Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall Kausalität. Wegeunfall. Anspruchskonkurrenz. Arbeitsunfall. KOV
Orientierungssatz
1. Von den zahlreichen Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, deren Zusammenwirken das Eintreten eines Ereignisses zur Folge hat, können mehrere wesentlich im Rechtssinn sein.
2. Mit dem Inkrafttreten des BVG ist § 541 Nr 9 RVO außer Kraft getreten, da § 54 BVG einerseits das Zusammentreffen von Ansprüchen aus der UV und der KOV vor dem 1.1.1942, wie bisher, nur durch die Ruhensvorschrift für die Versorgungsleistungen regeln, andererseits aber die vom 1. Januar 1942 an eingetretene Entlastung der UV-Träger nunmehr auf die Versicherungsfälle bis zum 8. Mai 1945 beschränken und von da an gleichfalls das Zusammentreffen von Leistungen nur durch die Ruhensvorschriften regeln sollte.
3. § 54 BVG schließt nur dann den Entschädigungsanspruch nach dem 3. Buch der RVO aus, wenn dasselbe - in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 eingetretene - tatsächliche Ereignis zugleich ein Arbeitsunfall iS der gesetzlichen UV und eine gesundheitsschädigende Einwirkung iS des Versorgungsrechts ist.
Normenkette
RVO §§ 543, 541 Nr. 9; BVG § 54
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.09.1963) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. September 1963 wird aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 28. April 1959 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat den Klägerinnen zu 1. und 2. die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin zu 1. ist die Witwe, die Klägerin zu 2. die Tochter des am 12. September 1957 verstorbenen Buchhalters Fritz H. Sie beanspruchen Hinterbliebenenentschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Sie sind der Auffassung, daß der Unfall vom 11. September 1957, auf den der Tod H zurückzuführen ist, ein nach den Vorschriften des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu entschädigender Arbeitsunfall war. Über den Hergang dieses Unfalls enthält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) folgende Feststellungen:
Der am 25. April 1908 geborene Ehemann der Klägerin zu 1. hatte im Oktober 1943 eine Verwundung erlitten, die damals zu einer Amputation des linken Unterschenkels führte und ihn zwang, eine Unterschenkelprothese zu tragen. Im Jahre 1957 war er als Buchhalter im Betriebe des Bauunternehmers W in G. Kreis Coesfeld beschäftigt. Den Weg von seiner in Stadtlohn gelegenen Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück legte er regelmäßig mit einem Moped zurück. Auf einer solchen Fahrt von Stadtlohn nach G. verunglückte er am 11. September 1957 gegen 13.15 Uhr. Es steht dabei nicht fest, ob sich die Unterschenkelprothese während der Fahrt vom Bein gelöst hatte oder ob der Verunglückte mit festsitzender Prothese lediglich vom Fahrzeugpedal abgerutscht ist. Jedenfalls glitt er mit dem linken Fuß vom Fahrzeugpedal ab, geriet dadurch ins Schleudern und fuhr gegen einen Straßenbaum. Er stürzte, fiel in den an der Unfallstelle befindlichen Straßengraben und erlitt einen Bruch des linken Oberschenkels. Infolge einer Fettverschleppung von der Knochenbruchgegend in den Kreislauf verstarb er am folgenden Tage im Krankenhaus in Stadtlohn.
Das damals zuständige Versorgungsamt ( VersogA ) Münster erkannte den Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1. als Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an und begründete das damit, daß die als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG anerkannten Körperschädigungen Ursache des Unfalls seien, an dessen Folgen der Tod eingetreten sei. Es gewährte den Klägerinnen Versorgungsleistungen.
Die Beklagte lehnte die Entschädigungsansprüche der Klägerinnen durch Bescheid vom 12. August 1958 mit folgender Begründung ab: Die Fußlähmung rechts ebenso wie der Unterschenkelverlust links seien Folgen einer Kriegsdienstbeschädigung. Dadurch, daß H. trotz dieser Behinderung seinen Weg zur Arbeit mit einem Moped zurückgelegt habe, habe er sich einer besonderen betriebsunabhängigen Gefahr ausgesetzt, der er dann zum Opfer gefallen sei. Die zum Tod führende Verletzung sei nicht Folge der betrieblichen Tätigkeit, sondern nur mittelbare Folge der Kriegsdienstbeschädigung.
Gegen diesen Bescheid haben die Klägerinnen Klage beim Sozialgericht (SG) Münster erhoben. Durch Urteil vom 28. April 1959 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12. August 1958 verurteilt, der Klägerin und ihrer Tochter aus Anlaß des Unfalls des Ehemannes bzw. Vaters Fritz H vom 11. September 1957 die gesetzliche Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.
Zur Begründung hat das SG ua ausgeführt: Die Fahrt, auf der sich der Unfall ereignet habe, habe mit der Tätigkeit des Ehemannes H im Betrieb seines Arbeitgebers in innerem Zusammenhang gestanden (§ 543 aF RVO). Es sei nicht erwiesen, daß, wie die Beklagte angenommen habe, sich die Prothese gelöst habe, vielmehr sei nach den Aussagen der Zeugen anzunehmen, daß H vom Pedal abgerutscht sei. Ein solches Ereignis sei nicht typisch für einen Unterschenkelamputierten, sondern könne auch bei gesunden Fahrern vorkommen. H habe sich desselben Kraftrades schon seit Jahren für seine Wege bedient, ohne dabei einen annähernd gleichen Unfall erlitten zu haben. Er habe deshalb auch nicht mit einer besonderen Gefahr zu rechnen brauchen. Der Unfall sei wahrscheinlich nicht so sehr die Folge des Abrutschens als vielmehr eine Folge der Unachtsamkeit des Verletzten. Die Auffassung der Beklagten würde zu unhaltbaren Ergebnissen für körperbehinderte kraftfahrende Arbeitnehmer führen. Der Tod sei durch eine Fettembolie als Folge des Knochenbruches verursacht worden. Der Entschädigungsanspruch der Klägerinnen sei deshalb unabhängig davon gegeben, daß sie zugleich auch Hinterbliebenenversorgung erhielten.
Die Beklagte hat gegen dieses Urteil beim LSG Nordrhein-Westfalen Berufung eingelegt. Das LSG hat durch Beschluß vom 28. August 1962 das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das LVersorgA Münster, zum Verfahren beigeladen. Nachdem dieses LVersorgA mitgeteilt hatte, daß inzwischen das LVersorgA Hamburg zuständig geworden sei, hat das LSG durch Beschluß vom 25. April 1963 die Beiladung aufgehoben und die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch das LVersorgA Hamburg, zum Verfahren beigeladen. Durch Urteil vom 10. September 1963 hat das LSG das Urteil des SG Münster abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Revision ist vom LSG zugelassen worden.
Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob sich die Unterschenkelprothese des Ehemannes H bereits während der Fahrt gelöst habe oder erst nachher von Straßenpassanten abgenommen worden sei. In jedem Falle sei der Verunglückte auf der Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte und damit auf einer vom Schutz der gesetzlichen UV erfaßten Fahrt zu Schaden gekommen. Da er nach dem Sachverständigengutachten auch an den Folgen des Unfalls verstorben sei, liege ein Arbeitsunfall im Sinne des § 543 aF RVO vor, für dessen Entschädigung grundsätzlich die UV einzustehen habe. Es könne keine Rede davon sein, daß der Verunglückte sich durch die Benutzung eines Mopeds einer besonderen betriebsunabhängigen Gefahr ausgesetzt habe. Das würde auch dann nicht zutreffen, wenn man annehme, daß die Prothese sich gelöst habe. Ein Beinamputierter besitze zwar regelmäßig nicht dieselbe Sicherheit im Führen des Fahrzeugs wie ein körperlich Unversehrter. Bei der heutigen Beschaffenheit der orthopädischen Hilfsmittel könne jedoch in der Benutzung eines Mopeds durch einen Unterschenkelamputierten noch keine besondere Gefahr erblickt werden. Der Verunglückte habe auch die Strecke schon längere Zeit täglich zurückgelegt, ohne einen annähernd ähnlichen Unfall erlitten zu haben. Es bestehe auch kein Anhaltspunkt dafür, daß er sich leichtsinnig verhalten habe. Die gesetzliche UV schütze den Versicherten grundsätzlich in dem Gesundheitszustand, in dem er zur Aufnahme seiner Tätigkeit antrete, auch wenn dieser Zustand eine größere Unfallanfälligkeit bedinge. Gleichwohl habe die UV für die Folgen des Unfalls nicht einzutreten, denn nach § 541 Nr. 9 aF RVO bestehe in derartigen Fällen Versicherungsfreiheit. Das zuständige VersorgA habe den Unfall als mittelbare Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG anerkannt und gewähre Versorgungsleistungen. Dem stehe nicht entgegen, daß nach der Verurteilung der Beklagten durch das SG die Ruhensbestimmung des § 65 BVG zur Anwendung gekommen sei. Daß ein Anspruch aus der UV entfalle, ergebe sich auch aus § 54 Satz 1 BVG. Die zur Amputation führende Verletzung sei innerhalb des Zeitraums vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 eingetreten. Sie und nicht erst der Unfall vom 11. September 1957 sei das schädigende Ereignis im Sinne des § 1 BVG. Der Unfall sei erst die mittelbare Folge der im Krieg eingetretenen Schädigung gewesen. Durch § 54 BVG sollten die Schädigungsfolgen erfaßt werden, die ihren Ursprung in den vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 erfolgten Einwirkungen hätten. Würde man den Unfall als das schädigende Ereignis ansehen, so würde damit zwangsläufig das größere Unfallrisiko der Kriegsverletzten der UV aufgebürdet werden. Durch § 54 BVG solle aber gerade sichergestellt werden, daß die mittelbaren Schädigungsfolgen einer Kriegseinwirkung versorgungsrechtlich entschädigt würden.
Das Urteil ist sowohl den Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen als auch dem LVersorgA am 4. Oktober 1963 zugestellt worden. Die Klägerinnen haben gegen das Urteil am 10. Oktober 1963 Revision eingelegt und sie am 8. November 1963 begründet. Das LVersorgA Hamburg hat am 19. Oktober 1963 Revision eingelegt und sie zugleich auch begründet.
Die Klägerinnen beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Beklagte entsprechend dem Urteil des SG zu verurteilen, die gesetzliche Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.
Das LVersorgA beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen die gesetzliche Hinterbliebenenentschädigung aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres Ehemanns bzw. Vaters zu gewähren.
Die Klägerinnen sind der Auffassung, § 541 Nr. 9 aF RVO könne nicht angewendet werden, weil das BVG nicht den in dieser Vorschrift allein erwähnten Wehrmachtsversorgungsgesetzen gleichzustellen sei, § 54 BVG sei nur dann anzuwenden, wenn dasselbe Ereignis zugleich ein Arbeitsunfall und eine gesundheitsschädigende Einwirkung im Sinne des BVG sei. Die im Ergebnis gleiche Auffassung vertritt das LVersorgA.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie führt ua aus, die Klägerinnen hätten dadurch, daß sie den Bescheid des VersorgA nicht angefochten hätten, anerkannt, daß der Unfalltod eine mittelbare Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 BVG sei. Folgerichtigerweise könnten sie auch wegen des Unfalltodes nicht Ansprüche gegen die gesetzliche UV erheben. Die Klägerinnen hätten auch gar kein Interesse an derartigen Ansprüchen, da es für sie gleichgültig sei, ob ihre gleichbleibenden Bezüge allein von den Versorgungsdienststellen oder zum größeren Teile von der Beklagten und nur zu einem Spitzenbetrag von der Versorgung gewährt würden.
II
Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) statthaften Revisionen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie sind auch begründet. Für die Berechtigung der Klägerinnen, ihren Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften des 3. Buches der RVO gegenüber der Beklagten geltend zu machen, ist es entgegen der Auffassung der Beklagten ohne Bedeutung, daß - möglicherweise - sich infolge der Ruhensvorschriften des BVG beim Zusammentreffen von Leistungen der UV und der Versorgung wirtschaftlich im Ergebnis kein wesentlich höherer Betrag ergibt.
Nach den Feststellungen des LSG, die insoweit nicht durch begründete Rügen angefochten worden sind (§ 163 SGG), hat sich der Unfall des Ehemannes H, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, bei einer nach § 543 RVO aF unter Versicherungsschutz stehenden Fahrt ereignet. Für den Entschädigungsanspruch nach den Vorschriften der gesetzlichen UV ist es auch ohne Bedeutung, ob Folgen der Kriegsbeschädigung beim Zustandekommen des Unfalls mitgewirkt haben. Das LSG hat mit Recht das Zurücklegen des versicherten Weges als eine rechtlich wesentliche Teilursache für den Eintritt des Unfallereignisses angesehen. Dem steht auch nicht entgegen, daß andererseits das VersorgA den Unfall und den durch den Unfall herbeigeführten Tod als eine mittelbare Folge der Kriegsbeschädigung angesehen hat. Die Beklagte verkennt möglicherweise, daß von den zahlreichen Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, deren Zusammenwirken das Eintreten eines Ereignisses zur Folge hat, mehrere wesentlich im Rechtssinn sein können. Für die Entscheidung über den Anspruch aus der gesetzlichen UV kommt es in einem solchen Fall nur darauf an, ob die für das Unfallrecht bedeutsame Teilursache zu den rechtlich wesentlichen Ursachen gehört. Das ist im vorliegenden Fall für das Zurücklegen des unter Versicherungsschutz stehenden Weges zu bejahen.
Da nach den Feststellungen des LSG das Unfallereignis auf dem Wege zur Arbeit auch den Tod des Ehemanns H verursacht hat, steht somit, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, den Klägerinnen grundsätzlich ein Anspruch auf Entschädigung nach den Vorschriften des 3. Buches der RVO zu.
Dieser Anspruch ist auch - entgegen der Auffassung des LSG - nicht durch § 541 Nr. 9 RVO aF ausgeschlossen.
Diese Nr. ist durch die Verordnung vom 16. April 1943 (RGBL I S. 267) rückwirkend vom 1. Januar 1942 an in die RVO eingefügt worden. Bis dahin waren zwar Personengruppen, die bei Unfällen während ihrer dienstlichen Tätigkeit Anspruch auf Versorgung hatten, für diese dienstliche Tätigkeit von der gesetzlichen UV ausgenommen ("versicherungsfrei"), so daß sie keine Ansprüche nach den Vorschriften der gesetzlichen UV auf Entschädigung für die Folgen derartiger Unfälle hatten (vgl. § 554 Nr. 1 der RVO in der bis zum 31. Dezember 1941 geltenden Fassung, § 541 Nr. 2 der RVO in der am 1. Januar 1942 in Kraft getretenen Fassung nach dem 6. ÄndG). Dagegen gab es im Recht der gesetzlichen UV keine Vorschriften, die für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen nach dem 3. Buch der RVO und nach Versorgungsrecht den unfallrechtlichen Anspruch ausschlossen oder einschränkten. Nur das Versorgungsrecht enthielt Vorschriften für den Fall, daß der durch eine Körperverletzung oder Tötung verursachte Schaden gleichzeitig Ansprüche nach dem 3. Buch der RVO und nach Versorgungsrecht begründete (vgl. z. B. §§ 63, 64 des Reichsversorgungsgesetzes, §§ 99 a, 121 a des Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetzes vom 26. August 1938, § 9 der Personenschädenverordnung vom 1. September 1939/10. November 1940). Diese Vorschriften stimmten aber im Grundsatz darin überein, daß der Anspruch nach dem 3. Euch der RVO unberührt blieb und nur der Versorgungsanspruch eingeschränkt wurde, indem er in solchen Fällen in Höhe der Leistungen der Unfallversicherung ruhte. Schon die Personenschädenverordnung (§ 19) hatte allerdings den UV-Trägern einen Erstattungsanspruch eingeräumt. Mit Rücksicht darauf, daß grundsätzlich alle Deutschen zum Dienst für die Zwecke des Krieges verpflichtet waren, andererseits aber auch die Zivilbevölkerung in zunehmendem Maße von unmittelbaren Kriegseinwirkungen - insbesondere von Auswirkungen des Luftkrieges - betroffen wurde und infolgedessen die schädigenden Ereignisse durch solche Einwirkungen zunahmen, die rechtlich zugleich Arbeitsunfälle während der Arbeit oder auf den Wegen nach oder von der Arbeitsstätte waren, wurden die UV-Träger durch die neue Nr. 9 des § 541 RVO aF nunmehr rückwirkend für die Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1941 durch den Wegfall der Ansprüche nach dem 3. Buch der RVO vollständig entlastet.
Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, welche Bedeutung die Entwicklung des Versorgungsrechts in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch für die Geltung der Nr. 9 des § 541 RVO aF gehabt hat (vgl. hierzu z. B. Brackmann, Handbuch der Soz. Vers. Bd. II Stand 2. und 3. Nachtrag S. 479, 487 und auch Bayer. LVAmt, Amtsbl. 1949 S. 116, 1952 B S. 33). Nach der Auffassung des erkennenden Senats hat § 541 Nr. 9 RVO aF jedenfalls für Versicherungsfälle im Sinne der gesetzlichen UV keine Bedeutung mehr, die, wie im vorliegenden Fall, nach dem Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 eingetreten sind.
Die Nr. 9 des § 541 RVO aF ist schon ihrem Wortlaut nach auf Ansprüche nach dem BVG nicht anwendbar. Der Bundesgesetzgeber hat auch durch das BVG die Wehrmachtsversorgungsgesetze, auf die § 541 Nr. 9 RVO aF Bezug nimmt, aufgehoben (§ 84 Abs. 2 Nr. 2 BVG), er hat aber den Wortlaut der Nr. 9 nicht verändert und auch später nur die Nr. 2 des § 541 RVO aF durch das Gesetz vom 27. Juli 1957 (BGBl. I S. 1105) an das neue Recht angepaßt. Vor allem aber enthält das BVG nicht nur in § 65 eine dem früheren Recht etwa entsprechende Ruhensvorschrift für den Fall des Zusammentreffens von Unfall- und Versorgungsansprüchen, die wiederum nur die Ansprüche nach dem BVG berührt, vielmehr enthält § 54 BVG eine auch unmittelbar in das Recht des 3. Buches der RVO eingreifende Vorschrift. Sie schließt - entsprechend der durch die Nr. 9 des § 541 RVO aF geschaffenen Rechtslage - für Versicherungsfälle vom 1. Januar 1942 an einen Anspruch gegen den UV-Träger aus, beschränkt das jedoch ausdrücklich auf die Zeit bis zum 8. Mai 1945. Daraus ist nach der Auffassung des erkennenden Senats der Schluß zu ziehen, daß der Gesetzgeber durch § 54 BVG einerseits das Zusammentreffen von Ansprüchen aus der UV und der Versorgung für Versicherungsfälle vor dem 1. Januar 1942, wie bisher, nur durch die Ruhensvorschrift für die Versorgungsleistungen regeln, andererseits aber die vom 1. Januar 1942 an eingetretene Entlastung der UV-Träger nunmehr auf die Versicherungsfälle bis zum 8. Mai 1945 beschränken und von da an gleichfalls das Zusammentreffen von Leistungen nur durch die Ruhensvorschrift regeln wollte (vgl. hierzu auch Wilke Bundesversorgungsgesetz 1960 Anm. zu § 54; Verwaltungsvorschriften zum BVG in den Fassungen vom 31. August 1953 und 3. September 1958 zu §§ 54 und 65 BVG). Danach ist aber die Nr. 9 des § 541 RVO aF jedenfalls spätestens mit dem Inkrafttreten des BVG außer Kraft getreten, so daß sie für die Ansprüche der Klägerinnen gegen die Beklagte auf Hinterbliebenenentschädigung wegen des durch den Arbeitsunfall vom 11. September 1957 verursachten Todes ihres Ehemannes am 12. September 1957 keine Bedeutung hat.
Der Anspruch der Klägerinnen ist auch nicht durch § 54 BVG ausgeschlossen. Der Wortlaut dieser Vorschrift kann nur einheitlich für beide Sätze ausgelegt werden, so daß aus dem zweiten Satz - entgegen der Auffassung des LSG - nicht die Folgerung abzuleiten ist, der Gesetzgeber habe in allen Fällen den Anspruch nach dem 3. Buch der RVO ausschließen wollen, wenn das schädigende Ereignis im Sinne des Versorgungsrechts im Zeitraum vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 eingetreten war. Vielmehr ergibt sich aus dem ersten Satz nach der Auffassung des erkennenden Senats, daß § 54 BVG nur dann den Entschädigungsanspruch nach dem 3. Buch der RVO ausschließt, wenn dasselbe - in der Zeit vom 1. Januar 1942 bis zum 8. Mai 1945 eingetretene - tatsächliche Ereignis zugleich ein Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen UV und eine gesundheitsschädigende Einwirkung im Sinne des Versorgungsrechts ist. § 54 BVG ist deshalb auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da der Versorgungsanspruch auf der Verwundung im Oktober 1943 und deren Folgen beruht, während die für den UV-Anspruch maßgebenden Ereignisse der Arbeitsunfall vom 11. September 1957 und der durch ihn verursachte Tod des Buchhalters H sind.
Durch das am 1. Juli 1963 in Kraft getretene UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I S. 241) ist das Zusammentreffen von Unfall- und Versorgungsansprüchen in § 541 Abs. 1 Nr. 2 RVO nF neu geregelt worden. Der Gesetzgeber hat hier ausdrücklich bestimmt, daß die Ansprüche nach dem Recht der gesetzlichen UV dann nicht ausgeschlossen sind, wenn der Arbeitsunfall, wie im vorliegenden Fall, zugleich die Folge einer Schädigung im Sinne des BVG ist. Diese Neuregelung hat jedoch für den vorliegenden Fall keine Bedeutung, da § 541 Abs. 1 RVO nF nur für Arbeitsunfälle gilt, die sich nach dem Inkrafttreten des UVNG ereignet haben (Art. 4 §§ 1, 2 Abs. 1, 16 UVNG).
Da somit die Ansprüche der Klägerinnen nach dem Recht des 3. Buches der RVO weder durch § 541 Nr. 9 RVO aF noch durch § 54 BVG ausgeschlossen sind, hat das SG die Beklagte zu Recht verurteilt, den Klägerinnen Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren. Die Revisionen der Klägerinnen und der Beigeladenen sind begründet. Das Urteil des LSG mußte aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Münster zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die den Klägerinnen im Berufungs- und Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG. Die Beigeladene hat nach § 193 Abs. 4 SGG keinen Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten.
Fundstellen