Leitsatz (amtlich)
Gehört ein Unfallverletzter nicht zu dem nach dem SVFAG leistungsberechtigten Personenkreis, weil er im Herkunftsland nicht in einer gesetzlichen Unfallversicherung versichert war (SVFAG § 1 Abs 2 Nr 1), so steht ihm auch dann kein Anspruch nach dem SVFAG zu, wenn er auf Grund der Vorschriften des 3. Buches der RVO Anspruch auf Entschädigung hätte, falls der Unfall im Geltungsbereich des SVFAG eingetreten wäre. Auch nach dem FRG ist im Falle des FRG § 5 Abs 1 Nr 1 Voraussetzung für den Leistungsanspruch, daß der Verletzte im Herkunftsland versichert war.
Normenkette
SVFAG § 1 Abs. 2 Nr. 1 Fassung: 1953-08-07, § 2 Fassung: 1953-08-07; FRG § 5 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-02-25, § 7 Fassung: 1960-02-25
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. Oktober 1960 und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 8. März 1960 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger wurde am 18. Juni 1951 im Alter von zehn Jahren von einem Unfall betroffen, der zum Verlust des linken Armes führte. Er war damals in einem Kinderheim in S. in Sachsen-Anhalt untergebracht. Am Tage des Unfalls befand er sich in der Obhut einer Kindergärtnerin, die an einer Heißmangel beschäftigt war. Auf seine Bitte, bei dieser Arbeit - es wurden Decken durch die Mangel gedreht - mithelfen zu dürfen, ließ ihn die Kindergärtnerin die fertigen Decken wegnehmen. In einem unbewachten Augenblick griff er trotz Verbotes, an die Mangel selbst heranzugehen zu, um eine nicht richtig durch die Mangel laufende Decke geradezuziehen . Dabei geriet er mit dem linken Arm zwischen die Rollen der Heißmangel.
Die Mutter des Klägers erhielt am 20. November 1952 von der Deutschen Versicherungsanstalt zur Befriedigung der Ersatzansprüche des Klägers gegen den Rat des Kreises Bernburg 5.500,- DM (Ost) auf ein Konto der Kreissparkasse Staßfurt überwiesen. Im Jahre 1953 siedelte der Kläger mit seiner Mutter in die Bundesrepublik über.
Am 7. Dezember 1957 stellte die Mutter des Klägers Antrag auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) bei der Beklagten. Diese lehnte den Anspruch mit Bescheid vom 27. Januar 1959 ab, weil ein Arbeitsunfall im Sinne des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erwiesen sei.
Auf die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Bremen durch Urteil vom 8. März 1960 den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese dem Grunde nach zur Gewährung einer Unfallentschädigung verurteilt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 6. Oktober 1960 zurückgewiesen. Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Der Unfall hätte, wenn er in der Bundesrepublik eingetreten wäre, gemäß § 537 Nr. 10 RVO aF unter Versicherungsschutz gestanden; denn der Kläger habe eine, wenn auch nur kurzfristige, Arbeit geleistet; diese sei aus betrieblichen Gründen für den Unternehmer ausgeführt worden und habe dessen ausdrücklichem oder mutmaßlichem Willen entsprochen. Der Versicherungsschutz sei nicht ausgeschlossen, weil der Kläger einem ausdrücklichen Verbot zuwidergehandelt habe und weil er zur Zeit des Unfalls noch ein Kind gewesen sei. Zwar habe nach dem in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) im Zeitpunkt des Unfalls geltenden Sozialversicherungsrecht für den Kläger kein Versicherungsschutz bestanden, da dieser Personen, die vorübergehend wie ein Versicherter tätig werden, nicht umfasse. Der Kläger habe aus Anlaß des Unfalls in der SBZ auch keine Leistungen aus der Sozialversicherung, sondern eine Zahlung aus der Haftpflichtversicherung erhalten. Nach dem Sinn und Zweck des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (FAG) bestehe, auch wenn der Gesetzeswortlaut das Gegenteil zum Ausdruck zu bringen scheine, ein Anspruch auf Leistung aber dann, wenn ein solcher nach dem im Zeitpunkt des Unfalls in der Bundesrepublik geltenden Recht gegeben gewesen sei. Dies sei beim Kläger der Fall. Auch aus dem Fremdrentengesetz vom 25. Februar 1960 (FRG) ergebe sich nichts anderes. Es widerspräche dem mit diesem Gesetz verfolgten Eingliederungsprinzip, wenn dem Kläger eine Unfallentschädigung vorenthalten würde. Eine andere Auslegung des Gesetzes sei überdies mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht zu vereinbaren.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 7. Januar 1961 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 2. Februar 1961 Revision eingelegt und sie gleichzeitig sowie mit einem weiteren Schriftsatz vom 16. Februar 1961 im wesentlichen wie folgt begründet: Dem Berufungsgericht sei zwar zuzustimmen, daß der Kläger nach § 537 Nr. 10 RVO aF dem Versicherungsschutz unterlegen hätte, wenn er den Unfall, der als Arbeitsunfall anzusehen sei, in der Bundesrepublik erlitten hätte. Ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte sei aber nicht gegeben, da nach dem in der SBZ geltenden Unfallversicherungsrecht für einen Unfall der vorliegenden Art kein Versicherungsschutz bestanden habe. Deshalb erfülle der Kläger die Anspruchsvoraussetzung weder des § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 6 FAG noch des § 5 Abs. 1 Nr. 1 FRG. Das Berufungsgericht habe sozialpolitische Erwägungen angestellt, die dem Inhalt dieser Gesetze nicht entsprechen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG sowie des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er nimmt auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Der Kläger beansprucht Unfallrente vom 1. Dezember 1957 an. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß dieser Anspruch für die Zeit bis zum 31. Dezember 1958 nach den Vorschriften des FAG und anschließend nach denen des am 1. Januar 1959 in Kraft getretenen FRG zu beurteilen ist. Zu Unrecht hat das LSG jedoch angenommen, daß der Kläger auf Grund dieser Gesetze für die Folgen des Unfalls, der ihm im Jahre 1951 in der SBZ zugestoßen ist, entschädigungsberechtigt sei.
Nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 FAG haben Anspruch auf Leistungen gemäß §§ 2 bis 6 FAG gegen den nach § 7 FAG zuständigen Versicherungsträger im Bundesgebiet oder im Land Berlin Personen, die - unter anderem - in einer gesetzlichen UV bei einem außerhalb des Bundesgebietes und des Landes Berlin befindlichen deutschen Versicherungsträger versichert waren, sowie die Hinterbliebenen solcher Versicherten. Voraussetzung für die Anspruchsberechtigung dieser Personen nach dem FAG ist also, daß - von den Fällen des § 17 Abs. 8 FAG abgesehen - für sie im Herkunftsgebiet bereits öffentlich-rechtlicher Versicherungsschutz bestand (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 6. Aufl., S. 294 f.; Hoernigk/Jahn/Wickenhagen, Kommentar zum Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, 2. Aufl., S. 43, 44, Anm. 7 zu § 1 Abs. 1 FAG; BSG 9, 24, 25; 10, 56, 57; 16, 140, 144). Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht. Wie er selbst einräumt, stand er nach dem im Zeitpunkt des Unfalls geltenden Sozialversicherungsrecht der SBZ nicht unter Versicherungsschutz; eine dem § 537 Nr. 10 RVO aF (§ 539 Abs. 2 RVO nF) entsprechende Regelung, auf Grund welcher der Kläger bei der zu seinem Unfall führenden Tätigkeit versichert gewesen wäre, ist dem Sozialversicherungsrecht der SBZ fremd (vgl. Brackmann aaO S. 142 g ff., insbesondere 145, 146; Caesar, Das Sozialversicherungsrecht in der Bundesrepublik und in der sowjetischen Besatzungszone, 2. Aufl., 1958, S. 32; Faber/Leutwein, Das Versicherungswesen in der sowjetischen Besatzungszone, 1952, S. 13 und Leutwein, Die sozialen Leistungen in der sowjetischen Besatzungszone und in Ost-Berlin, 1959, Teil I S. 26: Nach § 4 der Verordnung über die soziale Pflichtversicherung vom 28. Januar 1957 sind Personen von der Versicherungspflicht befreit, die eine Gelegenheitsarbeit ausführen). Tatsächlich sind dem Kläger in der SBZ auch keine Sozialversicherungsleistungen gewährt worden; er hat lediglich eine Entschädigung aus der - privaten-Haftpflichtversicherung des Unternehmens erhalten.
An der dargelegten nach dem FAG bestehenden Anspruchsvoraussetzung hat sich auch nichts zugunsten des Klägers durch das am 1. Januar 1959 in Kraft getretene FRG geändert. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 dieses Gesetzes ist der Leistungsanspruch davon abhängig, daß - hier von den Fällen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b abgesehen - der Verletzte im Zeitpunkt des Unfalls bei einem deutschen Träger der gesetzlichen UV versichert war (Jantz/Zweng/Eicher, Erläuterungen zum neuen Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl., S. 21; Merkle/Michel, Kommentar zum Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz, S. 175, Anm. 6 zu § 5 FRG; Hoernigk/Jahn/Wickenhagen aaO, Bd. 2, S. 102, 103, Anm. 11 zu § 5 Abs. 1 FRG). Der gegen die Beklagte gerichtete Entschädigungsanspruch des Klägers ist somit unbegründet.
Die hierfür maßgebliche Rechtslage hat auch das LSG in Betracht gezogen. Es meint jedoch, die Grundkonzeption des Fremdrentenrecht ermögliche es trotz des entgegenstehenden Wortlauts des Gesetzes, den Anspruch aus dem FAG wie dem FRG herzuleiten. Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen.
Die nach § 90 des Bundesvertriebenengesetzes gewährleistete und in den angeführten Fremdrentengesetzen näher geregelte Gleichstellung der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge in der Sozialversicherung rechtfertigt nicht die Annahme, den Kläger auf Grund des FAG und des FRG deshalb für anspruchsberechtigt zu halten, weil er bei seiner unfallbringenden Tätigkeit nach § 537 Nr. 10 RVO aF unter Versicherungsschutz gestanden hätte, wenn ihm der Unfall an seinem Aufenthaltsort im Geltungsbereich des FAG zugestoßen wäre. Für eine solche Schlußfolgerung bieten entgegen der Auffassung des LSG § 2 FAG und diesem entsprechend § 7 FRG keine Handhabe. Durch diese Vorschriften wird die gesetzliche Grundlage für die in § 1 FAG und § 5 FRG angedeuteten Leistungen bezeichnet, hingegen nicht die zwingende Voraussetzung für die Leistungsberechtigung berührt, daß der Verletzte im Herkunftsgebiet in der gesetzlichen UV versichert gewesen ist (vgl. BSG 16, 140, 144). Ebensowenig wie der nach dem FAG leistungsberechtigte Personenkreis (§ 1) durch § 2 dieses Gesetzes eingeengt wird (vgl. BSG 9, 24, 26), kann er unter Heranziehung von § 2 ausgedehnt werden. Die in dem angefochtenen Urteil wörtlich zitierten Ausführungen der Entscheidung des 2. Senats des Bundessozialgerichts vom 2. Juni 1959 (BSG 10, 56, 59) lassen keinen Zweifel darüber offen, daß zwischen der Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises und der Bestimmung der Leistungen, auf die sich die Ansprüche richten, unterschieden worden ist; dort ist besonders auf den Zweck des § 2 FAG hingewiesen, durch den ergänzend zu § 1 sichergestellt werden soll, daß der in dieser Vorschrift bezeichnete Personenkreis grundsätzlich die gleichen Leistungen erhält wie jeder andere vergleichbare Versicherte im Bereich des Geltungsgebietes des Grundgesetzes (GG). Über den Rahmen der Leistungsbestimmung (Voraussetzungen, Art, Umfang, Bemessung der Leistungen) geht es auch nicht hinaus, daß nach § 2 FAG zu beurteilen ist, ob sich der Unfall bei einer Tätigkeit ereignet hatte, die nach dem 3. Buch der RVO unter Versicherungsschutz stand (vgl. BSG 10, 59). Die Frage, ob der Leistungsbewerber dem nach § 1 FAG berechtigten Personenkreis angehört, bleibt hiernach jedenfalls unberührt. Nicht anders verhält es sich insoweit mit der Regelung der Anspruchsberechtigung nach § 5 FRG. Zu einem abweichenden Ergebnis vermögen auch die sonstigen auf die Bedeutung des § 2 FAG gerichteten Darlegungen des angefochtenen Urteils nicht zu führen. Die Ansicht des LSG, aus der Regelung des § 5 Abs. 2 FRG sei im Wege des "Umkehrschlusses" herzuleiten, daß "Unfälle, gegen die der Verletzte im Gebiet der Bundesrepublik versichert gewesen wäre, auch dann als Arbeitsunfälle nach dem FRG zu behandeln sind, wenn sie in der SBZ keinem Versicherungsschutz unterlegen hätten", vermag den Klaganspruch ebensowenig zu rechtfertigen. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift überhaupt einen solchen Schluß ermöglicht; denn jedenfalls müßte der Leistungsanspruch daran scheitern, daß die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 FRG nicht gegeben ist.
Die von den beiden Fremdrentengesetzen gewollte Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Der Gesetzgeber hat aus versicherungsrechtlichen Erwägungen - also aus sachlichen Beweggründen - grundsätzlich die Übernahme fremder Leistungen durch die zuständigen Träger der gesetzlichen UV davon abhängig gemacht, daß der Leistungsbewerber (Verletzte) im Herkunftsland nach dem dortigen Recht bei einem UV-Träger versichert war. Er hat den durch das FRG begünstigten Personenkreis den einheimischen Versicherten nur hinsichtlich des Leistungsrechts gleichgestellt (§ 2 FAG, § 5 Abs. 1 FRG, § 7 FRG). § 7 FRG macht das deutlich, indem dort vorgeschrieben ist, daß für die Voraussetzungen der Leistungen "im übrigen" die Vorschriften des Bundesrechts gelten. In dieser vom Gesetzgeber gewollten Einschränkung des Versicherungsschutzes ist keine willkürliche oder sachfremde Regelung zu erblicken (vgl. BVerfG 9, 14, 16 - Leits. Nr. 18 -).
Der Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte ist nach alledem unbegründet. Die Klage mußte daher unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen