Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers bei Überleitung von Ansprüchen nach § 90 BSHG in der bis 30.6.1983 geltenden Fassung. Anhängigkeit des Verfahrens iS von Art 2 § 21 SGB 10
Orientierungssatz
Die Überleitung eines Anspruchs nach altem Recht ist nicht gemäß Art 2 § 21 SGB 10, wonach bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 S 1 BSHG (Fassung: 1982-11-04) hinfällig, wenn Streitgegenstand nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitung ist, sondern eine Leistung (hier: Arbeitslosengeld), die den Grund des Anspruches betrifft. Der Sozialhilfeträger ist an dem Rechtsstreit notwendig beizuladen.
Normenkette
BSHG § 90 Abs 1 Fassung: 1974-03-25; BSHG § 90 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-11-04; SGB 10 Art 2 § 21 Fassung: 1982-11-04; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 11.11.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 38/83) |
SG Mainz (Entscheidung vom 08.03.1983; Aktenzeichen S 1 Ar 123/82) |
Tatbestand
Der Kläger, der italienischer Staatsangehöriger ist, bezog bis zum 22. Januar 1981 Arbeitslosengeld (Alg). Anschließend reiste er nach Italien, meldete sich dort als Arbeitsuchender und erhielt Arbeitslosenunterstützung. Vom 10. April bis 20. Juni 1981 war er arbeitsunfähig erkrankt. Am 20. Juni 1981 kehrte er in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Hier erhielt er Sozialhilfe. Die Landeshauptstadt M hat mit Schreiben vom 23. Juni, 13. und 24. Juli, 7. September, 1. Oktober, 10. November, 15. Dezember 1981, 8. Februar, 9. März, 1. April, 30. April, 4. Juni 1982 und vom 14. März 1983 der Beklagten angezeigt, daß sie dem Kläger vom 22. Juni 1981 bis 30. Juni 1982 und vom 1. März bis 31. März 1983 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt habe. Gleichzeitig hat sie mitgeteilt, daß sie einen Anspruch des Klägers auf Leistungen an Arbeitslose nach Abschnitt 4 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) gemäß § 90 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf sich überleite.
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Wiederbewilligung von Alg vom 22. Juni 1981 mit Bescheid vom 8. Juli 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1982 mit der Begründung ab, der Anspruch sei erloschen, weil der Kläger nicht vor Ablauf von drei Monaten in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt sei. Eine Verlängerung der Dreimonatsfrist nach Art 69 Abs 2 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGVO 1408/71) sei nicht möglich.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. März 1983). Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 11. November 1983 ausgeführt, das Arbeitsamt habe zu Recht die Gewährung von Alg abgelehnt. Der Leistungsanspruch des Klägers sei erloschen, weil er nicht innerhalb der Dreimonatsfrist des Art 69 Abs 1 Buchst c EWGVO 1408/71 in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt sei. Die Beklagte habe die Verlängerung dieser Frist gem Art 69 Abs 2 EWGVO 1408/71 abgelehnt, ohne von ihrem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht zu haben.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Er ist der Auffassung, die Beklagte habe ihr Ermessen bei der Frage, ob die Dreimonatsfrist des Art 69 EWGVO 1408/71 verlängert werden könne, fehlerhaft ausgeübt. Sie habe nicht berücksichtigt, daß der Kläger nicht auf die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung dieser Frist hingewiesen worden sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. November 1983 und das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 8. März 1983 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Wiederbewilligungsantrag vom Juni 1981 unter Verlängerung der Rückkehrfrist Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG, ohne daß der Senat zur Sachentscheidung des Berufungsgerichts Stellung zu nehmen vermag.
Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 34, 36, 37, 39). Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, daß an dem Rechtsstreit der örtliche Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG). Der Klageanspruch steht diesem nämlich teilweise zu, weil er dem Kläger für die Zeit vom 22. Juni 1981 bis 30. Juni 1982 und vom 1. bis 30. März 1983 Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt und dies mit dem vorstehend aufgeführten Schreiben der Beklagten mitgeteilt sowie angezeigt hat, daß der geltend gemachte Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen gemäß § 90 BSHG in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung (Art II § 14 Nr 8, § 25 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch, III. Kapitel - vom 4. November 1982, BGBl I 1450 - SGB 10 -) auf ihn übergeleitet sei.
Diese Überleitung ist auch nicht deshalb hinfällig geworden, weil gem Art II § 21 SGB 10 bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, dh die Regelung alle Verfahren erfaßt, die noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Das mag für Verfahren gelten, die noch vor den Gerichten anhängig sind (Schroeder-Printzen ua, Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren-, ErgBd Art II § 21; BSGE 52, 98, 100; 54, 223, 226 für Art II § 37 Abs 1 SGB 10 und BSG vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 91/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu Art II § 21 SGB 10). Dennoch hat dies nicht zur Folge, daß im vorliegenden Falle aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG, nach der nur noch eine Überleitung gegenüber Personen möglich ist, die nicht Leistungsträger iS von § 12 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch - (SGB 1) sind, gegenstandslos geworden ist, und dem Sozialhilfeträger danach nur noch die Möglichkeit gegeben ist, seine Ansprüche wegen eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102ff SGB 10 geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, daß hier nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Streit steht. Streitgegenstand ist vorliegend vielmehr die Frage, ob dem Kläger die begehrte Leistung zusteht. Ein Verfahren iS von Art II § 21 SGB 10 ist daher nicht anhängig. Außerdem kann sich diese Vorschrift nur auf Erstattungsansprüche, dh auf Ansprüche, die der betreffende Leistungsträger kraft originären Rechts geltend macht, auswirken. Nicht davon erfaßt sein können Ansprüche, die der Leistungsträger aufgrund eines Forderungsüberganges erworben hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß mit der vorstehend angeführten Vorschrift ein Rechtsübergang rückgängig gemacht werden sollte, der bereits erfolgt ist (Schroeder-Printzen ua aaO, Anm 9 vor § 102). Ob dies auch gilt, wenn die Überleitungsanzeige angefochten wird, kann hier dahinstehen, da dies nicht geschehen ist (vgl die unveröffentlichten Urteile des erkennenden Senats - 7 RAr 27/83 - vom 12. April 1984 und - 7 RAr 70/83 - vom 24. Mai 1984).
Bei den Schreiben des örtlichen Sozialhilfeträgers handelt es sich um Verwaltungsakte, die den Übergang des Anspruchs auf Alg des Klägers in Höhe der ihm gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt auf den Sozialhilfeträger bewirken sollen, sofern der Kläger einen entsprechenden Anspruch hat. Da außerdem auch die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt, angegeben ist, sind die an die Überleitungsanzeige zu stellenden Anforderungen erfüllt (vgl BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200).
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 1981 (SozR 1500 § 75 Nr 37) entschieden hat, sagt die Überleitung nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Sozialhilfeträger ist mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens des Klägers eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch gegenüber dem Sozialhilfeträger nur einheitlich ergehen kann. Der Sozialhilfeträger muß daher zu dem Rechtsstreit beigeladen werden.
Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten des Alg gemäß § 168 SGG unzulässig sind, führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Mangels Beteiligung aller am Verfahren Betroffener ist es dem Senat verwehrt, zur materiell-rechtlichen Seite Stellung zu nehmen. Es wird jedoch auf die Entscheidung des Senats in SozR 6050 Art 69 Nr 4 hingewiesen. Außerdem wird das LSG zu prüfen haben, welche Auswirkungen sich daraus ergeben, daß der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung von "Arbeitslosen-Entgelt" am 3. Mai 1982 in Höhe von 15.000,-- DM an die M Volksbank e. G. abgetreten hat (s Bl 165 ff der Verwaltungsakte).
Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen