Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen bei Abfindung der Unfallrente

 

Orientierungssatz

§ 1278 Abs 2 S 3 RVO erfaßt nicht die sogenannten kleinen Dauerrenten, die nach § 604 RVO abgefunden werden (vgl BSG vom 20.2.1980 5 RKn 3/78 = SozR 2200 § 1278 Nr 7 und BSG vom 26.10.1989 4 RLw 8/88 = SozR 5850 § 4 Nr 10).

 

Normenkette

RVO § 1278 Abs 2 S 3, § 604

 

Verfahrensgang

SG Köln (Entscheidung vom 05.06.1989; Aktenzeichen S 2 (7) J 299/88)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte dem Kläger eine 1963 abgefundene sogenannte kleine Unfallrente (§ 604 Reichsversicherungsordnung -RVO-) nach § 1278 RVO auf die Erwerbsunfähigkeitsrente anrechnen darf.

Der Kläger erhält von der Beklagten aufgrund eines am 24. Oktober 1985 eingetretenen Versicherungsfalles eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aufgrund des Bescheides der Beklagten vom 23. März 1988. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte dem Kläger gleichzeitig eine Unfallrente (Dauerrente) von 25 vH aus einem Unfall vom 13. April 1956 angerechnet, die der Kläger bis zu seiner Abfindung 1963 erhalten hatte. Die Abfindung betrug den 10,7-fachen Jahresbetrag der Rente. Der Kläger erhielt einen Kapitalwert von 6.698,20 DM (10,7 x 626,-- DM) ausgezahlt. Die Rente fiel mit dem Ende des Monats Oktober 1963 weg.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, bei der Anwendung der Ruhensbestimmung des § 1278 RVO die fiktive Unfallrente aus dem Unfall vom 13. April 1956 nicht zu berücksichtigen (Urteil vom 5. Juni 1989). Die Beklagte hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt.

Sie trägt vor:

§ 1278 Abs 2 Satz 3 RVO stelle die abgefundene einer laufenden Verletztenrente gleich. Sei eine Verletztenrente auf Lebenszeit abgefunden, so sei auch auf Lebenszeit ein Betrag in Höhe der weggefallenen monatlichen Rente bei der Ruhensbestimmung des § 1278 RVO zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, die fiktive Unfallrente aus dem Unfall vom 13. April 1956 bei der Zahlung der Erwerbsunfähigkeitsrente an den Kläger nicht zu berücksichtigen.

Daß sogenannte kleine Renten, die nach § 604 RVO abgefunden werden, durch § 1278 RVO nicht erfaßt sind, jedenfalls nicht über den Zeitraum hinaus, der der Berechnung der Abfindung zugrunde gelegen hat, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 1278 Abs 2 RVO und aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 1278 Abs 1 RVO ordnet das Ruhen einer Rente aus der Rentenversicherung insoweit an, als diese Rente zusammen mit der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestimmte Höchstbeträge überschreitet. § 1278 Abs 2 RVO läßt diese Regelung auch gelten, soweit anstelle der Verletztenrente eine Abfindung gewährt worden ist. Die Rente gilt jedoch nur für den Zeitraum als fortlaufend, für den die Abfindung bestimmt ist. Ein bestimmter "Zeitraum", für den die Rente abgefunden wird, ergibt sich bei der sogenannten "großen" Dauerrente (mit einer MdE von mehr als 30 vH) aus der gesetzlichen Unfallversicherung, bei der gemäß § 609 Abs 2 Satz 1 RVO die Abfindung auf einen Zeitraum von 10 Jahren beschränkt ist. Für kleine Dauerrenten (§ 604 RVO) gilt eine zeitliche Beschränkung nicht; sie werden auf Lebenszeit des Versicherten abgefunden. Im Hinblick hierauf ist von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bereits früher in Frage gestellt worden, ob kleine Dauerrenten von § 1278 Abs 2 Satz 3 RVO überhaupt erfaßt werden (Urteil des BSG vom 20. Februar 1980, BSGE 49, 296, 301 = SozR 2200 § 1278 Nr 7, S 14). Wäre man der gegenteiligen Auffassung, daß nämlich im Rahmen des § 1278 Abs 2 Satz 3 RVO auch abgefundene kleine Dauerrenten auf Lebenszeit des Versicherten anzurechnen sind (so Kaltenbach/Maier in: Koch/Hartmann AVG, § 55 Anm C 2.1.), würde dies ein nicht vertretbares Ergebnis nach sich ziehen. Die dem Versicherten gezahlte Abfindungssumme könnte aufgrund der unbegrenzt langen Zeitdauer, für die eine abgefundene kleine Dauerrente danach anzurechnen ist, nicht nur aufgezehrt werden. Dem Versicherten würde unter Umständen sogar ein Mehrfaches dessen angerechnet, was er einstmals an Abfindung erhalten hat. Bei den sogenannten kleinen, nicht dagegen bei den großen Dauerrenten würde also eine vom Gesetz offenbar nicht gewollte Benachteiligung eintreten (Urteil des 4. Senats vom 26. Oktober 1989 - 4 RLw 8/88 - SozR 5850 § 4 Nr 10).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650090

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