Entscheidungsstichwort (Thema)

"Behandlung" durch Psychologen. Kostenerstattung bei Inanspruchnahme von Diplom-Psychologen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen sind keine "Hilfeleistung anderer Personen" iS des RVO § 122 Abs 1 S 2. Diese Regelung verstößt auch nicht gegen das GG.

2. Der in RVO § 182 Abs 1 Nr 1 aufgeführte Leistungskatalog ist nicht abschließend; nicht namentlich genannte Krankenpflegeleistungen können in Betracht kommen, wenn diese auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und erforderlich sind, um eine Krankheit zu erkennen oder zu behandeln, Krankheitsbeschwerden zu lindern oder körperliche Behinderungen auszugleichen.

 

Orientierungssatz

1. Es ist nicht zulässig, Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen der Ersatzkasse als Leistungsverpflichtung aufzugeben.

2. Die von einem Diplom-Psychologen eigenverantwortlich durchgeführte Behandlung ist kein "Heilmittel" iS des RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b.

 

Normenkette

RVO § 122 Abs. 1 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, Buchst. b Fassung: 1974-08-07; GG Art. 20 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 31.01.1979; Aktenzeichen L 8 Kr 589/78)

SG Gießen (Entscheidung vom 01.03.1978; Aktenzeichen S 9a Kr 27/77)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. Januar 1979 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten einer von zwei Diplom-Psychologen ausgeführten Behandlung seines Kindes zu erstatten hat.

Bei dem damals siebenjährigen Adoptivsohn des bei der Beklagten versicherten Klägers, einem farbigen Kind, ergab eine im Januar 1977 durchgeführte kinderfachärztliche Untersuchung das Bestehen einer durch eine Entwicklungsstörung mit Verhaltensschwierigkeiten verbundenen neurotischen Entwicklung. Im Auftrag des Klägers führten deshalb die Diplom-Psychologen M und P bei dem Kind eine psychologisch-therapeutische Behandlung aus. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 4. Mai 1977 ab, sich an den dadurch verursachten Kosten zu beteiligen. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt: Die genannten Diplom-Psychologen seien weder Ärzte, noch sei ihre Tätigkeit unter ärztlicher Anleitung und Überwachung erfolgt. Selbst bei einem Notfall hätte die Behandlung von einem Arzt ausgeführt werden müssen.

Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 182 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie eine Verletzung des Grundgesetzes (GG). Er meint, sein Anspruch folge schon daraus, daß es sich bei den durch einen Diplom-Psychologen erbrachten Therapieleistungen um Krankenpflege handele. Diese selbständig und eigenverantwortlich durchgeführten Leistungen seien zwar keine der ärztlichen Behandlung zuzuordnenden Hilfeleistungen. Nach dem Urteil des Senats vom 18. Mai 1976 - 3 RK 53/74 - seien sie aber als Heilmittel bzw wie ein solches zu behandeln. Außerdem müßten die bei einem Diplom-Psychologen entstandenen Behandlungskosten von der Beklagten schon deshalb übernommen werden, weil eine ärztliche Behandlung nur nach Wartezeiten möglich sei, die den Behandlungserfolg von vornherein in Frage stellten. Auch sein Sohn habe nämlich ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Schließlich dürfe niemand wegen seiner Abstammung, seiner Rasse und seiner Herkunft benachteiligt werden. Es sei mit dem Sozialstaatsprinzip unvereinbar, wenn man einem Kind, das schon wegen seiner Hautfarbe ständig benachteiligt werde, die therapeutische Hilfe mit dem Hinweis verweigere, diese Hilfe dürfe nur von approbierten Ärzten erbracht werden. Materiell schlechter gestellte Familien, die ebenfalls unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stünden, werde so die therapeutische Hilfe versagt, die einem Kind mit besser verdienendem Vater ohne weiteres gewährt werden könne.

Der Kläger beantragt,

die vorinstanzlichen Urteile sowie die ihnen zugrundeliegenden Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten einer psychologisch-therapeutischen Behandlung seines Sohnes in Höhe von 3.620.- DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Der Kläger könnte mit dem die durchgeführte Behandlung seines Sohnes betreffenden, auf eine Geldleistung gerichteten Klageanspruch allenfalls dann durchdringen, wenn die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, diese Behandlung im Rahmen der Familienhilfe vornehmen zu lassen, also als Sachleistung zu gewähren; denn das System der deutschen sozialen Krankenversicherung wird nicht vom Kostenerstattungs-, sondern vom Sachleistungsprinzip geprägt (vgl BSGE 42, 117, 119 = SozR 2200 § 184 Nr 4 S 10; vgl auch BSGE 44, 41, 42 = SozR 2200 § 508 RVO Nr 2 sowie die Urt des Senats vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 34/78 - und vom 24. April 1979 - 3 RK 32/78 -). Eine solche Verpflichtung bestand für die Beklagte jedoch nicht.

Nach Abschnitt F der hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen der Beklagten (Stand 1 Januar 1977) haben deren Mitglieder für familienhilfeberechtigte Personen Anspruch auf Familienhilfe - soweit es sich um ärztliche Behandlung und um die Versorgung mit Arzneien und Heilmitteln handelt - unter denselben Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie sie selbst (Unterabschnitt "Familienhilfe" Ziffer 2 Buchstaben b und c). Ihnen steht ärztliche Behandlung im Rahmen der für die Kasse verbindlichen Arztverträge zu, wobei die Wahl unter den Vertragsärzten freigestellt ist. Für die Inanspruchnahme vertragsärztlicher Behandlung ist ein Krankenschein erforderlich (Unterabschnitt "Ärztliche und zahnärztliche Behandlung" Ziffer 1 und 3). Nach § 5 Abs 1 des für die Ersatzkasse verbindlichen Arzt/Ersatzkassenvertrages vom 20. Juli 1963 (AEV) wird die ärztliche Versorgung der Anspruchsberechtigten durch die gemäß § 6 AEV beteiligten Vertragsärzte durchgeführt. § 5 Abs 3 Satz 1 AEV bestimmt ausdrücklich, daß die Vertragskassen Nichtärzte, Nichtvertragsärzte usw weder vertraglich noch auf andere Weise an der Versorgung ihrer Mitglieder für selbständige untersuchende, beratende und behandelnde Tätigkeiten beteiligen werden.

Diese für die Beklagte maßgebenden Leistungsbedingungen stehen im Einklang mit den Vorschriften der RVO über die Verpflichtung der Krankenkassen zur Gewährung ärztlicher Behandlung. Auch § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO sieht für diese Leistung der Krankenpflege nur die Gewährung als Sachleistung vor und § 188 RVO ordnet übereinstimmend damit an, daß der Versicherte für die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung einen Krankenschein zu lösen hat. Die durchgeführte Behandlung seines Sohnes hat der Kläger jedoch aufgrund eigener Entschließung als privat zu honorierende Leistung in Anspruch genommen.

Auch nach § 122 Abs 1 Satz 1 RVO erfolgt im Rahmen der sozialen Krankenversicherung die ärztliche Behandlung der Versicherten und ihrer mitversicherten Familienangehörigen durch approbierte Ärzte und Zahnärzte. Wie der Senat bereits in zwei zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteilen vom 10. und 25. Juli 1979 (3 RK 21/78 und 3 RK 45/78) anhand der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen (§ 368 Abs 1 Satz 1 und Abs 2, § 368 a Abs 6, § 368 d Abs 1 Satz 2, § 368 k Abs 4, § 368 m Abs 4 und 5, § 368 n Abs 4 und 5) im einzelnen ausführlich dargelegt hat (vgl auch BSGE 36, 146), ist die ärztliche Behandlung der Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung. Sie kann deshalb nicht isoliert als Einzelleistung angesehen werden, die beliebig durch Maßnahmen anderer Personen ersetzbar wäre. Sie ist vielmehr Teil eines ausgewogenen und sachlich begründeten medizinischen Systems, dem die Versorgung des überwiegenden Teils der Bevölkerung obliegt. Der Ausschluß von "Nichtärzten" von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen (vgl BSG Urt vom 1. März 1979 - 6 RKa 13/77 -). Schon deshalb ist es nicht zulässig, Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen der Beklagten als Leistungsverpflichtung aufzugeben.

Dem steht nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen Nichtärzte wie Psychotherapeuten oder Psychagogen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt werden können. Soweit es die aufgrund der Psychotherapie-Richtlinien vom 27. Januar 1976 (-BAnz Nr 76 vom 22. April 1976) als Anlage zum Bundesmantelvertrag - Ärzte getroffene Psychotherapie-Vereinbarung vom 11. Juni 1976 (DOK 1976, 554 ff) dem Kassenarzt erlaubt, zur Behandlung einen nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Psychagogen hinzuzuziehen (§ 3 Abs 1), handelt es sich um eine Mitwirkung im Rahmen der ärztlichen Behandlung, die unter der überwachenden Beobachtung des Kassenarztes stattfindet und von ihm zu verantworten ist. Sie hält sich in dem Rahmen, den § 122 Abs 1 Satz 2 RVO für die Beteiligung anderer Personen an der ärztlichen Behandlung vorsieht (vgl dazu Meydam in BKK 1978, 331, 334; Schirmer in BKK 1978, 195, 200), und bestätigt damit nur, daß es nicht möglich ist, den Kernbereich der ärztlichen Versorgung einem Nichtarzt zu übertragen. Das gilt, wie schon das LSG zutreffend ausgeführt hat, auch bei einer Notfallversorgung. Auch bei ihr darf ärztliche Behandlung nur durch einen approbierten Arzt geleistet werden (§ 368 d Abs 1 Satz 2 iVm § 122 Abs 1 Satz 1 RVO; vgl BSGE 19, 270, 272 f; 34, 172; 44, 41, 43). Es kann deshalb dahinstehen, ob - was der Kläger möglicherweise mit seinem Hinweis auf die gegenwärtig bei Ärzten in der Regel leider gegebenen langen Wartezeiten behaupten will - hier ein Notfall vorgelegen haben könnte.

Die Behandlungsmaßnahmen eines nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen sind auch keine "Hilfeleistungen anderer Personen" iS § 122 Abs 1 Satz 2 RVO; denn bei ihnen wird kein Arzt anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig (vgl BSGE 29, 27, 29; sowie BSG SozR Nr 1 zu § 122 RVO). Hierauf weist der Kläger selbst zutreffend hin. Entgegen seiner Auffassung können sie jedoch ebensowenig als Heilmittel bzw wie ein solches iS von § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO angesehen werden. Auch das hat der Senat in seinen schon genannten Urteilen vom 10. und 25. Juli 1979 entschieden. § 182 Abs 1 Nr 1 RVO faßt in seiner seit dem 1. Oktober 1974 geltenden Fassung (§ 21 Nr 5 a des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes - RehaAnglG - vom 7. August 1974; BGBl I 1881) die von der Krankenkasse zu gewährenden Leistungen zu bestimmten, nach Sachgesichtspunkten geordneten Leistungsgruppen zusammen. In der Sachgruppe des Absatzes 1 Nr 1 Buchst b sind Arznei-, Verbands- und Heilmittel sowie Brillen aufgeführt. Diese Zusammenstellung macht deutlich, daß Leistungsgegenstände dieser Gruppe nur sächliche Mittel sind. Daneben kennt diese Vorschrift aber auch Leistungsgruppen mit Dienstleistungen wie ärztliche Behandlung, Arbeitstherapie und häusliche Krankenpflege. Deshalb ist es nicht möglich, die lediglich für die Leistung von sächlichen Mitteln bestimmte Leistungsgruppe dahin umzudeuten oder zu erweitern, daß sie auch persönliche Dienstleistungen - wie hier die von nicht ärztlich ausgebildeten Diplom-Psychologen durchgeführten Behandlungsmaßnahmen - umfaßt. Damit würde die Unterteilung in verschiedene Leistungsarten hinfällig werden und so die gesetzestechnische Veränderung gegenüber der vorherigen bloßen Aufzählung ihren Sinn verlieren.

Die in § 182 Abs 1 Nr 1 RVO enthaltene Aufzählung der wesentlichen, zur Krankenpflege gehörenden Leistungen ist zwar nicht abschließend, wie aus dem Wort "insbesondere" hervorgeht. Es können also auch andere als die ausdrücklich genannten Leistungen der Krankenpflege zugerechnet werden, wenn sie ihr der Art nach, dh zur Erkennung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit, dienen (vgl BSGE 42, 121, 122, unter Bezugnahme auf die Begründung des Entwurfs eines RehaAnglG, Bundestags-Drucksache 7/1237 zu § 21 Nr 5 des Entwurfs, S 63). Damit erfolgt aber lediglich eine Erweiterung des Leistungsumfanges auf andere, auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Erkennungs- und Therapie-Methoden. Das kann vor allem dazu führen, den für die einzelnen Leistungen vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rahmen der jeweiligen Leistungsgruppe weiter auszufüllen. Dagegen kann dem Wort "insbesondere" nicht die Bedeutung beigemessen werden, der Gesetzgeber habe auch das "Wie" der Leistungserbringung, insbesondere durch Angehörige nichtärztlicher Berufe, neu regeln wollen. Einer solchen Interpretation steht entgegen, daß der Gesetzgeber nicht zugleich auch entsprechende Änderungen in den flankierenden Vorschriften der §§ 122, 368 ff RVO vorgenommen hat (vgl hierzu Krasney, ZSR 1976, 411 ff, 426). Insoweit ist es bei der bisherigen Rechtslage verblieben. Damit ergibt sich, daß die von einem Diplom-Psychologen eigenverantwortlich durchgeführte Behandlung kein "Heilmittel" im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO ist. Für seine gegenteilige Auffassung beruft sich der Kläger zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats vom 18. Mai 1976 - 3 RK 53/74 - (BSGE 42, 16 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 14). In dieser Entscheidung hat der Senat ausdrücklich hervorgehoben, daß Maßnahmen, die - wie hier die psychologisch-therapeutische Behandlung durch einen Diplom-Psychologen - praktisch ausschließlich den Einsatz geistiger Fähigkeiten erfordern, ihrer Art nach einer Behandlung näher stehen als der Anwendung eines Heilmittels. Besonders wenn hohe berufliche Qualifikationen als Voraussetzung für die Berufsausübung verlangt würden, erscheine es nicht sachgerecht, diese Berufsausübung entweder als Hilfeleistung bei der ärztlichen Behandlung oder als Anwendung von Heilmitteln zu kennzeichnen. Die im vorliegenden Fall von zwei Diplom-Psychologen ausgeführte Behandlung des Sohnes des Klägers hatte deshalb im Rahmen der sozialen Krankenversicherung durch einen Kassenarzt zu erfolgen.

Eine Verletzung des GG schließlich ist nicht ersichtlich. Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Gebiet der Familienhilfe macht keine Unterschiede zwischen den Kindern der Versicherten; insbesondere differenziert es nicht nach deren Hautfarbe. Eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes ist deshalb ebensowenig gegeben wie eine solche anderer Grundrechte.

Nach alledem ist der Revision des Klägers der Erfolg versagt; denn die Vorinstanzen haben seine einen Kostenerstattungsanspruch betreffende Klage zu Recht abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657050

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