Leitsatz (redaktionell)

Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Es ist nach SGG § 109 nur gehalten, auf Antrag des Klägers einen bestimmten Arzt (ggf unter Auferlegung eines Kostenvorschusses) gutachtlich zu hören. Auf die Anhörung eines bestimmten Zeugen hat der Kläger keinen prozessualen Anspruch.

 

Normenkette

SGG § 103 Fassung: 1953-09-03, § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 21. September 1954 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Kläger bezieht wegen Verlustes des Zeige- und Mittelfingers rechts sowie Versteifung des rechten Daumens im Handgelenk eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. Seine Körperschäden sind die Folge einer Verwundung, die er als Soldat im Dezember 1941 im Afrikafeldzug erlitten hat. Daneben begehrt der Kläger die Anerkennung einer erstmalig 1947 festgestellten Lungentuberkulose als Versorgungsleiden. Er führt sie auf zwei Rippenfellentzündungen zurück, von denen er die erste beim Afrikacorps durchgemacht haben will - nach seinen Angaben im Juli oder September 1941 -, ohne ein Lazarett aufgesucht zu haben. Die zweite hat er angeblich im Mai 1942 während seiner Zugehörigkeit zum Ersatztruppenteil in S überstanden. Damals hat er nach seiner Behauptung krank zu Hause gelegen und ist von einem Militärarzt behandelt worden. Das Versorgungsamt lehnte die Anerkennung der Lungentuberkulose als Schädigungsfolge im Sinne des BVG ab. Der Einspruch an das Landesversorgungsamt blieb erfolglos. Das Versorgungsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Es stützte sich auf ein Gutachten des Prof. Dr. U vom 9. Juni 1953. Dieser Gutachter betonte, daß nach der Krankengeschichte des Tbc-Krankenhauses H 1949 keine Zwerch- und Brustfellverwachsungen vorhanden waren, so daß ein Spontanpneumothorax entstehen konnte. Da Rippenfellentzündungen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle zu Verwachsungen führen, sei ein ursächlicher Zusammenhang der Lungentuberkulose mit den angeblichen Erkrankungen 1941 und 1942 nicht wahrscheinlich.

Der Kläger hat Berufung eingelegt, die mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSG.) Berlin übergegangen ist. Er bemängelt, daß der Feldwebel im Afrikacorps und gleichzeitig Hauptfeldwebel im Ersatztruppenteil, N nicht als Zeuge vernommen worden sei. Das LSG. erhob eine Äußerung des prakt. Arztes Dr. D dieser gab an, daß die Rippenfellreizung, die er im Verfahren vor dem Versorgungsgericht bescheinigt hatte, nach seiner Annahme eine mit der Erkältung (Grippe) im Zusammenhang stehende trockene Rippenfellentzündung gewesen sei. Aufzeichnungen und Unterlagen standen Dr. D nicht zur Verfügung, ebensowenig wie dem prakt. Arzt Dr. S der seine Angaben in einer Bescheinigung vom 17. Juli 1951 über eine 1941 erstmalig im Feld durchgemachte Rippenfellentzündung lediglich auf Angaben des Klägers gestützt hatte. Das LSG. zog weiter einen Bericht des Prof. Dr. Dr. H vom 6. September 1954 über die Durchführung einer Thoraxoperation beim Kläger bei und vernahm in der mündlichen Verhandlung den Oberregierungsmedizinalrat Dr. W. Durch Urteil vom 21. September 1954 wies das LSG. die Berufung zurück. Es unterstellte, daß der Kläger 1941 und 1942 an Rippenfellentzündung erkrankt gewesen sei. Auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W und des Gutachtens des Prof. Dr. U verneinte das Berufungsgericht den ursächlichen Zusammenhang dieser Erkrankungen mit der Lungentuberkulose, weil keine Brückensymptome zwischen den Erkrankungen und dem Auftreten der Lungentuberkulose im Jahre 1947 vorlägen. Die Deutung des Krankheitsgeschehens als trockene Rippenfellentzündung hat es abgelehnt, weil im Jahre 1949 keine Verwachsungen am Brustfell vorgelegen hätten.

Der Kläger hat Revision eingelegt und gerügt, das LSG. habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Insbesondere habe es den früheren Feldwebel und Hauptfeldwebel N nicht als Zeugen vernommen; außerdem komme dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W keine Beweiskraft zu, weil er den Kläger nicht untersucht habe.

Er hat beantragt,

unter Aufhebung bzw. Abänderung des mit der Revision angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 21. September 1954 den Beklagten zu verurteilen, die bei dem Kläger und Revisionskläger vorliegende Lungentuberkulose als Gesundheitsschädigung während des Wehrdienstes anzuerkennen und entsprechende Versorgung zu gewähren.

Der Beklagte hat Zurückweisung der Revision beantragt.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt. Da das LSG. sie nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und der Kläger eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (Einwirkung des Wehrdienstes) und dem Leidenszustand nicht geltend macht (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, BSG. 1 S. 268 und 254), findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, der auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG. 1 S. 150).

Der Kläger rügt mangelnde Sachaufklärung, weil der Zeuge N nicht vernommen worden sei (§ 103 SGG). Wie das LSG. in den Urteilsgründen ausführt, hat es die Erkrankungen an Rippenfellentzündung, die in das Wissen des Zeugen gestellt worden sind, als durchgemacht unterstellt und deshalb von einer Anhörung des Zeugen abgesehen. Dies gibt zu Bedenken keinen Anlaß. Der Kläger verkennt, daß das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären hat (§ 103 SGG). Es ist nach § 109 SGG nur gehalten, auf Antrag des Klägers einen bestimmten Arzt (gegebenenfalls unter Auferlegung eines Kostenvorschusses) gutachtlich zu hören. Auf die Anhörung eines bestimmten Zeugen hat der Kläger keinen prozessualen Anspruch. Der Zeuge N ist kein ärztlicher Sachverständiger. Infolgedessen konnte das LSG. unbedenklich davon ausgehen, daß er nur die durchgemachten Rippenfellentzündungen bekunden konnte. Wenn darüber hinaus das LSG. diese Erkrankungen als wahr unterstellte, so hat es jedenfalls mit dieser Annahme die Prozeßlage des Klägers gegenüber der durch die beantragte Zeugenvernehmung zu erwartenden Klärung des Prozeßstoffes nicht geschmälert.

Das LSG. hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen den genannten Erkrankungen und der im Jahre 1947 festgestellten Lungentuberkulose verneint, weil noch 1949 keine Verwachsungen des Brust- und Zwerchfells vorlagen, die für eine Lungentuberkulose im Anschluß an eine durchgemachte Rippenfellentzündung typisch sind. Wenn das LSG. angenommen hat, die unterstellten Rippenfellentzündungen haben nicht zu den nach der ärztlichen Erfahrung zu erwartenden Verwachsungen und Verklebungen geführt und kommen deshalb als erster Ausdruck einer Lungentuberkulose nicht in Betracht, so hat es damit die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung nicht überschritten (§ 128 SGG). Es befindet sich im Einklang mit den wissenschaftlich begründeten und übereinstimmenden Gutachten des Prof. Dr. U und des Sachverständigen Dr. W. Diese enthalten keine Widersprüche, Auslassungen oder Vorbehalte, die sie als ungeeignet für die richterliche Überzeugungsbildung erscheinen ließen. Auch die Einwände der Revision gegen das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Dr. W gehen fehl; denn dessen Stellungnahme bezieht sich nur auf Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft beim Zusammentreffen von Rippenfellentzündung und Lungentuberkulose. Eine weitere Untersuchung des Klägers war im Hinblick auf den Bericht des Prof. Dr. Dr. H und das Gutachten des Prof. Dr. U nicht erforderlich, weil der jetzige Krankheitszustand als hinreichend geklärt angesehen werden konnte. Eine Untersuchung während des Verfahrens vor dem LSG. hätte die Frage nach der mehr als 10 Jahre zurückliegenden Entstehungszeit der Krankheit nicht weiter klären können. Infolgedessen konnte das LSG. auch diese nur die ärztliche Wissenschaft und Erfahrung betreffende, ohne eigene Untersuchung abgegebene Äußerung des Sachverständigen Dr. W verwerten. Es hat damit nicht den Rahmen der freien Beweiswürdigung überschritten.

Da sonach der vom Kläger gerügte Mangel unzureichender Sachaufklärung nicht vorliegt, ist die Revision nicht statthaft und war als unzulässig zu verwerfen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2149390

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