Leitsatz (amtlich)
Die besonders günstige Halbdeckungsberechnung des FRG § 4 Abs 3 S 2 findet keine Anwendung auf Personen, die stets ihren Wohnsitz im Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland oder des jetzigen Landes Berlin hatten; sie ist auch auf Personen, die bereits vor dem 1944-07-01 in das bezeichnete Gebiet zugezogen sind, nicht anzuwenden.
Normenkette
FRG § 4 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1953-08-07
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 29. September 1955 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Februar 1955 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I. Die 1903 geborene Klägerin war seit 1923 bei der Landesversicherungsanstalt Mecklenburg pflichtversichert; im Jahre 1927 verzog sie von Mecklenburg nach Schleswig-Holstein, wo sie seitdem in Glückstadt wohnt. Sie war dort noch bis zum Jahre 1940 pflichtversichert beschäftigt und entrichtete dann nach ihrer Eheschließung im Jahre 1941 und nochmals 1949 freiwillige Beiträge. Bei der Klägerin, die bei der Beklagten im November 1953 erfolglos die Gewährung der Invalidenrente beantragt hatte, ist nach den insoweit jetzt nicht mehr bestrittenen Feststellungen des Landessozialgerichts Invalidität erst im Jahre 1953 eingetreten; zu diesem Zeitpunkt war die Anwartschaft der Klägerin nach § 1264 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht mehr erhalten. An Stelle der für die Halbdeckung erforderlichen 754 Wochenbeiträge sind für die Klägerin nur 701 Wochenbeiträge nachgewiesen, so daß insoweit die Anwartschaft allein nach § 1265 RVO nicht als erhalten gelten kann.
Das Landessozialgericht ist jedoch in seinem, mit der von ihm zugelassenen Revision angefochtenen Urteil vom 29. September 1955 gleichwohl dazu gekommen, die Beklagte zur Zahlung einer Invalidenrente vom 1. Dezember 1953 an zu verurteilen, weil es die Anwartschaft unter Berücksichtigung des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) als erhalten ansieht. Es nimmt an, auf die Klägerin finde § 4 Abs. 3 FremdRG Anwendung, nach dessen zweitem Satz bei der Errechnung der Halbdeckung die Zeit vom 1. Juli 1944 bis zum 31. März 1952 nicht mitzuzählen sei, und kommt daher zu der rechnerisch nicht bestrittenen Feststellung, daß die Halbdeckung über diese Sondervorschrift gewahrt sei. Seine Auffassung begründet das Landessozialgericht im wesentlichen damit, die Klägerin sei bei der Landesversicherungsanstalt Mecklenburg, einem nicht mehr bestehenden deutschen Versicherungsträger, versichert gewesen und falle daher unter § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG. Die Klägerin habe auch ihren Aufenthalt im Sinne des § 4 Abs. 3 FremdRG im Gebiet der heutigen Bundesrepublik genommen, da sie - allerdings bereits 1927 - von ihrem ursprünglich außerhalb dieses Gebiets gelegenen Heimatort in ihren jetzigen Wohnort verzogen sei. Eine zeitliche Begrenzung der Anwendung des § 4 Abs. 3 FremdRG auf Berechtigte, die erst nach dem 1. Juli 1944 in das fragliche Gebiet verzogen sind, sei in dem Gesetz nicht festgelegt und könne auch aus dem Wortlaut, Sinn oder der Entstehungsgeschichte der Bestimmung nicht entnommen werden.
II. Die Beklagte hat frist- und formgerecht gegen dieses Urteil Revision eingelegt und die Revision entsprechend begründet.
Sie will als Versicherungsträger, bei dem die Klägerin versichert war, im Sinne des FremdRG seit dem Jahre 1927 sich, die Beklagte, angesehen wissen, so daß insoweit die Klägerin nicht "schlechthin zu den im § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG bezeichneten Personen" gehöre.
Darüber hinaus wolle § 4 Abs. 3 FremdRG aber auch nur die Anwartschaft solcher Personen regeln, die ihren ehemaligen Wohnsitz im deutschen Osten und im Gebiet der jetzigen Ostzone im Zuge der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse aufgegeben haben.
Die Beklagte beantragt demgemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Demgegenüber beantragt die Klägerin,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen und der Beklagten die Kosten aller drei Rechtszüge aufzuerlegen.
Zur Begründung macht die Klägerin sich den Inhalt des angefochtenen Urteils zu eigen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und daher statthaft.
II. Soweit die Beklagte die Klägerin "nicht schlechthin zu den im § 1 Abs. 2 Satz 1 FremdRG bezeichneten Personen" rechnen will, kann ihrer Auffassung allerdings nicht gefolgt werden. Im § 1 FremdRG wird lediglich der Personenkreis festgelegt, auf den sich die Vorschriften über Fremdrenten beziehen. Dabei stellt Abs. 2 Nr. 1 einzig darauf ab, daß die in Frage kommenden Personen bei einem der genannten Versicherungsträger versichert waren; es spielt dabei keine Rolle, ob ausschließlich dieses "Fremdversicherungsverhältnis" bestanden oder ob es nur kurze Zeit - unter Umständen nur für eine einzige Beitragszahlung - angedauert hat; ist die Anwartschaft für diesen einen Beitrag erhalten, so gehört der Versicherte zu dem Personenkreis des FremdRG (vgl. Komm. der Rentenversicherungsträger, Anm. 5 zu § 1 FremdRG; Ludwig, ZfS. 54 S. 279).
Es mag zutreffen, daß die Klägerin seit dem Jahre 1927 auch im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG bei der Beklagten versichert war; daraus folgt jedoch nicht, wie die Beklagte meint, daß die Klägerin nicht zu dem gedachten Personenkreis zu rechnen wäre. Die Beklagte geht anscheinend davon aus, daß die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 darauf abstellt, bei wem ein Versicherter zuletzt bzw. zuletzt vor den in Frage kommenden Stichtagen versichert gewesen ist; diese Frage ist jedoch für die Anwendung der genannten Bestimmung ganz unbeachtlich; es reicht aus, daß jemand irgendwann einmal bei einem der genannten Versicherungsträger versichert gewesen ist.
Darüber, daß das FremdRG allein und ausschließlich die Ansprüche Vertriebener regeln wollte, wie die Beklagte insbesondere aus der Begründung des Gesetzentwurfs ableiten will, findet sich im Gesetz selbst keine Bestimmung. Die Begründung des Gesetzes (Bundestagsdrucksache Nr. 4201) läßt im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten sogar eindeutig erkennen, daß nicht etwa - abgesehen von dem Einzelfall der Fremdbeitragsanrechnung für Einheimische - nur Ansprüche der Vertriebenen geregelt werden sollten; auf Seite 14 Spalte 2 a.a.O. wird betont, bei dem betroffenen Personenkreis handele es sich "vor allem um die aus ihrer Heimat Vertriebenen", und als Mangel der damals geltenden (verschiedenartigen) Rechtsbestimmungen ausdrücklich hervorgehoben, "daß zwar den Vertriebenen Leistungen zur Ablösung ihrer Ansprüche gegen ihren ehemaligen Versicherungsträger gewährt werden, jedoch Einheimische, die bei den gleichen Versicherungsträgern Ansprüche und Anwartschaften erworben hatten, keine Leistungen erhalten". Wenn die Vorschriften des Gesetzes demnach auch sicherlich auf Vertriebene am häufigsten und umfassendsten angewandt werden, so betreffen sie nach dem Willen des Gesetzgebers und dem Gesetzeswortlaut doch ebenso auch - und zwar häufig - Personen, die nicht zu jenem Kreis der Vertriebenen gehören. Das Gesetz bietet daher keine Handhabe für eine Auslegung in dem von der Beklagten gedachten Sinne.
Ebensowenig läßt sich die Anwendung einzelner Vorschriften auf bestimmte Personenkreise beschränken, wenn dies nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber im Einzelfall bestimmt ist. Jeder derartige Versuch würde im übrigen bereits an seiner Undurchführbarkeit scheitern, da sich keine rechtlich haltbare und praktisch brauchbare Abgrenzung des vom Gesetz ganz erfaßten Personenkreises von dem nur teilweise erfaßten denken läßt. Hierfür sind die Übergänge zwischen den nur Fremdversicherten auf der einen und den Versicherten mit nur einem Fremdbeitrag auf der anderen Seite zu flüssig und ineinander verlaufend. Die von der Beklagten in dieser Hinsicht vorgetragenen Rügen greifen daher nicht durch.
III. Unter diesen Umständen hängt die Entscheidung davon ab, ob das angefochtene Urteil den § 4 Abs. 3 Satz 2 FremdRG auf die zu dem vom FremdRG erfaßten Personenkreis gehörige Klägerin rechtlich zutreffend angewandt hat.
Der Absatz 3 zerfällt in zwei Sätze, deren erster eine dem § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) nachgebildete, aber bei Zuzug in das Bundesgebiet oder das Land Berlin nach dem 1. Januar 1948 auf weitere Zeiten erstreckte Erhaltung der Anwartschaft geleisteter Beiträge vorschreibt, während Satz 2 durch Auslassung der Zeit vom 1. Juli 1944 bis 31. März 1952 eine besonders günstige Berechnung der Halbdeckung ermöglicht.
Umstritten bei der Anwendung dieses Absatzes ist einmal, ob das im Satz 1 aufgestellte "Zuzugserfordernis" des Versicherten auch für Satz 2 gilt und zum anderen, ob für diesen Zuzug irgendwelche Anfangstermine (Endtermine kommen bei dem Sinn der Vorschriften nicht in Frage) zu beachten sind.
Für Satz 1 erscheint die zuletzt gestellte Frage nach einem Anfangsstichtag allerdings praktisch bedeutungslos, da über die §§ 2 und 4 Abs. 1 FremdRG ohnehin die Vorschrift des § 4 Abs. 2 SVAG auf alle dem FremdRG unterworfenen Personen anzuwenden ist und dadurch auch ohne die Bestimmung des § 4 Abs. 3 Satz 1 FremdRG die Anwartschaftserhaltung für alle vor dem 1. Januar 1948 Zugezogenen gewahrt wäre. Satz 1 hat demnach, was sein Wortlaut eindeutig nicht erkennen läßt, eine selbständige Wirkung nur bei den Personen, die nach dem 31. Dezember 1947 zugezogen sind und für die durch jene Bestimmung die Anwartschaft über die im § 4 Abs. 2 SVAG vorgeschriebene Zeit hinaus erhalten wird (vgl. Malkewitz, WzS. 53 S. 358).
Dagegen ist die Beantwortung der beiden gestellten Fragen für Satz 2 von erheblicher Bedeutung. Satz 2 selbst enthält keine Einschränkung auf bestimmte Personenkreise, sondern scheint seinem Wortlaut nach auf alle dem FremdRG unterworfenen Personen anwendbar zu sein. Es fragt sich bei dieser Fassung zunächst, ob Satz 2 überhaupt ausgelegt werden darf, ob er nicht vielmehr so klar und eindeutig ist, daß er seinem nicht erläuterungsbedürftigen und erläuterungsfähigen Wortlaut entsprechend anzuwenden ist. Diese Auffassung wird im Schrifttum allein von Koch-Hartmann-v. Altrock-Fürst (Anm. 10 d zu § 32 AVG - § 1264 RVO - S. 406 a) vertreten und damit begründet, das FremdRG sei seinem Wesen nach kein Flüchtlingsrentengesetz, sondern ein Lastenverteilungsgesetz, woraus gefolgert wird, daß die Halbdeckungsvorschrift nicht einmal bei den Berechtigten im Ausland auszuschließen sei.
Demgegenüber wird sonst übereinstimmend die Auffassung vertreten, § 4 Abs. 3 Satz 2 FremdRG sei auslegungsfähig. Hierbei wollen Haensel (FremdRG 2. Aufl. Anm. 8 zu § 4 und ZfS. 53 S. 237) und wohl auch Jahn (WzS. 53 S. 259) diese Auslegung beschränken auf die Ausdehnung des Zuzugserfordernisses des Satzes 1 auf Satz 2, wenn sie auch beide das Ergebnis - Fehlen jedes Anfangstermins für den begünstigenden Zuzug bei Anwendung der erleichterten Halbdeckungsvorschriften - als recht unbefriedigend ansehen. Dieser Auffassung folgt im Ergebnis auch das angefochtene Urteil, das allerdings die Ablehnung einer den Willen des Gesetzgebers berücksichtigenden einschränkenden Auslegung besonders mit einem Hinweis auf den eindeutigen Gesetzestext begründet, der eine Auslegung nicht zulasse, obwohl es tatsächlich in dem oben dargestellten Umfang (Zuzugserfordernis) selbst eine Auslegung des Satzes 2 vorgenommen hat.
Auch der erkennende Senat ist der Auffassung, daß § 4 Abs. 3 Satz 2 FremdRG auslegungsfähig ist.
Dafür spricht bereits der allgemeine Gesichtspunkt, daß durch das FremdRG in seinem ersten Teil eine einheitliche und umfassende Gesamtregelung des gesamten Fremdrentenrechts - insbesondere der sozialversicherungsrechtlichen Verhältnisse der Vertriebenen und Flüchtlinge - beabsichtigt war (vgl. Bundestagsdrucksache Nr. 4201 S. 14 Spalten 1 und 2), und daß demnach die Bestimmungen des Gesetzes nicht losgelöst voneinander jede für sich, sondern nur in ihrem gewollten Zusammenhang zu betrachten sind. Als ein derartiger gewollter Zusammenhang ist in erster Linie, was auch das angefochtene Urteil einräumt, die Zusammenfassung der Anwartschaftsvorschriften in einem gemeinsamen Absatz anzusehen; gerade die Tatsache, daß der Gesetzgeber im allgemeinen im FremdRG sehr weitgehend von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, einzelne Paragraphen in zahlreiche selbständige Absätze aufzuteilen, spricht eindeutig dafür, daß er vorliegend den Satz 2 des Absatzes 3 nicht für sich allein seinem Wortlaut nach angewandt, sondern den gesamten Absatz 3 als eine Einheit angesehen wissen wollte.
Hinzu kommt, daß die Bestimmungen des Absatzes 3, auch abgesehen von den bereits behandelten Punkten, Unklarheiten aufweisen, die einer Auslegung bedürfen. So ist im Satz 2 die Einfügung: "sofern dies für den Versicherten günstiger ist", die rein sprachlich einen klaren Sinn zu haben scheint, inhaltlich sinnlos, da sich Fälle, in denen eine der Bestimmung entgegengesetzte Handhabung für den Versicherten günstiger sein könnte, überhaupt nicht denken lassen. Die Erklärung für diese Unstimmigkeit findet sich darin, daß der Gesetzgeber jene Bestimmung aus einer früheren anderen Fassung, für die sie sinnvoll war, weil damals weder die fragliche Zeit für die Halbdeckung mitgezählt noch die hierfür entrichteten Beiträge angerechnet werden sollten, hat stehen lassen (vgl. Hörnich-Jahn-Wickenhagen, Anm. 16 zu § 4 FremdRG). So besagt weiterhin z.B. der Wortlaut des Satzes 1 an sich eindeutig, daß er sich nur auf die nach § 4 Abs. 1 und 2 anzurechnenden ("Fremd-") Versicherungszeiten bezieht, während - wie auch der Senat annimmt - kein Zweifel daran möglich ist, daß bei einer Anwendung jener Bestimmung sämtliche Versicherungszeiten (also auch die "bundeseigenen") zu berücksichtigen sind (vgl. dazu u.a. Koch-Hartmann-v.Altrock-Fürst a.a.O., Komm. der Rentenversicherungsträger, Anm. 13 zu § 4 FremdRG Jahn, WzS. 53 S. 259; Malkewitz a.a.O.).
Schließlich kann in diesem Zusammenhang auch auf die weiter oben gemachten Ausführungen über den Anfangstermin im Abs. 3 Satz 1 hingewiesen werden.
Hinzu kommt allgemein, daß das FremdRG anerkanntermaßen mancherlei Unklarheiten aufweist und daher nicht wenige seiner Bestimmungen auslegungsbedürftig erscheinen; auch dies verstärkt die Bedenken, die dagegen bestehen, eine Vorschrift ihrem reinen Wortlaut nach anzuwenden, wenn dies offensichtlich zu unbilliger Bevorzugung eines möglicherweise größeren Personenkreises führen müßte.
IV. Bei einer Auslegung des § 4 Abs. 3 Satz 2 FremdRG liegt es, wie dies auch von anderer Seite bisher immer geschehen ist, zunächst nahe, ihn im Zusammenhang mit dem Satz 1 zu betrachten. Eine derartige zusammenfassende Betrachtung macht es deutlich, daß der Gesetzgeber seine beiden Anwartschaftsvergünstigungen (die der Frist des Satzes 1 und die der Halbdeckung des Satzes 2) sinnvoll nur demselben Personenkreis zugedacht haben kann. Dafür spricht besonders eindeutig die Begründung; in der Drucksache Nr. 4201 werden die Bestimmungen des § 4 Abs. 3 auf Seite 18 Spalte 1 überhaupt nur zusammengefaßt als Einheit erläutert: "Durch die Vorschriften im Absatz 3 über die Anwartschaftserhaltung sollen Härten, die durch unverschuldete Lücken im Versicherungsablauf des betroffenen Personenkreises entstanden sein können, ausgeschlossen werden. Eine über die Schutzvorschrift des SVAG hinausgehende Regelung ist für alle diejenigen Anspruchsberechtigten getroffen worden, die erst nach dem 1. Januar 1948 ihren ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen haben oder nehmen. Dies gilt auch für die Berechnung der Halbdeckung. Durch diese Vorschrift wird vermieden, daß sich Lücken im Versicherungsverlauf, die in der Nachkriegszeit wegen der außergewöhnlichen Umstände eingetreten sind, nachteilig für den Berechtigten auswirken können". In gleicher Weise erläutert auch der Ausschußbericht (vgl. Anl. 1 zum Stenografischen Bericht der 273. Sitzung) den § 4 Abs. 3 dahin: "Die Heimatvertriebenen sind gegenüber den Einheimischen in bezug auf die Erhaltung der Anwartschaft und hinsichtlich der sogenannten Halbdeckung begünstigt" und erklärt weiter zu Satz 2: "Im Ausschuß wurden Bedenken dagegen laut, weil hierdurch die ohnehin umstrittenen Vorschriften über die Halbdeckung noch weiter aufgelockert werden. Wegen der besonderen Lage der Heimatvertriebenen, deren Eingliederung sich erst langsam unter großen Schwierigkeiten vollzogen hat, läßt es sich aber nach einmütiger Auffassung des Ausschusses rechtfertigen, die Regierungsvorlage über die Aufrechterhaltung der Anwartschaft und über die Halbdeckung anzunehmen, zumal es sich lediglich um Übergangsvorschriften handelt".
Nur das Vertriebenenschicksal und die dadurch allen anderen Versicherten gegenüber erschwerte Aufrechterhaltung der Anwartschaft rechtfertigen daher nach Auffassung des Gesetzgebers die vorgesehene bevorzugte Behandlung. Sie rechtfertigen sie aber gleichermaßen für den Fall des Satzes 1 wie für den des Satzes 2.
V. Wenn man demnach in Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht dazu kommt, das Erfordernis des "Zuzugs in das Bundesgebiet oder das Land Berlin" auch auf den Satz 2 zu beziehen, so wird die Frage, ob für diesen Zuzug irgendein Anfangstermin gesetzt ist, hier - im Gegensatz zu Satz 1 - bedeutungsvoll.
Der im Gesetz im Satz 1 erwähnte Jahresschluß 1948 kann ebensowenig wie der im Gesetz und der Begründung genannte korrespondierende Jahresbeginn 1948 ernstlich in Betracht gezogen werden, weil er nur infolge der Beziehung des Satzes 1 zu § 4 Abs. 2 SVAG hier angezogen ist, im übrigen aber für die Frage der Vertreibung (das Flüchtlingsschicksal) keine Bedeutung hat. Da jedoch unter dem ständigen "Aufenthaltnehmen" des Berechtigten im Sinne des Absatzes 3 nicht jeder irgendwann einmal erfolgte Zuzug, sondern nur ein Zuzug im Gefolge der Kriegs- und Nachkriegszeiten gemeint sein kann, so muß versucht werden, den Willen des Gesetzgebers, von wann ab bei dem Zuzug eines Versicherten dessen bevorzugte Behandlung berechtigt erscheint, aus anderen Bestimmungen zu entnehmen. Als für diese Ergänzungen typischer Anfangszeitpunkt bietet sich der 1. Juli 1944 an, der - lediglich in einem anderen Zusammenhang - in derselben Bestimmung (§ 4 Abs. 3 Satz 2) und an anderer Stelle des Gesetzes mehrfach wiederkehrt. Die Wahl dieses Stichtags wird für den ein anderes Gebiet regelnden § 14 in der Drucksache Nr. 4201 (S. 25 Spalte 2 zu § 15) folgendermaßen begründet: "Der Stichtag 1. Juli 1944 wurde gewählt, um auf die bereits im Spätsommer 1944 einsetzende Flucht aus Teilen der deutschen Ostgebiete Rücksicht zu nehmen". Es erscheint unbedenklich, diese Begründung auch in den anderen Fällen, in denen in dem Gesetz gerade dieser Stichtag angegeben ist, als für den Gesetzgeber maßgeblich anzunehmen. Dann erscheint es jedoch geboten, auch als Anfangstermin für die Anwendung des § 4 Abs. 3 Satz 2 jenen Termin anzunehmen und den die Anwartschaftsvergünstigung auslösenden Zuzug erst von diesem Zeitpunkt ab anzusetzen. Diese Auffassung wird mit gleicher oder entsprechender Begründung auch im übrigen überwiegend vertreten (Hörnich-Jahn, FremdRG § 4 Anm. 17; Verb.Komm. FremdRG § 4 Anm. 14 b und 15; Malkewitz a.a.O.; Ludwig a.a.O.; LSG. Berlin, 20.10.1955, Breithaupt 1956 S. 374 u.a.).
Ob bei einem Zuzug nach dem genannten Stichtag im Einzelfall die Eigenschaft als Vertriebener oder Flüchtling noch besonders zu fordern ist oder ob nach dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung eine derartige Einschränkung nicht möglich ist, brauchte im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden.
VI. Das Landessozialgericht hat mithin die Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 FremdRG zu Unrecht auf die Klägerin angewandt; das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.
Da nach den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die insoweit nicht angegriffen werden, bei Anrechnung der Zeit vom 1. Juli 1944 bis 31. März 1952 die Halbdeckung bei der Klägerin nicht erfüllt ist, steht ihr der geltend gemachte Anspruch nicht zu, so daß die Berufung gegen das eine Rente versagende Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Februar 1955 zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen