Entscheidungsstichwort (Thema)
Klageart bei Rentenabtretung und deren Umfang. Festsetzung des Rentenzahlbetrags bei Abtretung durch Verwaltungsakt. Zulässigkeit der Leistungsklage
Leitsatz (amtlich)
1. Zum zeitlichen Geltungsbereich einer Norm.
2. Die Wirksamkeit einer vor dem 1.1.1976 erfolgten Rentenabtretung richtet sich auch hinsichtlich der nach dem Inkrafttreten des SGB 1 entstehenden Rentenansprüche nach § 119 RVO aF.
Leitsatz (redaktionell)
1. Abtretungen von Renten sind durch Verwaltungsakt auszuführen.
2. Deshalb ist eine Klage des Versicherten aus § 54 Abs 5 SGG, nach der bekanntlich ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat, nicht zulässig.
3. Hat der Versicherungsträger den Versicherten jedoch auf die Klagemöglichkeit nach § 54 Abs 5 SGG hingewiesen, so ist diese Vorschrift zumindest entsprechend deswegen anwendbar, weil das Verhalten des Versicherungsträgers einem ablehnenden Verwaltungsakt nahekommt, für den wiederum jedenfalls die Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG zulässig ist.
Orientierungssatz
1. Der Versicherungsträger hat im Verhältnis zum Versicherten den Rentenzahlbetrag auch hinsichtlich einer umstrittenen Rentenabtretung durch Verwaltungsakt festzusetzen (Abgrenzung zu BSG 18.3.1982 7 RAr 14/81 = BSGE 53, 182, 183 = SozR 1200 § 54 Nr 5 und 12.5.1982 7 RAr 20/81 = BSGE 53, 260, 262 = SozR 1200 § 54 Nr 6).
2. Lehnt der Versicherungsträger eine Entscheidung durch Verwaltungsakt ab, so ist eine Klage des Versicherten auf Auszahlung der vollen Rente zulässig (§ 54 Abs 5 SGG).
Normenkette
SGG § 54 Abs. 5 Fassung: 1953-09-03; BGB § 398; SGB 1 § 53 Fassung: 1975-12-11; SGB 1 Art. 2 § 18 Fassung: 1975-12-11; RVO § 119 Fassung: 1945-03-29; SGG § 54 Abs. 4 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 02.02.1983; Aktenzeichen L 13 An 119/81) |
SG Augsburg (Entscheidung vom 24.03.1981; Aktenzeichen S 13 An 112/80) |
Tatbestand
Streitig ist der Umfang einer Rentenabtretung.
Der Kläger hatte der Beigeladenen, seiner früheren Ehefrau, im Scheidungsverfahren mit schriftlicher Erklärung vom 3. Dezember 1964 von der "beim Eintritt des Rentenfalles zustehenden Rente aus der Angestelltenversicherung 40 % dieser Rente" abgetreten, was vom Versicherungsamt unter dem 2. Februar 1965 gemäß § 119 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF genehmigt worden war. Mit Bescheid vom 16. Februar 1979 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld für die Zeit ab April 1979; aufgrund der Abtretung zahlt sie es zu 40 % an die Beigeladene aus. Nach einem Schriftwechsel darüber, ob gemäß § 53 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil - (SGB I) nur der nach § 850 c der Zivilprozeßordnung (ZPO) pfändbare Teil an die Beigeladene ausgezahlt werden darf, verwies die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. März 1980 auf den Weg der Leistungsklage, da die Abtretung nicht durch Verwaltungsakt auszuführen sei.
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, ab April 1979 vom Altersruhegeld des Klägers lediglich "den nach § 53 SGB I, § 850 c ZPO pfändbaren Betrag an die Beigeladene abzuführen" (Urteil vom 24. März 1981). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1983). Es hat die Frage, ob es sich um eine Leistungs- oder eine Verpflichtungsklage handele, offen gelassen, da die Klage in beiden Fällen zulässig sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. An der Rechtswirksamkeit der Abtretung habe das Inkrafttreten des SGB I zum 1. Januar 1976 nichts geändert. Die Überleitungsvorschrift des Art 2 § 18 SGB I regele lediglich, in welcher Weise seit dem 1. Januar 1976 vorher fällig gewordene oder nachher fällig werdende Ansprüche abzutreten seien. Die Wirksamkeit einer zuvor erfolgten Abtretung richte sich auch für die nach der Gesetzesänderung fällig werdenden Rentenansprüche weiterhin nach altem Recht.
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des Art 2 § 18 SGB I iVm den §§ 53, 54 SGB I. Der Beigeladenen sei 1964 kein Rentenanspruch, sondern nur eine Rentenanwartschaft abgetreten worden, so daß die Abtretung erst unter der Geltung des neuen Rechts entsprechend seinen Voraussetzungen habe wirksam werden können.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 2. Februar 1983 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts vom 24. März 1981 wieder herzustellen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers war zurückzuweisen; eine höhere Zahlung als 60% des ihm bewilligten Altersruhegeldes kann er von der Beklagten nicht verlangen.
Die von ihm erhobene Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG zulässig. Mit ihr begehrt der Kläger die Erhöhung des ihm vom Altersruhegeld zu zahlenden Betrages, auch wenn das in der Formulierung, "lediglich den nach § 850c ZPO pfändbaren Betrag an die Beigeladene abzuführen" nur mittelbar zum Ausdruck kommt. Er erstrebt somit die Verurteilung der Beklagten zu einer Leistung, auf die er nach seiner Meinung einen Rechtsanspruch hat. Da er keinen "Verwaltungsakt" der Beklagten anfechten kann - die Beklagte hat ihm einen solchen ausdrücklich verweigert -, kann die Klage freilich nach § 54 Abs 5 SGG an sich nur zulässig sein, "wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte". Insoweit trifft es zwar nicht zu, daß die Beklagte, wie sie meint, die Höhe des dem Kläger auszuzahlenden Betrages nicht durch Verwaltungsakt hätte regeln müssen. In dem hier allein in Betracht kommenden Verhältnis zum Versicherten hat der Versicherungsträger nicht nur die Höhe des materiellen Rentenanspruchs, sondern auch die Höhe des dem Versicherten auszuzahlenden Betrages durch Verwaltungsakt festzustellen; dabei spielt es keine Rolle, ob er den Zahlbetrag auf der Grundlage sozialrechtlicher (zB Ruhensbestimmungen) oder sonstiger Bestimmungen ermittelt. Die Weigerung der Beklagten, den erforderlichen Verwaltungsakt zu erlassen, darf dem Kläger bei seiner Rechtsverfolgung jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Unter den hier gegebenen Umständen kann es nicht sinnvoll (prozeßökonomisch) sein, vom Kläger nun eine Klage auf Erlaß eines Verwaltungsaktes zu fordern; nachdem ihn die Beklagte ausdrücklich auf dem Weg der Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG verwiesen hat, muß ihm diese in entsprechender Anwendung der Vorschrift vielmehr offen stehen. Dafür spricht insbesondere, daß das Verhalten der Beklagten hier einem ablehnenden Verwaltungsakt nahekommt; bei Ablehnung durch Verwaltungsakt hätte jedoch § 54 Abs 4 SGG dem Kläger die Leistungsklage, in Verbindung mit der Anfechtungsklage, unzweifelhaft erlaubt.
Das LSG hat die Klage indessen zu Recht als unbegründet angesehen. Die 1964 mit Zustimmung des Versicherungsamtes erfolgte Rentenabtretung war nach Maßgabe des damals geltenden § 119 Abs 2 Satz 1 RVO aF wirksam; sie bezog sich nicht auf das Rentenstammrecht, sondern auf die monatlich entstehenden Zahlungsansprüche (BSGE 48, 159 ff). Dem steht nicht entgegen, daß es sich um die Abtretung zukünftiger Forderungen handelte, die in der RVO nicht eigens geregelt war. Insoweit waren die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens entsprechend anzuwenden (BSGE 10, 160, 161; 11, 60, 61). Nach den §§ 398 ff BGB kann eine künftige Forderung schon vor Begründung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses abgetreten werden, auch wenn nicht einmal feststeht, ob und mit wem es begründet wird. Die Abtretung setzte darum nicht voraus, daß die künftigen Rentenansprüche schon in einem Bescheid festgestellt waren. Die mit der Genehmigung durch das Versicherungsamt nach § 119 RVO aF abgeschlossene Rechtshandlung der Abtretung konnte allerdings ihre Rechtswirkungen erst mit dem Entstehen der späteren Zahlungsansprüche entfalten.
Die Abtretung ist auch nach dem Inkrafttreten des SGB I wirksam geblieben. Für die Abtretung der erst in dieser Zeit fällig werdenden Ansprüche blieb das bei Abschluß der Rechtshandlung geltende alte Recht, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, mangels abweichender Übergangsvorschriften nach allgemeinen Grundsätzen weiterhin maßgebend. Nach diesen zum Privatrecht entwickelten, aber auch im Sozialrecht geltenden Grundsätzen zum zeitlichen Geltungsbereich einer Norm hat die rechtliche Beurteilung im allgemeinen nach dem Rechtssatz zu erfolgen, der zur Zeit der Verwirklichung des zu beurteilenden Sachverhalts in Geltung war. Im Zweifel ist anzunehmen, daß jeder Rechtssatz nur die Zukunft, nicht die Vergangenheit ordnen will. Dabei wird zwischen Vorschriften über den Inhalt subjektiver Rechte und solchen über die Rechtsfolgen von Tatsachen unterschieden. Wird der Inhalt subjektiver Rechte neu geregelt, etwa die Befugnisse des Eigentümers, so gilt das für die Zeit ab Inkrafttreten der Norm uneingeschränkt, also auch für die vor dem Inkrafttreten begründeten Rechte. Demgegenüber bezieht sich eine Neuregelung der Rechtsfolgen bestimmter Tatsachen nur auf solche, die nach dem Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind. Inhalt und Wirkung eines Vertrages sind demgemäß nach dem Recht zu beurteilen, das die Entstehung des Forderungsrechts bestimmt. Erscheint bei einem mehrgliedrigen Tatbestand ein Teil als der wirkliche Grund der Rechtswirkung, der andere nur als die Bedingung, bei deren Eintritt jene die Rechtswirkung hervorruft, so entscheidet der erstere (vgl Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband, 1959, §§ 61 und 62). Danach ist bei der Abtretung einer künftigen Forderung auf den Zeitpunkt der Abtretungshandlung und nicht auf deren Wirksamwerden mit Entstehen der Forderung abzustellen.
Gleichwohl kann ausnahmsweise eine Rechtsänderung auch auf zuvor entstandene Tatsachen anzuwenden sein, wenn der neue Rechtssatz besondere Übelstände beseitigen will (Enneccerus-Nipperdey, aaO § 63 II). Hier fehlt jedoch jeder Anhaltspunkt dafür, der Gesetzgeber habe aus derartigen Gründen das Abtretungsrecht im Sozialrecht neu regeln, insbesondere einschränken wollen. Das SGB I hat vielmehr wegen der Entwicklung der Sozialleistungen zu voll ausgebildeten Ansprüchen deren Abtretbarkeit ausgedehnt und insbesondere bei laufenden Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine Abtretung auch zugelassen, soweit diese Leistung die Pfändungsfreigrenzen übersteigt (vgl BT-Drucks 7/ 868 S 32). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, daß die Abtretungsempfänger aufgrund der Abtretungshandlung schon vor Eintritt der Rechtswirkungen eine gegen anderweitige Zwischenverfügungen des Abtretenden gesicherte vermögenswerte Rechtsposition iS des Art 14 Grundgesetz (GG) erlangt hatten. Demnach mußte für die Wirksamkeit der hier streitigen Abtretung nach allgemeinen Grundsätzen § 119 RVO aF maßgebend bleiben, sofern nicht in einer Übergangsvorschrift deutlich ein abweichender Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck kam. Letzteres ist nicht der Fall.
Nach Art 2 § 18 SGB I gilt Art 1 § 53 (und § 54) nur für die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (am 1. Januar 1976) fällig werdenden Ansprüche; im übrigen gelten insoweit die bisherigen Regelungen weiter. Daraus ergibt sich mit genügender Deutlichkeit jedenfalls, daß selbst die erst nach dem 1. Januar 1976 vorgenommenen Abtretungen sich dann nach altem Recht richten, wenn und soweit sie Ansprüche betreffen, die vor dem Inkrafttreten des SGB I fällig geworden sind. Das zeigt aber, daß der Gesetzgeber auch nach dem 1. Januar 1976 die weitere Anwendung alten Rechts keineswegs gänzlich ausschließen wollte. Das neue Recht sollte nur angewandt werden, wenn nach seinem Inkrafttreten Ansprüche abgetreten werden, die erst nach dem Inkrafttreten fällig werden. Frühere Abtretungen sollten damit unberührt bleiben, gleichgültig, ob sie sich auf vor dem 1. Januar 1976 fällig gewordene Ansprüche oder auf erst danach fällig werdende Ansprüche bezogen.
Der Kläger meint zu Unrecht unter Berufung auf Burdenski/von Maydell (SGB AT, Art 2 § 18 Rdnrn 3 und 4), die Wirksamkeit von Pfändungsbeschlüssen und Abtretungen aus der Zeit vor dem 1. Januar 1976 auch für spätere Ansprüche nach neuem Recht zu beurteilen, entspreche der üblichen Regelung, daß im Falle der Vorratspfändung künftig fällig werdender Ansprüche eine Änderung der Pfändungsfreigrenzen für die danach fällig werdenden Ansprüche zu beachten sei. Denn eine solche Gleichstellung der Änderung der Abtretbarkeit mit einer Änderung der Pfändungsgrenzen ist nicht gerechtfertigt. Die Neufassung der Pfändungsgrenzen durch Gesetz vom 1. März 1972 (BGBl I 221) war mit der Übergangsregelung verbunden, daß eine vor dem 1. April 1972 (Inkrafttreten) vorgenommene Pfändung sich von selbst für die danach fällig werdenden Arbeitseinkommen nach neuem Recht richte (Art 2 Abs 1 Satz 1). Insoweit ist der Wille des Gesetzgebers, die durch den Pfändungsbeschluß erlangte Rechtsposition nachträglich zu verschlechtern, eindeutig. In Fällen der Abtretung läßt sich ein solcher Wille zur Verschlechterung von Rechtspositionen dagegen nicht feststellen.
Damit ist die Revision des Klägers zurückzuweisen. Die Kosten der Beigeladenen sind dem Kläger aufzuerlegen ( 193 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1655829 |
BSGE, 211 |