Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit eines Facharbeiters. zumutbare Verweisungstätigkeiten. tarifliche Einstufung der Verweisungstätigkeit
Orientierungssatz
Ein Facharbeiter (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von wenigstens zwei Jahren) kann nur auf Tätigkeiten des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von weniger als zwei Jahren) und auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn diese wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre Gleichstellung mit der qualitativen Wertigkeit eines sonstigen Ausbildungsberufes gerechtfertigt ist (vgl BSG 1981-01-15 4 RJ 37/80 = SozR 2200 § 1246 Nr 86 mwN).
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 26.11.1980; Aktenzeichen L 10 J 29/78) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 10.01.1978; Aktenzeichen S 8 J 246/76) |
Tatbestand
Der im Jahr 1932 geborene Kläger war als gelernter Maler und Anstreicher bis 1962 tätig, wechselte dann - wie er angibt, wegen einer Bronchitis - den Beruf und war in der Folgezeit bis 1975 als angelernter Einschaler, Zimmerer und Zimmererkolonnenführer beschäftigt. Seitdem kann er nur noch leichte bis mittelschwere Arbeiten, die nicht an laufenden Maschinen, nicht in Zwangshaltung, nicht auf Leitern und Gerüsten und nicht unter Witterungseinflüssen zu verrichten sind, vollschichtig ausführen. Seinen Rentenantrag vom Juli 1976 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 1976 ab.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat mit Urteil vom 10. Januar 1978 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 26. November 1980 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen dieses Urteils ist ausgeführt: Der Kläger sei als Facharbeiter anzusehen. Mit dem restlichen Leistungsvermögen könne der Kläger sozial zumutbar auf eine Anzahl von Tätigkeiten, zB die des Verwiegers und des gehobenen Pförtners, verwiesen werden. Diese Tätigkeiten könnten nach einer Anlernzeit von drei Monaten verrichtetet werden, seien in Lohngruppe 5 des Manteltarifvertrages (MTL) der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen eingestuft und lägen damit nur eine Gruppe unter der des Facharbeiters in diesem Industriezweig; in Lohngruppe 6 seien diejenigen Arbeitnehmer eingestuft, die einen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von zwei Jahren ausübten.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) und die Verletzung der §§ 62, 128 Abs 2 und 103 Sozialgerichtsgesetz. Er trägt vor, als Facharbeiter könne er nicht auf Tätigkeiten der Lohngruppe 5 verwiesen werden, da diese weder eine Regelausbildung noch eine betriebliche Ausbildung im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung erforderten; die Lohngruppe 5 liege nicht eine Stufe, sondern zwei Stufen unter der Facharbeiterlohngruppe 7.
Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli 1976 an Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Auf ihren Schriftsatz vom 3. Mai 1982 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist im Sinn der Zurückverweisung begründet. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, zu einer abschließenden Entscheidung fehlen aber die erforderlichen Feststellungen. Der Kläger kann zwar seine bisherigen beruflichen Tätigkeiten nicht mehr ausüben, insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit, es ist aber fraglich, ob er auf andere zumutbare Tätigkeiten verwiesen werden kann.
Ein Versicherter ist nicht berufsunfähig iS des § 1246 Abs 2 RVO, wenn es Tätigkeiten gibt, die einerseits seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und andererseits ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 Satz 2 RVO). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann ein Facharbeiter (anerkannte Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungszeit von wenigstens zwei Jahren) nur auf Tätigkeiten des angelernten Arbeiters (sonstige Ausbildungsberufe mit einer Regelausbildungszeit von weniger als zwei Jahren) und auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn diese wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre Gleichstellung mit der qualitativen Wertigkeit eines sonstigen Ausbildungsberufes gerechtfertigt ist (Urteil vom 15.1.1981 - 4 RJ 37/80 - und SozR 2200 § 1246 Nr 86 mwN).
Nach der Auffassung des Berufungsgerichts gehören zu den zumutbaren Verweisungstätigkeiten auch die in Lohngruppe 5 des Tarifvertrages der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein- Westfalens eingestuften Tätigkeiten des Verwiegers und des gehobenen Pförtners. Das LSG begründet das damit, daß in Lohngruppe 6 die Arbeitnehmer eingestuft seien, die einen Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von zwei Jahren ausüben, so daß die Lohngruppe 5 damit nur eine Gruppe unter der der Facharbeiter liege. Die Revision weist demgegenüber darauf hin, daß der Tarifvertrag Arbeiten, "die ein Anlernen von drei Monaten erfordern", der Gruppe 5, solche, "die eine abgeschlossene Anlernausbildung in einem anerkannten Anlernberuf ... erfordern", der Gruppe 6 und die eigentlichen Facharbeiten der Gruppe 7 zuordne, weshalb Facharbeiter nicht auf Tätigkeiten der Gruppe 5 verwiesen werden könnten. Dem ist insoweit zuzustimmen, als, wie der Senat schon im Urteil vom 19. März 1980 - 4 RJ 13/79 - (SozR 2200 § 1246 Nr 60) entschieden hat, erst die Gruppe 6 eigentliche Anlerntätigkeiten erfaßt. Da die Tätigkeiten des Verwiegers und des gehobenen Pförtners der Lohngruppe 5 zugeordnet sind, scheiden sie als zumutbare Verweisungstätigkeiten aus. Unter diesen Umständen kann es dahinstehen, ob die genannten Verweisungstätigkeiten, wie vom LSG angenommen, sich deutlich aus der Gruppe der ungelernten Tätigkeiten herausheben.
Damit ist aber noch nicht gesagt, daß der Kläger Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit habe, denn es bleibt zu prüfen, ob es nicht andere, zumutbare Tätigkeiten für den Kläger gibt.
Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - nicht erörtert, ob es Tätigkeiten des Leitberufs angelernter Arbeiter gibt, die den Kräften und Fähigkeiten des Klägers entsprechen. Das wird es nachzuholen haben.
Das angefochtene Urteil war demgemäß aufzuheben. Die Sache war an das LSG zurückzuverweisen, damit die zur Entscheidung des Rechtsstreits noch erforderlichen weiteren Feststellungen getroffen werden können.
Im Schlußurteil wird auch über die Kosten zu entscheiden sein.
Fundstellen