Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung des Ersatzanspruches
Leitsatz (redaktionell)
Der Kindergeldkasse ist das infolge späteren Wegfalls des Leistungsgrundes zu Unrecht ausgegebene Kindergeld wieder zu erstatten.
Das zu erstattende Kindergeld und die nachzuzahlenden Kinderzuschüsse waren nicht bei der Berechnung des Ersatzanspruchs Monat für Monat gegenüberzustellen.
Normenkette
BKGG § 23 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1969-06-25
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. April 1970 wird aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 9. April 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Beigeladenen die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Versicherte - Vater von vier Kindern - hatte von August bis November 1965 für seine drei jüngeren Kinder Kindergeld von monatlich 135,- DM bezogen. Auf denselben Zeitabschnitt zurückwirkend bewilligte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) dem Versicherten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. In dieser Rente waren für jedes der vier Kinder monatliche Kinderzuschüsse von 60,70 DM enthalten. Die Klägerin (Kindergeldkasse) verlangte von dem Versicherten das für die Zeit der Rentennachzahlung geleistete Kindergeld im Betrage von 540,- DM zurück. Den Anspruch auf die Kinderzuschüsse leitete sie durch schriftliche Anzeige auf den Bund über (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bundeskindergeldgesetzes - BKGG - in der bis zum Inkrafttreten des 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetzes vom 16. Dezember 1970 - BGBl I 1725 - geltenden Fassung).
Die Beklagte überwies an die Kindergeldkasse den für November 1965 abzurechnenden Betrag von 135,- DM. Den Hauptanteil der Rentennachzahlung verwendete sie zur Abgeltung einer Ersatzforderung der Krankenkasse; diese hatte dem Versicherten bis zum 9. November 1965 Krankengeld gezahlt. Die Klägerin verlangt die Zahlung weiterer 107,30 DM. Diese Forderung errechnet sich wie folgt:
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Von dem für November 1965 nachzuzahlenden Rentenbetrag (einschließlich der Kinderzuschüsse von insgesamt 242,80 DM) waren nach Abzug des an die Krankenkasse abgeführten Geldes |
242,30 DM |
übriggeblieben. Davon hatte die Kindergeldkasse |
135,- DM |
erhalten. Es verblieb sonach ein Restbetrag von |
107,30 DM. |
In Höhe dieser Summe hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Kindergeldkasse stehe wegen des für August bis November 1965 gezahlten Kindergeldes eine Rückforderung nicht zu. Vielmehr habe der Versicherte in diesen Monaten zu Recht Kindergeld neben Krankengeld erhalten. An dieser Rechtslage habe sich durch die nachträgliche Rentenbewilligung nichts geändert. Der Anspruch auf die später angefallenen Rentenbeträge sei auf die Krankenkasse übergegangen. Dadurch sei eine Doppelleistung vermieden worden. Tatsächlich und rechtlich sei es bei der Leistung des Krankengeldes geblieben. Dagegen habe der Versicherte in der fraglichen Zeit den Kinderzuschuß aus der Rentenversicherung effektiv nicht erhalten. Mithin sei auch der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG, der die Rückforderung der Klägerin begründen könnte, nicht erfüllt.
Die Klägerin hat Revision eingelegt; sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Die Auffassung des Berufungsgerichts ist ihres Erachtens mit § 183 Abs. 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht zu vereinbaren. Danach sei, so meint sie, dem Anspruch auf Krankengeld nachträglich von dem Tage, von dem an die Rente bewilligt worden sei, der Rechtsgrund entzogen worden. Somit habe der Versicherte in den genannten Monaten Rente einschließlich Kinderzuschuß bezogen und deshalb das Kindergeld zurückzuzahlen. - Vorsorglich beantragt die Klägerin für den Fall, daß über das Rangverhältnis zwischen ihrem Ersatzanspruch und dem Forderungsübergang zugunsten der Krankenkasse zu entscheiden sei, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Krankenkasse beigeladen werden könne.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihre Klagebefugnis ist daraus herzuleiten, daß sie nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG in der bis zum 31. Dezember 1970 geltenden Fassung den Anspruch auf die aus der Rentenversicherung nachzuzahlenden Kinderzuschüsse wirksam an sich gezogen hat. Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 BKGG, die mit dem 2. Änderungs- und Ergänzungsgesetz vom 16. Dezember 1970 geschaffen worden und an die Stelle des § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG aF getreten ist, gilt nicht für den hier zu beurteilenden, vor dem 1. Januar 1971 abgeschlossenen Sachverhalt (Art. 5 Abs. 1 des angeführten Gesetzes). Die Klägerin hat in Höhe der geltend gemachten Forderung ein eigenes Recht erworben. Der Versicherte hat Kindergeld erhalten, das ihm - wie sich durch die rückwirkende Bewilligung der Rente aus der Rentenversicherung herausgestellt hat - nicht zustand (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG).
Daran ändert nichts, daß die Rentennachzahlung mit den Kinderzuschüssen nicht dem Versicherten, sondern der Krankenkasse zugeflossen ist. Von dieser Rechtsfolge ist das Bundessozialgericht (BSG) in der in SozR Nr. 3 zu § 8 BKGG veröffentlichten Entscheidung für § 183 Abs. 5 Halbsatz 2 RVO ausgegangen. Das gleiche ist unbedenklich aus denselben Gründen für die hier anzuwendende Vorschrift des § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO zu übernehmen. Sonach ist der Kindergeldkasse das infolge späteren Wegfalls des Leistungsgrundes zu Unrecht ausgegebene Kindergeld wieder zu erstatten.
Für diese Rückforderung haftet der Anspruch auf die Kinderzuschüsse aus der Rentenversicherung nach Maßgabe des § 23 Abs. 1 BKGG aF. Hieraus folgt die Berechtigung der Klageforderung. Dabei ist ob im Streitfalle nicht einmal erheblich, in welchem Rangverhältnis die Ersatzforderungen der Krankenkasse und der Kindergeldkasse zueinander stehen (hierzu: BSG 29, 164; SozR Nr. 3 zu § 8 BKGG aF; Urteile vom 25. Mai 1971 - 4 RJ 19 b/71 - und 4 RJ 467/69). Das Ergebnis ist bereits aus der Art und dem Umfang herzuleiten, die der Forderungsüberleitung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BKGG aF innewohnen.
Das zu erstattende Kindergeld und die nachzuzahlenden Kinderzuschüsse waren nicht, wie die Beklagte meint, bei der Berechnung des Ersatzanspruchs Monat für Monat gegenüberzustellen. Vielmehr war von der Gesamtzeit der nebeneinander gestellten Leistungen auszugehen, so daß der Gesamtbetrag der Kindergeldleistungen mit dem Endbetrag der angesammelten Kinderzuschüsse aus der Rentenversicherung zu vergleichen war. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus dem Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 2 BKGG aF, vor allem aber aus dem Zweck des Gesetzes, nämlich Doppelleistungen zu vermeiden oder auszugleichen (vgl. BSG, Urteil vom 25.5.1971 - 4 RJ 19 b/71).
Ferner steht dem Zugriff der Kindergeldkasse auch der Kinderzuschuß für das erste Kind des Versicherten zur Verfügung. Dies versteht sich zwar deshalb nicht von selbst, weil Kindergeld nur für das zweite Kind und die weiteren Kinder gezahlt wird (§ 1 Abs. 1 BKGG). Außerdem legt der Wortlaut des § 23 Abs. 1 Satz 1 BKGG aF eine enge Gesetzesauslegung nahe. Dort wird der Rückgriff auf die Rente "für das Kind", also anscheinend für ein bestimmtes Kindergeld eröffnet. Gleichwohl ist eine solche Begrenzung des Ersatzrechts nicht gerechtfertigt. Dem Kindergeldrecht liegt die Idee der Familieneinheit zugrunde (Bundestagsdrucksache IV/818 zu § 11 Abs. 4). Daraus erklärt sich ua die Regelung über die mit steigender Kinderzahl wachsenden Kindergeldsätze (§ 10 Abs. 1 BKGG). Die Erwägung, daß das für das zweite Kind und für weitere Kinder gewährte Kindergeld auch dem ersten Kind zugute kommen soll, ist ferner für § 12 Abs. 4 BKGG bestimmend. Dort wird in bezug auf die Erfüllung der Unterhaltspflicht ausdrücklich die gleichmäßige Verteilung des Kindergeldes auf alle Kinder des Berechtigten vorgeschrieben. Aus dem gleichen Gesichtspunkt heraus haftet auch der Anspruch auf Kinderzuschuß für das erste Kind des Versicherten für die Ersatzforderung der Kindergeldkasse.
Weil die Entscheidung über die Klageforderung unabhängig davon zu treffen ist, welches Rangverhältnis zwischen der Ersatzforderung der Krankenkasse (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO) und der der Kindergeldkasse (§ 23 Abs. 1 Satz 2 BKGG aF) besteht, sind die Interessen der Krankenkasse im Streitfalle nicht berührt. Deshalb stellt sich nicht die Frage nach der Beiladung dieses Versicherungsträgers.
Nach allem ist das Berufungsurteil aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen