Entscheidungsstichwort (Thema)
Entlassung als Lotse wegen Schwerhörigkeit. besonderes berufliches Betroffensein
Leitsatz (redaktionell)
1. Die wehrdienstbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nicht deshalb höher bewertet werden, weil die Entlassung aus dem Wehrdienst als Sperrlotse wegen zT wehrdienstbedingter Schwerhörigkeit bald danach die Entlassung als Elblotse nach sich gezogen hat.
2. Ein besonderes berufliches Betroffensein muß durch eine wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung verursacht sein.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 4. Dezember 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger übte vor dem 2. Weltkrieg den Beruf eines freien Elblotsen aus. Im September 1939 wurde er zur Dienstleistung als Sperrlotse zur Kriegsmarine eingezogen, aber schon im April 1941 wegen Schwerhörigkeit entlassen. Kurz darauf wurde er auch aus dem Beruf als Elblotse von der Aufsichtsbehörde wegen Schwerhörigkeit, die sich bereits im Jahre 1937 bemerkbar gemacht und während des Wehrdienstes verschlimmert hatte, entlassen. Auf Grund eingehender ohrenfachärztlicher Gutachten erkannte das Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsamt (VersorgA.) H im Jahre 1942 eine nicht richtunggebende Verschlimmerung einer anlagebedingten Innenohrschwerhörigkeit auf beiden Ohren und einer Mittelohrschwerhörigkeit auf dem linken Ohr als Wehrdienstbeschädigung an. Eine Versorgungsrente wurde nicht gewährt. Weitere schicksalsmäßige, nicht durch den Wehrdienst verursachte erhebliche Verschlimmerungen des Leidens traten in den Nachkriegswintern 1946 und 1947 ein.
Auf einen Antrag des Klägers vom Oktober 1953 erkannte das VersorgA. Hamburg durch Bescheid vom 9. November 1954 entsprechend dem Bescheid aus dem Jahre 1942 die nicht richtunggebende Verschlimmerung des Schwerhörigkeitsleidens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) an; es versagte die Gewährung einer Versorgungsrente mit der Begründung, daß der Kläger durch die schädigungsbedingte Gesundheitsstörung nicht im rentenberechtigenden Grade von mindestens 25 v.H. in seiner Erwerbsfähigkeit im allgemeinen Erwerbsleben beeinträchtigt sei.
Zur Begründung seines gegen diesen Bescheid gerichteten Widerspruchs, mit dem er die Gewährung einer Versorgungsrente wegen der anerkannten Schädigungsfolgen erstrebte, führte der Kläger aus, er sei durch die Schädigungsfolgen in seinem vor dem Wehrdienst ausgeübten Beruf des freien Elblotsen besonders hart betroffen worden, so daß ihm aus diesem Grunde Versorgungsrente zustehe. Ohne die Ausmusterung aus dem Wehrdienst hätte seine Aufsichtsbehörde keine Veranlassung gehabt, seine Hörfähigkeit zu überprüfen und ihn 1942 aus seinem Beruf zu entlassen, so daß er eine erheblich bessere Vorsorge für die Zeit seiner Berufsunfähigkeit hätte treffen können.
Der Widerspruch, sowie die gegen den Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht (SG.) Hamburg erhobene Klage blieben ohne Erfolg. Durch Urteil vom 4. Dezember 1957 hat das Landessozialgericht (LSG.) Hamburg die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. zurückgewiesen.
Das LSG. hat in seinem Urteil festgestellt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) des Klägers durch die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung einer anlagebedingten Schwerhörigkeit im allgemeinen Erwerbsleben mit 10 v.H. zu bewerten ist und daß die schicksalsmäßige weitere Verschlimmerung der Schwerhörigkeit den Kläger auch ohne den wehrdienstbedingten Verschlimmerungsanteil schon vor Inkrafttreten des BVG zur Aufgabe des Berufs des Elblotsen gezwungen haben würde. Unter diesen Umständen sei die Höherbewertung der MdE. des Klägers bis zu einem rentenberechtigenden Grad wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins nicht möglich. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen müßten die Voraussetzungen eines Anspruchs während der zeitlichen Geltung der Anspruchsnorm erfüllt sein. Unter der Geltung des am 1. Oktober 1950 in Kraft getretenen BVG sei der Kläger aber durch die anerkannte Gesundheitsstörung nicht mehr in seinem Beruf besonders betroffen gewesen.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das am 4. Januar 1958 zugestellte Urteil Revision eingelegt. Die Revisionsschrift ist am 29. Januar 1958 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen, die Revisionsbegründung am 27. März 1958, nachdem die Begründungsfrist bis zum Ablauf des 5. April 1958 verlängert worden war.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Widerspruchsbescheid und das Urteil des SG. vom 21. März 1956 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, eine Rente ab 1. Januar 1953 zu gewähren.
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 30 BVG. Er ist der Ansicht, es sei mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren, daß die Voraussetzungen eines besonderen beruflichen Betroffenseins während der Geltungszeit des BVG erfüllt sein müssen, wie das LSG. es fordere. Das BVG regele die Entschädigungspflicht für Schädigungen, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eingetreten sind, so daß aus Sinn und Zweck des BVG entgegen der Ansicht des LSG. zu folgern sei, daß die Voraussetzungen für Ansprüche nach diesem Gesetz nur früher einmal erfüllt gewesen sein müssen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§ 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist statthaft, weil das LSG. sie zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Die sonach zulässige Revision (§ 169 Satz 1 SGG) ist jedoch nicht begründet.
Das LSG. hat im Ergebnis zutreffend die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG. Hamburg zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 9. November 1954, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolgen eine Versorgungsrente zu gewähren, ist nicht rechtswidrig. Eine Versorgungsrente steht dem Kläger nach dem vom LSG. festgestellten und vom Kläger nicht angegriffenen Sachverhalt nicht zu. Die Voraussetzungen, die nach dem Gesetz für die Gewährung einer Versorgungsrente vorliegen müssen, waren weder erfüllt als der Kläger im Oktober 1953 den Antrag auf Versorgung nach dem BVG stellte noch sind sie in der Zeit danach erfüllt worden.
Der Senat könnte allerdings der Begründung des LSG. dann nicht folgen, wenn das LSG. gemeint haben sollte, die Voraussetzungen für die Entstehung eines Versorgungsanspruchs müßten während der Geltungsdauer des BVG "verwirklicht" sein und das Wort "verwirklicht" im Sinne von "entstanden" gebraucht sein sollte. In diesem Sinn hat der Kläger die Begründung des LSG. aufgefaßt. Nach dem BVG ist Versorgung für die Folgen von gesundheitlichen Schädigungen zu gewähren, die auf überwiegend vor dem Inkrafttreten des BVG liegende Tatbestände gemäß §§ 1 ff. BVG zurückzuführen sind. Soweit der Versorgungsanspruch eine Schädigung im Sinne des BVG voraussetzt, ist es unerheblich, ob diese Schädigung vor oder nach dem Inkrafttreten des BVG eingetreten ist. Soweit der Versorgungsanspruch eine Gesundheitsstörung als Folge dieser Schädigung voraussetzt, so muß diese Gesundheitsstörung noch nach dem Inkrafttreten des BVG bestehen, und zwar in dem Zeitraum, für den Rente begehrt wird. Der Kläger irrt, wenn er annimmt, daß das BVG Versorgung für eine Schädigung gewähre. Vielmehr gewährt es Ansprüche nur für die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung, die in dem Zeitraum des Rentenbegehrs vorhanden sein müssen.
Unbestritten ist, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch wehrdienstliche Einflüsse nur um 10 v.H. gemindert ist. Der Kläger macht jedoch gemäß § 30 BVG geltend, daß die wehrdienstbedingte MdE. deshalb höher zu bewerten sei, weil seine Gesundheitsstörung ihn beruflich und damit auch wirtschaftlich besonders betroffen habe. Er behauptet nicht, daß Grund für die Entlassung als Elblotse die wehrdienstbedingte Verschlimmerung seines Ohrenleidens gewesen ist, sondern sieht den Grund für die Entlassung darin, daß seine Schwerhörigkeit infolge seiner Entlassung aus dem Wehrdienst von seiner Dienstbehörde entdeckt worden ist und diese Entdeckung seine Entlassung aus dem Elblotsendienst nach sich gezogen hat. Mit diesem Vorbringen kann der Kläger sein berufliches Betroffensein nicht rechtfertigen, weil, wie sich aus seinen eigenen Angaben ergibt, nicht die wehrdienstbedingte Verschlimmerung seines Ohrenleidens, sondern die Entdeckung einer bestehenden Schwerhörigkeit zu seiner vorzeitigen Entlassung geführt habe. Mit dieser Begründung hat auch das LSG. ein besonderes berufliches Betroffensein, soweit es vom Kläger in der Tatsache der Entlassung gesehen wird, zutreffend verneint.
Der Kläger begründet in zweiter Linie sein besonderes berufliches Betroffensein damit, daß er infolge der vorzeitigen Entlassung nunmehr eine geminderte Altersversorgung als Elblotse habe. Zwar kann ein besonderes berufliches Betroffensein im Sinne des § 30 BVG auch dann gegeben sein, wenn der Beschädigte einen vor der Schädigung ausgeübten Beruf aufzugeben gezwungen war und dadurch eine Minderung seiner Altersversorgung eingetreten ist. Jedoch ist auch dafür Voraussetzung, daß die vorzeitige Berufsaufgabe und eine dadurch bedingte Schmälerung der Altersversorgung durch eine wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung verursacht ist. Das ist aber nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG. und nach der eigenen Behauptung des Klägers nicht der Fall. Ist somit nur die Entdeckung der Schwerhörigkeit des Klägers, nicht aber die wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung der Grund für die Entlassung aus dem Elblotsendienst gewesen, so ist auch die geschmälerte Altersversorgung nicht eine Folge der wehrdienstbedingten Gesundheitsstörung, der Kläger also nicht durch die Schädigungsfolgen beruflich betroffen. Es konnte somit dahingestellt bleiben, ob auch ohne die Entlassung aus dem Wehrdienst die Schwerhörigkeit des Klägers mindestens im Jahre 1946/47 entdeckt worden wäre und zu seiner Entlassung geführt hätte.
Das LSG. hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß bei dem Kläger ein besonderes berufliches Betroffensein nicht vorliegt, so daß eine Höherbewertung der MdE. aus diesem Grunde nicht erfolgen kann und dem Kläger daher eine Versorgungsrente nicht zusteht. Die Revision des Klägers war mithin als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen