Leitsatz (amtlich)

Ein Soldat, der während seiner uneingeschränkten Freizeit auf der Straße in einer Bundeswehranlage durch einen Offizier angefahren wird, erleidet dabei in der Regel keine Wehrdienstbeschädigung.

 

Orientierungssatz

Soldat in uneingeschränkter Freizeit = Bürger in Uniform: 1. In der dienstfreien Zeit wird die Handlungsfreiheit eines Bundeswehrsoldaten grundsätzlich nicht durch das militärische Befehls- und Gehorsamssystem eingeengt. Als "Staatsbürger in Uniform" hat er auch die Risiken dieses Bereiches zu tragen.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1, 5 S. 1; SG §§ 6, 11

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 27.02.1987; Aktenzeichen L 7 V 341/85)

SG Bayreuth (Entscheidung vom 15.11.1985; Aktenzeichen S 6 V 403/85)

 

Tatbestand

Der Kläger, der Versorgung nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) begehrt, hatte während seines Wehrdienstes im Bundeswehr-Fliegerhorst F.        am 10. Dezember 1980 nach 24-stündigem Wachdienst 24 Stunden lang dienstfrei. In dieser Zeit ging er mit zwei Kameraden nach Alkoholgenuß in Richtung zu Telefonkabinen an der Hauptwache, um privat zu telefonieren. Als der Kläger gegen 19.30 Uhr mitten auf der Straße stehen blieb, wurde er vom Kompaniechef mit dessen Personenkraftwagen (Pkw) von hinten angefahren. Er erlitt eine Querschnittslähmung. Der Beklagte lehnte eine Versorgung ab, weil sich der Unfall in der Freizeit ereignet habe (Bescheid vom 12. Februar 1982, Widerspruchsbescheid vom 6. April 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. November 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat den Beklagten verurteilt, die Unfallfolgen als Wehrdienstbeschädigung festzustellen und dem Kläger ab 1. April 1981 Versorgung entsprechend dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren (Urteil vom 27. Februar 1987). Das Gericht beurteilt neben den alkoholbedingten Ausfallerscheinungen beim Kläger als gleichwertige Mitursache des Unfalls das zu schnelle Fahren des Kompaniechefs. Dies sei ein wehrdiensteigentümlicher Umstand iS des 3. Falles des § 81 Abs 1 SVG gewesen. Der Kläger, der sich berechtigt im Flugplatzgelände aufgehalten habe, sei in der dienstfreien Zeit gegen die dort typischerweise herrschenden Verkehrsgefahren geschützt gewesen. Diese seien vom dienstlichen Fahrzeugverkehr ausgegangen, zu dem auch das Fahren des Offiziers in seinem privaten Pkw auf dem Betriebsweg innerhalb des Bundeswehrgeländes, das er in Richtung zu seiner Wohnung verlassen wollte, gehört habe.

Der Beklagte, der die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt hat, rechnet den privaten Fahrzeugverkehr im Fliegerhorstgelände nicht zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen; er unterscheide sich nicht vom allgemeinen Straßenverkehr. Außerdem habe das Berufungsgericht beim Abwägen der verschiedenen Ursachen sein Recht zur freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) verletzt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt den gleichen Antrag wie der Beklagte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten hat Erfolg.

Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG ist zurückzuweisen. Dem Kläger steht keine Versorgung wegen der Unfallfolgen nach § 80 Satz 1, § 81 Abs 1 und 5 Satz 1, § 88 Abs 1 Satz 2 SVG (idF vom 9. Oktober 1980 -BGBl I 1957- ohne einschlägige spätere Änderungen) iVm § 9 BVG gegen den Beklagten zu. Seine Verletzung ist durch einen Verkehrsunfall entstanden. Für dessen Folgen hat der Staat nicht aus dem Wehrverhältnis einzustehen.

Der Verkehrsunfall, die unmittelbare Ursache der Querschnittslähmung, ist sowohl auf das Verharren des Klägers auf der Fahrbahn als auch auf zu schnelles Fahren des Offiziers ursächlich zurückzuführen. Daß das Verhalten des Klägers nicht unter einen der Dienstausübung gemäß § 81 Abs 1 SVG zuzurechnenden Umstand fällt, nimmt auch das LSG an. Weder wurde die Unfallverletzung durch eine Dienstverrichtung des Klägers verursacht, noch ereignete sich der Unfall während der Ausübung des Dienstes (1. und 2. Tatbestand des § 81 Abs 1 SVG), so daß der Kläger ebensowenig wie ein Arbeitnehmer aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Arbeitsunfallfolgen (§ 539 Abs 1 Nr 1, § 548 Abs 1 Satz 1, § 547 Reichsversicherungsordnung -RVO-) Entschädigung erhalten kann. Der Kläger hat den Unfall in der von ihm selbst zu gestaltenden Freizeit erlitten.

Entgegen der Ansicht des LSG ist auch eine Schädigung durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse nach dem 3. Fall des § 81 Abs 1 SVG nicht gegeben. Eben diese Rechtsauffassung hat auch der Kläger im Zivilprozeß gegen den Schädiger und dessen Versicherung unter Berufung auf den Ablehnungsbescheid des Versorgungsamtes vertreten und nach § 91a SVG auch vertreten müssen. Darauf ist das LSG nicht ausdrücklich eingegangen. Lediglich das Verhalten des Klägers, das zum Unfall führte, hat das Vordergericht mit Recht nicht den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen zugeordnet. Selbst wenn das Versagen des Offiziers eine mindestens gleichwertige Bedingung und damit eine wesentliche Mitursache des Unfalls im versorgungsrechtlichen Sinn gewesen wäre (BSGE 1, 268, 269 f), wie das LSG entschieden hat, hätte auch diese Einwirkung nicht mit wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen zusammengehangen. Denn dieser Tatbestand setzt eine den Wehrdienst kennzeichnende Eigentümlichkeit und typische Besonderheit voraus, die sich von entsprechenden Verhältnissen des Zivillebens unterscheidet (BSGE 7, 75, 76 ff; seither st Rspr des Bundessozialgerichts -BSG-, zB BVBl 1963, 105 f; SozR 3100 § 1 BVG Nr 36 mwN; BVerwG, Buchholz, 238.41 § 27 SVG Nr 1).

In diesem Sinn wehrdiensteigentümlich war nicht die Voraussetzung der Selbstgefährdung, das Trinken von Alkohol im Kameradenkreis, selbst wenn es unter den Lebensbedingungen von Soldaten in der Freizeit üblich sein sollte (BSGE 18, 199, 202 = SozR Nr 63 zu § 1 BVG; BSGE 20, 266, 269 f = SozR Nr 69 zu § 1 BVG; BSG BVBl 1963, 105 f; Breithaupt 1982, 620). In der dienstfreien Zeit wurde die Handlungsfreiheit des Klägers grundsätzlich nicht durch das militärische Befehls- und Gehorsamssystem (§ 11 Soldatengesetz vom 19. August 1975 -BGBl I 2273-; Scherer/Alff, Soldatengesetz, 6. Aufl 1988, § 1 Rz 49 ff; § 7 Rz 6 und 7) eingeengt (BSG SozR 3200 § 81 Nrn 6, 11, 19, 25). Als "Staatsbürger in Uniform" (§ 6 Soldatengesetz) hat er auch die Risiken dieses Bereiches zu tragen. Seine Gestaltungsfreiheit wurde außerdem nicht durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse derart geprägt, daß er sich durch Verweilen auf der Fahrbahn der durch die Dunkelheit erhöhten Verkehrsgefahr hätte aussetzen müssen.

Eine schnelle Fahrweise des Offiziers hätte für einen die Straße überquerenden Fußgänger allenfalls dann auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen sein können, wenn sie plötzlich durch einen militärischen Alarm notwendig geworden wäre. Solch ein Umstand war hier nicht gegeben.

Die Fahrt des Offiziers war nicht schlechthin und damit zugleich für den Kläger deshalb als diensteigentümlich zu beurteilen, weil sie für den Fall einer Schädigung des Fahrers für diesen als Heimfahrt nach § 81 Abs 1 iVm Abs 4 Nr 2 SVG oder gar - wie das LSG meint - im Fliegerhorstbereich noch als dienstliche Tätigkeit nach § 81 Abs 3 Nr 2 SVG dem Wehrdienst zuzurechnen wäre. Nicht jede Gefahr, die durch irgendeine Betätigung eines Soldaten innerhalb eines militärischen Schutzbereiches für andere entsteht, ist stets im Verhältnis zu einem drittbetroffenen Soldaten auf diensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen, zB nicht privates Fußballspielen in dienstfreier Zeit (BSG Breithaupt 1982, 620) und Schneeballwerfen unter derartigen Umständen (BSG Breithaupt 1978, 777; SozR 3200 § 81 Nr 11; zu Selbstverletzungen: BSGE 33, 141, 143 = SozR Nr 1 zu § 81 SVG 1964; SozR 3200 § 81 Nr 14). Das gilt entgegen der Ansicht des LSG insbesondere für den Straßenverkehr innerhalb eines umgrenzten Militärbereiches, hier des Fliegerhorstgeländes. Die Besonderheit, daß alle Kraftfahrzeuge (Kfz), die in diesem Gelände verkehren, auch zivile, eine Erlaubnis der Bundeswehr benötigen, unterscheidet sich nur vom allgemeinen Straßenverkehr (dazu BGH, Versicherungsrecht, 1964, 530, 531; 1972, 491, 492; 1979, 32), nicht aber vom Werk- oder Behördenverkehr innerhalb einer abgeschlossenen zivilen Einrichtung (vgl dazu BGH 19. Januar 1988 - VI ZR 199/87). Jener Verkehr wird nicht in anderer Weise von militärischen Erfordernissen bestimmt als dieser von der Eigenart und den Bedürfnissen des Zu- und Abganges zur zivilen Anlage sowie von den Interessen ihres Betreibers. Der Bund hat nicht etwa im Wege der Soldatenversorgung nach den §§ 80 ff SVG für die Folgen aller Verkehrsunfälle, die sich im Bereich seiner militärischen Anlagen ereignen, deshalb einzustehen, weil die Bundeswehr den dortigen Fahrzeugbetrieb außerhalb des öffentlichen Straßenverkehrs und damit des Geltungsbereiches allgemeiner Verkehrsvorschriften zu regeln hat.

Wehrdiensteigentümlich iS des § 81 Abs 1 SVG sind schädigende Einwirkungen, die von Betätigungen anderer ausgehen, nur dann, wenn sie im Einzelfall durch typische Wehrdienstumstände geprägt werden. Das ist bisher vom BSG zB angenommen worden bei einer Verletzung durch einen Kameraden während einer Dienstpause in der Kasernenstube (SozR 3200 § 81 Nr 21) oder in einer Bundeswehrkantine (SozR Nr 80 zu § 1 BVG), falls das Zusammensein aus dem Zivilleben herausgenommener, junger Männer unter den außerordentlichen Lebensbedingungen des militärischen Betriebs besondere Konfliktsituationen hervorgerufen hat, die sich derart auswirkten. Solche Umstände beeinflußten nach den Feststellungen des LSG und nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht erkennbar die Fahrweise des Berufsoffiziers, der wie ein üblicher Berufstätiger nach Hause strebte. Das Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit auf einer solchen Tour ist auch bei zivilen Arbeitnehmern möglich und nicht selten.

Der Kläger war nicht etwa infolge wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse der Gefahr, die von dem zu schnell fahrenden Auto ausging, ausgesetzt, wie dies zB wegen einer Ausgangssperre in Betracht kommen kann (BSG SozR 3200 § 81 Nr 19). Das LSG hat daraus, daß er sich mit Kameraden in der dienstfreien Zeit im Fliegerhorstgelände aufhalten durfte und daß die Bundeswehr für die Freizeitgestaltung innerhalb dieser militärischen Anlage eine Kantine sowie Telefonzellen bereitstellt, einen unrichtigen rechtlichen Schluß gezogen. Die berechtigte Benutzung der Fliegerhorststraße in der Freizeit allein machte den Gefahrenbereich des Kfz-Verkehrs nicht zu einem wehrdiensteigentümlichen Umstand für den Kläger. Das Fahren eines einzelnen Fahrzeuges auf der Straße der militärischen Anlage hat ebensowenig wie ein Zustand einer Straße oder eines Gebäudes in einem Kasernengelände, der zu einem Unfall führt (dazu Urteil des BSG vom 26. November 1975 - 10 RV 129/75 - wiedergegeben von Fehl in: Versorgungsbeamter 1979, 123, 126). in wehrdiensteigentümlicher Weise auf den verunglückten Soldaten eingewirkt, falls er der Gefahr, die von einem solchen Umstand ausging, nicht infolge von Besonderheiten des Wehrdienstes zum Opfer gefallen ist. Der Kläger, der die Straße in seiner Freizeit benutzte, hielt sich leichtfertig und nicht notgedrungen auf der Fahrbahn auf.

Entgegen der Meinung des LSG ist auch ein Arbeitnehmer nicht bei einem Unfall infolge der Beschaffenheit einer vom Arbeitgeber gestellten Unterkunft in der Freizeit unfallversicherungsrechtlich geschützt, falls er sich nicht auf einer kurzen Dienstreise oder auf einer längeren am Anfang zwangsläufig in ungewohnter Umgebung aufhalten mußte (BSG SozR Nr 52 zu § 542 RVO aF; Nr 32 zu § 548 RVO; BSGE 39, 108 = SozR 2200 § 548 Nr 6; BSG 26. Januar 1983 9b/8 RU 38/81 -). Ebensowenig gewährt die gesetzliche Unfallversicherung dem Beschäftigten außerhalb der Arbeitszeit, die eine kurze Essenspause umschließt, einen Schutz gegen betriebsbedingte Gefahren (BSGE 14, 295 = SozR Nr 42 zu § 542 RVO aF; SozR 2200 § 548 Nr 15; vgl auch 2200 § 548 Nr 20), außer bei einem ausnahmsweise anerkannten Betriebsbann im begrenzten Schiffs- und Hafenbereich für die See- und Binnenschiffahrtsunfallversicherung (BSG SozR Nr 38 zu § 542 RVO aF; BSGE 42, 129 = 2200 § 548 Nr 22). Ebenso hat das BSG die Rechtslage im Falle eines Marinesoldaten beurteilt, der im Krieg vom Schiff aus eine Wehrmachtskantine im Hafen aufsuchen wollte und auf dem zwangsläufig zurückzulegenden Weg im verdunkelten Hafen verunglückte (BSG SozR 3100 § 1 Nr 15).

Der Begriff der wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse ist entgegen der Rechtsansicht des LSG nicht wegen der Haftungsbeschränkungen nach § 91a SVG zugunsten des Klägers auszulegen, um zu vermeiden, daß er "zwischen allen Stühlen sitzt". Die Beschränkungen der Haftung nach dieser Vorschrift setzen voraus, daß der Verletzte, der Ansprüche über das SVG hinaus geltend macht, eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat. Das ist aber gerade hier nicht anzunehmen, wie es der Kläger auch schon im Zivilprozeß getan hat, um Ansprüche ohne die Anwendung des § 91a SVG geltend zu machen. Die Verneinung einer Wehrdienstbeschädigung eröffnet übliche zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, uU auch gegen den Bund.

Da der Kläger seine Verletzung weder durch den Dienst noch im Dienst noch unter wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen erlitten hat, braucht auf die vom Beklagten mit der Revision erörterte Frage nicht eingegangen zu werden, ob das Verhalten des Klägers die wesentliche Ursache der Verletzung war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658083

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge