Leitsatz (amtlich)

Die Auskunft einer "Auskunfts- und Beratungsstelle" des Versicherungsträgers ist kein Verwaltungsakt; eine unrichtige Auskunft verpflichtet den Versicherungsträger nicht zu einer "der Auskunft entsprechenden" - gesetzwidrigen - Regelung eines Leistungsanspruchs.

 

Leitsatz (redaktionell)

In der Erteilung einer Auskunft über einen Leistungsanspruch durch die Auskunfts- und Beratungsstelle eines Versicherungsträgers ist kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine - schlichte - Verwaltungsäußerung zu erblicken, die den Versicherungsträger bei der späteren Entscheidung über den Leistungsanspruch nicht bindet. Bei einer unrichtig erteilten Auskunft greifen die Grundsätze der Amtshaftung ein (BGB § 839).

 

Orientierungssatz

Die Entscheidung der Frage, ob die Grundsätze der Amtshaftung für behördliche Auskünfte eingreifen, obliegt nicht den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

 

Normenkette

SGG § 77 Fassung: 1958-08-23; AVG § 103 Fassung: 1953-08-07; RVO § 1324 Fassung: 1960-02-25; BGB § 839

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. April 1966 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin, geboren am 9. Januar 1899, beantragte nach der Scheidung ihrer zweiten Ehe aus Verschulden des Ehemannes im September 1962, ihr die Witwenrente aus der Versicherung ihres im März 1957 verstorbenen ersten Ehemannes wieder zu gewähren. Sie hatte während des Ehescheidungsrechtsstreits am 7. Juni 1962 mit ihrem zweiten Ehemann eine Vereinbarung getroffen, nach der "gegenseitig für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf jeden Unterhalt einschließlich des Notbedarfs verzichtet werde".

Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 5. März 1963 eine Rente nach § 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - wiederaufgelebte Witwenrente, sie rechnete hierbei aber einen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann, den sie nach dessen Einkommen auf 98,80 DM monatlich ermittelte, an.

Mit der Klage machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann anrechnen dürfen, ein Unterhaltsanspruch stehe ihr auf Grund der Unterhaltsvereinbarung nicht zu; der Unterhaltsverzicht sei auch gegenüber der Beklagten wirksam. Die Beklagte habe auch deshalb den Unterhaltsanspruch nicht anrechnen dürfen, weil die Klägerin durch eine Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Nürnberg zu dem Unterhaltsverzicht veranlaßt worden sei; von einem Beamten dieser Stelle, einem Oberinspektor, sei ihr erklärt worden, sie könne bedenkenlos auf den Unterhaltsanspruch gegen den geschiedenen Ehemann verzichten, ihr Anspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente bleibe davon unberührt; diese Auskunft sei für die Beklagte verbindlich.

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg wies die Klage mit Urteil vom 28. Januar 1964 ab. Die Berufung der Klägerin wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 19. April 1966 zurück: Die Beklagte habe zu Recht den Unterhaltsverzicht nicht beachtet; durch höchstrichterliche Rechtsprechung sei - erstmals am 2. September 1964 (BSG 21, 279) - entschieden, daß bei einem Unterhaltsverzicht der wiederverheirateten Witwe bei der Scheidung ihrer zweiten Ehe auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Unterhaltsanspruch anzurechnen sei, der der Witwe ohne den Verzicht nach dem Ehegesetz (EheG) zustehen würde. Das LSG schließe sich dieser Rechtsauffassung an. Die Auskunft eines Beamten der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten - "die Behauptung der Klägerin hinsichtlich ihres Inhalts als richtig unterstellt" - habe die Beklagte nicht verpflichtet, entgegen der richtigen Rechtsauffassung den Unterhaltsverzicht unbeachtet zu lassen. Die Beklagte könne nicht gehindert werden, der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu folgen; vor allem aber könne sie durch "eine im guten Glauben vor Klärung der Rechtsfrage abgegebene und sich später als unrichtig herausstellende Auskunft" eines Beamten einer Beratungsstelle nicht gebunden werden. Das LSG ließ die Revision zu.

Mit der fristgemäß und formgerecht eingelegten Revision beantragte die Klägerin,

die Urteile des SG Nürnberg vom 28. Januar 1964 und des Bayerischen LSG vom 19. April 1966 aufzuheben; ferner den Bescheid der Beklagten vom 5. März 1963 insoweit aufzuheben, als auf die Witwenrente der Klägerin ein Betrag von monatlich 98,80 DM als Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann angerechnet worden ist.

Die Klägerin rügte, das LSG habe den Grundsatz von Treu und Glauben verkannt; die Auskunft des Beamten der Auskunfts- und Beratungsstelle sei als eine "verbindliche Zusage" zu werten; an diese Zusage sei die Beklagte gebunden gewesen, nachdem die Klägerin bereits Dispositionen getroffen habe.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II

Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist jedoch unbegründet.

Streitig ist, ob die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 5. März 1963 bei der Feststellung der wiederaufgelebten Witwenrente der Klägerin nach § 68 Abs. 2 AVG zu Recht einen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann (in Höhe von 98,80 DM) angerechnet hat. Das LSG hat richtig entschieden, daß der Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren aus Alleinverschulden geschiedenen (zweiten) Ehemann auf ihre wiederaufgelebte Witwenrente nach § 68 Abs. 2 AVG anzurechnen ist, obgleich die Klägerin und ihr geschiedener Ehemann im Ehescheidungsverfahren eine Vereinbarung getroffen haben, nach der "gegenseitig für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf jedweden Unterhalt einschließlich des Notbedarfs verzichtet werde". Die Beklagte hat diese Unterhaltsvereinbarung bei der Anrechnung des Unterhaltsanspruchs auf die wiederaufgelebte Witwenrente nicht beachten dürfen. Hat eine wiederverheiratete Witwe bei der Scheidung ihrer zweiten Ehe auf Unterhalt verzichtet, so ist auf die wiederaufgelebte Witwenrente der Unterhaltsanspruch anzurechnen, der der Witwe ohne den Verzicht zustehen würde. Diese Rechtsauffassung hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits in mehreren Urteilen vertreten und begründet (BSG 21, 279; Urteil des 4. Senats vom 30. Juni 1966 - 4 RJ 471/64 -), die Klägerin ist ihr auch mit der Revision nicht mehr entgegengetreten.

Der angefochtene Bescheid vom 5. März 1963 ist aber auch nicht aus den von der Klägerin mit der Revision geltend gemachten Gründen rechtswidrig.

Auch wenn - wie das LSG unterstellt hat - ein Beamter der Beratungs- und Auskunftsstelle der Beklagten in Nürnberg der Klägerin die Auskunft erteilt hätte, ein Unterhaltsverzicht im Ehescheidungsverfahren berühre ihren Anspruch auf die wiederaufgelebte Witwenrente nicht, und wenn die Klägerin durch diese Auskunft zu ihrem Unterhaltsverzicht veranlaßt worden wäre, so würde dies nicht zur Folge haben, daß die Beklagte die Rente der Klägerin "entsprechend der unrichtigen Auskunft" hätte feststellen müssen. Durch Auskünfte, wie sie die Beamten der Auskunfts- und Beratungsstellen der Beklagten erteilen, erfüllt die Verwaltung über die ihr nach § 103 AVG obliegende allgemeine Aufklärungspflicht hinaus die Aufgabe, Antragsteller nach bestem Wissen und Gewissen über Sach- und Rechtsfragen in ihren Rentenangelegenheiten aufzuklären; sie verpflichtet sich aber dadurch nicht zugleich zu einem - der erteilten Auskunft entsprechenden - künftigen Verhalten (vgl. auch Rohwer-Kahlmann, Behördliche Zusagen und Vertrauensschutz NJW 1962, 622, 624). Die Auskunft, die der Klägerin von einem Beamten der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten erteilt worden ist, enthält keine Zusicherung einer bestimmten Sachbehandlung, sie ist nicht als "bindende Zusage" zu werten; sie stellt noch keine Regelung eines Einzelfalles im Bereich des öffentlichen Rechts, also keinen Verwaltungsakt dar, sie hat als (schlichte) Verwaltungsäußerung ohne unmittelbare Rechtswirkungen auch keine Bindungswirkung, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß sie die Verwaltung hinderte, ein Rechtsverhältnis (später) gesetzmäßig zu regeln. Der Rechtsgrund des Vertrauensschutzes, d. h. das berechtigte Interesse des Staatsbürgers daran, daß die Verwaltung nach Treu und Glauben zu ihrem Wort stehen müsse, rechtfertigt es jedenfalls bei einer behördlichen Wissensäußerung, wie sie hier vorgelegen hat, nicht, die Verwaltung zu einer "entsprechenden" - gesetzwidrigen - Beurteilung eines Rentenanspruchs zu verpflichten (vgl. auch Urteil des BSG vom 21. Februar 1963, BSG 18, 276). Der Beamte der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten, der die Rechtsauskunft erteilt hat, ist nicht dazu berufen gewesen, über den Rentenanspruch der Klägerin zu entscheiden oder auch nur für die Beklagte verbindliche Erklärungen abzugeben; hierüber hat auch die Klägerin nicht im unklaren sein können. Eine Auskunft dieser Stelle hat die Entscheidung der Beklagten über den Rentenanspruch nicht vorwegnehmen können; die Auskunft hat keine Gewähr dafür geboten, daß eine künftige Entscheidung der Verwaltung im Sinne dieser Auskunft ergehen werde. Die Beklagte hat der Klägerin nur die Rente bewilligen dürfen, für die die gesetzlichen Voraussetzungen des Anspruchs nach Grund und Höhe erfüllt gewesen sind; die Entscheidung hierüber hat nicht im "Ermessensbereich" gelegen, die Beklagte hat keine "Gestaltungsfreiheit" gehabt, um bei der späteren Rentenfeststellung dem Vertrauen der Klägerin auf die - unrichtige - Auskunft Rechnung tragen zu können (vgl. auch Urteil des BSG vom 21. März 1961, BSG 14, 104, 106 ff mit weiteren Hinweisen). Hierbei ist es nicht darauf angekommen, ob es sich um "eine im guten Glauben vor der Klärung der Rechtsfrage abgegebene und sich später durch höchstrichterliche Rechtsprechung als unrichtig herausstellende Auskunft" (so das LSG) gehandelt hat oder ob die Auskunft von vornherein eindeutig unrichtig gewesen ist. Das Vertrauen des Staatsbürgers auf eine solche Auskunft - die nicht "bindend" ist - ist insoweit geschützt, als die Grundsätze der Amtshaftung für behördliche Auskünfte eingreifen (§ 839 BGB; vgl. auch Beyer, Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Amtshaftung für behördliche Auskünfte, NJW 1962, 613 ff). Die Entscheidung von Streitigkeiten hierüber obliegt nicht den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. Die Revision beruft sich für ihre Auffassung, die Beklagte sei durch die unrichtige Auskunft gebunden gewesen, die Rente "entsprechend dieser Auskunft" festzustellen, zu Unrecht auf das Urteil des BSG vom 29. November 1963 (SozR Nr. 4 zu § 1547 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). In diesem Urteil ist lediglich gesagt, daß eine unrichtige Rechtsauskunft einer "berufenen" Auskunftsstelle eine Verhinderung der rechtzeitigen Anmeldung des Anspruchs (aus der gesetzlichen Unfallversicherung - UV -) im Sinne des § 1547 Abs. 1 Nr. 2 RVO sein könne; damit ist nur der Ausschluß eines Anspruchs wegen Fristablaufs verneint worden; die Frage, ob der Versicherungsträger durch eine unrichtige Auskunft bei der späteren rechtlichen Beurteilung des Anspruchs selbst gebunden ist, ist hier nicht entschieden.

Da das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, ist die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1982421

BSGE, 219

NJW 1967, 77

MDR 1967, 160

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