Leitsatz (redaktionell)

1. Ersatzanspruch nach RVO § 183 Abs 3 beim Tode des Rentenantragstellers.

2. Da die SGB 1 §§ 56 ff keine besonderen Regelungen über die Fortsetzung des Verfahrens enthalten, ist davon auszugehen, daß der Inhaber des Sozialleistungsanspruches grundsätzlich auch zu dessen Geltendmachung berechtigt ist.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Krankenkasse berechtigt, den auf sie nach RVO § 183 Abs 3 S 2 übergegangenen Rentenanspruch selbständig geltend zu machen, wenn der Versicherte nach Rentenantragstellung, aber vor Abschluß des Rentenverfahrens gestorben ist und Rechtsnachfolger nicht vorhanden sind (so auch BSG vom 1979-03-28 4 RJ 45/78 = SozR 2200 § 183 Nr 21).

4. Diese Berechtigung besteht auch, wenn ein möglicher Rechtsnachfolger zwar bekannt ist, dieser aber das Rentenverfahren nicht fortsetzt. Der Rentenversicherungsträger ist auch in einem solchen Fall verpflichtet, den (auf die Krankenkasse übergegangenen) Rentenanspruch zu ermitteln und den ermittelten Betrag an diese zu zahlen.

5. Die Krankenkasse kann - bei Verweigerung der Zahlung - unmittelbar auf Leistung klagen, denn angesichts der hier gegebenen Gleichordnung beider Versicherungsträger hat ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen (SGG § 54 Abs 5).

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1961-07-12; SGB 4 § 56 Fassung: 1975-12-11; SGG § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

SG Bremen (Entscheidung vom 16.02.1979; Aktenzeichen S J 224/77)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. Februar 1979 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, den auf die Klägerin übergegangenen Rentenanspruch des Versicherten W St zu ermitteln und den ermittelten Betrag an die Klägerin zu zahlen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Krankenkasse berechtigt ist, den Übergang eines Rentenanspruchs nach § 183 Abs 3 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gerichtlich geltend zu machen, wenn der Versicherte vor Abschluß des von ihm eingeleiteten Rentenverfahrens gestorben ist und ein Rechtsnachfolger das Verfahren nicht fortsetzt.

Der Versicherte, W S (St), bezog von der klagenden Betriebskrankenkasse ab 3. März 1975 Krankengeld. Am 18. Dezember 1975 stellte er bei der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente. Die Klägerin meldete daraufhin am 8. Januar 1976 bei der Beklagten ihren Ersatzanspruch an. Die von der Beklagten veranlaßte ärztliche Untersuchung und Begutachtung des Versicherten ergab, daß wegen der schwerwiegenden Erkrankungen und des schlechten körperlichen Gesamtzustandes seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit jede Lohntätigkeit von Bedeutung ausgeschlossen war. Am 5. März 1976 starb der Versicherte. Ein Sonderrechtsnachfolger iS des § 56 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) wurde nicht ermittelt. Der als Erbe in Betracht kommende Sohn des Versicherten setzte das Rentenverfahren nicht fort. Die Beklagte teilte nun der Klägerin mit, sie könne den Ersatzanspruch nach § 183 Abs 3 RVO nicht befriedigen, weil der Krankenversicherungsträger nicht berechtigt sei, das Rentenfeststellungsverfahren für den oder anstelle des Berechtigten in Gang zu setzen oder weiter zu betreiben. Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) ist der Rechtsauffassung der Beklagten beigetreten und hat die Klage abgewiesen.

Dagegen richtet sich die vom SG zugelassene Sprungrevision der Klägerin: Das angefochtene Urteil berücksichtige nicht die bisherige Rechtsprechung des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG). Danach sei im Interesse einer nach § 183 Abs 3 RVO ersatzberechtigte Krankenkasse die Fortsetzung des Rentenverfahrens auch nach dem Tode des Rentenantragstellers geboten und nicht von der Mitwirkung der Erben oder eines sonstigen Bezugsberechtigten abhängig.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. Februar 1979 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den am 18. Dezember 1975 gestellten Rentenantrag des am 5. März 1976 verstorbenen Versicherten, W S, zu entscheiden und ihr zwecks Geltendmachung des Ersatzanspruchs nach § 183 Abs 3 RVO einen Rentenbescheid zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist eine Leistungsklage, die sich auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO stützt. Der Antrag der Klägerin ist zwar nicht ausdrücklich auf die Verurteilung zu einer Leistung gerichtet, sondern nur darauf, die Beklagte zu verpflichten, über den Rentenantrag des Versicherten zu entscheiden und ihr hierüber einen Bescheid zu erteilen. Diese Fassung des Antrags bedarf jedoch einer nach § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässigen Auslegung. Die prozessuale Rechtstellung einer Krankenkasse in einem Streitverfahren wegen eines Rentenanspruchs beschränkt sich auf die Durchsetzung ihrer nach § 183 Abs 3 Satz 2 oder § 183 Abs 5 Satz 1 RVO erworbenen Rechte. Eine umfassendere Prozeßführungsbefugnis - etwa wie nach § 1511 RVO im Verfahren zur Feststellung der Unfallentschädigung - steht ihr nicht zu. Aus dem gesamten Streitverhältnis ergibt sich aber auch, daß die Klägerin nur einen nach § 183 Abs 3 Satz 2 RVO auf sie übergegangenen Rentenanspruch geltend machen will. Gegen ein solches Begehren bestehen keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Die Klägerin kann unmittelbar auf Leistung klagen, denn in Anbetracht der im vorliegenden Rechtsverhältnis gegebenen Gleichordnung beider Versicherungsträger hat ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen (§ 54 Abs 5 SGG).

Die Klägerin kann jedoch zunächst nur Leistung dem Grunde nach verlangen, denn der auf sie übergegangene Rentenanspruch ist bisher noch nicht betragsmäßig festgestellt. Insoweit ist ihr Begehren auch gerechtfertigt.

Der erkennende Senat hat bereits wiederholt - zuletzt mit dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 87/77 - entschieden, daß die Krankenkasse als Gläubigerin berechtigt ist, den auf sie übergegangenen Rentenanspruch selbständig geltend zu machen, wenn der Versicherte nach Rentenantragstellung, aber vor Abschluß des Rentenverfahrens gestorben ist und Rechtsnachfolger nicht vorhanden sind. Dieses Recht ergibt sich aus den in § 183 Abs 3 RVO geregelten unmittelbaren Ausgleichsbeziehungen zwischen dem - rückschauend betrachtet - nur zur Überbrückung eines Notstandes gezahlten Krankengeld und dem Teil der Rente, der anstelle dieses Krankengeldes von vornherein hätte gewährt werden müssen. Die Krankenkasse soll dafür entschädigt werden, daß sie für den eigentlich verpflichteten Rentenversicherungsträger geleistet hat. Bei einem normalen Verlauf des Rentenfeststellungsverfahrens kann die Krankenkasse nach Erteilung des Rentenbescheides den auf sie übergegangenen Rentenanspruch ohne weiteres im Verwaltungswege realisieren und erforderlichenfalls gerichtlich geltend machen, denn es handelt sich hierbei lediglich um einen Rentennachzahlungsbetrag und nicht um das ihrer Einwirkung entzogene Rentenstammrecht. Nichts anderes kann gelten, wenn der Versicherte vor Abschluß des von ihm noch eingeleiteten Rentenverfahrens gestorben ist. Allerdings bedarf es dann nicht mehr der Erteilung eines Rentenbescheides.

Dieser Schlußfolgerung stehen nicht die in § 183 Abs 3 RVO enthaltenen Einzelregelungen entgegen. Satz 1 dieser Vorschrift verlangt zwar, daß die Rente "zugebilligt wird". Ihr Regelungsgehalt erschöpft sich jedoch darin, anzuordnen, daß der Krankengeldanspruch mit einem bestimmten Termin - dem Zeitpunkt der Rentenzubilligung - endet. Der Tag der Zubilligung der Rente ist der Rentenbeginn, also der Zeitpunkt, von dem an die Rente dem Versicherten zusteht (vgl BSGE 32, 186, 187 = SozR Nr 56 zu § 183 RVO; BSGE 41, 201, 202 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 12). Der zweite Satz des § 183 Abs 3 RVO befaßt sich ausschließlich mit der Frage, ob über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus Krankengeld gezahlt worden ist, und regelt bejahendenfalls den Übergang des Rentenanspruchs. Er enthält also lediglich materielles Recht und stellt keinerlei formelle Erfordernisse auf. Dasselbe gilt für den dritten Satz, der im Rahmen des Krankenversicherungsverhältnisses die Freistellung des Versicherten von Rückzahlungsverpflichtungen betrifft. § 183 Abs 3 RVO bietet mithin keinen Anlaß dafür, den Übergang des Rentenanspruchs erst mit dem Erlaß eines Rentenbescheides als bewirkt anzusehen. Der Anspruchsübergang setzt lediglich das Bestehen des Rentenanspruchs voraus, nicht dessen verwaltungsmäßige Feststellung.

Die vorliegende Streitsache unterscheidet sich zwar von den bisher entschiedenen insofern, als ein möglicher Rechtsnachfolger des verstorbenen Versicherten (sein Sohn) bekannt ist, dieser aber das Rentenverfahren nicht fortsetzt. Diese Abweichung in tatsächlicher Hinsicht gibt jedoch keinen Anlaß zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Vielmehr ist der Rentenversicherungsträger auch in einem solchen Fall verpflichtet, den auf die Krankenkasse übergegangenen Rentenanspruch zu ermitteln und den ermittelten Betrag an diese zu zahlen.

Das Dispositionsrecht des Versicherten, das zu dessen Lebzeiten eine selbständige Geltendmachung des Rentenanspruchs durch die Krankenkasse ausschließt, steht nach dem Tode des Versicherten dem aus der Gläubigerstellung sich ergebenden Recht der Krankenkasse auf Geltendmachung des übergegangenen Rentennachzahlungsanspruches nicht mehr entgegen. Das berechtigte Interesse des Versicherten, allein zu bestimmen, ob, ab wann und in welchem Umfang er aus dem aktiven Berufsleben ausscheidet und in den Rentnerstand überwechselt, ist mit seinem Tode entfallen. Die Interessen des Rechtsnachfolgers am Rentenanspruch sind vornehmlich vermögensrechtlicher Art. Sie beschränken sich im wesentlichen auf die Rentennachzahlung. Die insoweit dem Rechtsnachfolger verbliebene Dispositionsbefugnis ist - wenn man von dem allgemeinen Verzicht auf die Sonderrechtsnachfolge und auf das Erbrecht absieht - durch § 46 Abs 2 SGB I eingeschränkt. Danach ist ein Verzicht unwirksam, soweit durch ihn andere Personen oder Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen werden.

Eine Nichtbeteiligung des Rechtsnachfolgers am weiteren Verwaltungsverfahren des Rentenversicherungsträgers kann den Ausgleichsanspruch der Krankenkasse und deren Recht auf seine Geltendmachung nicht beeinträchtigen. Da der Rentenanspruch in Höhe der Krankengeldzahlung bereits ab Bewilligung der Rente, also ab dem Zeitpunkt, von dem an die Rente dem Versicherten zusteht, auf die Krankenkasse übergeht, erwirbt der Rechtsnachfolger des Versicherten insoweit keinen Anspruch. Die Gläubigerstellung der Krankenkasse wird durch die Rechtsnachfolge nicht berührt. Auch die Realisierung des Anspruchs der Krankenkasse ist nicht von einer Mitwirkung des Rechtsnachfolgers, insbesondere von der Fortsetzung des Rentenverfahrens abhängig. Eine solche verfahrensrechtliche Voraussetzung ergibt sich für den vorliegenden Fall insbesondere nicht aus § 1288 Abs 2 RVO aF. Diese Vorschrift, die die Fortsetzung des Rentenverfahrens durch den Sonderrechtsnachfolger regelte, ist mit Wirkung vom 1. Januar 1976 durch Art II § 4 Nr 1 SGB I aufgehoben worden und findet daher hier keine Anwendung. Der Versicherte St. ist am 5. März 1976 gestorben. Für seine Rechtsnachfolge sind deshalb die Bestimmungen der §§ 56 bis 59 SGB I maßgebend (Art II § 19 SGB I). Da diese keine besonderen Regelungen über die Fortsetzung des Verfahrens enthalten, ist davon auszugehen, daß der Inhaber des Sozialleistungsanspruches grundsätzlich auch zu dessen Geltendmachung berechtigt ist.

Der Rentenanspruch des verstorbenen Versicherten St. steht bis zur Höhe des dem Versicherten gezahlten Krankengeldes der Klägerin zu. Nur ein die Krankengeldleistung eventuell übersteigender Rentenanspruch kann auf den Rechtsnachfolger übergegangen sein. Die Ansprüche der Krankenkasse und des Rechtsnachfolgers sind nicht erloschen (§ 59 SGB I). Die Beklagte ist daher zur Leistung verpflichtet. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie auch die von der Rechtsnachfolge erfaßten Ansprüche befriedigen muß, wenn sie vom Rechtsnachfolger nicht geltend gemacht werden. Keinesfalls darf die Beklagte eine Befriedigung des auf die Krankenkasse übergegangenen Rentenanspruchs deshalb verweigern, weil der Rechtsnachfolger, also der Inhaber des eventuellen Restanspruchs, nicht feststellbar ist oder keine Rechte geltend macht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656965

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge