Entscheidungsstichwort (Thema)
Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der Verweisungstätigkeit
Orientierungssatz
Bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Bergmannsrente eines früheren Hauers, der seine Tätigkeit im Gedinge aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten kann, hängt die Entscheidung, ob er nach RKG § 45 Abs 2 auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden kann, davon ab, ob die Tätigkeiten als Zimmerling, Lokfahrer oder Maschinist, die er nach ärztlicher Beurteilung noch ausüben kann, der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind.
Für die Prüfung der Gleichwertigkeit ist bei Bewertung der Gedingearbeit weder von dem Individuallohn des Versicherten noch von dem effektiven Durchschnittslohn seiner Berufsgruppe, sondern stets von dem Tariflohn auszugehen, wie er beispielsweise im rheinisch-westfälischen, saarländischen und Aachener Bergbau durch den Gedingerichtsatz (Hauerdurchschnittslohn) festgelegt ist.
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
SG München (Entscheidung vom 08.07.1968) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juli 1968 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der ... 1912 geborene Kläger war von November 1931 bis Juni 1967 im Bergwerk P tätig, und zwar seit August 1938 als Hauer und seit Januar 1961 als Zimmerhauer. Vom 1. Juni 1962 an wurde ihm die Bergmannsrente nach Vollendung des 50. Lebensjahres und vom 1. Juli 1967 an die Knappschaftsausgleichsleistung gewährt.
Bereits bei Aufgabe der Gedingearbeit im Januar 1961 hatte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung der Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit beantragt. Nach ärztlicher Beurteilung war er seither nicht mehr gedingetauglich, aber noch in der Lage, als Zimmerling, Lokfahrer und Maschinist mittelschwere Arbeit fortgesetzt zu verrichten. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger könne noch die von ihm auch tatsächlich ausgeübte Tätigkeit eines Zimmerhauers verrichten, die seiner bisherigen Tätigkeit als Hauer im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sei. Der Widerspruch des Klägers, mit dem er geltend machte, die Lohndifferenz zwischen dem Gedingelohn eines Hauers und dem Schichtlohn eines Zimmerlings betrage mehr als 20 v. H., wurde zurückgewiesen.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) beantragte der Kläger, ihm Rente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit von der Antragstellung bis zum 31. Mai 1962 zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, die Tätigkeit eines Zimmerhauers bei bereits eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit müsse nach der Leistungsstufe II der Lohngruppe 1 bewertet werden. Aber auch bei Entlohnung nach der Leistungsstufe III sei wirtschaftliche Gleichwertigkeit gegenüber der Gedingehauertätigkeit nicht mehr gegeben, wenn man die für das Kohlenbergwerk P maßgebliche "Gedingebasis" berücksichtige. Man dürfe dabei allerdings nicht von der "gewogenen mittleren Gedingebasis" ausgehen, wie sie der Sachverständige Dipl. Ing. J in seinem Gutachten zu den Streitsachen H und L errechnet habe, sondern müsse die "Gedingebasis für Arbeitsvorgänge in Strecken mit offenen Bögen" heranziehen.
Das SG hat die Klage abgewiesen. In dem Urteil wird ausgeführt, als Vergleichswert für die Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nach § 45 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) sei weder der Individuallohn noch der effektive Hauerdurchschnittslohn geeignet. Einen echten Gedingerichtsatz gebe es im Oberbayerischen Pechkohlenbergbau nicht. Die im Kohlenbergwerk P jeweils zwischen Betriebsvertretung und Werksleitung vereinbarte und ohnehin nur für diesen Betrieb geltende Gedingebasis sei nicht als tarifliche Gedingevereinbarung anzusehen. Entsprechend dem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 22. Februar 1968 in der Streitsache H sei daher bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der entsprechende Tariflohn des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenreviers heranzuziehen, zumal sich Bergleute über die Grenzen ihres regionalen Bergbaugebietes hinaus auf Arbeitsplätze in anderen Bergbaugebieten verweisen lassen müßten. Bei Anwendung der zeitlich maßgeblichen Lohnordnungen für den Steinkohlenbergbau der Ruhr seien für einen Gedingehauer die Tätigkeiten der Lohngruppen 1 a), 1 b) und 1 noch als im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig anzusehen. Das Ergebnis der gegenteiligen Auffassung würde zudem dem Grundsatz widersprechen, daß ein Hauer jedenfalls dann noch nicht vermindert bergmännisch berufsfähig ist, wenn er noch Untertagearbeiten verrichten kann, die - von den Arbeiten der Sondergruppe abgesehen - mit dem höchsten Schichtlohn vergütet werden.
Das LSG hat die an sich nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossene Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger im Einverständnis der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Er rügt die unrichtige Anwendung des § 45 RKG. Es sei unzulässig, für den Vergleich von Tätigkeiten im Bereich des oberbayerischen Pechkohlenbergbaus die Tarifverträge des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaus heranzuziehen. Es sei vielmehr von der zwischen Werksleitung und Betriebsvertretung ausgehandelten Gedingebasis auszugehen. Diese Gedingebasis habe in der hier in Betracht kommenden Zeit um 24 bis 25 v. H. über dem tariflichen Lohn der Lohngruppe 1 gelegen. Eine solche Lohnminderung sei im Rahmen der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit nicht zumutbar. Der Kläger sei daher in der Zeit vom Januar 1961 bis zum 31. Mai 1962 vermindert bergmännisch berufsfähig gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der Bescheide vom 9. Januar 1962 und 15. Juli 1963 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG vom 1. Januar 1961 bis zum 31. Mai 1962 zu gewähren,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig. Mit Rücksicht auf das inzwischen ergangene Urteil des Senats vom 30. Januar 1969 in der Streitsache H - 5 RKn 30/68 - erscheint ihr aber, wie auch dem Kläger, die Zurückverweisung in die Tatsacheninstanz geboten.
Beide Beteiligten sind mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II.
Die zulässige Sprungrevision des Klägers mußte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits in die Tatsacheninstanz führen.
In der vorliegenden Streitsache kommt es darauf an, ob der Kläger in der Zeit von Januar 1961 bis Mai 1962 vermindert bergmännisch berufsfähig i. S. von § 45 Abs. 2 RKG gewesen ist. Da er zu dieser Zeit seine frühere Tätigkeit als Hauer im Gedinge nicht mehr verrichten konnte, hängt die Entscheidung im wesentlichen davon ab, ob die Tätigkeiten als Zimmerling, Lokfahrer oder Maschinist, die er nach ärztlicher Beurteilung noch ausüben konnte, der Hauertätigkeit im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind.
Für die Prüfung der Gleichwertigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bei Bewertung der Gedingearbeit weder von dem Individuallohn des Versicherten noch von dem effektiven Durchschnittslohn seiner Berufsgruppe, sondern stets von dem Tariflohn auszugehen, wie er beispielsweise im rheinisch-westfälischen, saarländischen und Aachener Bergbau durch den Gedingerichtsatz (Hauerdurchschnittslohn) festgelegt ist.
Dem nach § 45 Abs. 2 RKG anzustellenden Vergleich sind dabei, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Januar 1969 (SozR Nr. 30 zu § 45 RKG) ausgeführt hat, grundsätzlich die Tarifverträge zugrunde zu legen, die für das Bergbaugebiet maßgebend sind, in welchem der Versicherte gearbeitet hat. Es ist daher jedenfalls im Grundsatz nicht richtig, bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von tariflichen Verhältnissen auszugehen, die für den Versicherten nicht vorgelegen haben und die daher den Vorstellungen über den wirtschaftlichen Wert verschiedener Tätigkeiten nicht entsprechen. Das geschieht aber, wenn man bei der Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit Tarifverträge und Lohnordnungen zugrundelegt, die weder für die aufgegebene Arbeit gegolten haben noch für die möglicherweise in demselben Tarifgebiet aufzunehmenden Arbeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben gelten. Das SG durfte also bei der Prüfung der Frage, ob im Verhältnis zum Hauptberuf des Klägers die noch ausübbaren knappschaftlichen Tätigkeiten im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sind, nicht von den Werten der im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau geltenden Tarifverträge und Lohnordnungen ausgehen.
Das SG hätte vielmehr für den oberbayerischen Pechkohlenbergbau, in welchem es keinen echten Gedingerichtsatz gibt, anderweitig den Wert ermitteln müssen, der in diesem Bergbaugebiet fiktiv für die Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG als Gedingerichtsatz angenommen werden kann. Dafür bietet sich der durchschnittliche Prozentsatz an, um den in anderen vergleichbaren Bergbaugebieten der Gedingerichtsatz über dem höchsten tariflichen Schichtlohn liegt. Es ist anzunehmen, daß dieser Prozentsatz im oberbayerischen Pechkohlenbergbau zumindest in etwa gleich hoch ist wie in den anderen vergleichbaren bergbaulichen Tarifgebieten, die einen echten Gedingerichtsatz im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kennen. Ohne weiteres kann angenommen werden, daß die Gedingearbeit tariflich allgemein höher als die höchste Schichtlohntätigkeit eingestuft wird. Man kann darüber hinaus aber auch annehmen, daß diese prozentuale Differenz in allen vergleichbaren Bergbaugebieten in etwa gleich hoch sein wird. Denn die mannigfaltigen Gründe, die zu dieser Differenz zwischen höchstem tariflichen Schichtlohn und Gedingerichtsatz führen - z. B. allgemein betriebliche, leistungsbezogene, soziale und sonstige tarifpolitische Gründe - werden in allen vergleichbaren bergbaulichen Tarifgebieten in etwa das gleiche Gewicht für die Höhe dieser Differenz haben. Da die übrigen bergbaulichen Tarife keinen echten Gedingerichtsatz im Sinne der Rechtsprechung des BSG ausweisen, können allerdings nur die Tarifverträge für den rheinisch-westfälischen, den Aachener und den saarländischen Steinkohlenbergbau herangezogen werden, um die übliche durchschnittliche prozentuale Differenz zwischen höchstem bergbaulichen Schichtlohn und Gedingerichtsatz zu ermitteln. Wie der Senat in dem o. a. Urteil ausgeführt hat, ist diese Differenz mit 5,5 % anzusetzen. Diese prozentuale Differenz kann - fiktiv - auf den oberbayerischen Pechkohlenbergbau für die Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG übernommen werden. Die Gründe, die in den oben angeführten Bergbaugebieten durchschnittlich zu einer Differenz von 5,5 % geführt haben, werden, so kann man annehmen, im oberbayerischen Pechkohlenbergbau in etwa dieselben sein und dasselbe Gewicht haben.
Als Besonderheit weisen die bayerischen Lohntafeln allerdings im Gegensatz zu den Lohnordnungen der o. a. übrigen Tarife innerhalb der einzelnen Lohngruppen noch drei Leistungsstufen aus. Bei der Ermittlung des fiktiven Gedingerichtsatzes für den oberbayerischen Pechkohlenbergbau muß daher von demjenigen höchsten tariflichen Schichtlohn ausgegangen werden, der dem "gewogenen Mittel" der Werte der drei Leistungsstufen des höchsten tariflichen Schichtlohnes entspricht, es sei denn, daß die tatsächlichen Lohnverhältnisse es rechtfertigen würden, stattdessen von einer bestimmten Leistungsstufe auszugehen. Der wirtschaftliche Wert der Arbeit eines im Gedinge arbeitenden Hauers im Pechkohlenbergbau in Oberbayern ist somit für die Anwendung des § 45 Abs. 2 RKG dadurch fiktiv festzustellen, daß der gewogene Mittelwert der drei Leistungsstufen des höchsten tariflichen Schichtlohnes bzw. stattdessen der Wert der praktisch allein in Betracht kommenden Leistungsstufe um 5 1/2 % erhöht wird.
Nach der Ermittlung des fiktiven tariflichen Hauerlohnes ist bei der Durchführung des nach § 45 Abs. 2 RKG vorzunehmenden Vergleichs zu prüfen, ob der Schichtlohn der Tätigkeiten, die der Kläger noch verrichten konnte, diesem Hauerlohn noch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig war. Bei der Ermittlung des Wertes der Vergleichstätigkeiten ist, da auch für diese drei Leistungsstufen gelten, festzustellen, in welche dieser Leistungsstufen ein Hauer der aus gesundheitlichen Gründen zur Schichtlohntätigkeit übergehen muß, üblicherweise eingestuft wird. Wenn eine solche üblicherweise in Betracht kommende Leistungsstufe nicht ermittelt werden kann, ist auch hier das gewogene Mittel der Werte der drei Leistungsstufen maßgebend.
Das SG nimmt zu Unrecht an, ein Hauer müsse sich im Rahmen des § 45 RKG stets auf die Tätigkeit eines Zimmerhauers oder eine in der gleichen Lohngruppe eingestufte Tätigkeit verweisen lassen. Es ist zwar richtig, daß der Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen ist, auch für einen Gedingehauer müsse es regelmäßig noch eine Gruppe von im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertigen Verweisungentätigkeiten geben (vgl. BSG 25, 231, 233). Dabei handelt es sich jedoch um einen Gesichtspunkt zu der Erwägung wie hoch allgemein der prozentuale Lohnabfall im Rahmen der wesentlichen wirtschaftlichen Gleichwertigkeit noch sein darf. Seine Beachtung schließt nicht aus, daß in einzelnen Bergbauarten oder -gebieten die Differenz zwischen Hauerlohn und dem Schichtlohn solcher Tätigkeiten so erheblich sein kann, daß sie über den Rahmen dieser Gleichwertigkeit hinausgeht. Es wäre eine ungerechtfertigte Benachteiligung dieser Bergleute, wollte man ihnen bei Anwendung des § 45 RKG einen solchen höheren Lohnabfall im Vergleich zu anderen Bergleuten zumuten. Für die hier in Betracht kommende Zeit ist für einen Hauer ein Lohnabfall von 20,7 % als noch tragbar angesehen worden (vgl. BSG 13, 29, 31).
Da der Senat die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für den demgemäß nach § 45 Abs. 2 RKG noch anzustellenden Vergleich nicht treffen kann, mußte das Urteil des SG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen werden. Dabei erschien es geboten, den Rechtsstreit gemäß § 170 Abs. 3 SGG an das für die Berufung zuständige LSG zurückzuverweisen, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 i. V. m. §§ 153, 165 SGG).
Fundstellen