Leitsatz (amtlich)
Die Regelung in der Satzung landwirtschaftlicher Krankenkassen, daß die Kosten einer selbstbeschafften Ersatzkraft grundsätzlich nur für Zeiten nach dem Antrag auf Betriebshilfe erstattet werden, verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
Normenkette
KVLG § 36 S 3 Fassung: 1977-06-27, § 46 S 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 13.04.1983; Aktenzeichen L 4 Kr 51/81) |
SG Stade (Entscheidung vom 15.05.1981; Aktenzeichen S 3 Kr 15/81) |
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kosten einer selbstbeschafften Ersatzkraft.
Der Kläger führt sein landwirtschaftliches Unternehmen ohne fremde Arbeitskräfte. Vom 7. bis zum 19. Mai 1980 gewährte ihm die beklagte landwirtschaftliche Krankenkasse Krankenhausbehandlung; anschließend war er bis zum 7. Juni 1980 arbeitsunfähig. In der Zeit vom 7. bis zum 29. Mai 1980 beschäftigte er eine betriebsfremde Betriebshilfe.
Auf seinen am 19. Mai 1980 gestellten Antrag bewilligte ihm die Hannoversche landwirtschaftliche Alterskasse - Gemeinsame Einsatzstelle der landwirtschaftlichen Sozialversicherungsträger für Betriebs- und Haushaltshilfe - Kostenerstattung für die selbstbeschaffte Betriebshilfe für die Zeit ab Antragstellung, und zwar für den 19. Mai zu Lasten der Beklagten, für die Zeit vom 20. bis zum 29. Mai zu eigenen Lasten; für die Zeit vor Antragstellung (7. bis 18. Mai) lehnte sie die Leistung wegen verspäteter Antragstellung ab (Bescheid vom 12. Juni 1980; Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. August 1980).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15. Mai 1981). Auf die - zugelassene - Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, die Kosten für die Zeit vor der Antragstellung in Höhe von 522,-- DM zu zahlen (Urteil vom 13. April 1983). Das LSG meint, der Kläger habe aufgrund des § 34 Abs 1 Satz 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) einen Rechtsanspruch auf Betriebshilfe für die zwei Wochen nicht erreichende Zeit der Krankenhauspflege, weil die Beklagte die Erforderlichkeit dieser Betriebshilfe wegen der besonderen Verhältnisse im Unternehmen bejaht und ihr Ermessen bereits im Sinne einer Leistungsgewährung ausgeübt habe. Sie habe sich zu Unrecht an Leistungen für die Zeit bis zum 18. Mai lediglich durch die verspätete Antragstellung gehindert gesehen. Das Antragserfordernis sei nach den §§ 34 ff KVLG jedoch keine materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung. Der dem entgegenstehende § 46 Abs 3 Satz 2 der Satzung der Beklagten (Ausgabe 1978) iVm den Allgemeinen Richtlinien der Hannoverschen landwirtschaftlichen Alterskasse (Anlage C Abschnitt II Nr 4 Satz 3) verstoße gegen höherrangiges Recht (§ 36 Satz 2 KVLG). Die Beklagte könne die Gewährung von Betriebshilfe bei der Sachleistung, nicht auch bei der Kostenerstattung von einem "rechtzeitigen" Antrag abhängig machen. Nach dem Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. März 1980 (BSGE 50, 73 = SozR 2200 § 185 Nr 4) dürfe der Versicherte zwar sich eine Ersatzkraft erst beschaffen und dafür Kostenerstattung fordern, wenn er ohne Erfolg zunächst die Sachleistung beantragt habe; das besage aber nicht, daß der fehlende rechtzeitige Antrag die Kostenerstattung sogar dann ausschließe, wenn feststehe, daß die Krankenkasse nur zu einer Geldleistung imstande gewesen sei. Letzteres sei hier der Fall; nach der Überzeugung des Senats hätte die Beklagte dem Kläger auch bei früherem Antrag keine Ersatzkraft stellen können. Die Stellung von Ersatzkräften sei seit 1973 die große Ausnahme (1980 nur 10,4%); dies habe sich im vorliegenden Fall bestätigt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte, § 46 Abs 3 Satz 2 der Satzung sei entgegen der Annahme des LSG durch die Ermächtigung des § 36 Satz 3 KVLG gedeckt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Bei dem angefochtenen von der Alterskasse im Auftrag der Beklagten erlassenen Bescheid vom 12. Juni 1980, den die Widerspruchsstelle der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 29. August 1980 bestätigt hat, handelt es sich um einen Verwaltungsakt der Beklagten (vgl nunmehr §§ 89 Abs 1 und 90 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -). Diesen eine Kostenerstattung für die Zeit vor der Antragstellung ablehnenden Bescheid hat das LSG zu Unrecht als rechtswidrig angesehen.
Streitig im Revisionsverfahren ist allerdings nicht, daß in der fraglichen Zeit die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Satz 3 KVLG für eine Betriebshilfe als erfüllt gelten können. Es geht nur noch darum, ob die Beklagte dem Verlangen des Klägers, die Betriebshilfe ihm in Form der Kostenerstattung zu gewähren, entgegenhalten kann, daß er den Antrag auf Betriebshilfe erst nach Ablauf der streitigen Zeit gestellt hat. Im Gegensatz zum LSG bejaht das der erkennende Senat.
Hierfür sprechen bereits Aufbau und Sinn des die Art der Betriebshilfe regelnden § 36 KVLG. Nach seinem Satz 1 ist als Betriebshilfe eine Ersatzkraft zu stellen. Erst wenn eine Ersatzkraft nicht gestellt werden kann oder Grund besteht, von der Gestellung einer Ersatzkraft abzusehen, sind nach Satz 2 die Kosten für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft zu erstatten. Daraus folgt, daß der Gestellung einer Ersatzkraft - wie es überdies dem in der Krankenversicherung geltenden Sachleistungsprinzip entspricht (BSGE 50, 73 ff) - der Vorrang vor der Kostenerstattung zukommt. Die Krankenkasse hat allerdings trotz dieses Vorrangs eine weitgehende Freiheit in der Wahl der zu gewährenden Form der Betriebshilfe (vgl dazu BT-Drucks VI/3012 S 30 zu § 29); die objektive Gesetzesfassung darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Beurteilung der Krankenkasse liegt, ob sie, selbst wenn sie eine Ersatzkraft stellen könnte, dennoch einen (einsichtigen) Grund hat, davon abzusehen. Das bedeutet aber, daß die Krankenkasse im Einzelfall auch die Möglichkeit der Wahl haben muß. Diese kann sie nur haben, wenn sie den Sachverhalt und den Wunsch nach Betriebshilfe kennt. Das zweckmäßigste Mittel für die Kenntnis ist offensichtlich der Antrag auf Betriebshilfe. Schon von daher liegt es nahe, keine Betriebshilfe für Zeiten vor der Antragstellung zu gewähren, nicht nur, was die ohnedies nicht rückwirkend gewährbare Gestellung einer Ersatzkraft, sondern auch was die Hilfsform der Kostenerstattung betrifft.
Die von der Beklagten in ihrer Satzung - Ausgabe 1978 - getroffenen Regelungen entsprechen diesen Erwägungen. Die Satzung ordnet ausdrücklich den Vorrang des Einsatzes hauptberuflicher Ersatzkräfte vor der Verwendung selbstbeschaffter Ersatzkräfte an (§ 46 Abs 1). Sie bestimmt in § 45 unter der Überschrift "Gestellte Ersatzkräfte" und in § 46 unter der Überschrift "Selbstbeschaffte betriebsfremde Ersatzkräfte" einheitlich jeweils in Abs 3, daß der Antrag auf Betriebshilfe vor Beginn des Einsatzes zu stellen oder unverzüglich nachzuholen ist. Ergänzend finden die Allgemeinen Richtlinien der landwirtschaftlichen Alterskasse, Anlage C, I und II Anwendung. Danach kann vor dem Einsatz - auch fernmündlich - außerdem die Zustimmung der Kasse zum Einsatz einer selbstbeschafften Ersatzkraft beantragt werden (II Ziffern 3 und 4; vgl auch § 46 Abs 5 der Satzung). In II Ziffer 4 Satz 3 dieser Anlage C heißt es dann: "Wird der Antrag iS des § 43 Abs 5" - das bezieht sich auf die Satzung der Alterskasse, gemeint ist der Antrag auf Betriebshilfe - "ohne triftigen Grund verspätet gestellt, beginnt der Einsatz frühestens mit dem Tage der Antragstellung". Dieser - im Wortlaut verfehlten - Bestimmung hat das LSG zutreffend entnommen, daß danach ein Anspruch auf Kostenerstattung grundsätzlich nur für die Zeit ab Antragstellung bestehen kann; mit "Einsatz" kann hier nämlich, wie die Zuordnung zu § 46 der Satzung der Beklagten ergibt, nur der hinsichtlich der Kosten erstattungsfähige Einsatz von selbstbeschafften Ersatzkräften gemeint sein.
Der Senat vermag dem LSG nicht darin zuzustimmen, daß die eine Kostenerstattung für Zeiten vor der Antragstellung ausschließende Satzungsbestimmung gegen höherrangiges Recht verstoße. Die Beklagte ist durch § 46 Satz 3 KVLG ermächtigt, zur Betriebshilfe "das Nähere" in der Satzung zu regeln. Dazu gehören nicht nur verfahrensrechtliche, sondern auch (vgl den folgenden Satz 4) ergänzende materiell-rechtliche Regelungen, wie sie die Beklagte hier getroffen hat. Sie stehen, wie schon dargelegt, nicht im Widerspruch zum Gesetz, sondern entsprechen seiner Tendenz; der geforderte rechtzeitige Antrag bezweckt die frühzeitige Unterrichtung des Leistungsträgers, damit dieser die Leistungsform bestimmen kann. Damit folgt der Senat zugleich der bisherigen Rechtsprechung des BSG, die in anderem Zusammenhang ebenfalls nicht nur für die Sachleistung, sondern auch für die Kostenerstattung eine vorherige Antragstellung gefordert hat (BSGE 50, 73, 74; SozR 2200 § 194 Nr 5; vgl auch SozR 2200 § 182 Nr 86) und im Arbeitsförderungsrecht eine ähnliche Satzungsermächtigung für ein Antragserfordernis als materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung hat genügen lassen (BSGE 35, 262, 264; Urteil vom 13. Mai 1981 - 7 RAr 36/80 - AuB 1982, 59).
Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt ist der Tatbestand der den streitigen Anspruch ausschließenden (nach § 162 SGG revisiblen) Satzungsbestimmung erfüllt. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger für die um 11 Tage verzögerte - fernmündliche - Antragstellung vom 18. Mai 1980 einen "triftigen Grund" gehabt habe, sind weder festgestellt noch geltend gemacht.
Wenn das LSG trotzdem die Beklagte zur Kostenerstattung für die Zeit vor der Antragstellung verurteilt hat, so läßt sich diese Verurteilung schließlich auch nicht mit der Begründung rechtfertigen, daß die Beklagte nach der Überzeugung des LSG bei rechtzeitiger Antragstellung ebenfalls nur Betriebshilfe in Form der Kostenerstattung gewährt hätte. Diesem Argument könnte nur unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs Bedeutung zukommen; ein Rechtsmißbrauch der Beklagten ist jedoch nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt ungeachtet der von der Beklagten dagegen erhobenen Rügen nicht gegeben. Die Beklagte darf bei dem Leistungsbeginn auf die Antragstellung auch in den Fällen abstellen, in denen mit der Gestellung einer Ersatzkraft durch sie kaum oder sogar nicht zu rechnen ist oder - nachträglich gesehen - zu rechnen war; Sie darf auf diese Weise sich die Wahlfreiheit in allen Fällen begehrter Betriebshilfe sichern, zumal sich die Möglichkeiten zur Gestellung von Ersatzkräften verändern können. Daß die Beklagte hier nicht rein formal verfährt, zeigt sich zudem daran, daß sie die Antragstellung durch Zulassen fernmündlicher Anträge sowie unverzüglich nachgeholter Anträge erleichtert und daß sie Kosten für Zeiten vor der Antragstellung ausnahmsweise dann erstattet, wenn "triftige Gründe" den Antrag verzögert haben. Da der Gesetzgeber der Gestellung von Ersatzkräften nur prinzipiell, nicht zugleich zahlenmäßig den Vorrang einräumen wollte, ist es ferner unerheblich, ob die Beklagte nur in etwa 10 vH von Fällen der Betriebshilfe Ersatzkräfte stellt; die Möglichkeit zur Gestellung von Ersatzkräften ist selbst bei einem solchen Prozentsatz rechtlich zu beachten.
Auf die Revision der Beklagten war daher das die Klage abweisende Urteil des SG wiederherzustellen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG.
Fundstellen