Leitsatz (amtlich)
Die Fristen für die Anmeldung des Versorgungsanspruchs (BVG §§ 56 ff - Fassung: 1950-12-20) sind materiellrechtliche Ausschlußfristen. Die Gerichte haben daher die Frage, ob diese Fristen eingehalten sind, auch dann zu prüfen, wenn sich die Versorgungsbehörde nicht auf den Ablauf dieser Fristen beruft.
Leitsatz (redaktionell)
1. Wenn der Beklagte dem Kläger die Versorgung nicht unter Berufung auf den Ablauf der Anmeldefrist versagt, sondern sich auf das Fehlen anderer Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs gestützt hat, dann müssen die Gerichte dennoch von Amts wegen prüfen, ob die Anmeldefrist nach BVG §§ 56 ff - Fassung: 1950-12-20- gewahrt ist.
2. Die Anmeldefrist ist eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist, nicht lediglich eine Verjährungsfrist. Dies bedeutet, daß die Innehaltung der Anmeldefrist ein Tatbestandsmerkmal des Versorgungsanspruchs ist; die Verwaltung und im Streitfalle die Gerichte haben zu untersuchen, ob sämtliche Tatbestandsmerkmale des erhobenen Versorgungsanspruchs vorliegen.
3. Die Vorschrift über den Ablauf der Anmeldefrist ist jedenfalls auf die Fälle uneingeschränkt anzuwenden, in denen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht eindeutig feststehen.
Normenkette
BVG § 56 Fassung: 1950-12-20, § 57 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 12. Februar 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger wurde am 28. März 1939 zur militärischen Musterung nach S befohlen. Auf dem Heimweg suchte er zunächst eine Gastwirtschaft auf und trank dort Alkohol; er eilte sodann zum Bahnhof und sprang dort entgegen der Fahrtrichtung auf den bereits anfahrenden Zug, rutschte ab und wurde überfahren; das rechte Bein und ein Teil des linken Fußes mußten amputiert werden. Der Kläger beantragte am 5. Juni 1939 die Gewährung von Fürsorge und Versorgung. Das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsamt ( WFVA ) U lehnte den Antrag durch Bescheid vom 3. Juli 1939 ab, weil nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz vom 26. August 1938 (WFVG) - § 68 und den Durchführungsbestimmungen zu diesem Gesetz vom 29. September 1938 (DB zum WFVG) Buchst. b bis f. - Körperschäden, die auf dem Wege zum Bestimmungsort (für die Musterung) oder auf dem Heimweg eingetreten seien, nicht als Wehrdienstbeschädigung gelten und weil der Kläger den Unfall durch grobfahrlässiges Verhalten selbst verschuldet habe. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig. Auf einen erneuten Antrag des Klägers vom 11. November 1939 teilte ihm das WFVA U am 18. November 1939 mit, es müsse bei dem rechtskräftigen Bescheid vom 3. Juli 1939 verbleiben, er habe keine neuen Tatsachen und Beweismittel vorgebracht. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde bei dem Wehrkreiskommando V ein. Das Wehrkreiskommando V - Wehrkreisfürsorge- und Versorgungsabteilung teilte dem Kläger am 13. Dezember 1939 mit, eine Beschwerde gegen das Schreiben des WFVA vom 18. November 1939 sei nicht statthaft. Auf ein Schreiben, das der Kläger am 6. Februar 1940 an den Reichs- und Preußischen Arbeitsminister in Berlin richtete, teilte ihm das Wehrkreiskommando V am 26. Februar 1940 mit, für den Unfall könne Wehrdienstbeschädigung nicht anerkannt und demnach Fürsorge und Versorgung nicht - auch nicht im Wege des Härteausgleichs - gewährt werden. Am 20. September 1941 stellte der Kläger einen erneuten Antrag auf Fürsorge und Versorgung bei dem WFVA U. Diesen Antrag beantwortete das WFVA durch Schreiben vom 24. September 1941 und vom 10. Oktober 1941 dahin, daß über die Angelegenheit bereits am 13. Dezember 1939 abschließend entschieden worden sei, der Antrag keine neuen Tatsachen und Beweismittel enthalte und daher sachlich nicht mehr erörtert werden könne. Am 21. Mai 1943 erklärte das WFVA nochmals, dem Kläger könne keine Versorgung gewährt werden. Auf die erneuten Anträge des Klägers vom 9. März 1946 und vom 5. Juli 1946 erklärte das Kriegsversehrtenfürsorgeamt F in dem als "endgültig" bezeichneten Bescheid vom 31. Mai 1947, es müsse bei der ablehnenden Entscheidung des WFVA Ulm verbleiben. Nach Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) stellte der Kläger am 9. August 1951 abermals einen Antrag auf Versorgung. Den Antrag lehnte das Versorgungsamt R durch Bescheid vom 27. August 1951 ab. In dem Bescheid heißt es, die Angelegenheit sei dem Bundesminister für Arbeit zur Entscheidung zugeleitet worden, dieser habe erklärt, das BVG lasse eine günstigere Entscheidung nicht zu. Der Kläger legte Berufung bei dem Versorgungsgericht F ein; die Berufung ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Konstanz über. Das SG. hob durch Urteil vom 11. März 1957 den Bescheid vom 27. August 1951 auf und verurteilte den Beklagten, dem Kläger ab 1. August 1951 Versorgung nach dem BVG zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg durch Urteil vom 12. Februar 1958 das Urteil des SG. Konstanz vom 11. März 1957 auf und wies die Klage ab: Zwar gelte nach dem BVG der Heimweg von der Musterung grundsätzlich als militärähnlicher Dienst; dieser Dienst sei jedoch für die Gesundheitsstörungen des Klägers nicht verantwortlich; der Kläger habe durch übermäßigen Alkoholgenuß und grob verkehrswidriges Verhalten den Unfall herbeigeführt, er habe durch eigenes Handeln einen neuen selbständigen Gefahrenbereich geschaffen; nach dem Untersuchungsergebnis des Pathologischen Instituts der Universität F seien im Blut des Klägers 1,71 bzw. 1,74 0 / 00 Alkohol nachgewiesen worden; der Kläger habe deshalb erschwerte Verkehrssituationen nicht mehr meistern können; andererseits sei er für sein Tun voll verantwortlich. Die Revision ließ das LSG. zu.
Das Urteil wurde dem Kläger am 5. Mai 1958 zugestellt. Am 14. Mai 1958 legte er Revision ein und beantragte,
unter Aufhebung des Urteils des LSG. Baden-Württemberg vom 12. Februar 1958 die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. Konstanz vom 11. März 1957 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Am 11. Juni 1958 begründete er die Revision: Das LSG. habe die §§ 1, 3 Abs. 1 Buchst. a BVG und §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt, es habe den Versorgungsanspruch zu Unrecht verneint; das LSG. habe sich zur Begründung seiner Feststellung, der Kläger habe bei dem Unfall unter Alkoholeinfluß gestanden, nicht allein auf das Untersuchungsergebnis des Pathologischen Instituts der Universität F stützen dürfen; es habe vielmehr die Zeugen K und Sch, die der Kläger benannt habe, hören müssen; es wäre dann zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger durch die geringe Alkoholmenge nach Einnahme eines Mittagessens weder Störungen der Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit noch Gleichgewichtsstörungen gezeigt habe und daß von einer allgemeinen Enthemmung durch diesen Alkoholgenuß keine Rede habe sein können; im übrigen bestehe jedenfalls ein Versorgungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Buchst. a BVG; es sei damals üblich gewesen, nach Musterungen Alkohol zu genießen, der Kläger habe sich dem nicht entziehen können; der ursächliche Zusammenhang zwischen der Musterung und den Gesundheitsstörungen sei unter diesen Umständen nicht unterbrochen worden.
Der Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Der Kläger hat die Revision auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet. Die Revision ist daher zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Der Kläger stützt den Versorgungsanspruch auf den Unfall, den er am 28. März 1939 auf dem Heimweg von der Musterung erlitten hat, er macht danach einen Anspruch geltend, der auf einer Schädigung beruht, die vor dem 1. September 1939 eingetreten ist. Nach § 56 Abs. 1 BVG muß der Beschädigte seine Versorgungsansprüche zur Vermeidung des Ausschlusses binnen zwei Jahren anmelden. Die Frist beginnt nach § 56 Abs. 2 BVG mit dem auf das schädigende Ereignis folgenden Tage, jedoch nicht vor Beendigung des Wehrdienstes, des Reichsarbeitsdienstes, der Kriegsgefangenschaft oder der Internierung; lediglich soweit der Anspruch auf eine Schädigung gestützt wird, die während einer nach dem 31. August 1939 beendeten Dienstleistung oder ohne eine solche nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist, beginnt die Frist frühestens mit dem Inkrafttreten des BVG. Aus § 57 Abs. 2 BVG (vgl. auch § 58 Abs. 2 und § 59 Abs. 2 BVG) ist zu entnehmen, daß für Ansprüche, die auf Schädigungen gestützt werden, die vor dem 1. September 1939 eingetreten sind, die Anmeldefrist des § 56 BVG bei Inkrafttreten des BVG bereits abgelaufen gewesen ist; die Anmeldung solcher Ansprüche ist daher nach dem BVG grundsätzlich nicht mehr zulässig (vgl. BSG. 8 S. 125 (129, 130); Sladek in BVBl. 1955 S. 28; Wilke in BVBl 1955 S. 109; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Teil VI S. 13/14). Eine Ausnahme gilt nur für die Gesundheitsstörungen, die auf einen vor dem Inkrafttreten des BVG gestellten Antrag als Folge einer Schädigung anerkannt worden sind oder mit einer anerkannten Gesundheitsstörung ursächlich zusammenhängen (§ 57 Abs. 2 BVG, 2. Halbsatz). Der Kläger hat zwar bereits im Juni 1939, also vor dem Inkrafttreten des BVG, einen Versorgungsantrag gestellt; auf diesen Antrag ist aber seine Gesundheitsstörung nicht als Schädigungsfolge anerkannt worden, der Antrag, dem Kläger Versorgung wegen der Folgen des Unfalls vom März 1939 zu gewähren, ist vielmehr wiederholt abgelehnt worden. Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 BVG, unter denen der Anspruch nach dem BVG noch hätte geltend gemacht werden können, liegen somit nicht vor. Es ist dabei unerheblich, ob dem Kläger die Anerkennung seiner Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge im Sinne der früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften aus rechtlichen oder aus tatsächlichen Gründen versagt geblieben ist. Es ist deshalb auch nicht von Bedeutung, daß die Gesundheitsstörung des Klägers bisher nicht als Schädigungsfolge anerkannt worden ist, weil nach dem - hier in Betracht kommenden - früheren Versorgungsrecht (vgl. § 68 Buchst. b WFVG in Verbindung mit den DB zum WFVG zu § 68 Buchst. b - f, die im früheren Lande Baden bis zum Inkrafttreten des BVG gegolten haben) der Weg zur militärischen Musterungsstelle und der Heimweg von dem versorgungsrechtlichen Schutz ausgenommen gewesen sind, während nach dem BVG jedenfalls keine ausdrücklichen Rechtsvorschriften bestehen, die den versorgungsrechtlichen Schutz beim "Erscheinen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit" einschränken (§ 3 Abs. 1 Buchst. a BVG), und daß daher die Rechtslage insoweit nach dem BVG in bezug auf den Anspruch des Klägers möglicherweise anders zu beurteilen ist als nach dem früheren Recht. Das BVG läßt in den §§ 57 Abs. 2, 58 Abs. 2, 59 Abs. 2 BVG eindeutig erkennen, daß es die Versorgung wegen Schädigungen, die vor dem 1. September 1939 eingetreten sind, nur dann gewähren oder fortsetzen will, wenn bereits eine frühere Feststellung der Schädigungsfolgen (Anerkennung) vorgelegen hat (vgl. auch Entwurf des BVG nebst Begründung, Bundestagsdrucksache Nr. 1333 vom 12.9.1950 S. 63); es läßt nicht zu, daß Schädigungsfolgen aus dieser Zeit noch erstmalig festgestellt werden.
Der Beklagte hat sich zwar nicht, jedenfalls nicht im Verwaltungsverfahren und in den gerichtlichen Tatsacheninstanzen, darauf berufen, daß der Kläger den Versorgungsanspruch nach § 57 Abs. 2 BVG nicht mehr geltend machen kann, er hat dem Kläger die Gewährung von Versorgung versagt, weil nach seiner Meinung andere Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs nicht gegeben seien. Hierauf kommt es jedoch nicht an, vielmehr hat das Gericht die Frage, ob die Anmeldefristen der §§ 56 ff. BVG gewahrt sind, in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen.
