Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriffe "Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne", "ärztliche Behandlung" und "Heilmittel". eigenverantwortliche Behandlungsmaßnahme durch einen nicht ärztlichen Diplom-Psychologen

 

Leitsatz (amtlich)

Die KK ist nicht verpflichtet, einem Versicherten die Kosten zu erstatten, die er für die Behandlung eines privat in Anspruch genommenen Diplom-Psychologen aufgewendet hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die von einem nichtärztlichen Diplom-Psychologen selbständig und eigenverantwortlich durchgeführte Behandlungsmaßnahme stellt weder eine ärztliche Behandlung iS des RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a dar noch ist sie den Heilmitteln iS des RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b zuzuordnen.

2. Hilfeleistungen nichtärztlicher Diplom-Psychologen iS des RVO § 122 Abs 1 S 2 können nur dann als ärztliche Behandlung angesehen werden, wenn sie ein approbierter Arzt anordnet; die anordnende Tätigkeit des Arztes darf sich dabei nicht auf eine bloße Verordnung der Drittleistungen beschränken, sondern erfordert wegen der mit jeder Behandlungsmaßnahme verbundenen Risiken je nach Lage des Falles eine mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson.

 

Normenkette

RVO § 122 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 188 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 507 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b Fassung: 1974-08-07

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 02.11.1978; Aktenzeichen L 5 K 17/78)

SG Koblenz (Entscheidung vom 03.05.1978; Aktenzeichen S 2 K 67/77)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. November 1978 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten einer psychologischen Untersuchung seiner Tochter zu erstatten hat und dieser eine verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen gewähren muß.

Der bei der Beklagten versicherte Kläger ließ seine 1967 geborene Tochter am 5. April 1977 durch zwei Diplom-Psychologen untersuchen. Die von diesen ausgestellte Rechnung über 385.- DM, in der als Diagnose Konzentrationsstörungen aufgeführt sind, legte er der Beklagten zur Erstattung vor. In einem beigefügten fachärztlichen Zeugnis des Nervenarztes Dr. V führte dieser aus: Das Kind leide unter starken Verlustängsten, die zu einer schweren Verhaltensstörung auf organischer Grundlage geführt hätten. Wegen des dadurch entstandenen schwerwiegenden familientherapeutischen Problems sei zur Abwendung weiterer Gesundheitsschäden eine konsequente psychologische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen erforderlich. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Juli 1977 eine Kostenbeteiligung ab. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Ärztliche Behandlung sei grundsätzlich nur durch zur kassenärztlichen Versorgung zugelassene approbierte Ärzte und Zahnärzte zu erbringen. Nichtärztliche Berufsgruppen seien nur zu beteiligen, wenn durch entsprechende Vereinbarungen die Zulassung zur selbständigen Hilfe erteilt worden sei. Das treffe auf Diplom-Psychologen nicht zu. Deren Tätigkeit sei auch nicht als Hilfeleistung eines Dritten iS des § 122 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) der ärztlichen Tätigkeit zuzurechnen; denn die psychologischen Maßnahmen seien hier weder von einem Nervenarzt angeordnet worden, noch sei eine ärztliche Anleitung oder Überwachung erfolgt. Ihre Einordnung als Heilmittel komme ebenfalls nicht in Betracht, weil sie nicht in der Anwendung sächlicher Mittel, sondern ausschließlich im Einsatz geistiger Fähigkeiten bestünde.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 122 und 182 RVO. Es sei nicht mehr zeitgemäß, psychotherapeutische Behandlungen nur durch Ärzte ausführen zu lassen. In diesem Bereich könnten die Krankenkassen ihrem Sicherstellungsauftrag nicht mehr in der erforderlichen Weise nachkommen. Das ergebe sich schon aus den überaus langen Wartezeiten bei ärztlichen Therapiemaßnahmen. Bis zum Inkrafttreten eines Psychotherapeutengesetzes müßten deshalb die genannten Vorschriften dahin ausgelegt werden, daß neben Ärzten auch andere hierfür qualifizierte Personen an der Behandlung mitwirken könnten.

Der Kläger beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile sowie die ihnen zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm die Untersuchungskosten von 385.- DM zu erstatten und die Kosten der Behandlung seiner Tochter durch die Diplom-Psychologen V zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

Der Kläger könnte mit dem die durchgeführte psychologische Untersuchung seiner Tochter betreffenden, auf eine Geldleistung gerichteten Klageanspruch allenfalls dann durch dringen, wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, diese Untersuchung im Rahmen der Familienhilfe vornehmen zu lassen, also als Sachleistung zu gewähren; denn das System der deutschen sozialen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungs- sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt (vgl BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 RVO Nr 4 S 10; vgl auch BSGE 44, 41, 42 = SozR 2200 § 508 RVO Nr 2 sowie die Urt des Senats vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 34/78 - und vom 24. April 1979 - 3 RK 32/78 -). Eine solche Verpflichtung bestand für die Beklagte jedoch ebensowenig, wie sie verpflichtet ist, die Kosten der Behandlung der Tochter des Klägers durch einen Diplom-Psychologen - also einen Nichtarzt - zu übernehmen.

Nach § 41 Abs 1 und 6 der ab 1. Januar 1977 gültigen und hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten erhalten Mitglieder für ihre unterhaltsberechtigten Kinder Krankenpflege unter denselben Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie sie selbst. Hierzu gehört insbesondere die Gewährung von ärztlicher und zahnärztlicher Behandlung. § 26 Abs 1 VB gibt den Mitgliedern einen Anspruch auf ärztliche Behandlung im Rahmen der von der Kasse bzw der mit ihrer Zustimmung vom Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung abgeschlossenen Verträge, wobei die Wahl unter den Vertragsärzten freigestellt ist (vgl § 26 Abs 2 VB). Um die kostenfreie ärztliche Behandlung sicherzustellen, haben die Mitglieder dem Vertragsarzt vor Beginn der Behandlung einen Krankenschein auszuhändigen, der in dringenden Fällen nachgereicht werden kann (vgl § 26 Abs 3 VB). § 5 Abs 1 des für die beklagte Ersatzkasse verbindlichen Arzt/Ersatzkassenvertrages vom 20. Juli 1963 - AEV - bestimmt, daß die ärztliche Versorgung der Anspruchsberechtigten durch die nach § 6 AEV beteiligten Vertragsärzte durchgeführt wird. § 5 Abs 3 Satz 1 AEV schreibt schließlich vor, daß die Vertragskassen Nichtärzte, Nichtvertragsärzte usw weder vertraglich noch auf andere Weise an der Versorgung ihrer Mitglieder für selbständig untersuchende, beratende und behandelnde Tätigkeiten beteiligen werden.

Diese für die Beklagte maßgebenden Leistungsbedingungen stehen im Einklang mit den Vorschriften der RVO über die Verpflichtung der Krankenkassen zur Gewährung ärztlicher Behandlung. Auch § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO in der seit dem 1. Oktober 1974 gültigen Fassung sieht für diese Leistung der Krankenpflege nur die Gewährung als Sachleistung vor und § 188 RVO ordnet übereinstimmend damit an, daß der Versicherte für die Inanspruchnahme von ärztlicher Behandlung einen Krankenschein zu lösen hat. Die durchgeführte psychologische Untersuchung seiner Tochter hat der Kläger jedoch - ohne daß ein Notfall vorgelegen hätte - aufgrund eigener Entschließung als privat zu honorierende Leistung in Anspruch genommen.

Auch nach § 122 Abs 1 Satz 1 RVO erfolgt im Rahmen der sozialen Krankenversicherung die ärztliche Behandlung der Versicherten und ihrer mitversicherten Familienangehörigen nur durch approbierte Ärzte und Zahnärzte. Wie der Senat bereits in seinem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 21/78 - (sowie im Urteil vom heutigen Tag zu 3 RK 45/78) anhand der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 368 Abs 1 Satz 1 und Abs 2, § 368a Abs 6, § 368d Abs 1 Satz 2, § 368k Abs 4, § 368m Abs 4 und 5, § 368n Abs 4 und 5 RVO) im einzelnen ausführlich dargelegt hat (vgl auch BSGE 36, 146), ist die ärztliche Behandlung der Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung. Sie kann deshalb nicht isoliert als Einzelleistung gesehen werden, die beliebig durch Maßnahmen anderer Personen ersetzbar wäre. Sie ist vielmehr Teil eines ausgewogenen und sachlich begründeten medizinischen Systems, dem die Versorgung des überwiegenden Teils der Bevölkerung obliegt. Der Ausschluß von "Nichtärzten" von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen (vgl BSG, Urt vom 1. März 1979 - 6 RKa 13/77 -). Schon deshalb ist es nicht zulässig, Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen der Beklagten als Leistungsverpflichtung aufzugeben.

Dem steht nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen Nichtärzte wie Psychotherapeuten oder Psychagogen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt werden können. Soweit es die aufgrund der Psychotherapie-Richtlinien vom 27. Januar 1976 (- BAnz Nr 76 vom 22. April 1976) als Anlage zum Bundesmantelvertrag - Ärzte getroffene Psychotherapie-Vereinbarung vom 11. Juni 1976 (DOK 1976, 554 ff) dem Kassenarzt erlaubt, zur Behandlung einen nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Psychagogen hinzuzuziehen (§ 3 Abs 1) handelt es sich um eine Mitwirkung im Rahmen der ärztlichen Behandlung, die unter der überwachenden Beobachtung des Kassenarztes stattfindet und von ihm zu verantworten ist. Sie hält sich in dem Rahmen, den § 122 Abs 1 Satz 2 RVO für die Beteiligung anderer Personen an der ärztlichen Behandlung vorsieht (vgl dazu Meydam in BKK 1978, 331, 334; Schirmer in BKK 1978, 195, 200) und bestätigt damit nur, daß der Kernbereich der ärztlichen Versorgung nicht einem Nichtarzt übertragen werden kann.

Die Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen sind auch keine "Hilfeleistungen anderer Personen" iS § 122 Abs 1 Satz 2 RVO; denn bei ihnen wird kein Arzt anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig (vgl BSGE 29, 27, 29; sowie BSG SozR Nr 1 zu § 122 RVO). Ebensowenig können sie als "Heilmittel" bzw wie ein solches iS von § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO angesehen werden. Auch das hat der Senat in dem schon genannten Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 21/78 - entschieden. § 182 Abs 1 Nr 1 RVO faßt in seiner seit dem 1. Oktober 1974 geltenden Fassung (§ 21 Nr 5a des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes vom 7. August 1974; BGBl I 1881) die von der Krankenkasse zu gewährenden Leistungen zu bestimmten, nach Sachgesichtspunkten geordneten Leistungsgruppen zusammen. In der Sachgruppe des Absatzes 1 Nr 1 Buchst b sind Arznei-, Verbands- und Heilmittel sowie Brillen aufgeführt. Diese Zusammenstellung macht deutlich, daß Leistungsgegenstände dieser Gruppe nur sächliche Mittel sind. Daneben kennt diese Vorschrift aber auch Leistungsgruppen mit Dienstleistungen wie ärztliche Behandlung, Arbeitstherapie und häusliche Krankenpflege.

Deshalb ist es nicht möglich, die lediglich für die Leistung von sächlichen Mitteln bestimmte Leistungsgruppe dahin umzudeuten oder zu erweitern, daß sie auch persönliche Dienstleistungen - wie die von nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen durchgeführten Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen - umfaßt.

Nach alledem ist der Revision des Klägers der Erfolg versagt, denn die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1653296

Breith. 1980, 354

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