Leitsatz (amtlich)
Die Berufung ist nach SGG § 146 ausgeschlossen, wenn sie einen Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe (RVO § 1531) betrifft, der einen Rentenanspruch für eine abgelaufene Zeit (§§ 1536, 1535b RVO) erfaßt. (Weiterführung von BSG 1967-04-27 4 RJ 295/66 = SozR Nr 18 zu § 146 SGG und BSG 1967-08-23 3 RK 43/67 = SozR Nr 19 zu § 146 SGG und BSG 1967-10-31 3 RK 56/66 = SozR Nr 20 zu § 146 SGG).
Normenkette
RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 1536 S. 1 Fassung: 1925-07-14, § 1535b Fassung: 1953-08-20; SGG § 146 Fassung: 1958-06-25, § 149 Fassung: 1958-06-25
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. September 1968 wird aufgehoben. Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29. März 1968 werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der bei der beklagten Landesversicherungsanstalt versicherte Z. wurde in der Zeit vom 1. November 1965 bis zum 30. Juni 1966 vom Kläger - Träger der Sozialhilfe - unterstützt. Zugleich bezog er in dieser Zeit Kindergeld. Die Beklagte bewilligte ihm nachträglich vom 1. November 1965 an die Versichertenrente. Die Nachzahlung für die Zeit vom 1. November 1965 bis 30. Juni 1966 überwies sie anteilsmäßig an die übrigen Verfahrensbeteiligten, deren Ersatzansprüche sie als gleichrangig ansah, in der Weise, daß der Kläger einen größeren Betrag, die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit (BA) 952 DM erhielt. Der Kläger begehrt von der Beklagten auch diesen Betrag für sich.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 952 DM verurteilt (Urteil vom 29. März 1968). Es hat die Berufung nicht zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat, - den Berufungsanträgen der Beklagten und der Beigeladenen entsprechend - das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. September 1968).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die zugelassene Revision des Klägers.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufungen zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision des Klägers hat Erfolg. Das angefochtene Urteil muß aufgehoben, die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen müssen als unzulässig verworfen werden. Das LSG hätte kein Sachurteil erlassen dürfen. Die Unzulässigkeit der Berufungen folgt aus § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Die Rechtsmittel der Beklagten und der Beigeladenen betrafen nur Rente bzw. Rententeile für bereits abgelaufene Zeiträume, nämlich den Anspruch des Versicherten auf Rente oder den Kinderzuschuß zur Rente für die Zeit vom 1. November 1965 bis 30. Juni 1966.
Rechtsgrundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs ist § 1531 RVO. Hiernach (Satz 1 der Vorschrift) kann der Träger der Sozialhilfe, der nach gesetzlicher Pflicht einen “Hilfsbedürftigen„ unterstützt, für eine Zeit, für die dieser einen Anspruch nach der RVO hatte, nach Maßgabe der §§ 1532 bis 1537 RVO Ersatz beanspruchen. Der Kläger hat dem Versicherten während der angegebenen Zeit Unterstützung gewährt; diesem ist von der Beklagten nachträglich für dieselbe Zeit Rente bewilligt worden.
Bei dem auf Ersatz gerichteten Anspruch handelt es sich tatsächlich und rechtlich um den Rentenanspruch des Versicherten. Dem steht der Wortlaut des Gesetzes “... kann Ersatz beanspruchen ...„ nicht entgegen.
Der Senat hat bereits in einer früheren Entscheidung (vgl. BSG in SozR Nr. 18 zu § 146 SGG) darauf hingewiesen, daß die Anwendung des § 146 SGG nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil es sich bei dem geltendgemachten Rentenanspruch zugleich um einen Ersatz- oder Erstattungsstreit im Sinne des § 149 SGG handelt. § 149 SGG trifft eine Regelung für Ersatz- oder Erstattungsstreitigkeiten bis zu einem Streitwert von 500 DM. Die Vorschrift besagt nichts darüber, wie zu verfahren ist, wenn dieser Wert überschritten wird. In solchen Fällen hat es daher bei dem Grundsatz des § 143 SGG und seinen Ausnahmen nach den §§ 144 - 148 SGG - also auch bei der Anwendung des § 146 SGG beim Vorliegen seiner Voraussetzungen - sein Bewenden. Hiervon abzuweichen sieht der Senat keinen Anlaß. In der vorbezeichneten Entscheidung hat der Senat dargetan, daß die Natur des Anspruchs bei Überleitung des Rentenanspruchs des Versicherten nach § 71 a des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF auf den Kostenträger der Kriegsopferversorgung (KOV) keine Veränderung erfährt. Zwar sei - so ist dort ausgeführt - eine andere Person in die Gläubigerstellung eingetreten, doch werde gleichwohl auch weiterhin der Rentenanspruch des Versicherten geltend gemacht. Der 3. Senat des BSG ist dieser Auffassung im Rahmen des § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO - Übergang des Anspruchs auf Rente auf den Träger der Krankenversicherung - beigetreten (vgl. BSG in SozR Nrn. 19 und 20 zu § 146 SGG). Allerdings ist in den zuletzt genannten Vorschriften (§ 183 Abs. 3 Satz 2 RVO, § 71 a BVG aF) von dem Übergang bzw. der Überleitung des Rentenanspruchs die Rede, während § 1531 RVO besagt, daß Ersatz beansprucht werden könne. Dieser unterschiedliche Wortlaut ist jedoch nicht geeignet, im Rahmen des § 146 SGG eine unterschiedliche Beurteilung zu rechtfertigen. Vielmehr gelangt man auch dann, wenn der dem Rentenversicherungsträger gegenüber geltendgemachte Ersatzanspruch sich aus § 1531 RVO ergibt, zur Anwendung des § 146 SGG und damit zu demselben Ergebnis, das in den vorbezeichneten, vom BSG entschiedenen Fällen gewonnen wurde. Einen ersten Hinweis dafür gibt bereits der Wortlaut des Gesetzes. In § 1536 Satz 1 RVO ist bestimmt, daß für den Ersatz aus Leistungen der Rentenversicherung der Arbeiter nur die Renten beansprucht werden können. Nach § 1536 Satz 2 RVO gilt für das Maß des Zugriffs § 1535 b RVO entsprechend. Dort heißt es, daß zur Befriedigung des Ersatzanspruchs auf Rentenbeträge nur für die Zeit zurückgegriffen werden darf, für welche die Unterstützung und der Anspruch auf Rente zusammentreffen. Ein weitergehender Ersatz - etwa in der Weise, daß auch für andere Zeiten gewährte Rentenleistungen erfaßt würden - findet hiernach nicht statt. Diese Regelung läßt in ihren tatsächlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen keinen Unterschied zu Fällen der Art erkennen, in denen der Rentenanspruch selbst kraft Gesetzes übergeht oder aber durch Anzeige übergeleitet wird. Gerade wirtschaftliche Überlegungen waren es aber, die einen entscheidenden Anlaß dafür gegeben habe, die Vorschrift des § 146 SGG zu schaffen. Ein Anspruch, dem nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung zukommt - Rente für abgelaufene Zeiträume - soll in der Regel nicht durch alle Instanzen verfolgt werden können. Das BSG hat sich also bei Auslegung des § 146 SGG von einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise leiten lassen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere verwiesen auf die Urteile in SozR Nr. 1 zu § 146 SGG (dort ist entschieden, daß die Berufung, die Übergangsgeld nur für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft, nicht statthaft ist), Nr. 17 zu § 146 SGG (in einem Wiederaufnahmeverfahren ist die Berufung unzulässig, wenn die Widerklage ausschließlich dem wirtschaftlichen Zweck dient, einen Rentenanspruch für bereits abgelaufene Zeiträume geltend zu machen) und Nr. 22 zu § 146 SGG (die Berufung ist unzulässig bei Geltendmachung eines auf § 1300 RVO gestützten Anspruchs auf Neufeststellung einer - bindend abgelehnten - Rente nur für abgelaufene Zeiträume).
Ob diese Erwägungen für sich allein bereits die entsprechende Anwendung des § 146 SGG in Fällen der vorliegenden Art rechtfertigen, kann offen bleiben. Sie stützen jedenfalls entscheidend die bisher schon vom BSG vertretene Auffassung, daß bei Erfüllung der für die Entstehung des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO normierten Voraussetzungen der Rentenanspruch des Versicherten von Anfang an mit jenem Anspruch behaftet ist (vgl. hierzu BSG 29, 164 ff mit weiteren Hinweisen). Die hierdurch bewirkte Verstrickung ist derjenigen gleichzusetzen, die bei Pfändung einer Forderung entsteht; sie führt zur sinngemäßen Anwendung des § 835 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Hiernach wird die gepfändete Geldforderung dem Gläubiger entweder zur Einziehung - Geltendmachung der Forderung des Schuldners im eigenen Namen - oder an Zahlungs Statt zum Nennwert - mit Wirkung einer Abtretung - überwiesen. Es kann offen bleiben, welche dieser beiden Ausgestaltungsmöglichkeiten man dem gegen den Rentenversicherungsträger gerichteten Ersatzanspruch nach § 1531 RVO zuordnen will. In jedem Falle ist es der Anspruch des Versicherten, also der Rentenanspruch, der geltend gemacht wird. Er muß daher im Rahmen des § 146 SGG ebenso behandelt werden, wie es in den vom BSG bereits entschiedenen Fällen des gesetzlichen oder des durch Überleitung bewirkten Forderungsüberganges geschehen ist. Diese Lösung ist auch am ehesten mit der Entstehungsgeschichte des § 1531 RVO in Einklang zu bringen (vgl. hierzu insbesondere BSG in SozR Nr. 45 zu § 183 RVO).
Hiernach ist das angefochtene Urteil, das die Berufungen als statthaft angesehen hat, aufzuheben, die Berufungen müssen als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen