSG 7, 174). Schon aus diesem Grunde gilt § 414 h RVO auch im Falle des Anschlusses von Innungen an eine bestehende JKK (im Ergebnis ebenso Reinholt, Krankenversicherung 1958, 198, 201). Hinzu kommt, daß gerade bei dieser Organisationsveränderung, die erfahrungsgemäß die Interessen der beteiligten Kassen und Kassenverbände stark berührt, ein Bedürfnis nach Anhörung der Kassenverbände besteht.
Diese Anhörung hat im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Sie ist auch nicht, wie das LSG hilfsweise erwogen hat, dadurch ersetzt worden, daß den als Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG anwesenden Vertretern der Verbände Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.
Die Anhörung der Kassenverbände muß vor der Entscheidung des OVA herbeigeführt werden. § 414 h RVO ist somit im vorliegenden Fall verletzt worden.
Dennoch begründet dieser Mangel des Verwaltungsverfahrens nach den besonderen Umständen dieses Falles nicht die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse. Hierbei ist wesentlich, daß - entgegen der Auffassung des LSG - die Entscheidung über die Genehmigung des Anschlusses von Innungen an eine bestehende JKK nicht im Ermessen des OVA steht, sondern daß es sich hierbei um einen streng rechtsgebundenen Verwaltungsakt handelt, wie der Senat bereits näher dargelegt hat (BSG 7, 175 f). So bedeutsam auch das Recht der beteiligten Kassenverbände ist, ihre Auffassung zu den einschlägigen Rechtsfragen des Anschlußverfahrens vorzutragen, so kann doch nicht übersehen werden, daß ein Verstoß gegen die Anhörungspflicht in einem solchen Falle weniger schwer wiegt als bei einer in das freie Ermessen der Verwaltungsbehörde gestellten Entscheidung.
Die ausschlaggebende Besonderheit dieses Falles liegt darin, daß geschäftsführende Angestellte der beteiligten Kassenverbände als Prozeßbevollmächtigte ihrer Verbandmitglieder Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt haben und daß insbesondere der Vertreter des Verbandes der OKKn von diesem Recht ausführlich Gebrauch gemacht hat. Die überhaupt in Frage kommenden Gesichtspunkte sind von dem Vertreter des Verbandes ausführlich behandelt worden. Mit Sicherheit läßt sich voraussehen, daß bei einer zum Zwecke der formgerechten Anhörung der Kassenverbände angeordneten Wiederholung des Genehmigungsverfahrens wesentliche neue Gesichtspunkte nicht zur Sprache gebracht werden könnten. In der Sache selbst, d.h. an der Entscheidung des OVA, könnte sich nichts ändern. Die Behebung des dem Verwaltungsverfahren anhaftenden Mangels - durch Wiederaufrollung des Genehmigungsverfahrens - würde nur zur Folge haben, daß ein anderes beherrschendes Grundprinzip verwaltungsbehördlicher und gerichtlicher Verfahren - daß die Beteiligten, so schnell es die Umstände nur gestatten, zu ihrem Recht kommen sollen - verletzt werden müßte; denn eine im Ergebnis schon feststehende Entscheidung würde auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Bei dieser Sachlage liefe es auf leeren Formalismus hinaus, wenn die angefochtenen Beschlüsse des OVA wegen eines Mangels des Verwaltungsverfahrens, dessen Behebung nur unter Verletzung eines anderen wichtigen Verfahrensgrundsatzes möglich wäre, aufgehoben würden. Die Klägerin kann daher auch mit dieser Rüge nicht durchdringen.
h) Schließlich hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - noch vorgetragen, das LSG habe zu Unrecht die Beiladung des Verbandes der Ortskrankenkassen unterlassen. Sollte dieses Vorbringen als Rüge eines Verfahrensmangels im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG aufzufassen sein, so könnte sie schon deshalb nicht Erfolg haben, weil sie nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vorgebracht ist.
Demnach erweist sich die Revision im vollen Umfange als unbegründet. Sie war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Fundstellen