Die Fristen der §§ 56 ff. BVG sind materiell-rechtliche Ausschlußfristen, nicht lediglich Verjährungsfristen (LSG. Hamburg, Urteil vom 4.4.1956, Breithaupt 1956 S. 961; LSG. Hamburg, Urteil vom 6.8.1958, Breithaupt 1958 S. 947; LSG. Berlin, Urteil vom 1.11.1955, SGb. 1956 S. 173; LSG. Bremen, Urteil vom 2.12.1954, BVBl 1955 S. 47; Haueisen, NJW. 1957 S. 729; Schönleiter, Kommentar zum BVG, § 56 Anm. 3; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Anm. zu den §§ 56 bis 59 BVG; Rohr in Schieren-Grömig, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, § 56 Anm. 2; Schieckel, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, § 56 Anm. 3; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Teil VI S. 11; Sladek, BVBl. 1955 S. 28; Wilke, SGb. 1956 S. 173; Steffens, KOV 1954 S. 120; Pickel, Die Praxis, 1956 S. 248; Bericht über eine versorgungsrechtliche Arbeitstagung, KOV, 1955 S. 13). Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ("zur Vermeidung des Ausschlusses muß der Beschädigte anmelden"), aber auch die amtliche Begründung des Entwurfs zu den §§ 56 bis 59 BVG geht ersichtlich hiervon aus. Obwohl es sich um materiell-rechtliche Ausschlußfristen handelt, wird teilweise die Ansicht vertreten, der Ablauf der Fristen sei von den Gerichten nur zu berücksichtigen, wenn sich die Verwaltung darauf beruft (LSG. Hamburg, Urteil vom 4.4.1956, Breithaupt 1956 S. 961; LSG. Bremen, Urteil vom 2.12.1954, BVBl. 1955 S. 47; LSG. Berlin, Urteil vom 1.11.1955, SGb. 1956 S. 173; Thannheiser-Wende-Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Anm. zu den §§ 56 bis 59 BVG; Schieckel, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, § 56 Anm. 3). Dem kann nicht gefolgt werden. Zwar hat das Reichsversorgungsgericht (RVGer.) - zu § 52 RVG, der dem § 56 BVG in seinem Wortlaut entspricht - die Ansicht vertreten, es handele sich "zwar um eine materielle Ausschlußfrist, aber nicht in dem strengen Sinn, daß ihre Nichtinnehaltung von Amts wegen geprüft und gerügt werden müßte und daß auf das aus ihrem Ablauf erwachsende Recht der Ablehnung des Anspruchs etwa nicht verzichtet werden dürfte". Bei der sozialen Natur der Versorgungsgesetzgebung sei vielmehr davon auszugehen, "daß ein öffentliches Interesse an der Beobachtung der Frist nicht besteht, daß daher die Innehaltung der Frist nicht von Amts wegen zu prüfen ist und daß andererseits der Reichsfiskus befugt ist, auf die Innehaltung der Frist bzw. auf das aus der Nichtinnehaltung erwachsende Ablehnungsrecht zu verzichten" (RVGer. 3 S. 106; ebenso: Arendts, Komm. zum RVG, 2. Aufl., Vorbem. zu §§ 52 ff.). Das RVGer. hat sich auf die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) zur gesetzlichen Unfallversicherung gestützt. Ein Vergleich mit der Unfallversicherung ist auch geboten, denn in § 1546 RVO wie auch in den früheren Unfallversicherungsgesetzen (z. B. § 59 des Unfallversicherungsgesetzes vom 6.7.1884, § 72 des Gewerbeunfallversicherungsgesetzes vom 30.6.1900) sind ebenfalls die Worte "Vermeidung des Ausschlusses" enthalten. Das RVA. hat ausgeführt, es handele sich zwar nicht um Verjährungsvorschriften, sondern um Ausschlußfristen, dennoch habe das RVA. "zwar die aus diesem rechtlichen Charakter sich nach allgemeinen Grundsätzen ergebenden Folgerungen nicht in aller Strenge gezogen, indem es die Auffassung vertreten hat, daß ein öffentliches Interesse an der Beobachtung der gedachten Vorschrift nicht bestehe und deswegen weder die Innehaltung der Frist von Amts wegen zu prüfen noch auch ein Verzicht auf das aus ihrem Ablauf der Berufsgenossenschaft erwachsende Recht der Anspruchsablehnung unzulässig sei. Zu einer Verjährungsvorschrift hat es dadurch jedoch die Bestimmung weder machen wollen noch machen können" (AN. 1905 S. 272 Nr. 2091; ähnlich AN. 1891 S. 150 Nr. 937, AN. 1913 S. 546 Nr. 2633, AN. 1928 S. IV 330). Diese Auslegung des RVGer. und des RVA. steht jedoch im Widerspruch zu der Rechtsnatur einer materiell-rechtlichen Ausschlußfrist. Es gibt keine Ausschlußfristen im strengen Sinne und im weniger strengen Sinne. Eine Ausschlußfrist hat zur Folge, daß eine Rechtshandlung wirksam nur innerhalb der Frist vorgenommen werden kann, daß also derjenige, der einen Anspruch nicht innerhalb der Frist geltend macht, den Anspruch verliert. Für den Anspruch auf Versorgung nach dem BVG bedeutet dies, daß die Innehaltung der Anmeldefristen der §§ 56 ff. BVG - ebenso wie die Antragstellung überhaupt (BSG. 2 S. 289) - ein Tatbestandsmerkmal des Versorgungsanspruchs ist. Die Verwaltung, die an das Gesetz gebunden ist, kann grundsätzlich nicht nach ihrem Ermessen auf die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals verzichten. Ebenso haben die Gerichte im Streitfalle zu untersuchen, ob sämtliche Tatbestandsmerkmale des erhobenen Anspruchs vorliegen. Die Gerichte haben daher die Frage, ob eine materiell-rechtliche Ausschlußfrist eingehalten ist, auch dann zu prüfen, wenn sich der Beklagte nicht auf den Ablauf der Frist beruft (für gesetzliche Ausschlußfristen im allgemeinen: Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil des Bürgerlichen Rechts, 14. Aufl., S. 995; für die §§ 56 ff. BVG im besonderen: Schönleiter, Kommentar zum BVG, § 56 Anm. 3; van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen, Teil VI S. 11; Rohr in Schieren-Grömig, Kommentar zum BVG, § 56 Anm. 2; Sladek, BVBl. 1955 S. 28; Steffens, KOV 1954 S. 120; Pickel, Die Praxis, 1956 S. 248; Wilke, SGb 1956 S. 173; Bericht über eine versorgungsrechtliche Arbeitstagung, KOV 1955 S. 13). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift über die Anmeldefrist richtig angewandt ist, wenn angenommen wird, ein Versorgungsanspruch sei auch dann zu versagen, wenn - abgesehen von der Wahrung der Anmeldefrist - alle übrigen Voraussetzungen des Anspruchs eindeutig erfüllt sind, die sachliche Berechtigung des verspätet geltend gemachten Anspruchs mithin unzweifelhaft ist (vgl. hierzu Urteil des BSG. vom 23.6.1959 - 2 RU 21/54 -; Vorlagebeschluß des BSG. vom 26.11.1959 - 8 RV 869/57; Haueisen, NJW 1957 S. 729), die Vorschrift über die Anmeldefristen ist jedenfalls auf die Fälle uneingeschränkt anzuwenden, in denen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen nicht eindeutig feststehen. Im vorliegenden Fall stehen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen schon deshalb nicht eindeutig fest, weil streitig und zweifelhaft ist, ob der Versorgungsanspruch dadurch entfällt, daß der Kläger zur Zeit des Unfalles unter erheblicher Alkoholeinwirkung gestanden hat und der Unfall deshalb dem militärähnlichen Dienst nicht zuzurechnen ist (vgl. hierzu BSG. 10 S. 46). Der Versorgungsanspruch des Klägers ist deshalb nach den §§ 56, 57 BVG ausgeschlossen.
Dem steht auch § 85 Satz 2 BVG nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift haben vor Inkrafttreten des BVG eingetretene Gesundheitsstörungen innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des BVG noch angemeldet werden können, wenn der ursächliche Zusammenhang dieser Gesundheitsstörungen mit einem schädigenden Vorgang durch eine Entscheidung verneint worden ist, die auf Grund des § 3 der Verordnung über das Versorgungswesen vom 2. September 1939 - RGBl. I S. 1686 - oder des § 4 der Verordnung über das Wehrmachtfürsorge- und Versorgungswesen vom 7. September 1939 - RGBl. I S. 1699 - im Spruchverfahren nicht hat angefochten werden können. Die Voraussetzungen des § 85 Satz 2 BVG liegen hier nicht vor. Der Bescheid des WFVA Ulm vom 3. Juli 1939, durch den der Antrag des Klägers erstmalig abgelehnt worden ist, hat noch angefochten werden können, denn er ist vor Inkrafttreten der in § 85 Satz 2 BVG genannten Vorschriften erteilt worden; der Kläger hat ihn aber nicht angefochten. Im übrigen stützt sich keine der Entscheidungen, mit denen das Versorgungsbegehren des Klägers vor Inkrafttreten des BVG abgelehnt worden ist, darauf, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand nicht bestehe. Durch den Bescheid des WFVA Ulm vom 3. Juli 1939 ist - ebenso wie in der Mitteilung des Wehrkreiskommandos V - Wehrkreisfürsorge- und Versorgungsabteilung - vom 26. Februar 1940 - der Versorgungsantrag des Klägers abgelehnt worden, weil nach dem DB zu § 68 WFVG Nr. 6 b bis f Körperschäden, die auf dem Wege zum Bestimmungsort oder auf dem Heimwege entstanden sind, nicht als Wehrdienstbeschädigung gegolten haben. Dies bedeutet, daß der Heimweg, auf dem der Kläger verunglückt ist, überhaupt nicht als versorgungsrechtlich geschützt angesehen worden ist; der Antrag ist nicht deshalb abgelehnt worden, weil ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Gesundheitsstörungen und dem Heimweg nicht vorliegt; dem steht nicht entgegen, daß das WFVA in dem Bescheid vom 3. Juli 1939 nebenbei noch angeführt hat, der Kläger habe den Unfall durch grobfahrlässiges Verhalten selbst verschuldet. In den an den Kläger gerichteten Mitteilungen des WFVA vom 18. November 1939, des Wehrkreiskommandos V vom 13. Dezember 1939, des WFVA vom 24. September und 10. Oktober 1941 ist nicht die Sach- und Rechtslage erneut geprüft, sondern es ist auf die frühere rechtskräftige Ablehnung verwiesen worden. Es hat sich bei diesen Mitteilungen nicht um Verwaltungsakte - und damit auch nicht um "Entscheidungen" im Sinne des § 85 Satz 2 BVG - gehandelt, die - wie der Senat in dem Urteil vom 13. Oktober 1959 - 11/8 RV 49/57 - ausgeführt hat - an sich hätten angefochten werden können; die Anfechtungsmöglichkeit ist ihnen somit nicht erst durch die in § 85 Satz 2 BVG erwähnten Vorschriften genommen worden. Außerdem ist auch in diesen Mitteilungen nicht der "ursächliche Zusammenhang" zwischen den Gesundheitsstörungen des Klägers und einem versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand verneint worden. Eine Entscheidung im Sinne des § 85 Satz 2 BVG ist auch nicht in dem Schreiben des WFVA U vom 21. Mai 1943 enthalten, in welchem ausgeführt ist, daß der Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Februar 1943, wonach auch Unfälle auf dem Wege zum Bestimmungsort oder zurück als Wehrdienstbeschädigung anzusehen sind, keine Anwendung finde, da der Unfall des Klägers nicht während des Krieges eingetreten sei. In dem Bescheid vom 31. Mai 1947, der als "endgültig" bezeichnet ist, hat das Kriegsversehrtenfürsorgeamt Freiburg ebenfalls nicht geprüft und verneint, daß die Körperschäden des Klägers mit wehrdienstlichen Einflüssen in ursächlichem Zusammenhang stehen. In diesem Bescheid heißt es vielmehr, es könne eine Versorgung für den Körperschaden auf dem Wege zur Musterung bestimmungsgemäß nicht gewährt werden, der Bescheid des ehemaligen WFVA bleibe weiterhin in Kraft. Auch damit ist lediglich auf die frühere Ablehnung des Versorgungsantrags verwiesen, allenfalls ist damit erneut entschieden, daß der Heimweg nicht versorgungsrechtlich geschützt sei; eine Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs hat jedenfalls nicht stattgefunden. § 85 Satz 2 BVG ist sonach nicht anwendbar.
Der Kläger hat demnach seinen Körperschaden nach Inkrafttreten des BVG nicht mehr anmelden können, er hat deshalb keinen Anspruch auf Versorgung nach dem BVG. Da das LSG. die §§ 56, 57 BVG nicht angewandt hat, hat es das Gesetz verletzt; im Ergebnis ist das angefochtene Urteil jedoch richtig, die Revision ist daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen