Entscheidungsstichwort (Thema)
Verweisungstätigkeit Werkstattschreiber
Orientierungssatz
Zur Verweisung eines Facharbeiters (hier: Schweißer) auf die Tätigkeit eines Werkstattschreibers.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 20.12.1985; Aktenzeichen L 6 J 102/84) |
SG Speyer (Entscheidung vom 13.03.1984; Aktenzeichen S 7 J 105/83) |
Tatbestand
Der im Jahre 1932 geborene Kläger beansprucht Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Während des größten Teils seines versicherten Arbeitslebens war er von 1955 bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anfang Mai 1982 als Schweißer beim Schutzgasschweißen im Akkord tätig. Seinen im Januar 1983 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Januar 1983 ab.
Das Sozialgericht (SG) hat die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteile vom 13. März 1984 und 20. Dezember 1985). Das LSG hat ausgeführt, seine frühere Tätigkeit als Schweißer könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten. Er sei jedoch noch in der Lage, in vollen Schichten leichte Arbeiten ohne häufiges Bücken und Zwangshaltungen sowie Heben und Tragen von schweren und mittelschweren Gegenständen ohne Zeitdruck und besondere nervliche Belastung auszuführen. Mit diesem Leistungsvermögen könne er auf die Tätigkeit eines Werkstattschreibers verwiesen werden, die mindestens wie eine Anlerntätigkeit eingestuft sei.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der vom Senat zugelassenen Revision angefochten. Er rügt eine Verletzung des § 1246 Abs 2 RVO sowie der §§ 62, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. März 1984 sowie den Bescheid vom 28. Januar 1983 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Februar 1983 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu bewilligen; hilfsweise beantragt er, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden mußte.
Erstes Kriterium bei der Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf Rente wegen Berufsunfähigkeit ist nach § 1246 Abs 2 RVO der bisherige Beruf des Versicherten. Das LSG hat offenbar die Beschäftigung des Klägers von 1955 bis 1982 als Schweißer zur Gruppe der Facharbeiterberufe gerechnet. Es hat erwähnt, die Beklagte habe den Facharbeiterstatus anerkannt und der Kläger habe sich ohne Lehre und Prüfung zum Facharbeiter hochgearbeitet. Außerdem hat es die Verweisungsmöglichkeiten bei Facharbeitern erörtert. Sollte die "bisherige Berufstätigkeit" des Klägers zur Gruppe der Facharbeiter zu zählen sein, so hat das LSG zutreffend für eine Verweisung die Gruppe der sonstigen Ausbildungsberufe herangezogen. Ob zu diesen der vom LSG allein benannte Werkstattschreiber gehört, läßt sich anhand der getroffenen Feststellungen indes nicht abschließend entscheiden.
Eine Indizwirkung für den qualitativen Wert der Verweisungstätigkeit geht von deren tariflicher Einstufung aus. Das LSG hat ausgeführt, der Werkstattschreiber sei mindestens wie eine Anlerntätigkeit eingestuft, zB in der Lohngruppe 4 des Lohnrahmentarifvertrages für die Arbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen vom 15. Januar 1982. Diese Gruppe umfaßt nach § 3 Nr 1 des Tarifvertrages "Arbeiten, zu deren Ausführung die erforderlichen Kenntnisse durch Anlernen erworben sind". Unter "Anlernen" wird dabei "das systematische Vermitteln von verschiedenen Grundfertigkeiten" verstanden (§ 3 Nr 2 aaO). Nach der nächsten, höheren Lohngruppe 5 werden "Spezialarbeiten" entlohnt, "die eine Ausbildung im Anlernberuf oder ein Anlernen mit zusätzlichen Erfahrungen erfordern". Das Gesamtgefüge dieses Tarifvertrages deutet darauf hin, daß für sonstige Ausbildungsberufe die Lohngruppe 5 maßgebend ist. Eine entsprechende Indizwirkung geht von der Gruppe 4 nicht aus, denn es ist zweifelhaft, ob ein Anlernen iS eines systematischen Vermittelns von verschiedenen Grundfertigkeiten dem qualitativen Wert eines sonstigen Ausbildungsberufs entspricht. Das hätte bezüglich des Werkstattschreibers belegt werden müssen.
Diese Tätigkeit umschreibt das LSG dahingehend, es handele sich um verschiedene, ständig wiederkehrende einfache Schreib- und Rechenarbeiten; die Kontrolle von Stempelkarten, Fehl-, Krankheits- und Urlaubszeiten müßten erfaßt, Lohnbelege abgeholt und verteilt sowie Werks- und Instandsetzungsaufträge registriert, sortiert, terminlich verfolgt und abgelegt werden. Die relativ einfachen Schreib- und Rechenarbeiten eines Werkstattschreibers sowie die sonstigen Anforderungen könnten nach einer Einarbeitungszeit bis zu drei Monaten verrichtet werden. Der erkennende Senat hat im Urteil vom 9. September 1986 (SozR 2200 § 1246 Nr 139) unter Hinweis auf die Urteile vom 12. Mai 1982 - 5b RJ 6/81 - und vom 28. November 1980 - 5 RJ 98/80 - ausgeführt, in einen Anlernberuf, der normalerweise eine längere Anlernzeit als drei Monate voraussetze, könne sich im allgemeinen in kürzerer Zeit nur ein Versicherter Gericht hinsichtlich der Verweisungsberufe davon aus, daß sie allgemein rascher erlernbar seien, so schließe das die Qualifikation der Tätigkeiten als sonstige Ausbildungsberufe aus. Diesen Widerspruch hat das LSG im Falle des Klägers nicht aufgelöst.
Weder die vom Berufungsgericht angenommene Einstufung des Werkstattschreibers in die Lohngruppe 4 des genannten Tarifvertrages noch die sonstigen Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils bieten eine hinreichende Grundlage, die genannte Verweisungstätigkeit ihrem qualitativen Wert nach den sonstigen Ausbildungsberufen zuzuordnen. Da eine weitere Verweisungstätigkeit nicht benannt ist, mußte schon aus diesem Grunde das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Bei dieser Sachlage erübrigt es sich darauf einzugehen, ob es sich - wie der Kläger unter Hinweis auf § 3 Abs 1 Nr 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) in der Revisionsbegründung geltend macht - beim Werkstattschreiber um einen Angestellten handelt, der nicht unter die Lohngruppe 4 des oben erwähnten Tarifvertrages falle. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung ggf begründen müssen, weshalb es zu der Feststellung gelangen kann, der Kläger verfüge über die für einen Werkstattschreiber erforderlichen geistigen Fähigkeiten. Wenn es feststellt, es handele sich bei dieser Tätigkeit nicht um innerbetrieblich geschaffene Schonarbeitsplätze (vgl hierzu ebenfalls das Urteil des erkennenden Senats vom 9. September 1986 aaO), dann wird es angeben müssen, worauf diese Feststellung basiert.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen