Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Bewilligung einer Rente aus der ArV. Konkurrenz des Ersatzanspruchs der Kindergeldkasse. Umfang des Kindergeld-Ersatzrechts
Leitsatz (redaktionell)
1. In bezug auf die Konkurrenz des Ersatzanspruchs der Kindergeldkasse mit den rivalisierenden Ersatzforderungen der KK und des Sozialhilfeträgers hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest.
2. Der Wortlaut des BKGG § 23 Abs 1 S 1 aF legt eine enge Auslegung nahe.
Normenkette
BKGG § 23 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, § 1531 Fassung: 1945-03-29
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. November 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Beigeladenen die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Versicherte - Vater von drei Kindern - hatte von Juli 1964 bis August 1965 für sein zweites und drittes Kind Kindergeld von monatlich (25,- DM + 50,- DM) 75,- DM bezogen. Auf denselben Zeitabschnitt zurückwirkend bewilligte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 21. Juli 1965). In dieser Rente waren für jedes der drei Kinder monatliche Kinderzuschüsse von 56,- DM enthalten. Das zuständige Arbeitsamt verlangte von dem Versicherten das für die Zeit der Rentennachzahlung geleistete Kindergeld zurück. Den Anspruch auf die Kinderzuschüsse leitete sie durch schriftliche Anzeige vom 4. August 1965 auf den Bund über (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG - in der bis zum Inkrafttreten des 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetzes vom 16. Dezember 1970 - BGBl I 1725 - geltenden Fassung).
Die Beklagte überwies an die Kindergeldkasse den Betrag, der sich aus den Kindergeldzahlungen von 75,- DM für sieben Monate (Februar bis August 1965) ergab, nämlich 525,- DM. Die für die vorhergehenden Monate angefallene Rentennachzahlung verwendete sie zur Abgeltung von Ersatzforderungen der Krankenversicherung und der Sozialhilfe. Die Kindergeldkasse - Klägerin - ließ dieses Vorgehen zwar gelten, forderte aber zusätzlich 252,60 DM. Sie beanspruchte die drei Kinderzuschüsse zur Rente, und zwar auch für die Zeit vor dem Februar 1965. Ihres Erachtens ist ihre Ersatzforderung nicht auf die Zahl der Kinder, für die das Kindergeld gezahlt wurde und auch nicht auf das im jeweiligen Monat gezahlte Kindergeld von 75,- DM beschränkt, sondern auf die Zeit der Kindergeldzahlung als Ganzes zu beziehen.
Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben der Klage stattgegeben (Urteil des SG Nürnberg vom 7. Juli 1966 und Urteil des Bayerischen LSG vom 8. November 1967), das Berufungsgericht mit der Begründung, daß nach ausdrücklicher Anordnung in § 23 Abs. 1 Satz 2 BKGG aF der Forderungsübergang auf die Kindergeldkasse sich lediglich auf die Zeit beschränke, für welche Kindergeld gewährt worden sei. Weitere Grenzen seien dem Forderungsübergang nicht gesetzt. Die Gegenüberstellung der Kinderzuschüsse für drei Kinder und des Kindergeldes für zwei Kinder folge aus dem Zweck des Kindergeldrechts. Das Kindergeld sei für die "Zahlkinder" ebenso wie für die "Zählkinder" bestimmt. Jede der - dem gleichen Zweck dienenden - Leistungen werde denn auch demselben Berechtigten zugeführt.
Die beklagte LVA hat die - zugelassene - Revision eingelegt und beantragt, die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Revision möchte auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt die Vorschriften über die Ersatzforderungen der Sozialhilfeträger gemäß §§ 1535 b ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprechend angewendet wissen. Sie hält dies für naheliegend, weil die Regelung des § 23 Abs. 1 BKGG aF indirekt auf den inzwischen aufgehobenen § 1541 a RVO zurückgehe, der das Maß des Ersatzanspruchs zeitlich und personell eng eingrenzte. Die Revision hält es nicht für gerechtfertigt, daß der Versicherte durch die spätere Rentengewährung schlechter gestellt werde. Dazu - so führt sie aus - komme es aber, wenn ihm nicht diejenigen Beträge verblieben, die ihm ungeachtet der nachträglichen Rentenbewilligung zugestanden hätten.
Die Revision der beklagten LVA ist unbegründet.
Die Klagebefugnis der Kindergeldkasse ist daraus herzuleiten, daß diese nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1970 geltenden Fassung den Anspruch auf die aus der Arbeiterrentenversicherung nachzuzahlenden Kinderzuschüsse wirksam an sich gezogen hat. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 BKGG, die mit dem 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetz vom 16. Dezember 1970 geschaffen worden und an die Stelle des § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG aF getreten ist, gilt nicht für den hier zu beurteilenden, vor dem 1. Januar 1971 abgeschlossenen Sachverhalt (Art. 5 Abs. 1 des angeführten Gesetzes).
Die Kindergeldkasse hat in Höhe der Klageforderung ein eigenes klagbares Recht erworben. Der Versicherte hat Kindergeld erhalten, das ihm - wie sich durch die rückwirkende Bewilligung der Rente aus der Arbeiterrentenversicherung einschließlich der darin steckenden Kinderzuschüsse herausgestellt hat - nicht zustand (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG). Dieses infolge späteren Wegfalls des Leistungsgrundes zu Unrecht ausgegebene Kindergeld ist der Kindergeldkasse wieder zu erstatten.
Für diese Rückforderung haftet der Anspruch auf die Kinderzuschüsse aus der Arbeiterrentenversicherung nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 BKGG aF. In diesem Zusammenhang ist einmal über die Rangfolge zu entscheiden, die zu beachten ist, wenn die Rentennachzahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung dem Zugriff mehrerer Ersatzberechtigter unterliegt und zur Befriedigung der Ersatzforderungen nicht ausreicht. Zum anderen hat der Senat über das Ausmaß des Ersatzrechts der Kindergeldkasse gemäß § 23 Abs. 1 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1970 geltenden Fassung (Art. 5 des 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetzes vom 16. Dezember 1970) zu befinden.
In bezug auf die Konkurrenz des Ersatzanspruchs der Kindergeldkasse mit den rivalisierenden Ersatzforderungen der Krankenkasse (§ 183 Abs. 3 RVO) und des Sozialhilfeträgers (§ 1531 RVO) hält der Senat an seiner Rechtsprechung (BSG 29, 164) - trotz der an dieser Rechtsauffassung geübten Kritik - fest. Dieser Rechtsprechung hat sich inzwischen der 7. Senat des Bundessozialgerichts - zumindest im Ergebnis - angeschlossen (BSG SozR Nr. 3 zu § 8 BKGG aF). Das bedeutet: Die Konkurrenz zwischen den Ersatzforderungen der Krankenkasse und des Sozialhilfeträgers einerseits und der Kindergeldkasse andererseits ist nach dem Grundsatz zu beurteilen, daß das zuerst entstandene Ersatzrecht den Vorzug verdient. Dabei gebührt den Ansprüchen der Krankenkasse und des Sozialhilfeträgers das Vorrecht. Denn der Rentenanspruch war bereits zu Gunsten der Krankenkasse und des Sozialhilfeträgers mit Beschlag belegt, als die Überleitungsanzeige des Arbeitsamtes bei der Beklagten einging. Erst mit der Bekanntgabe vermochte die Anzeige den Forderungsübergang zu bewirken (vgl. auch § 829 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung). Infolgedessen konnte das Arbeitsamt die Ansprüche auf die Rente und damit auf die Kinderzuschüsse als ihre unselbständigen Bestandteile insoweit nicht auf den Bund übertragen, als sie zuvor der Krankenkasse und der Sozialhilfe überantwortet worden waren (BSG SozR Nr. 25 zu § 183 RVO; Nr. 3 zu § 8 BKGG). Nach dem Kriterium des Zeitvorrangs ist die Ordnung miteinander konkurrierender Ersatzrechte zu beurteilen, wenn diese sich nicht - wie die Legalzessionen - gleichzeitig entwickeln oder wenn das Gesetz nichts abweichendes anordnet. Beide Ausnahmen sind hier nicht gegeben. Der Senat hat in dem in BSG 29, 164 veröffentlichten Urteil näher dargelegt, daß die Prioritätsregel im positiven Recht vorgezeichnet ist. Es ist zwar nicht zu verkennen, daß ein "Wettrennen zur Erreichung eines Vorsprungs gegenüber einem anderen" wenig sachgemäß erscheint, wenn mehrere Verwaltungsträger einen Ausgleich ihrer Erstattungsansprüche suchen. Andererseits ist aber zu beachten, daß auch für die Übertragung öffentlich-rechtlicher Forderungen, sowohl was ihre Form als auch was ihre Wirksamkeitserfordernisse anbetrifft, die Regeln der §§ 398 bis 410 des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprechend anzuwenden sind, solange nicht besondere Regeln entgegenstehen. Die Prioritätsnorm entspricht zudem der Logik; sie ist einfach zu handhaben, vermeidet eine schwer übersehbare, vielleicht gar widersprüchliche Kasuistik und ist unabhängig von mehr oder weniger subjektiven Wertungen in bezug auf die "Stärke" und inhaltliche Tragweite der aufeinandertreffenden Ersatzforderungen.
An dem Ergebnis ändert sich nichts durch die jüngere Rechtsentwicklung, insbesondere durch die Neufassung des § 8 Abs. 3 Satz 3 BKGG gemäß dem 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetz vom 16. Dezember 1970. Für die Gegenwart hat sich der Gesetzgeber für den besseren Rang des Rückgriffs der Kindergeldkasse ausgesprochen. Er ist dem Gedanken der Spezialität gefolgt, nämlich der Erwägung, daß die für den Unterhalt der Kinder gedachten Rentenbestandteile primär für die Rückforderung der Kindergeldkasse haften und zu diesem Zweck aus der Rente auszusondern sind. Diese Regelung gilt aber nach Art. 5 des Gesetzes vom 16. Dezember 1970 nicht schon vom Inkrafttreten des BKGG an, sondern erst für die auf die Gesetzesänderung folgende Zeit. Der Gesetzgeber hat mithin von der Möglichkeit einer der Rechtsprechung entgegenwirkenden "authentischen Interpretation" des älteren Gesetzesrechtes abgesehen.
Hiernach war die Rückgriffsmöglichkeit der Kindergeldkasse durch die Forderungsübergänge nach § 183 Abs. 3 und § 1531 RVO abgeschnitten. Deshalb kommt es besonders darauf an, wie das Ausmaß dieses Zugriffs zu bestimmen ist.
Für den Umfang des Kindergeld-Ersatzrechts war zweierlei zu beachten:
(a) Das zu erstattende Kindergeld und die nachzuzahlenden Kinderzuschüsse waren nicht, wie es die Beklagte gemeint hatte, bei Berechnung des Ersatzanspruchs Monat für Monat gegenüberzustellen. Vielmehr war von der Gesamtzeit der Leistungen auszugehen, so daß der Gesamtbetrag der Kindergeldleistungen mit dem Endbetrag der angesammelten Kinderzuschüsse aus der Rentenversicherung zu vergleichen war. Diese Rechtsfolge ergab sich bereits aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 BKGG aF, vor allem aber aus dem Zweck des Gesetzes, das Doppelleistungen vermeiden und nach Möglichkeit durch die Verrechnung von öffentlich-rechtlichen Bezügen ausgeglichen sehen möchte.
(b) Ferner war dem Berufungsgericht in der Ansicht beizupflichten, daß der ersatzberechtigten Kindergeldkasse auch der Kinderzuschuß für das erste Kind des Versicherten hafte. Dies verstand sich deshalb nicht von selbst, weil Kindergeld nur für das zweite Kind und die weiteren Kinder gezahlt wird (§ 1 Abs. 1 BKGG). Außerdem legt der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG aF eine enge Gesetzesauslegung nahe. Dort wird der Rückgriff auf die Rente "für das Kind", also anscheinend für ein bestimmtes Kindergeld eröffnet. Gleichwohl erschien dem Senat eine solche Begrenzung des Ersatzrechts nicht gerechtfertigt. Dem Kindergeldrecht liegt die Idee der Familieneinheit zugrunde (BT-Drucks. IV/818 zu § 11 Abs. 4). Daraus erklärt sich ua. die Regelung über die mit steigender Kinderzahl wachsenden Kindergeldsätze (§ 10 Abs. 1 BKGG).
Wegen weiterer Einzelheiten zur Begründung der diesem Urteil zugrunde liegenden Rechtsauffassung wird auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom heutigen Tage in dem Rechtsstreit 4 RJ 19 b/71 verwiesen.
Das Berufungsgericht hat also richtig entschieden. Die Revision der Beklagten ist mit der auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Fundstellen