Leitsatz (amtlich)

Die erst im Berufungsverfahren erhobene Widerklage ist nicht statthaft, wenn eine zulässige Berufung fehlt.

 

Normenkette

SGG § 100 Fassung: 1953-09-03, § 153 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 1970 wird insoweit aufgehoben, als die Beigeladene zu 2) verurteilt wurde, der Beklagten 555,- DM zu zahlen (Punkt II des Urteils). Die Widerklage der Beklagten wird abgewiesen.

Die Beklagte hat der Beigeladenen zu 1) die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Beklagte (Landesversicherungsanstalt) verlangt von der Beigeladenen zu 2 (Kindergeldkasse) die Rückerstattung eines Betrages von 555,- DM.

Dem Versicherten (Rechtsvorgänger der Beigeladenen zu 1) stand vom 1. April 1966 an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu, in der Kinderzuschüsse enthalten waren. Die Rente wurde vom 1. August 1966 an laufend gezahlt. Von dem für die Monate April bis Juli 1960 aufgelaufenen Nachzahlungsbetrag überwies die Beklagte an die Beigeladene zu 2 den größten Betrag und an den Kläger (Sozialhilfeträger) den Rest von 132,20 DM.

Die Beigeladene zu 2 hatte dem Versicherten für die Monate April bis August 1966 Kindergeld in Höhe von 555,- DM monatlich gewährt und den Rentenanspruch des Versicherten nach § 23 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (in der bis zum 31.12.1970 geltenden Fassung) auf den Bund übergeleitet. Die Aufwendungen des Klägers für die Familie des Versicherten beliefen sich von April bis Juli 1966 auf 1.430,- DM; von der Beklagten begehrt er die Zahlung des Unterschiedsbetrages in Höhe von (1.430,- DM ./. 132,20 DM =) 1.297,80 DM.

Das Sozialgericht (SG) Bayreuth hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 24. September 1968).

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil abgeändert (Urteil vom 14. Juli 1970): Die Beklagte habe dem Kläger nur 555,- DM zu zahlen; im übrigen werde die Klage abgewiesen. Andererseits habe die Beigeladene zu 2 der Beklagten 555,- DM zu zahlen.

Die Berufung der Beklagten - so hat das LSG ausgeführt - sei statthaft, jedenfalls nicht nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen. - Vor dem übergeleiteten Anspruch der Beigeladenen zu 2 habe zwar nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der Ersatzanspruch des Klägers aus § 1531 der Reichsversicherungsordnung (RVO) den Vorrang; dieser betrage aber für die in Betracht kommende Zeit nur 687,20 DM, weil der Kläger im übrigen Leistungen aus eigener Verpflichtung erbracht habe. Die Beklagte habe also noch 555,- DM nachzuzahlen. - Die im Berufungsverfahren erhobene Widerklage der Beklagten sei zulässig und begründet. Die Beigeladene zu 2 habe den Betrag von 555,- DM zu Unrecht erhalten und müsse ihn der Beklagten erstatten. - Das LSG hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der mit der Widerklage zusammenhängenden Rechtsfrage zugelassen.

Die Beigeladene zu 2 beantragt, das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, an die Beklagte 555,- DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision, soweit sie sich gegen die Rangfolge der Ansprüche richtet, als unzulässig zu verwerfen, im übrigen als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene zu 1 ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken, was den Gegenstand der Widerklage angeht. Der Streit der Beteiligten darüber, ob die Revision auch hinsichtlich des Gegenstandes der Berufung der Beklagten zugelassen sei, ist ohne Bedeutung.

Das Revisionsverfahren betrifft nur die Verurteilung der Beigeladenen zu 2 zugunsten der Beklagten. Das Urteil des LSG ist insoweit, als das Urteil des SG abgeändert, die Beklagte zur Zahlung von 555,- DM an den Kläger verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen wurde (Berufung der Beklagten; Punkt I des Urteils), nicht angefochten und endgültig. Der Revisionsantrag der Beigeladenen zu 2 beschränkt sich eindeutig auf die Widerklage der Beklagten, mag auch die Revisionsbegründung - zwangsläufig - auf Rechtsfragen übergreifen, die sich im Rahmen der Berufung der Beklagten ergeben.

Die Revision ist begründet.

Die Widerklage der Beklagten ist nicht statthaft. Grundsätzlich ist ein Beklagter, der in erster Instanz verurteilt worden ist und Berufung eingelegt hat, berechtigt, eine Widerklage unter den Voraussetzungen des § 100 SGG erst im Berufungsverfahren gegen einen notwendigen Beigeladenen zu erheben (BSG 17, 139, 143; Urteile vom 22. Juni 1966 - 3 RK 103/63 - und vom 16. Februar 1967 - 10 RV 957/64 -). Prozeßvoraussetzung einer solchen Widerklage ist aber die Zulässigkeit der Berufung (vgl. Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl. 1969, § 99 II 2 S. 481). Das Berufungsgericht soll nicht mit einer unmittelbar bei ihm angebrachten Klage befaßt werden, wenn eine Sachentscheidung über die Berufung ausgeschlossen ist, also das Berufungsgericht die der Berufung zugrundeliegenden materiellen Rechtsfragen nicht zu prüfen braucht und nicht prüfen darf.

Das LSG hat allerdings die Berufung der Beklagten zu Unrecht als zulässig angesehen. Eine Sachentscheidung hätte nicht ergehen dürfen. Zwar ist das Berufungsurteil insoweit unanfechtbar geworden. Dieser Umstand steht aber einer Nachprüfung seiner Voraussetzungen in anderem Zusammenhang nicht entgegen. Von dem Ergebnis dieser Prüfung hängt es ab, ob der angefochtene Teil des Urteils verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist. Wäre es dem Revisionsgericht verwehrt, Prozeßvoraussetzungen anders als das Berufungsgericht zu beurteilen, so wäre das Revisionsgericht gezwungen, einer unrichtigen Entscheidung des LSG eine eigene ebenfalls unrichtige Entscheidung hinzuzufügen.

Die Berufung der Beklagten war durch § 146 SGG ausgeschlossen. Sie betraf einen Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers gegen den Rentenversicherungsträger aus § 1531 RVO. Dieser Ersatzanspruch ist wirtschaftlich dem Rentenanspruch des Versicherten gleich (vgl. § 1536 iVm § 1535 b RVO). Schon hieraus, noch deutlicher aber aus der öffentlich-rechtlichen Verstrickung, in der sich der Rentenanspruch von seiner Entstehung an befindet (vgl. § 835 der Zivilprozeßordnung), ergibt sich die Notwendigkeit, den Ersatzanspruch prozessual wie den Rentenanspruch zu behandeln. Auf die nähere Begründung in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil des Senats vom 25.5.1971 (4 RJ 449/68), wird verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669008

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge