Entscheidungsstichwort (Thema)
Kraftfahrzeugsteuerermäßigung. Entziehung des Merkzeichens "G"
Orientierungssatz
Schwerbehinderte mit einer MdE um wenigstens 80 vH müssen auch dann, wenn ihnen das Merkzeichen "G" vor der Einführung der gesetzlichen Rechtsvermutung im Schwerbehindertenrecht zum 1.10.1979 zuerkannt worden war, seit dem 1.4.1984 für eine Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nachweisen, daß sie im Straßenverkehr erheblich bewegungsbehindert sind (Festhaltung an BSG vom 18.12.1985 - 9a RVs 40/85 = SozR 3870 § 3 Nr 20).
Normenkette
SchwbG § 58 Abs 1 Fassung: 1983-12-22; StEntlG 1984 Art 10; KraftStG § 3 Nr 11, § 3 Abs 2 S 1
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 21.01.1986; Aktenzeichen L 4 Vs 59/85) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 05.06.1985; Aktenzeichen S 8 Vs 466/84) |
Tatbestand
Bei dem Kläger war durch Bescheid des Versorgungsamts vom 20. März 1979 bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH als Vergünstigung (heute Nachteilsausgleich) das Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) schon wegen der Höhe der MdE anerkannt. Nach Wegfall der gesetzlichen Vermutung des § 58 Abs 1 Satz 2 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) idF durch das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im Personenverkehr (UnBefG vom 9. Juli 1979 BGBl I 989) mit Wirkung vom 1. April 1984 wurde dem Kläger das Vergünstigungsmerkmal entzogen, ohne daß sich sein Gesundheitszustand gebessert hatte (Bescheid vom 14. Mai 1984 und Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1984).
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat die angefochtenen Bescheide vollständig aufgehoben (Urteil vom 21. Januar 1986). Der Beklagte habe mit dem Bescheid vom 20. März 1979 anerkannt, daß der Kläger in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei, denn dies sei die Voraussetzung für das Merkmal "G" (anders als für die steuerliche Vergünstigung). Weder in den tatsächlichen noch in den rechtlichen Verhältnissen sei eine Änderung eingetreten, weil die Rechtsänderung ab 1. April 1984 Rechtsgrundlagen betreffe, die erst seit 1. Oktober 1979 in Kraft gewesen seien; diese Rechtsgrundlagen seien jedoch noch nicht Grundlage des - älteren - Anerkennungsbescheides gewesen. Dem stehe nicht entgegen, daß der Beklagte vorher nach Empfehlungen oder Anweisungen der Exekutive verfahren sei.
Der Beklagte hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Gestützt auf die Entscheidung des Senats vom 18. Dezember 1985 - 9a RVs 52/85 - (BSGE 59, 242) hält er den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen hilfsweise unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, weil der ungünstige Bescheid durch spätere Rechtsänderungen nicht betroffen worden sei.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist erfolgreich. Die Vorinstanzen halten zu Unrecht den Beklagten für verpflichtet, über den 31. März 1984 hinaus dem Kläger das Merkzeichen "G" uneingeschränkt oder beschränkt auf das Kraftfahrzeugsteuerrecht zuzuerkennen.
Der erkennende Senat hat in dem den Beteiligten bekannten Urteil vom 18. Dezember 1985 (BSGE 59, 242 = SozR 3870 § 3 Nr 20 in Ergänzung zu BSGE 58, 72) entschieden, daß nach der Änderung des § 58 SchwbG durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 -HBegleitG- (vom 22. Dezember 1983, BGBl I 1532) auch solche Behinderte, denen das Merkzeichen "G" schon vor Einführung der gesetzlichen Rechtsvermutung im Schwerbehindertengesetz am 1. Oktober 1979 zuerkannt war, seitdem nachweisen müssen, daß sie im Straßenverkehr erheblich bewegungsbehindert sind. Ein MdE-Grad um wenigstens 80 vH genügt insoweit nicht mehr. Der Senat hat in den genannten Entscheidungen klargestellt, daß durch den gleichzeitigen gesetzgeberischen Eingriff mit Art 10 des Steuerentlastungsgesetzes 1984 -StEntlG- (vom 22. Dezember 1983 - BGBl I 1583 -) auch jede frühere Entscheidung, durch die einem Behinderten mit einer MdE um mindestens 80 vH schon seit Juni 1979 die Steuerbefreiung nach § 3 Nr 11 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes -KraftStG- (idF der Bekanntmachung vom 1. Februar 1979 - BGBl I 132) zuerkannt worden war, für die Zeit ab 1. April 1984 wirkungslos geworden ist. Allein die einheitliche Behandlung aller Schwerbehinderten dient dem erklärten Ziel des StEntlG 1984: Es soll die bis dahin eingetretene "Ausuferung" abgebaut werden, als welche der Gesetzgeber nicht nur die gesetzliche Rechtsvermutung gewertet hat (so die Begründung des Entwurfs in BT-Drucks 10/336 S 32), sondern in gleicher Weise die zuvor schon bestehende allgemeine Handhabung der zuständigen Behörden; insoweit ist in den Motiven zu Recht nicht unterschieden worden (vgl BT-Drucks 10/335 S 41, 89). Ein vor dem 1. Juni 1979 mit dem Merkmal "G" ausgestellter Ausweis wahrt den Besitzstand auch im Steuerrecht nicht, weil die steuerlichen Vergünstigungen zugleich mit denen im öffentlichen Nahverkehr abgebaut worden sind, wie § 3 Abs 2 Satz 1 KraftStG 1983 durch die Bezugnahme auf das UnBefG verdeutlicht.
Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, daß die Behinderung des Klägers nicht so gestaltet ist, daß tatsächlich eine erhebliche Gehbehinderung vorliegt. Das LSG hat diese Feststellung übernommen. Sie ist nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden, so daß sie nach § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) für den Senat bindend ist. Der Beklagte hat zu Recht ab 1. April 1984 das Merkzeichen "G" entzogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen