Leitsatz (amtlich)
Eine Versicherte hat keinen Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach AVG § 25 Abs 3, wenn und solange sie gegen Entgelt beschäftigt oder sonst erwerbstätig ist, auch wenn ihre Beschäftigung oder Tätigkeit nicht rentenversicherungspflichtig ist. Eine Beschäftigung oder Tätigkeit, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht (vergleiche AVG § 25 Abs 2 S 4) bleibt hierbei außer Betracht.
Normenkette
AVG § 25 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 S. 4 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 S. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 8. November 1961 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 2. Februar 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) auch dann besteht, wenn die Versicherte nach der Antragstellung ihre bisherige Tätigkeit fortsetzt, diese aber wegen der Höhe des Einkommens nicht mehr angestelltenversicherungspflichtig ist.
Die im Juli 1899 geborene Klägerin ist Hebamme mit Niederlassungserlaubnis. Im August 1960 beantragte sie die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 3 AVG. Hierbei gab sie an, daß sie weiterhin als Hebamme tätig bleibe, aber seit dem 31. Dezember 1959 keine Beiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichte, weil sie inzwischen die Jahresarbeitsverdienst-Grenze (JAV-Grenze) von 15.000,- DM überschritten habe. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil § 25 Abs. 3 AVG voraussetze, daß die Klägerin ihre Tätigkeit als Hebamme aufgebe (Bescheid vom 11. November 1960). Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab. Das Landessozialgericht (LSG) hob - unter Zulassung der Revision - das erstinstanzliche Urteil auf und entschied im Sinne der Klägerin.
Das LSG ist der Ansicht, daß alle Voraussetzungen zur Anwendung des § 25 Abs. 3 AVG erfüllt seien. Der Rentenanspruch der Klägerin scheitere auch nicht daran, daß sie weiterhin als Hebamme mit Niederlassungserlaubnis tätig sei. Diese Tätigkeit sei zwar an sich geeignet, eine Versicherungspflicht zu begründen; es müßten aber auch die persönlichen Voraussetzungen einer Versicherungspflicht erfüllt sein. Gerade daran aber fehle es bei der Klägerin, weil sie die JAV-Grenze überschreite und deshalb versicherungsfrei sei.
Die Beklagte legte Revision ein mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Sie rügte die rechtsirrige Auslegung des § 25 Abs. 3 AVG. Eine Versicherte, die wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei sei, habe nur dann einen Anspruch nach § 25 Abs. 3 AVG, wenn sie aus dem Erwerbsleben ausscheide.
Die Klägerin beantragte die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig und auch begründet.
Nach dem Wortlaut des § 25 Abs. 3 Satz 1 AVG scheint der Anspruch der Klägerin auf vorzeitiges Altersruhegeld begründet zu sein; denn sie hat das 60. Lebensjahr vollendet, war während der letzten 20 Jahre überwiegend rentenversicherungspflichtig tätig und ihre weitere Erwerbstätigkeit unterliegt nicht mehr der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung. Der Wortlaut des Gesetzes gibt aber, wie das Bundessozialgericht (BSG) schon mehrfach entschieden hat, seinen Sinn nicht vollständig und nicht richtig wieder. Das ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift und dem Zusammenhang, in dem sie steht.
§ 25 Abs. 3 AVG gewährt weiblichen Versicherten das vorzeitige Altersruhegeld bei Vollendung des 60. Lebensjahres im Gegensatz zu dem vorausgehenden Abs. 2 auch dann, wenn sie nicht arbeitslos sind. Diese Vergünstigung ist aber davon abhängig, daß zwei besondere Voraussetzungen erfüllt sind, und gerade diese Voraussetzungen gibt der Wortlaut des § 25 Abs. 3 Satz 1 AVG nur unvollkommen und zum Teil irreführend wieder.
Die Versicherte muß - dies ist die eine dieser beiden Voraussetzungen - in den letzten 20 Jahren in einer besonders engen Verbindung zur Rentenversicherung gestanden haben, und zwar auf Grund der Versicherungspflicht. Für diese enge Beziehung genügt es aber nicht, daß die Beschäftigung oder Tätigkeit als solche der Versicherungspflicht unterlag; vielmehr müssen dafür auch Versicherungsbeiträge entrichtet worden sein oder als entrichtet gelten. Dies hat das BSG aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift gefolgert (vgl. BSG 16, 284; 17, 110; 20, 231 sowie SozR § 1248 RVO Nr. 14, 24 und 30).
Die andere Voraussetzung besteht darin, daß die Versicherte "eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt". Ihr Sinn und Zweck ist darin zu sehen, daß der durch Beruf und Haushalt doppelt belasteten Frau - der verheirateten ebenso wie der unverheirateten - ein Ausgleich für die vorzeitige Abnützung ihrer Kräfte ermöglicht werden soll, auch wenn die Voraussetzungen für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit noch nicht vorliegen. Das vorzeitige Altersruhegeld für weibliche Versicherte soll das Arbeits- oder Erwerbseinkommen der bis dahin berufstätigen Versicherten ersetzen, aber nicht als weitere Einnahme zu diesem hinzutreten. Der Vorschrift des § 25 Abs. 3 AVG ist deshalb nicht schon dann genügt, wenn die Versicherte zwar aus der Rentenversicherung ausscheidet, aber weiterhin gegen Entgelt beschäftigt oder erwerbstätig bleibt, es sei denn, es handelt sich nur um eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 3 AVG. Dem Gesetzgeber lag es fern, durch die getroffene Regelung eine besondere Art von "Doppelverdienern" zu schaffen. Wenn das Gesetz verlangt, daß die Versicherte eine "solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt", so ist daher - trotz der Verknüpfung mit den unmittelbar vorausgegangenen Worten "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" - hierunter nicht nur eine nach Bundesrecht der Art nach versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine - etwa durch zwischenstaatliche Verträge - gleichgestellte Beschäftigung oder Tätigkeit zu verstehen (BSG, Urt. vom 4. Februar 1964 - 11/1 RA 66/63 - SozR § 1248 RVO Nr. 32), sondern jede über eine gelegentliche Aushilfe hinausgehende Beschäftigung gegen Entgelt oder Erwerbstätigkeit. Insoweit folgt der Senat der Entscheidung des 12. Senats vom 23. Juni 1964 - 12 RJ 404/63 (BSG 21, 137 = SozR § 1248 RVO Nr. 27). Die Richtigkeit dieser Auffassung sieht der Senat auch bestätigt in der Neufassung des § 25 Abs. 3 AVG durch das vom Bundestag und Bundesrat beschlossene, wenn auch bis jetzt noch nicht verkündete "Gesetz zur Beseitigung von Härten in den gesetzlichen Rentenversicherungen (Rentenversicherungs-Änderungsgesetz)". Hiernach wird die maßgebende Vorschrift künftig lauten: "... ausgeübt hat und eine Beschäftigung gegen Entgelt oder Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt." (vgl. Bundestags-DR. IV 3233).
Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 AVG haben auch vor dem Inkrafttreten der Neufassung versicherte Frauen nur, wenn und solange sie weder eine Beschäftigung gegen Entgelt noch eine Erwerbstätigkeit ausüben, gleichgültig ob die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit versicherungspflichtig ist oder nicht. Nur wenn die Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit so geringfügig ist, daß sie auch den Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld wegen Arbeitslosigkeit nicht berührte (§ 25 Abs. 2 Satz 3 AVG), steht sie dem sozialpolitischen Zweck des vorzeitigen Altersruhegeldes für Frauen und damit auch dem Anspruch darauf nicht entgegen.
Da die Klägerin nach den Feststellungen des LSG weiterhin erwerbstätig ist, und zwar in solchem Umfang, daß ihr Einkommen aus dieser Tätigkeit die für die Versicherungspflicht maßgebende Verdienstgrenze übersteigt, hat sie keinen Anspruch auf vorzeitiges Altersruhegeld.
Das Urteil des LSG ist somit aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen