Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderzuschuß nach § 1262 Abs 1 S 1 idF des HBegleitG 1984

 

Orientierungssatz

1. Die Neufassung des § 1262 Abs 1 S 1 RVO stellt - ungeachtet des Zeitpunkts des Versicherungsfalls - allein darauf ab, ob der Rentenberechtigte schon vor dem 1.1.1984 oder erst nach dem 31.12.1983 die Auszahlung einer ihm zustehenden Rente beanspruchen kann (Anschluß an BSG vom 26.2.1987 4a RJ 31/86 = SozR 2200 § 1262 Nr 39).

2. Solange Anspruch auf Übergangsgeld besteht, wird jedoch der Anspruch auf Rente verdrängt (§ 1241d Abs 2 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1262 Abs 1 S 1 Fassung: 1983-12-22, § 1241d Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.10.1986; Aktenzeichen L 8 J 281/85)

SG Duisburg (Entscheidung vom 04.11.1985; Aktenzeichen S 11 J 78/85)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt die Gewährung von Kinderzuschüssen zu seiner Erwerbsunfähigkeitsrente.

Der 1937 geborene Kläger erlitt im September 1982 einen Herzinfarkt. Die Beklagte gewährte ihm im Dezember 1982/Januar 1983 und nach einer im April 1983 durchgeführten Bypass-Operation nochmals im Mai/Juni 1983 eine stationäre Heilbehandlung in der Herzklinik R.. Im ärztlichen Entlassungsbericht wurde ausgeführt, der Operationserfolg erscheine zufriedenstellend. Doch könne die tatsächliche Belastungsfähigkeit des Klägers erst nach einer erneuten Heilbehandlung spätestens im Oktober 1983 beurteilt werden. Im Oktober 1983 wurde auf Veranlassung des Hausarztes des Klägers in der Herzklinik R. eine ambulante Kontrolluntersuchung durchgeführt. Die Klinik teilte der Beklagten mit, daß in allernächster Zeit eine erneute Heilmaßnahme notwendig sei. Der ärztliche Berater der Beklagten kam in seiner Stellungnahme im Dezember 1983 zu dem gleichen Ergebnis. Am 30. November 1983 ging bei der Beklagten der Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ein. Die Beklagte gewährte dem Kläger darauf erneut ein Heilverfahren in der Klinik R., das im März/April 1984 durchgeführt wurde. Im ärztlichen Entlassungsbericht hieß es nun, daß dem Kläger keine regelmäßige Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr zumutbar sei. Darauf gewährte die Beklagte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 26. April 1984 (Ende des letzten Heilverfahrens) nach einem Versicherungsfall vom 20. September 1982 (Auftreten des Herzinfarktes) und für die Zeiträume vor und zwischen den Heilverfahren bewilligte sie Übergangsgeld (Bescheid vom 31. Juli 1984).

Der Kläger hat Klage auf die Gewährung von Kinderzuschüssen erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. November 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Gemäß § 1262 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der hier anzuwendenden, ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 (HBegleitG) erhöhe sich die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um einen Kinderzuschuß für jedes Kind, für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 bereits einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt habe. Der Kläger habe vor dem 1. Januar 1984 aber keine Rente, sondern Übergangsgeld bezogen. Zum Übergangsgeld sei auch bisher schon kein Kinderzuschuß gewährt worden. Auch unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs stehe dem Kläger kein Kinderzuschuß zu. Die Beklagte habe ihre Pflichten dem Kläger gegenüber nicht verletzt. Es habe ausgereicht, daß die Beklagte aufgrund des im November 1983 eingegangenen Antrags des Klägers auf Erwerbsunfähigkeitsrente zunächst eine erneute Heilmaßnahme Anfang 1984 gewährt habe (Urteil vom 29. Oktober 1986).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1262 RVO sowie der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Er beantragt, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 4. November 1985 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31. Juli 1984 zu verurteilen, dem Kläger Kinderzuschüsse zu seiner Rente für seine Söhne T. und Ch. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Beklagte und die Vorinstanzen haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Kinderzuschuß verneint.

Gemäß § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO in der seit dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung des HBegleitG 1984 erhöht sich die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um den Kinderzuschuß für jedes Kind, "für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat". Diese zeitliche Einschränkung der Kinderzuschußberechtigung durch die Neufassung der Vorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit vom Bundessozialgericht (BSG) bereits bejaht worden ist (vgl SozR 2200 § 1262 Nrn 31, 33), ist nach den Entscheidungen des BSG vom 27. Februar 1986 (SozR aaO Nr 33) und vom 26. Februar 1987 - 4a RJ 31/86 - auch dann anzuwenden, wenn der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit - wie hier - bereits vor dem im Gesetz genannten Stichtag 1. Januar 1984 eingetreten ist. Dies wird in den genannten Urteilen damit begründet, daß die Neufassung des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO - ungeachtet des Zeitpunkts des Versicherungsfalls - allein darauf abstelle, ob der Rentenberechtigte schon vor dem 1. Januar 1984 oder erst nach dem 31. Dezember 1983 die Auszahlung einer ihm zustehenden Rente beanspruchen könne. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.

Der Kläger hatte jedoch vor dem 1. Januar 1984 keinen Anspruch auf Auszahlung einer ihm gewährten Rente, obwohl nunmehr feststeht, daß der Versicherungsfall schon am 20. September 1982 eingetreten war. Solange Anspruch auf Übergangsgeld besteht, wird der Anspruch auf Rente verdrängt (§ 1241d Abs 2 RVO). Übergangsgeld wird nicht nur während einer Rehabilitationsmaßnahme gewährt (§ 1240 RVO), sondern auch vor Beginn der Maßnahme, wenn der Versicherte einen Rentenantrag gestellt hatte und sich später - wie hier - herausstellt, daß er schon berufs- oder erwerbsunfähig gewesen war, bevor eine Heilmaßnahme durchgeführt wurde (§ 1241d Abs 1 Satz 2 RVO). Die Beklagte gewährte dem Kläger daher zu Recht für die Zeiten ab 1. Oktober 1982, für die er nicht schon wegen der Durchführung einer Maßnahme Übergangsgeld erhalten hatte, noch Übergangsgeld als sich nach Durchführung der letzten Heilmaßnahme die Erwerbsunfähigkeit des Klägers schon ab Ende September 1982 herausgestellt hatte. Zum Übergangsgeld sind jedoch auch vor dem 1. Januar 1984 Kinderzuschüsse iS des § 1262 RVO nicht gewährt worden. Denn das Übergangsgeld ist eine Leistung eigener Art. Es unterliegt nicht den Bestimmungen, die für den Rentenanspruch gelten.

Dem Kläger steht auch nicht - wie er meint - ein Anspruch auf Kinderzuschüsse zur Rente nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zu (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 30. Oktober 1985 in SozR 2200 § 1241a Nr 9). Dieser Herstellungsanspruch würde eine Verletzung der Betreuungspflicht der Beklagten gegenüber dem Kläger voraussetzen. Eine solche ist indes nach den vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen, die von der Revision nicht mit begründeten Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für den erkennenden Senat gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindend sind, zu verneinen. Das LSG hat aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts die Überzeugung gewonnen, daß die Beklagte im Rahmen des zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Betreuungsverhältnisses nicht verpflichtet war, eine erneute Maßnahme zur Rehabilitation "vor Ende 1983" von Amts wegen einzuleiten. Nach der in der Revisionsbegründung vertretenen Auffassung hätte die erneute Heilbehandlung allerdings früher durchgeführt werden müssen mit der Folge eines dann noch im Jahre 1983 möglichen Rentenbeginns. Der Kläger hat indes nicht hinreichend dargelegt, inwiefern das Berufungsgericht mit seiner aus den festgestellten Tatsachen insoweit gezogenen abweichenden Schlußfolgerung die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) verletzt hat. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß die Beklagte jedenfalls bis zum Ende des Jahres 1983 abwarten durfte, welchen Antrag der Kläger stellen würde. Aufgrund des am 30. November 1983 bei der Beklagten eingegangenen Rentenantrags war dann aber das erneute Heilverfahren, dessen Zulässigkeit dem Grundsatz der Priorität der Rehabilitation gegenüber der Rente (vgl § 7 Rehabilitationsangleichungsgesetz) entsprach, keinesfalls noch im Jahre 1983 durchzuführen.

Auch unter diesem Aspekt stand somit dem Kläger vor dem 1. Januar 1984 ein Anspruch auf Kinderzuschuß iS des § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO idF des HBegleitG 1984 nicht zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665103

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