Orientierungssatz
Sowohl nach dem Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 1940-06-06 (HeeresVO Bl 1940 Teil II S 207 Nr 351) als auch nach der späteren HDV 182 vom 1943-10-24 traten die DRK-Schwestern während ihres Dienstes im Rahmen der freiwilligen Krankenpflege in kein arbeitsrechtliches Verhältnis zur Wehrmacht, sondern blieben Angehörige der Mutterhäuser.
Normenkette
HDV 182; RVO § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09, § 541 Nr. 4 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. April 1962 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin beansprucht Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) für die Folgen eines Unfalls, der ihr im Vereinskrankenhaus des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in S./Mark im Jahre 1942 zugestoßen ist.
Aus dem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Berlin ergeben sich u. a. folgende tatsächliche Feststellungen: Die am 3. August 1896 geborene Klägerin war Berufsschwester im Verband des DRK und gehörte seit 1933 zunächst als Lernschwester, dann als Vollschwester der Schwesternschaft O. des DRK in Frankfurt/Oder an. Diese Schwesternschaft war Mitglied der Beklagten. Das DRK unterhielt in S./Mark ein Vereinskrankenhaus. Diesem wurde die Klägerin 1936 nach Abschluß ihrer Berufsausbildung vom Mutterhaus überwiesen und wohnte auch im Krankenhaus. Vom Juli 1941 an wurde ein Teil dieses Krankenhauses als Reservelazarett der Wehrmacht verwendet. Der bisherige leitende Arzt des Krankenhauses wurde Chefarzt des Lazaretts. Die nicht von der Wehrmacht in Anspruch genommene Krankenhausabteilung wurde von einem anderen Arzt als stellvertretendem Chefarzt weiter betreut.
Die Klägerin, die im Lazaretteil des Krankenhauses tätig war, zog sich beim Öffnen einer Ampulle eine Rißverletzung am Mittelfinger der linken Hand zu. Am 25. September 1942 stellte sie fest, daß der Mittelfinger der linken Hand geschwollen war. Sie wurde durch einen Unterarzt im Reservelazarett behandelt, der am 29. September 1942 eine Inzision vornahm. Im Oktober 1942 wurde die Klägerin wegen einer Darmerkrankung in das Städt. Krankenhaus nach Küstrin verlegt. Dort wurde der Finger am 22. Oktober 1942 erneut inzisiert und am 26. Oktober 1942 amputiert. Eine Unfallanzeige wurde von der Schwesternschaft O. erst am 17. August 1943 erstattet. Den Krankheitsbericht und das erste Rentengutachten erstattete der ärztliche Direktor des DRK-Krankenhauses S.. Die Rechnungen für die Behandlung der Klägerin in S. und in Küstrin sowie für den Krankentransport nach Küstrin wurden vom DRK bezahlt.
Die Beklagte gewährte durch Bescheid vom 25. Juni 1944 der Klägerin für die Folgen des am 25. September 1942 bei der Beschäftigung im Betriebe der DRK-Schwesternschaft O. erlittenen Unfalls Entschädigung in gestaffelter Höhe, vom 1. März 1943 an bis auf weiteres eine Rente von 30 v. H. der Vollrente. Diese Rente wurde an das Mutterhaus in Frankfurt/Oder gezahlt.
Im September 1952 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt (VersorgA) Berlin Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das VersorgA durch Bescheid vom 19. Januar 1955 mit der Begründung ab, der Zivildienst in einem Wehrmachtslazarett gelte nicht als militärischer oder militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 Abs. 2 BVG. Der Unfall sei auch nicht durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung hervorgerufen. Dieser Bescheid wurde bindend.
Am 18. August 1955 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr die von der Beklagten festgestellte Rente wieder zu gewähren. Die Beklagte zog ein ärztliches Gutachten vom 2. September 1955 (Dr. von B, Chefarzt am Krankenhaus Neukölln) bei, in dem die durch den Verlust des Mittelfingers und Beuge- und Streckbehinderungen des 5. Fingers verursachte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. geschätzt wird.
Durch Bescheid vom 20. August 1959 lehnte die Beklagte den Anspruch auf Wiedergewährung der Entschädigung aus Anlaß des Unfalls vom 25. September 1942 im Reservelazarett S./Mark mit folgender Begründung ab: Es handele sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO), sondern um ein nach dem BVG zu entschädigendes Versorgungsleiden. Der Unfall sei eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 1 BVG. Nach § 3 Abs. 1 Buchst. f BVG gelte der Dienst des Personals der freiwilligen Krankenpflege bei der Wehrmacht als militärischer Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1 BVG. Nach § 54 BVG bestehe allein der Anspruch nach dem BVG, da die Schädigung in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 eingetreten sei.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Berlin erhoben und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG beantragt, den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung einer Dauerrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente vom 18. August 1951 an zu verurteilen. Das SG hat die Beklagte durch Urteil vom 7. Juli 1961 antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat das SG u. a. ausgeführt, § 3 Abs. 1 Buchst. f BVG erfasse nur das Personal der freiwilligen Krankenpflege bei der Wehrmacht. Die Klägerin habe aber nicht in einem freiwilligen Krankenpflegeverhältnis gegenüber der Wehrmacht gestanden, sondern vielmehr in einem festen Dienstvertragsverhältnis zum DRK. Sowohl das Handbuch zum BVG von Thannheiser/Wende/Zech als auch der Kommentar zum BVG von Roeckner/Bluschke verwiesen für den Nachweis der Zugehörigkeit zu diesem Personenkreis auf die Aushändigung eines Verwendungsbuches. Die Klägerin habe glaubwürdig angegeben, daß sie kein Verwendungsbuch erhalten habe. Das sei auch nicht anzunehmen, weil sie schon, bevor das Krankenhaus Lazarett wurde, dort als Schwester des DRK tätig war.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung beim LSG Berlin eingelegt. Das LSG hat durch Urteil vom 12. April 1962 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Die Beklagte, der das Urteil am 23. Mai 1962 zugegangen ist, hat dagegen durch ein am 19. Juni 1962 eingegangenes Telegramm und einen am 22. Juni 1962 eingegangenen Schriftsatz vom 19. Juni 1962 Revision eingelegt und sie mit diesem Schriftsatz sowie mit weiteren am 22. Juni, 13. Juli und 18. August 1962 eingegangenen Schriftsätzen begründet, nachdem die Frist zur Verlängerung der Begründung bis zum 23. August 1962 verlängert worden war. Sie beantragt,
das Urteil des LSG und des SG aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 20. August 1959 abzuweisen,
hilfsweise beantragt sie,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
In verfahrensrechtlicher Beziehung rügt die Beklagte "vorsorglich", das LSG hätte das Land Berlin, vertreten durch das Landesversorgungsamt, beiladen müssen; da im Falle einer für die Beklagte günstigen Entscheidung ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 180 Abs. 1 Ziff. 2 und Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingreifen würde.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG). Der Senat hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.
II
Die Revision ist zulässig, sie hatte jedoch keinen Erfolg. Die Rüge der Revision, das LSG hätte das Land Berlin beiladen müssen, ist nicht begründet. Einer Verurteilung des Landes Berlin auf Grund einer Beiladung (§ 75 Abs. 5 SGG) hätte die Bindungswirkung des ablehnenden Bescheides des VersorgA Berlin vom 19. Januar 1955 entgegengestanden. Wenn das LSG zu dem Ergebnis gekommen wäre, die Klage gegen die Beklagte sei deshalb abzuweisen, weil ein Anspruch nach dem BVG bestehe, so hätte das LSG nach § 181 SGG verfahren müssen, dann hätte es genügt, das LandesversorgA zu "verständigen", um das Land Berlin am weiteren Verfahren zu beteiligen (vgl. BSG 14, 177, 179).
Nach den Feststellungen des LSG, die insoweit von der Revision nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angefochten sind (§ 163 SGG), hat die Klägerin sich bei ihrer Tätigkeit als Krankenschwester in dem zum Reservelazarett umgewandelten Teil des DRK-Krankenhauses in S./Mark beim Öffnen einer Ampulle an einem Finger der linken Hand verletzt. Auf diese Verletzung ist auch die heute noch bestehende Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der linken Hand zurückzuführen. Die heute noch bestehende MdE der Klägerin ist also die Folge eines Unfalls, den die Klägerin im Jahre 1942 bei einer nach § 537 Nr. 1 und 2 RVO aF versicherten Tätigkeit erlitten hat (§ 542 RVO aF). Die Beklagte ist, wie sie auch selbst nicht in Abrede stellt, der für die Entschädigung dieses Arbeitsunfalls nach den Vorschriften des 3. Buches der RVO zuständige Versicherungsträger.
Die Entscheidung darüber, ob der Klägerin ein Anspruch auf Rentenzahlung gegenüber der Beklagten zusteht, hängt infolgedessen ausschließlich davon ab, ob der an sich dem Grunde nach gegebene Anspruch nach den Vorschriften der gesetzlichen UV deshalb ausgeschlossen ist, weil zugleich auch ein Anspruch nach Versorgungsrecht besteht. Da Gegenstand des Verfahrens nur der Anspruch auf Rentenzahlung vom 18. August 1955 ist, scheidet hierfür § 541 Nr. 9 RVO aF aus. Denn diese Vorschrift ist, wie der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 25. Mai 1955 - 2 RU 125/59 - näher dargelegt hat, durch das Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 gegenstandslos geworden. Der Gesetzgeber hat das Zusammentreffen von Ansprüchen nach dem Recht der gesetzlichen UV und der Versorgung nach der Auffassung des erkennenden Senats ausschließlich durch die im BVG enthaltenen Vorschriften geregelt (vgl. §§ 54, 65 BVG). Da der Arbeitsunfall der Klägerin sich im Zeitraum vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 ereignet hat, würden, wie das LSG auch nicht verkannt hat, die Ansprüche nach dem 3. Buch der RVO im vorliegenden Fall nach § 54 BVG ausgeschlossen sein, wenn das Unfallereignis Ansprüche nach dem BVG begründet.
Bei der Verletzung der Klägerin durch die Ampulle haben unmittelbare Kriegseinwirkungen keine Rolle gespielt (vgl. § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG). Es handelte sich vielmehr um einen Unfall, wie er jederzeit bei einer Tätigkeit einer Krankenschwester eintreten kann. Ein Entschädigungsanspruch nach dem BVG für die Folgen dieses Unfalls würde infolgedessen nur gegeben sein, wenn die Tätigkeit der Klägerin in dem zum Reservelazarett umgewandelten Teil des Krankenhauses S./Mark als militärischer oder militärähnlicher Dienst anzusehen wäre (§§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 BVG). Daß die Klägerin keinen militärischen Dienst (§ 2 BVG) geleistet hat, wird auch von der Beklagten nicht verkannt. Die Klägerin würde nur dann zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des BVG gehört haben, wenn auf ihre Tätigkeit in dem Reservelazaretteil des Krankenhauses § 3 Abs. 1 Buchst. f BVG anzuwenden wäre.
Das ist jedoch nicht der Fall.
Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in dem zum Reservelazarett umgewandelten Teil des Krankenhauses war, wie sich aus den Feststellungen des LSG ergibt, durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß zwischen der Klägerin und der Wehrmacht kein unmittelbares Rechtsverhältnis bestand. Die Klägerin war nur ihrem Mutterhaus gegenüber vertraglich zur Arbeitsleistung verpflichtet und von diesem Mutterhaus der Wehrmacht zur Arbeit in dem Reservelazaretteil des DRK-Krankenhauses zur Verfügung gestellt. Sowohl nach dem Erlaß des Oberkommandos der Wehrmacht vom 6. Juni 1940 (Heeresverordnung Bl. 1940 Teil II S. 207 Nr. 351) als auch nach der späteren H. Dv. 182 vom 24. Oktober 1943 traten die DRK-Schwestern während ihres Dienstes im Rahmen der freiwilligen Krankenpflege in kein arbeitsrechtliches Verhältnis zur Wehrmacht, sondern blieben Angehörige der Mutterhäuser. Das zwischen den Schwestern und den Mutterhäusern begründete Treueverhältnis wurde durch den Einsatz beim Heere "nicht berührt". Die Schwestern erhielten auch für die Tätigkeit bei der Wehrmacht nur freie Unterkunft und Verpflegung. Eine unmittelbare Vergütung für die Tätigkeit wurde lediglich an die Mutterhäuser gezahlt. Die Mutterhäuser hatten auch die Möglichkeit, die der Wehrmacht zur Verfügung gestellten Schwestern gegen andere Schwestern auszutauschen. Der vorliegende Fall bietet keine Veranlassung, die Frage näher zu erörtern, wie die Rechtslage für die unmittelbar beim Feldheer eingesetzten DRK-Schwestern zu beurteilen ist. Auf das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in dem zum Reservelazarett umgewandelten Teile des Krankenhauses S./Mark ist jedenfalls nach der Auffassung des erkennenden Senats § 3 Abs. 1 Buchst. f BVG nicht anzuwenden.
Da sich, wie dargelegt, auch aus anderen Vorschriften des BVG ein Versorgungsanspruch der Klägerin nicht herleiten läßt, ist das LSG im Ergebnis zutreffend zu der Auffassung gelangt, daß der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht durch § 54 BVG ausgeschlossen ist. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen die verurteilende Entscheidung des SG mit Recht zurückgewiesen. Die Revision ist nicht begründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.
Fundstellen