Beteiligte

…,Kläger und Revisionsbeklagter

…,Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung des Kinderzuschusses für seine Kinder M, geboren am 14. Oktober 1966 und L, geboren am 5. Februar 1969 zur Erwerbsunfähigkeitsrente.

Im September 1983 beantragte der Kläger Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Diesen Antrag lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) mit Bescheid vom 11. Januar 1984 ab, weil der Kläger trotz eingeschränkter Erwerbsunfähigkeit noch leichte Arbeiten überwiegend im Sitzen verrichten könne. Gleichzeitig hielt sie ein Heilverfahren in einer Rheumaklinik für geboten. In seinem Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid erklärte sich der Kläger mit der Durchführung des Heilverfahrens einverstanden. Dieses wurde in der Zeit vom 3. Mai 1984 bis 14. Juni 1984 durchgeführt und Übergangsgeld gezahlt. Der Kläger wurde als arbeitsunfähig entlassen.

Durch Bescheid vom 20. November 1984 entsprach die Beklagte dem Widerspruch des Klägers und bewilligte die Erwerbsunfähigkeitsrente ab 15. Juni 1984 (Tag nach Wegfall des Übergangsgeldes) aufgrund der Annahme, daß der Versicherungsfall am 5. Dezember 1982 eingetreten sei. Vom "fiktiven Rentenbeginn" am 1. September 1983 an bis zum 2. Mai 1984 - dem Tag vor Beginn der Heilkur - bewilligte die Beklagte das sogenannte vorgezogene Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) im Betrag von 29,65 DM täglich (= 7.175,30 DM; vgl Bescheid vom 15. April 1985).

Der die Widerspruchsentscheidung ausführende Rentenbescheid vom 17. Januar 1985 enthält den Hinweis, daß nach dem Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1984 der Kinderzuschuß nicht mehr gewährt werde, wenn die Rente nach dem 31. Dezember 1983 beginne; beim Arbeitsamt (Kindergeldkasse) könne aber Kindergeld beantragt werden.

Während die hiergegen erhobene Klage erfolglos geblieben ist (Urteil des Sozialgerichts Mainz -SG- vom 24. Oktober 1985), hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) auf die Berufung des Klägers die Beklagte zur Gewährung des Kinderzuschusses ab Juni 1984 verpflichtet (Urteil vom 24. März 1986). Zur Begründung wird ausgeführt, der Anspruch auf Kinderzuschuß nach § 1262 Abs 1 RVO sei vor Inkrafttreten des HBegleitG 1984 (1. Januar 1984) entstanden; der Versicherungsfall sei im Jahre 1982 eingetreten und der Rentenantrag im Jahre 1983 gestellt. Einer Auszahlung des Kinderzuschusses vor dem 1. Januar 1984 bedürfe es nicht; es genüge der fiktive Rentenbeginn. Die Regelung des HBegleitG gelte nur für künftige, nach dem 31. Dezember 1983 liegende Versicherungsfälle und damit nicht für den Kläger. Schutzwürdig sei das Vertrauen des Klägers in die bestehende Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles. Die Durchführung des Heilverfahrens dürfe dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen.

Gegen diese Rechtsauffassung wendet sich die Beklagte mit der vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt die Verletzung des § 1262 Abs 1 RVO in der ab 1. Januar 1984 geltenden Fassung des HBegleitG 1984. Sie trägt vor, daß für den Anspruch auf Kinderzuschuß nicht der Eintritt des Versicherungsfalles oder die Rentenantragstellung, sondern der Zeitpunkt maßgebend sei, von dem an die Rente auszuzahlen ist. Dies sei hier wegen der Regelung des § 1241d RVO der 15. Juni 1984. Das vorgezogene Übergangsgeld könne dem Rentenanspruch nicht gleichgestellt werden.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. März 1986 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 24. Oktober 1985 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf. hin, daß ihm aus seiner Zustimmung zum Heilverfahren nach dem gesetzgeberischen Zweck des § 1241d RVO kein Nachteil erwachsen dürfe. Sein Rentenanspruch sei im Wege der "Anspruchskonkurrenz'' zwar verdrängt, dem Grunde nach aber bestehen geblieben.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.

Nach § 1262 Abs 1 RVO idF des Art 1 Nr 39 HBegleitG vom 22. Dezember 1983 (BGBl I S 1532) erhöht sich ua die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit um den Kinderzuschuß für jedes Kind, "für das der Rentenberechtigte vor dem 1. Januar 1984 einen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt hat". Den letzten Satzteil enthält die Vorschrift in ihrer vor dem 1. Januar 1984 geltenden Fassung noch nicht. Die Frage, ob § 1262 Abs 1 Satz 1 aaO in der am 1. Januar 1984 in Kraft getretenen Neufassung des HBegleitG 1984 (Art 39 Abs 1 aaO) anzuwenden ist, wenn der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit - wie hier - bereits vorher (1982) eingetreten ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 27. Februar 1986 (SozR 2200 § 1262 Nr 33) bejaht und ausgeführt, die Neufassung des § 1262 RVO stelle - ungeachtet des Zeitpunkts des Eintritts des Versicherungsfalls - allein darauf ab, ob der Rentenberechtigte schon vor dem 1. Januar 1984 oder erst nach dem 31. Dezember 1983 die Auszahlung einer ihm zustehenden Rente beanspruchen könne; nur im letzten Fall sei § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF anzuwenden. Dem tritt der erkennende Senat bei, und zwar auch hinsichtlich der Überlegungen, die das BSG aaO und zuvor bereits in der Entscheidung vom 30. Oktober 1985 (SozR aaO Nr 31) zur Verfassungsmäßigkeit der neuen Vorschrift angestellt hat.

Im vorliegenden Fall konnte der Kläger erst nach dem 31. Dezember 1983 die Auszahlung einer ihm von der Beklagten zugebilligten Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit beanspruchen: Das dem Kläger von der Beklagten bewilligte Heilverfahren hat am 3. Mai 1984 begonnen. Schon zuvor aber, im September 1983, hatte der Kläger berechtigt Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt, denn laut Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. November 1984/Ausführungsbescheid vom 17. Januar 1985 ist er bereits im Dezember 1982 erwerbsunfähig geworden mit der Folge, daß ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem späteren Antragsmonat, also ab 1. September 1983, zugestanden hätte (§ 1290 Abs 2 RVO). Von diesem aber nur "fiktiven Rentenbeginn" an tritt gemäß § 1241d Abs 1 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 2 RVO an die Stelle des Anspruchs des Versicherten auf Rente ein Anspruch auf ein "vorgezogenes" Übergangsgeld, das mit Beginn der Maßnahme zur Rehabilitation durch das "normale" Übergangsgeld abgelöst wird. Der Kläger hatte mithin in der Spanne zwischen dem "fiktiven Rentenbeginn" am 1. September 1983 und dem Ende des Heilverfahrens am 14. Juni 1984 trotz der unstreitig seit 1982 bestehenden Erwerbsunfähigkeit keinen Anspruch auf (Auszahlung von) Versichertenrente.

Hatte sonach die Beklagte dem Kläger Rente erst nach Abschluß des Heilverfahrens, also ab 15. Juni 1984 zu zahlen, so ist sein Anspruch auf Kinderzuschuß nach § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF zu prüfen. Der Kläger hatte iS dieser Vorschrift vor dem 1. Januar 1984 aber keinen Anspruch auf Kinderzuschuß.

Mangels eines - wie dargelegt - vor dem 1. Januar 1984 bestehenden Renten(-zahlungs-)anspruchs konnte der Kläger auch keinen rentenerhöhenden Anspruch auf Kinderzuschuß nach § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO aF haben. Er hatte vielmehr neben dem vorgezogenen Übergangsgeld nach § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO Anspruch auf Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG), und zwar selbst dann, wenn das Übergangsgeld nach §§ 1240 ff RVO unter Berücksichtigung von Familienangehörigen festgesetzt worden ist (vgl dazu zB den Runderlaß der Bundesanstalt für Arbeit -Kindergeldkasse- Nr 375/74, zitiert nach Berlebach, BKGG, Bd 1 Teil A III § 8 RdNr 8.112; Wickenhagen/Krebs, BKGG, Stand: Juli 1986, § 8 RdNr 13). Der Kläger hatte also vor dem 1. Januar 1984 mangels einer - selbst nur "dem Grunde nach" bestehenden - Kinderzuschußberechtigung keinen "Besitzstand" erworben, der durch § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO nF über den 31. Dezember 1983 hinaus zu schützen und aufrechtzuerhalten wäre (zur Funktion der Neuregelung als Besitzstandssicherung vgl zB BSG aaO Nr 31 S 75 und Nr 33 aaO S 79 und 83; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung, 2. Aufl, Stand: September 1986, Bd II § 1262 Anm III 1).

Eine andere Beurteilung der Rechtslage wird auch nicht durch die Überlegung gerechtfertigt, daß der Kläger ohne die ihm von der Beklagten bewilligte Maßnahme zur Rehabilitation vor dem 1. Januar 1984 einen Rentenanspruch erlangt hätte. Eine solche Maßnahme dient nach dem Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (§ 7 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation -RehaAnglG-) dem Zweck, eine - weitere - Minderung der Erwerbsfähigkeit zu verhindern oder sie zu beseitigen (§ 1236 Abs 1 Satz 1 RVO). Deshalb war der Kläger gerade als Rentenantragsteller nach § 63 des Ersten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB I) zur Mitwirkung angehalten. Hätte die Maßnahme zur Rehabilitation den erwarteten Erfolg gehabt, so wäre ein Rentenanspruch, der um den Kinderzuschuß hätte erhöht werden können, nicht erst entstanden. Bei dieser Rechtslage war die Beklagte nicht verpflichtet, den Kläger vor Einleitung der Rehabilitationsmaßnahme über mögliche Auswirkungen auf einen Anspruch auf Kinderzuschuß hinzuweisen. Der festgestellte Sachverhalt läßt nicht erkennen, daß die Beklagte die Erwerbsfähigkeit sowie die Frage eines Erfolgs des Heilverfahrens offensichtlich fehlerhaft beurteilt hätte. Deshalb hätte der Kläger die Zustimmung zur Durchführung der Maßnahme nicht verweigern können (vgl insbesondere § 65 Abs 1 Nr 2 SGB I).

Hat nach alledem der Kläger vor dem 1. Januar 1984 keinen Anspruch auf Kinderzuschuß gehabt, so mußte auf die begründete Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufgehoben und das zutreffende Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518070

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