Leitsatz (amtlich)

Sogenanntes firmeneigenes Personal der Organisation Todt (OT) hat kriegsähnliche Dienste geleistet, wenn die Arbeitnehmer uniformiert und regelmäßig kaserniert waren, geschlossen nach dem Befehl der OT eingesetzt und gemeinschaftlich verpflegt wurden und auch neben der tariflichen Entlohnung den dem Wehrsold der Soldaten entsprechenden OT-Frontarbeitersold erhalten haben.

 

Normenkette

RVO § 1265 Fassung: 1939-04-19; KrMaßnG § 14 Fassung: 1941-01-15

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 8. Mai 1956 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Kläger sind die Rechtsnachfolger des ... 1890 geborenen und ... 1957, mithin im Laufe des Revisionsverfahrens, verstorbenen Zimmerers P R. Für diesen waren von 1909 bis Ende 1944 insgesamt 912 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung entrichtet worden. Während des ersten Weltkrieges hatte er vom 2. August 1914 bis 24. Januar 1919 Kriegsdienst geleistet. Während des zweiten Weltkrieges war er u.a. vom 24. Mai 1943 bis mindestens 31. Dezember 1944 bei der Arbeitsgemeinschaft der Bauunternehmer B, O und P in H (Schleswig-Holstein) beschäftigt gewesen, die für die Organisation Todt (OTA) in Polen und der Tschechoslowakei Arbeiten ausführte. Während dieser Zeit wurden für ihn Sozialversicherungsbeiträge zur Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Kattowitz abgeführt. Im Frühjahr 1945 geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er am 14. Juni 1945 entlassen wurde. Danach bewirtschaftete er eine eigene kleine Landwirtschaft. 1952 und 1953 hat er sich freiwillig weiterversichert und je 26 Beitragsmarken für diese Jahre entrichtet. Im September 1954 beantragte der Versicherte, der Vater der Kläger, die Gewährung von Invalidenrente.

Mit Bescheid vom 21. Januar 1955 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Wenn auch der Versicherungsfall der Invalidität im September 1954 eingetreten sei, so sei doch der Rentenanspruch nicht begründet, weil die Wartezeit von 60 Beitragsmonaten nicht erfüllt sei. Zwar habe der Versicherte insgesamt 252 (richtig hätte es 223 heißen müssen) Beitragsmonate in der Invalidenversicherung zurückgelegt. Da er jedoch in den Jahren 1949 bis 1951 keine Beiträge geleistet habe, seien nur die vom 1. Januar 1952 an zurückgelegten zwölf Beitragsmonate anrechnungsfähig. Durch Halbdeckung sei die Anwartschaft nicht erhalten; an dieser fehlten noch 62 Wochenbeiträge.

Gegen diesen Bescheid hat der Verstorbene Klage erhoben und vorgebracht, seiner Ansicht nach sei die Anwartschaft selbst dann, wenn der Versicherungsfall 1954 eingetreten sei, durch Halbdeckung erhalten. Die Beklagte habe bei Errechnung der "Gesamtzeit" zu Unrecht die Zeit seiner Zugehörigkeit zur OT. mitgezählt. Außerdem müßten ihm noch für die ersten Monate des Jahres 1945 wenigstens 17 Wochenbeiträge gutgebracht werden, da für ihn bis zu seiner Gefangennahme Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden seien. Abgesehen hiervon wäre es auch gerechtfertigt, ihn wegen seines Augenleidens bereits seit 1949 für invalide zu halten. Dann aber wäre die Anwartschaft ohnehin erhalten gewesen.

Der Versicherte hat beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides die Beklagte für verpflichtet zu erklären, ihm einen neuen Rentenbescheid zu erteilen mit der Maßgabe, daß er seit dem 13. Oktober 1952 invalide sei, und daß bei der Berechnung der Halbdeckung die Zeit des OT-Einsatzes sowie der Kriegsgefangenschaft (24. Mai 1943 bis 8. Juni 1945) als Dienst im Sinne des § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu berücksichtigen sei.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und zur Begründung ihres Antrags auf den Inhalt ihres Bescheids verwiesen.

Durch Beschluß vom 11. Mai 1955 hat das Sozialgericht (SG) die Kirchspielslandgemeinde M. beigeladen, die sich dem Antrag des damaligen Klägers angeschlossen hat.

Durch Urteil vom 29. September 1955 hat das SG Schleswig nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte für verpflichtet erklärt, dem Versicherten einen neuen Rentenbescheid zu erteilen mit der Maßgabe, daß er seit dem 13. Oktober 1952 invalide ist, und daß bei der Berechnung der Halbdeckung die Zeit des OT-Einsatzes sowie der Kriegsgefangenschaft (24. Mai 1943 bis 8. Juni 1945) als Dienst im Sinne des § 1265 RVO a.F. zu berücksichtigen ist. In den Gründen wird u.a. ausgeführt, nach den Untersuchungsergebnissen müsse der Versicherungsfall der Invalidität etwa im Oktober 1952 eingetreten sein. Daher sei die Anwartschaft zwar wegen fehlender Beiträge für die Jahre 1949 bis 1951 nicht aufrechterhalten worden. Die Zeit des OT-Einsatzes seit dem 24. Mai 1943 und die anschließende Zeit der Kriegsgefangenschaft sei jedoch als kriegsähnlicher Dienst im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO a.F. anzusehen, wodurch die Halbdeckung erreicht werde.

Die Beklagte legte Berufung ein mit der Begründung, das SG habe zu Unrecht die Zeiten, während welcher der Kläger im Ausland bei der OT beschäftigt war, als kriegsähnlichen Dienst im Sinne des § 1265 RVO a.F. anerkannt. Hierbei habe es sich um einen Zivildienst gehandelt. Für die Halbdeckung seien unter der Annahme, daß der Versicherungsfall 1952 eingetreten sei, 974 Wochenbeiträge erforderlich. Tatsächlich habe der Kläger nur 933 Wochenbeiträge geleistet.

Das Landessozialgericht (LSG) Schleswig wies die Berufung unter Zulassung der Revision als unbegründet zurück. Es schloß sich im wesentlichen der Auffassung des SG an. Im Hinblick auf das erst seit 1954 vorhandene schwere Krankheitsbild sei die vom SG getroffene und von der Beklagten jetzt anerkannte Feststellung, daß der Versicherungsfall der Invalidität 1952 eingetreten sei, nicht zu bemängeln. Mithin hätte der Versicherte in den Jahren 1949 bis 1951 an sich zur Erhaltung der Anwartschaft weitere Beiträge leisten müssen, was nicht geschehen sei. Bei Eintritt des Versicherungsfalls sei indes die Anwartschaft aus allen Beiträgen durch Halbdeckung nach § 1265 RVO a.F. erhalten gewesen. Der Versicherte habe seit dem 24. Mai 1943 einer Firmen-Arbeitsgemeinschaft angehört, die für die OT im besetzten Ausland (Polen und Tschechoslowakei) tätig gewesen sei. Allerdings habe er dabei in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden, und es seien auch entsprechend seinem Verdienst Beiträge abgeführt worden. Offensichtlich sei er demnach auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 zum langfristigen Notdienst und zur Dienstleistung in das besetzte Ausland verpflichtet worden. Die Arbeitnehmer der Firmen-Arbeitsgemeinschaft, der der Kläger angehört habe, seien jedoch als Firmenpersonal der OT unterstellt worden. Die Zeit dieser Unterstellung und die anschließende Kriegsgefangenschaft habe deshalb das SG bei der Errechnung der Halbdeckung zutreffend als kriegsähnlichen Dienst im Sinne des § 1265 RVO angesehen und demnach nicht als Versicherungszeit mitgezählt, die zur Hälfte mit Beiträgen zu belegen sei. Die straff organisierte OT sei ein militärähnlicher Verband gewesen, der zumindest während seines Einsatzes im besetzten Ausland allein für Zwecke der Wehrmacht tätig gewesen sei. Die OT habe dort zum großen Teil sogar in frontnahen Gebieten gearbeitet, um der Wehrmacht den Weg für weitere Operationen zu ebnen. Ihr Einsatz habe sich dort unter größeren Gefahren als in der Heimat vollzogen. Aus diesem Grunde seien die Angehörigen dieser Organisation, soweit sie im Ausland eingesetzt wurden, gleichgültig ob sie zum OT-eigenen oder zum Firmenpersonal gehört hätten, nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) den Soldaten gleichgestellt worden. Unerheblich sei, daß auch während der Zeit des OT-Einsatzes Beiträge entrichtet worden seien. Viele Versicherte, die als Soldaten eingezogen waren, seien berechtigt gewesen, freiwillige Beiträge zu leisten. Auch in diesen Fällen würden bei der Errechnung der Halbdeckung die Zeiten des Wehrdienstes nicht mitgezählt, wohl aber die hierfür entrichteten Beiträge. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grunde der Versicherte, der für die Ausübung eines zivilen kriegsähnlichen Dienstes entlohnt worden sei und für den deshalb Pflichtbeiträge abgeführt wurden, schlechter stehen solle als der Soldat, der freiwillige Beiträge geleistet habe.

Gegen das am 29. August 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte, die im übrigen dem Versicherten auf Grund des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 1. Januar 1957 an bis zu seinem Tode die beantragte Rente gezahlt hatte, Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 1265 RVO a.F. Die Tätigkeit des Klägers als Firmengruppenangehöriger im Rahmen der OT dürfe nicht als kriegsähnlicher Dienst im Sinne der genannten Vorschrift angesehen werden. Hierunter fielen grundsätzlich nicht auf Grund eines Arbeitsverhältnisses geleistete Dienste. Der kriegsähnliche Dienst im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO sei nicht dem militärähnlichen Dienst des BVG gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des SG Schleswig vom 29. September 1955 und des angefochtenen Urteils vom 8. Mai 1956 die Klage abzuweisen, soweit es sich um die Rentenzahlung für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 handelt,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kläger, die als Rechtsnachfolger des inzwischen verstorbenen Versicherten den Rechtsstreit fortgesetzt haben (§ 1288 RVO), beantragen,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen,

da das SG und LSG zu Recht die Tätigkeit des Verstorbenen als Firmengruppenangehöriger im Rahmen der OT als kriegsähnlichen Dienst anerkannt hätten. Hierunter seien auch die militärähnlichen Dienste zu verstehen, die in § 3 BVG aufgeführt seien. Von den Vorinstanzen sei zutreffend festgestellt worden, daß der damalige Einsatz des Versicherten in der Tschechoslowakei und in Polen auf Grund der Dritten Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung erfolgte. Eine solche Dienstleistung lasse sich in § 3 Abs. 1 k und m BVG durchaus einordnen. Zwar rechtfertige allein der Umstand, daß eine Zivilperson formell auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 herangezogen wurde, noch nicht die Anerkennung als militärähnlichen Dienst im Sinne des § 3 Abs. 1 k BVG. Es müsse vielmehr noch gefordert werden, daß es sich um einen Dienst handelte, der entweder militärischen Charakter hatte oder militärischen Zwecken diente. Nach den Verwaltungsvorschriften Nr. 9 zu § 3 Abs. 1 BVG hätten jedoch Arbeitskräfte der OT, und zwar sowohl OT-eigenes als auch Firmenpersonal, militärähnlichen Dienst geleistet, die

a) für Zwecke der Wehrmacht außerhalb der Reichsgrenzen eingesetzt waren oder

b) innerhalb der Reichsgrenzen für einen solchen Einsatz gesammelt oder ausgebildet wurden, wenn sie

1. kaserniert waren,

2. amtlich verpflegt wurden,

3. uniformiert waren und

4. unter einem Befehl geschlossen eingesetzt worden sind.

Diese Voraussetzungen träfen für den Verstorbenen zu. Vom 30. April bis 23. Mai 1943 sei er kaserniert und uniformiert gewesen und habe er eine militärische Ausbildung erhalten. Im Anschluß daran habe er während des Einsatzes in Polen und in der Tschechoslowakei unter geschlossenem Befehl, uniformiert und bei amtlicher Verpflegung beim Bau von Brücken und Bunkern in unmittelbarer Nähe der Front mitgearbeitet, wobei er denselben Gefahren ausgesetzt gewesen sei wie ein Soldat, der mit der Waffe in der Hand seinen Kriegsdienst abgeleistet hätte.

Die beigeladene Kirchspielslandgemeinde M. sieht den Rechtsstreit wegen des Todes des Versicherten als erledigt an.

II.

Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision der Beklagten ist im wesentlichen nicht begründet.

Die hier noch maßgebende Vorschrift des § 14 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 (RGBl. I S. 34) hätte wie folgt gelautet:

1) "Für die Halbdeckung (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung) werden auch die Zeiten, in denen der Versicherte während des Krieges Kriegs-, Sanitäts- oder ähnliche Dienste leistet, nicht mitgezählt, wohl aber die hierfür entrichteten Beiträge.

2) In Zweifelsfällen bestimmt das Reichsversicherungsamt, ob bestimmte Dienstleistungen unter diese Vorschrift fallen."

Damit war für den zweiten Weltkrieg dieselbe Rechtslage geschaffen worden, die nach der Neufassung des § 1265 Satz 2 RVO durch das Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. April 1939 (RGBl. I S. 793) hinsichtlich der Halbdeckung für den ersten Weltkrieg galt. Wie in Art. 3 Abs. 1 dieses Gesetzes ausdrücklich gesagt ist, sollte durch die Neuregelung den Kriegsteilnehmern die Erhaltung der Anwartschaft erleichtert werden.

Zutreffend haben die Vorinstanzen ausgeführt, daß nur in Betracht kommt, ob die Beschäftigung bei der OT als "ähnlicher Dienst" im Sinne jener Bestimmungen aufgefaßt werden kann.

Der Begriff der Kriegs-, Sanitäts- oder ähnlichen Dienste war bereits den alten Regelungen des Ersatzzeitenrechts bekannt gewesen und wurde früher sehr eng ausgelegt, vgl. z.B. die Grundsätzliche Entscheidung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) Nr. 3001 (AN 1926 S. 461), ferner Nr. 5 des Rundschreibens des RVA vom 6. Februar 1939, AN 1939 S. 102; Altendorf-Haueisen, Komm. zum AVG, 1938, § 31 Anm. 11, Koch-Hartmann, § 31 AVG, Anm. 3 zu § 1263 RVO; Dersch, Grundriß der gesetzlichen Rentenversicherung S. 135. Danach wurde eine Beschäftigung während des Krieges grundsätzlich nicht als dem Kriegs- oder Sanitätsdienst ähnlicher Dienst angesehen, wenn der Versicherte sich nicht in soldatenähnlicher, öffentlich-rechtlicher Abhängigkeit befunden und die Dienste gegen ein seinen Leistungen entsprechendes Gehalt erbracht hätte.

Diese Grundsätze können jedoch nicht bei der Anwendung des § 14 des angeführten Maßnahmegesetzes vom 15. Januar 1941 auf das sogenannte firmeneigene Personal der OT übertragen werden, das während des zweiten Weltkrieges unter kriegsdienstähnlichen Bedingungen eingesetzt war und das, soweit es nicht zum alten Stammpersonal der beteiligten Firmen gehörte, in der Regel auf Grund der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. I S. 1441) in ein Notdienstverhältnis mit Beschäftigungsverhältnis (§ 3 der 2. DVO zur Notdienstverordnung - Sozialversicherung der Notdienstverpflichteten - vom 10. Oktober 1939, RGBl. I S. 2018) einberufen worden war.

Die Anerkennung eines TO-Einsatzes als kriegsähnlichen Dienstes kann nicht schon daran scheitern, daß Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden sind. Denn sowohl nach § 1265 RVO a.F. als auch nach § 14 des Maßnahmegesetzes ist die Mitzählung etwaiger Beiträge ausdrücklich vorgesehen, obwohl die Zeiten, für die die Beiträge entrichtet sind, nicht in den Zeitraum eingerechnet werden, der zur Hälfte mit Beiträgen belegt sein muß. Dementsprechend ist unbestritten gewesen, daß unter die genannten Vorschriften nicht nur freiwillige, sondern auch Pflichtbeiträge fielen. Hätte der Gesetzgeber nämlich nur Dienstzeiten, für die keine Beiträge geleistet zu werden brauchten, aus der Halbdeckungszeit ausscheiden wollen, dann wäre dies leicht dadurch zu erreichen gewesen, daß er - ähnlich wie nach der jetzigen Regelung in § 1251 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO n.F. - den Halbdeckungszeitraum nur um versicherungsfreie Dienstzeiten gekürzt hätte. Diese Einschränkung ist jedoch in § 1265 RVO a.F. nicht enthalten. Der Umstand, daß für den Versicherten während seiner OT-Dienstzeit Pflichtbeiträge geleistet sind, kann deshalb für die Frage, ob diese Dienstzeiten zu den "ähnlichen" im Sinne des § 1265 Satz 2 RVO a.F. gehören, nicht erheblich sein.

Der Gesetzgeber hat zwar sowohl bei der Einfügung des Satzes 2 in den § 1265 RVO a.F. im Jahre 1939 wie auch bei der Schaffung des hier allein maßgeblichen § 14 des erwähnten Maßnahmegesetzes vom 15. Januar 1941 in der Hauptsache nur solche Dienstzeiten aus dem Halbdeckungszeitraum ausscheiden wollen, für die die Dienstpflichtigen "keine Versicherungsbeiträge zu leisten brauchten und auch nicht leisten konnten" (vgl. Kurzwelly, AN 1939 S. 228 und 1941 S. 74). Durch die Kürzung des Halbdeckungszeitraumes um diese Zeiten sollten die Betreffenden denjenigen Versicherten gleichgestellt werden, "die am Kriege nicht teilgenommen und daher die Kriegszeit mit Beiträgen belegt hatten" (Kurzwelly a.a.O.). Was also die einen an nützlicher Beitragszeit mehr hatten, sollten die anderen an schädlicher "Halbdeckungszeit" weniger haben. Damit wurde jedoch noch kein voller Ausgleich geschaffen. Denn die Verkürzung der Halbdeckungszeit um jene Zeiten hat für die Erreichung der Halbdeckung nicht die gleiche Wirkung wie die Anrechnung von Beiträgen. (Es konnte sich nämlich ergeben, daß z.B. von zwei Versicherten beide je eine "Halbdeckungszeit" - Zeitraum zwischen Eintritt in die Versicherung und dem Versicherungsfall - von 40 Jahren haben, während der sie beide je 16 "Friedens"-Beitragsjahre zurückgelegt hatten. Rechnete man alsdann dem Nichtkriegsteilnehmer auch die vier während des Krieges zurückgelegten "Kriegs"-Beitragsjahre an, dann hat er die Halbdeckung erreicht (16 + 4 = 20:40). Rechnete man dagegen dem Kriegsteilnehmer jene vier Kriegsjahre nur von der Halbdeckungszeit (40-4=36) ab, dann hätte er die Halbdeckung immer noch nicht erreicht, 16:36.) Deshalb war es kein innerer Widerspruch und keine unberechtigte Bevorzugung des Kriegsteilnehmers, wenn ihm nicht nur die Halbdeckungszeit verkürzt, sondern auch die etwa während des Kriegs- oder ähnlichen Dienstes geleisteten Pflicht- oder freiwilligen Beiträge gutgebracht wurden; hiernach besteht zu einer einschränkenden Auslegung des § 1265 Abs. 2 Satz 2 RVO a.F. zu Lasten des Versicherten kein Anlaß.

Für die hier vertretene weite Auslegung des Begriffs des kriegsähnlichen Dienstes spricht ferner die Bestimmung des RVA vom 26. Februar 1944 (AN 1944 S. 59), wonach kriegsähnlicher Dienst jede Dienstleistung bei besonderem, kriegsmäßig bedingten Einsatz einer Einheit sein sollte. Diese Bestimmung war auf Grund eines Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 29. Juli 1943, AN 1943 S. 370 zu § 17 des Maßnahmegesetzes ergangen, der die später durch die Erste Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 geschaffene Wartezeitfiktion des § 1263 a RVO a.F. vorwegnahm. Sie ist aber auch für die Auslegung des § 14 des Maßnahmegesetzes sowie des § 1265 Satz 2 RVO a.F. von Bedeutung, da der Begriff der "ähnlichen" Dienste hier der gleiche wie in § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. ist. Ein solcher "kriegsmäßig bedingter Einsatz" konnte jedoch sowohl vom sogenannten OT-eigenen als auch vom sogenannten firmeneigenen Personal der OT geleistet werden. Dementsprechend hat das RVA die Anwendung der genannten Bestimmung auf OT-Angehörige in einem nicht veröffentlichten Rundschreiben vom gleichen Tage geregelt und dabei unterschieden zwischen OT-Angehörigen, die den Soldaten gleichgestellt sind, und solchen, die den Soldaten nicht gleichgestellt sind (vgl. Rundschreiben vom 3. August 1944, AN 1944 S. 247), wobei auch in diesem Zusammenhang wieder auf den "besonderen kriegsmäßig bedingten Einsatz" abgestellt ist.

Allerdings geht es nicht an, den Begriff des kriegsähnlichen Dienstes im Sinne der genannten Bestimmungen schlechthin demjenigen des militärähnlichen Dienstes im Sinne des § 1 BVG gleichzusetzen, wie er im einzelnen in § 3 BVG und den hierzu erlassenen, wenn auch die Gerichte nicht bindenden Verwaltungsvorschriften näher erläutert ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist vielmehr der Begriff des kriegsähnlichen Dienstes enger zu verstehen als der des militärähnlichen Dienstes (Urteil vom 27. November 1959, 4 RJ 242/57, Sozialrecht § 1263 a RVO a.F. Bl. Aa 9 Nr. 8, ebenso BSG 11 S. 190 (193)). Der 4. Senat des BSG hat deshalb in der zuerst erwähnten Entscheidung vom 27. November 1959 zutreffend ausgesprochen, daß die auf Grund einer Dienstverpflichtung bei einer privaten Baufirma in einem echten versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ohne Kasernierung und militärähnliche Subordination im Inland durchgeführten Bauarbeiten nicht als derartige kriegsähnlichen Dienste angesehen werden können, selbst wenn sie der Errichtung des sogenannten "Westwalls" dienten. Aus entsprechenden Erwägungen kann nicht jede Beschäftigung von Arbeitskräften der OT außerhalb der Reichsgrenzen, die nach den Verw. Vorschriften zu § 3 Abs. 1 m BVG militärähnlicher Dienst ist, bereits einen kriegsähnlichen Dienst darstellen.

Dies schließt jedoch nicht aus, daß kriegsähnliche Dienste von dem firmeneigenen Personal der OT dann geleistet wurden, wenn die Arbeitnehmer uniformiert und regelmäßig kaserniert waren, geschlossen nach dem Befehl der OT eingesetzt und gemeinschaftlich verpflegt wurden und schließlich neben der tariflichen Entlohnung den dem Wehrsold der Soldaten entsprechenden sogenannten OT-Frontarbeitersold erhalten haben, wie es in § 7 des OT-Frontarbeitertarifs vom 1. Oktober 1942 - Reichsarbeitsblatt 1942 Teil IV S. 1194 - und in § 6 des OT-Frontarbeitertarifs Ruhrgebiet vom 15. August 1943 (a.a.O. 1943 Teil IV S. 623) für die Zeiten des Fronteinsatzes vorgesehen war. Dort heißt es z.B., daß der "Frontarbeiter" zur OT "einberufen" und später wieder "entlassen" wird, daß bei einer Einberufung "die Anreisekosten zum OT-Durchgangslager oder zum Einsatzort" erstattet werden, "falls nicht kostenlose Fahrt unter Benutzung von Wehrmachtsfahrscheinen von der OT gewährt worden ist", und daß dem Frontarbeiter "von der OT für die Dauer des Einsatzes an Stelle von Auslösung, Trennungsgeld folgendes gewährt wird:

a) freie Verpflegung,

b) freie Unterkunft,

c) freie OT-Dienstbekleidung (soweit diese gestellt wird),

d) OT-Frontarbeitersold".

Ferner unterlag der Frontarbeiter der OT-Disziplinarordnung (§ 7 Nr. 6 und § 6 Nr. 5 der genannten Tarifordnungen), auch hatte er Anspruch auf Heimaturlaub "nach den für das Einsatzgebiet geltenden Urlaubsregelungen für Wehrmachtsangehörige". Schließlich konnten OT-Frontarbeiter unter bestimmten Voraussetzungen wie die Wehrmachtsangehörigen "OT-Familienbeihilfe" erhalten. Bei Geltung dieser in den genannten Tarifordnungen genannten Bestimmungen haben auch die firmeneigenen Arbeitskräfte der OT nicht mehr lediglich als "Zivilpersonen", wenn auch u.U. im Kampfgebiet, "Armierungsarbeiten" geleistet (vgl. das erwähnte Rundschreiben des RVA vom 6. Februar 1939). Vielmehr haben sie sich im Hinblick auf die Ausgestaltung ihres Beschäftigungsverhältnisses auch in einem öffentlich-rechtlichen Unterwerfungsverhältnis befunden. Sie waren dabei für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt und ihre Tätigkeit diente unmittelbar der kämpfenden Truppe. Häufig waren sie, schon wegen der Gefahr von Partisanenüberfällen, sogar bewaffnet. Ihr Einsatz unterschied sich damit vielfach nicht wesentlich von demjenigen der Pioniereinheiten der Wehrmacht.

Mit Rücksicht hierauf ist der Einsatz der OT-Arbeitskräfte unter den genannten Umständen als kriegsähnlicher Dienst anzusehen.

Mit dieser Auffassung des erkennenden Senats steht im Einklang die Entscheidung des BSG vom 27. Juni 1958 - 4 RJ 35/57 - (SozR. § 1263 a RVO a.F. A a 3 Nr. 4). Darin ist der während des letzten Krieges in Frankreich geleistete Dienst in einer der OT unterstellten Einsatzgruppe des NSKK ebenfalls als kriegsähnlicher Dienst angesehen worden.

Damit erweist sich die Auffassung der Beklagten, der OT-Dienst des Firmenpersonals könne grundsätzlich nicht kriegsähnlicher Dienst gewesen sein, als unrichtig. Vielmehr ist im wesentlichen der Rechtsauffassung des SG und des LSG zu folgen. Da jedoch keine Ermittlungen darüber angestellt worden sind, unter welchen tatsächlichen Verhältnissen der Versicherte beschäftigt war, ist der Rechtsstreit noch nicht entscheidungsreif. Daß der Verstorbene in der erwähnten Art und Weise bei der OT eingesetzt war, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber vom LSG nicht festgestellt. Werden die dargelegten Voraussetzungen für die Annahme kriegsdienstähnlichen Dienstes festgestellt, so könnte, wie in dem angefochtenen Urteil im einzelnen zutreffend ausgeführt ist, die Halbdeckung erreicht sein. Da eindeutige Feststellungen über die Tätigkeit des Versicherten während seines OT-Einsatzes jedoch nicht getroffen worden sind, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325754

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