Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.11.1957) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. November 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der am 22. August 1934 geborene Kläger Walter M. und die am 5. Februar 1937 geborene Klägerin Walburga Z. geb. M. sind die Kinder des am 12. Oktober 1940 verstorbenen Holzschuhmachers Robert M.
Dieser war vom 3. Juli bis 9. September 1939 und vom 1. Oktober 1939 bis 4. Mai 1940 als Westwallarbeiter zum Bau von Bunkern in der roten Zone innerhalb der Reichsgrenzen dienstverpflichtet. Er stand während dieser Zeit in einem Arbeitsverhältnis bei einer Baufirma, die der Organisation Todt unterstand. In dieser Zeit war er pflichtversichert. Vorher hat eine Versicherung nicht bestanden. Er leistete 42 Wochenbeiträge. Kaserniert und uniformiert war er nicht; er erhielt aber dauernd Frontzulage. Nach einer Grippeerkrankung im Einsatz wurde er lungenkrank. Er starb an Lungentuberkulose.
Das Versorgungsamt Landau gewährte den Klägern mit Bescheid vom 20. August 1951 Waisenrente auf Grund der Personenschädenverordnung (PSchVO) vom 1. September 1939. Nach dem Kriege gewährte das zuständige Landesversorgungsamt Hessen-Pfalz mit Bescheid vom 27. Juni 1947 auf Grund der Rundverfügung des Oberregierungspräsidiums vom 12. Dezember 1945 die Rente weiter, weil der Vater der Kläger an den Folgen eines Personenschadens gestorben sei. Das Versorgungsamt Landau übernahm mit Umanerkennungsbescheid vom 25. März 1952 die Zahlungsverpflichtung mit der Begründung, der Vater der Kläger sei an den Folgen einer Schädigung im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gestorben.
Die Kläger beantragten im Juni 1951 bei der Beklagten, ihnen Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres verstorbenen Vaters zu gewähren.
Mit Bescheid vom 5. November 1951 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Wartezeit mit nur 42 Beitragswochen nicht erfüllt sei. § 1263 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F. finde keine Anwendung, da der Versicherte weder an den Folgen eines Arbeitsunfalls noch als Soldat noch infolge Feindeinwirkung gestorben sei.
Gegen diesen Bescheid haben die Kläger Berufung beim Oberversicherungsamt Hessen-Pfalz eingelegt, die mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Speyer übergegangen ist.
Mit Urteil vom 1. Februar 1955 hat das Sozialgericht Speyer den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern Waisenrente ab 1. November 1950 zu gewähren.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz diese Entscheidung mit Urteil vom 27. November 1957 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Es war der Ansicht, die Grippeerkrankung des Versicherten sei kein Arbeitsunfall im Sinne der §§ 1263 a Abs. 1 Nr. 1 RVO a.F. und 1252 Nr. 1 RVO n.F.
Auch die Voraussetzungen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. seien nicht gegeben. Der Vater der Kläger sei nicht während eines dem Kriegsdienst ähnlichen Dienstes erkrankt und gestorben. Er sei zwar in einer Gefahrenzone eingesetzt gewesen. Er habe aber in einem normalen versicherungspflichtigen – wenn auch durch eine Dienstverpflichtung begründeten – Arbeitsverhältnis mit einer Baufirma gestanden. Auch nach § 1252 Nr. 2 RVO n.F. könne die Wartezeit nicht als erfüllt gelten. Der Vater der Kläger sei weder notdienstverpflichtet noch eingezogen gewesen im Sinne des § 3 BVG. Er habe auch nicht in der Organisation Todt Dienst geleistet im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG. Die Baufirma, zu der er dienstverpflichtet gewesen sei, habe allerdings der Organisation Todt unterstanden. Der Versicherte sei aber weder außerhalb der Reichsgrenzen eingesetzt gewesen noch sei er kaserniert und uniformiert innerhalb der Reichsgrenzen für einen derartigen Einsatz gesammelt und ausgebildet worden, wie es die Verwaltungsvorschrift Nr. 9 zu § 3 BVG verlange.
Auch als Zivildienst bei der Wehrmacht im Sinne von § 3 Abs. 2 BVG könne man die Tätigkeit des Vaters der Kläger nicht ansehen. Eine Bindung des Versicherungsträgers an die Versorgungsbescheide komme nicht in Betracht. Der Versorgungsbescheid wirke nur inter partes.
Es dürfe im übrigen nicht übersehen werden, daß die Bescheide nicht erkennen ließen, ob der Vater der Kläger während oder infolge eines militärähnlichen Dienstes im Sinne des § 3 BVG gestorben sei.
Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.
Die Kläger haben gegen dieses am 20. Dezember 1957 zugestellte Urteil am 23. Dezember 1957 Revision eingelegt und diese am 5. Februar 1958 begründet.
Die Kläger rügen die Verletzung der Bestimmungen der §§ 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F., 1252 Nr. 2 RVO n.F., § 3 BVG. Soweit § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. für die Zeit bis zum 1. Januar 1957 herangezogen werden müsse, habe das Landessozialgericht zu Unrecht verneint, daß der Vater der Kläger während eines dem Kriegsdienst ähnlichen Dienstes erkrankt und verstorben sei. Der Versicherte habe beim Bau des Westwalls für die Wehrmacht in der sogenannten roten Zone und somit in einem Gefahrenbereich gearbeitet. Sein Einsatz sei mit persönlichen Einschränkungen verbunden gewesen. An der Art der Tätigkeit könne es nichts ändern, daß der Vater der Kläger während seiner Dienstzeit regulär versichert gewesen sei. Der Dienst in der Organisation Todt gelte nach § 3 BVG ausdrücklich als militärähnlicher Dienst. Die vom Landessozialgericht unter Hinweis auf die Verwaltungsvorschrift Nr. 9 zu § 3 BVG vertretene Auffassung, der Vater der Kläger habe nicht Dienst in der Organisation Todt geleistet, widerspreche dem Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG. Der Vater der Kläger sei Organisation-Todt-Angehöriger gewesen, was sich auch aus der Verwaltungsvorschrift, die von Organisation Todt-Personal und Firmenpersonal spreche, ergebe. Das Landessozialgericht hätte der einengenden Bestimmung der Verwaltungsvorschrift im übrigen nicht folgen dürfen, da diese dem klaren Wortlaut des Gesetzes entgegenstehe. Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG lägen demnach vor. Insoweit müsse man daher auch den Einsatz des Klägers als einen dem Kriegs- oder Sanitätsdienst ähnlichen Dienst gemäß § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a. F. anerkennen.
Für die Zeit nach dem 1. Januar 1957 sei der Rentenanspruch der Kläger aus den angeführten Gründen nach § 1252 Nr. 2 RVO n.F. begründet.
Im übrigen müßten die Entscheidungen der Versorgungsbehörden beachtet werden. Es trete allerdings keine Bindung für die Versicherungsträger ein. Die Bescheide stammten aber von insoweit rechtlich erfahrenen Instanzen.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. November 1957 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 1. Februar 1955 zurückzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß der vorliegende Fall nur nach § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVÖ a.F. zu beurteilen sei. § 1252 Nr. 2 RVO n.F. sei nicht anwendbar, wie sich aus Art. 2 § 10 des Arbeiterversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) eindeutig ergebe.
Die Voraussetzungen des § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. seien jedoch nicht erfüllt. Der Vater der Kläger sei zwar in einer Gefahrenzone unter persönlichen Einschränkungen tätig gewesen. Seine Arbeit habe auch der Reichsverteidigung gedient, das genüge aber nicht für die Annahme eines dem Kriegs- oder Sanitätsdienst ähnlichen Dienstes. Der Versicherte habe keinem Militärverband angehört, sondern einen Arbeitsvertrag mit einer privaten Baufirma gehabt. Er sei nicht Angehöriger der Organisation Todt gewesen.
Es könne dahinstehen 9 ob die Versorgungsbehörden zu Recht eine Hinterbliebenenrente zugesprochen hätten oder nicht. Die Beklagte könne selbständig über einen Antrag der Kläger entscheiden, ohne an die Bescheide der Versorgungsbehörde gebunden zu sein.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.
Die Revision ist jedoch nicht begründet.
I. Wie das Bundessozialgericht in nunmehr ständiger Rechtsprechung entschieden hat, richtet sich der geltend gemachte Anspruch nach dem vor dem 1. Januar 1957 geltenden Recht; auch Art. 2 § 17 ArVNG kann nicht zur Anwendung neuen Rechts führen, weil der Versicherungsfall bereits vor den 1. April 1945 eingetreten war.
Für den Vater der Kläger war im Zeitpunkt seines Todes nach altem Recht zwar die Anwartschaft erhalten, die für eine Rentenleistung erforderliche Wartezeit durch Beitragszahlung oder Anrechnungsmöglichkeit gesetzlich in Frage kommender Ersatzzeiten jedoch nicht erfüllt. Der Waisenrentenanspruch könnte daher nur gegeben sein, wenn die Wartezeit des Vaters der Kläger über eine gesetzliche Fiktion als erfüllt geltend anzusehen wäre. Dafür ist da über den vorliegenden Rentenanspruch bis zum 31. März 1945 noch nicht rechtskräftig entschieden wurde, § 1263 a RVO a.F. maßgeblich (vgl. BSG., Urteil vom 21.7.1959 – SozR. § 1263 a RVO a.F. Nr. 7 Bl. A a 6 f.).
Da bei dem Vater der Kläger im Zeitpunkt seines Todes die Anwartschaft aus seinen während der Arbeitstätigkeit am Westwall geleisteten Pflichtbeiträgen noch erhalten war, ist er als Versicherter im Sinne des § 1263 a RVO a.F. anzusehen.
Dagegen fehlt es an der weiteren im § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO (die Nummern 1 und 3 kommen für den vorliegenden Sachverhalt nicht in Frage) geforderten Voraussetzung, daß der Vater der Kläger während der Ableistung von Kriegs-, Sanitäts- oder ähnlichen Diensten für das Deutsche Reich in Kriegs- oder Mobilmachungszeiten invalide geworden oder gestorben ist.
Da Kriegsdienste, unter denen nach dem deutschen Wehrrecht in einem militärischen Verband geleistete Dienste zu verstehen sind, und Sanitätsdienste vom Vater der Kläger eindeutig nicht geleistet wurden und daher ausscheiden, bleibt als zu prüfen, ob sein Einsatz als Bauarbeiter, jedenfalls wahrend der Zeit vom September 1939 ab, ein dem Kriegsdienst (Sanitätsdienst kommt offensichtlich nicht in Frage) ähnlicher Dienst gewesen ist.
Hierbei ist zu berücksichtigen, daß im Gegensatz zu den Bestimmungen in Nr. 1 und 3 a.a.O. für die Anwendung der Nr. 2 bereits ein rein zeitlicher Zusammenhang genügt, so daß die Prüfung der. Verursachung der eingetretenen Schädigung durch jene Dienstleistung entfällt. Wenn auf einen derartigen Nachweis demnach verzichtet wird, s. muß angenommen werden, daß die Vergünstigung dieser Wartezeitfiktion auch nur solchen Versicherten zugute kommen soll, die tatsächlich unter kriegseigentümlichen Verhältnissen, die eine erhöhte tatsächlich entsprechende Gefahr entwickeln, eingesetzt waren. Die zwar auf Grund einer Dienstverpflichtung, im übrigen aber bei einer privaten Baufirma in einem echten versicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ohne Kasernierung und militärähnliche Subordination von dem Vater der Kläger im Inland durchgeführten Bauarbeiten können nicht als derartige kriegsähnliche Dienste angesehen werden, selbst wenn sie der Errichtung des sog. „Westwalls” dienten.
II. Auch eine Berücksichtigung des § 3 BVG und der zu dieser Bestimmung erlassenen Verwaltungsvorschrift vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern.
Eine unmittelbare Anwendung des § 3 BVG scheidet schon deshalb aus, weil jene Bestimmung den Begriff des „militärähnlichen Dienstes” im Sinne des § 1 BVG erläutert, während im vorliegenden Fall über den erheblich engeren Begriff des kriegsähnlichen Dienstes zu entscheiden ist.
Trotzdem vermag die eingehende Regelung des § 3 auch für die hier zu entscheidende Frage einen weiteren Anhalt zu geben, da jedenfalls Dienste, die § 3 BVG nicht umfaßt, keinesfalls als kriegsähnliche Dienste im Sinne des § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. angesehen werden könnten.
§ 3 BVG führt unter „m” (alle anderen Buchstaben kommen bereits nach ihrem Wortlaut nicht in Frage, insbesondere auch nicht Buchstabe „k”, da der Vater der Kläger nach den zugrundeliegenden Feststellungen nicht notdienstverpflichtet war) auf, als militärähnlicher Dienst gelte auch der Dienst in der Organisation Todt für Zwecke der Wehrmacht. Da nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils der Vater der Kläger keinen Dienst in der Organisation Todt geleistet hat, würde sonach auch ein militärähnlicher Dienst im Sinne des § 3 BVG bereits nach dessen Wortlaut nicht in Frage kommen, wenn nicht etwa aus Nr. 9 der zu § 3 BVG erlassenen Verwaltungsvorschriften sich etwas anderes ergäbe. Durch diese Vorschriften, die für die Gerichte zwar, nicht verbindlich sind, aber doch immerhin einen Anhalt bieten können, wird der Buchstabe „m” insoweit durchaus sinnvoll erläutert, als auf der einen Seite eine allerdings (wie der 9. Senat des Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 5.9.1958 – SozR. BVG § 3 Nr. 11 Bl. Ca 7 bis 8 zutreffend hervorhebt) nicht erschöpfende Aufzählung der nach Tätigkeitsort (außerhalb der Reichsgrenzen) oder Organisationsform sich als militärähnlicher Dienst für Zwecke der Wehrmacht kennzeichnenden Dienste in der Organisation Todt vorgenommen wird und auf der anderen Seite – über den Wortlaut des § 3 Abs. 1 Buchst. m hinaus – auch der Dienst des der Organisation unterstellten Firmenpersonals unter den gleichen Voraussetzungen als militärähnlicher Dienst bezeichnet wird. Daraus, daß mit dem 9. Senat diese Auslegung des § 3 BVG durch die Verwaltungsvorschriften als nicht erschöpfend und für die Gerichte nicht bindend angesehen werden muß, folgt weiter, daß auch Fälle denkbar sind, in denen ein Angehöriger der Organisation Todt ohne Vorliegen jener Merkmale der Verwaltungsanordnung militärähnlichen Dienst für Zwecke der Wehrmacht im Sinne des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG verrichtet haben kann. Bei Firmenangehörigen, die überhaupt erst über jene Verwaltungsanordnung den Angehörigen der Organisation Todt gleichzustellen sind, wird man besondere strenge Anforderungen daran stellen müssen, wenn man auf sie trotz Fehlens jener Merkmale den erwähnten Buchstaben „m” anwenden will. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die Tätigkeit des Vaters der Kläger besondere Kennzeichen, die trotz Fehlens der Merkmale der Verwaltungsvorschriften die Annahme militärähnlichen Dienstes rechtfertigen könnten, nicht aufweist, s. daß auch hieraus gerechtfertigt erscheint, daß seine Tätigkeit die strengeren Anforderungen des kriegsähnlichen Dienstes im Sinne des § 1263 a Abs. 1 Nr. 2 RVO a.F. erst recht nicht erfüllt; diese Überlegung wird gestützt dadurch, daß selbst der auf Grund einer Dienstverpflichtung bei der Wehrmacht geleistete Zivildienst nach § 3 Abs. 2 BVG nicht als militärähnlicher Dienst anzusehen ist, es sei denn, daß dieser Einsatz mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war, was von der Tätigkeit des Vaters der Kläger nicht gesagt werden kann.
III. Unter diesen Umständen erweist sich das angefochtene Urteil als zutreffende. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Brockhoff, Dr. Dapprich, Fechner
Fundstellen
Haufe-Index 926338 |
NJW 1960, 455 |