Entscheidungsstichwort (Thema)
Lehrbeauftragter einer Fachhochschule. selbständiger Lehrer. Versicherungspflicht. Zuschlag zu den Krankenversicherungsbeiträgen. Sozialrechtsweg. öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis
Orientierungssatz
1. Die Frage, ob ein selbständiger Lehrer überhaupt zum Kreis der nach § 475b S 2 RVO anspruchsberechtigten Personen gehört und dies wiederum davon abhängt, ob dieser als Lehrbeauftragter versicherungspflichtiger selbständiger Lehrer iS des § 166 Abs 1 Nr 2 RVO ist, ist eine Angelegenheit der Sozialversicherung.
2. Das Sozialversicherungsrecht nimmt auf die rechtliche Natur eines Beschäftigungs- bzw Dienstverhältnisses, insbesondere seine Zugehörigkeit zum öffentlichen oder zum privaten Recht, grundsätzlich keine Rücksicht. Gilt aber das Sozialversicherungsrecht grundsätzlich auch für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, dann ist nicht ersichtlich, weshalb dies für diejenigen öffentlich-rechtlichen Bediensteten nicht gelten soll, die ihren Tätigkeitsmerkmalen nach einer bestimmten Gruppe versicherungspflichtiger Selbständiger zugeordnet sind.
3. Die Versicherungspflicht eines selbständigen Lehrbeauftragten (hier Berlin) nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO ist nicht ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit nebenberuflich ausgeübt wird.
Normenkette
SGG § 51 Abs 1; RVO § 166 Abs 1 Nr 2, § 475b S 2 Fassung: 1938-01-13; HSchulG BE § 159
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger als Lehrbeauftragter der beklagten Fachhochschule krankenversicherungspflichtig nach § 166 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) war und deshalb von der Beklagten den Zuschlag zu den gesetzlichen Beiträgen nach § 475 b Satz 2 RVO verlangen kann.
Dem Kläger waren im Wintersemester 1982/83 und im Sommersemester 1983 Lehraufträge über je acht Wochenstunden mit einem Stundenentgelt von 39 DM zuzüglich einer Unterrichtspauschale von 35 DM je Semesterwochenstunde erteilt worden.
Die Beigeladene zu 2) stellte mit Bescheiden vom 31. März 1983 und 10. Mai 1983 für die Vorlesungszeiten der beiden Semester die Versicherungspflicht des Klägers nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO fest. Die Beigeladene zu 1) teilte dem Kläger auf Anfrage mit, daß er der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 3 AVG unterliege.
Den vom Kläger am 2. Februar 1983 verlangten Zuschlag nach § 475 b Satz 2 RVO lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, bei den Lehraufträgen aufgrund des § 159 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) handele es sich um Beschäftigungsverhältnisse besonderer Art, auf die die Grundsätze des Senators für Inneres betreffs Zahlung eines Zuschusses zum Honorar zu den Kosten der Kranken- und Rentenversicherung nicht anwendbar seien. Ein Lehrbeauftragter sei als selbständiger freier Mitarbeiter tätig und unterliege nicht der Versicherungspflicht nach der RVO.
Das Sozialgericht (SG) Berlin verurteilte die Beklagte, dem Kläger den Zuschlag nach § 475 b Satz 2 RVO zu zahlen (Urteil vom 13. September 1985). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 29. April 1987). Das LSG hat - wie das SG - den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für zulässig gehalten und dabei in Anlehnung an die zu § 405 RVO ergangene Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOBG) vom 4. Juni 1974 (BSGE 37, 292) die Auffassung vertreten, daß der Anspruch aus § 475 b Satz 2 RVO öffentlich-rechtlicher Natur iS des § 51 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei. § 475 b RVO sei eine Vorschrift aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung und knüpfe an einen sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand, nämlich die durch § 166 RVO begründete Versicherungspflicht, an. Der Anspruch diene dem von der Sozialversicherung verfolgten Sicherungszweck. Nicht zuletzt führe auch der Gedanke der Sachnähe zur Zulässigkeit des Sozialrechtsweges. Wie das SG hat auch das LSG einen Anspruch des Klägers aus § 475 b Satz 2 RVO bejaht. Der Kläger sei im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses besonderer Art selbständig erwerbstätig und nicht abhängig beschäftigt gewesen und unterliege als selbständiger Lehrer iS des § 166 Abs 1 Nr 2 RVO der Versicherungspflicht. Für ihn gelte daher die Rechtsfolge des § 475 b Satz 1 RVO und zugleich diejenige des Satzes 2 dieser Vorschrift. Ebenso wie aufgrund öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse abhängig Beschäftigte - vor allem Beamte - dem Grunde nach gemäß § 165 Abs 1 Nr 2 RVO versicherungspflichtig (und nur unter den Voraussetzungen ua des § 169 RVO freigestellt) seien, unterfielen auch solche selbständigen Lehrer der Versicherungspflicht nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO, deren Rechtsverhältnis zum Auftraggeber öffentlich-rechtlich geordnet sei. Daß die Tätigkeit eines Lehrbeauftragten im Hochschulrecht als eine nebenamtliche (nebenberufliche) verstanden werde, schließe die Geltung der §§ 166, 475 b RVO nicht aus. Ob eine nebenher ausgeübte Beschäftigung oder Tätigkeit versicherungsfrei sei, bestimme nicht das Landesrecht, sondern sei im Sozialversicherungsrecht geregelt. Die Geringfügigkeitsgrenzen des § 168 RVO und des § 8 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 4) habe der Kläger überschritten.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, bei der Vorschrift des § 475 b Satz 2 RVO handele es sich nicht um eine sozialversicherungsrechtliche, sondern um eine arbeitsrechtliche Regelung; die Zahlung des Zuschlages setze nämlich voraus, daß die Anspruchsberechtigten überhaupt ein Entgelt erhielten. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten sei daher nicht gegeben. Das LSG habe auch verkannt, daß Lehrbeauftragte an Hoch- und Fachhochschulen des Landes Berlin wegen der Besonderheiten der Ausgestaltung dieser Tätigkeit nicht als selbständige Lehrer iS des § 166 Abs 1 Nr 2 RVO angesehen werden könnten, sofern sie diese Tätigkeit nicht hauptberuflich, sondern lediglich nebenberuflich ausübten. Nebenberufliche Lehrbeauftragte bedürften von vornherein nicht des sozialen Schutzes der §§ 475 b, 166 Abs 1 Nr 2 RVO, weil sie anderweitig, nämlich durch Ausübung ihres Hauptberufs, versorgt seien.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin zu verweisen.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Die Vorinstanzen haben zutreffend den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs 1 SGG für den streitigen Anspruch auf den Zuschlag nach § 475 b Satz 2 RVO bejaht. Der Anspruch ist - ebenso wie die Versicherungspflicht nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO, an die er anknüpft - im Sozialversicherungsrecht normiert, so daß er schon durch die größere Sachnähe zu diesem Rechtsgebiet als Angelegenheit der Sozialversicherung ausgewiesen ist (so auch Peters, Handbuch der Sozialversicherung, 18. Aufl, Anm 3 zu § 475 b RVO; aA Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Anm 3.2 zu § 475 b RVO). Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn, wie hier, darüber zu entscheiden ist, ob der Kläger überhaupt zum Kreis der nach § 475 b Satz 2 RVO anspruchsberechtigten Personen gehört und dies wiederum davon abhängt, ob er als Lehrbeauftragter versicherungspflichtiger selbständiger Lehrer iS des § 166 Abs 1 Nr 2 RVO ist. Diese dem Sozialversicherungsrecht zugehörigen Fragen geben der Streitsache das Gepräge. Für eine sozialversicherungsrechtliche Qualifizierung der Streitsache spricht auch die Zweckbestimmung der dem streitigen Anspruch zugrunde liegenden Vorschrift des § 475 b Satz 2 RVO. Wie die vom GemSOGB der Sozialgerichtsbarkeit zugeordnete Vorschrift des § 405 RVO bezweckt auch sie, einen von der gesetzlichen Krankenversicherung erfaßten Kreis selbständig tätiger Personen, an deren Beitragslast sich der Arbeitgeber nicht schon, wie bei den versicherungspflichtigen Beschäftigten, unmittelbar über den von ihm aufzubringenden Arbeitgeberanteil beteiligt, mit den versicherungspflichtigen Arbeitnehmern wirtschaftlich gleichzustellen.
Der Anspruch des Klägers auf den Zuschlag nach § 475 b Satz 2 RVO ist auch begründet. Das LSG hat den Kläger zutreffend als einen selbständig tätigen Lehrer iS des § 166 Abs 1 Nr 2 RVO und nicht als einen abhängig beschäftigten Angestellten iS des § 165 Abs 1 Nr 2 RVO angesehen. Die Beurteilung des LSG ist am Gesamtbild der Tätigkeit des Klägers orientiert und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Abgrenzung zwischen abhängigen Beschäftigungen und selbständigen Tätigkeiten. Daß ein Lehrbeauftragter der Technischen Fachhochschule Berlin, der - wie der Kläger - eine Vergütung nur für die erteilten Unterrichtsstunden erhält, nicht in einem versicherungspflichtigen Angestelltenverhältnis steht, sondern selbständig tätig ist, hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 2200 § 165 Nr 45). Gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind im Revisionsverfahren keine Rügen erhoben worden. Auch gegen die rechtlichen Schlußfolgerungen des LSG wendet sich die Beklagte nur insoweit, als sie die Vorschriften des § 166 Abs 1 Nr 2 und des § 475 b RVO auf das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis, dem der Kläger unterliegt, nicht für anwendbar hält, weil dies im Berliner Hochschulrecht so vorgesehen sei und weil die Tätigkeit nur nebenberuflich ausgeübt werde. Dem ist nicht zu folgen. Der sozialversicherungsrechtliche Status eines Erwerbstätigen wird durch die Rechtsvorschriften des Sozialversicherungsrechts bestimmt, die durch landesrechtliche Vorschriften nicht außer Kraft gesetzt werden können. Das Sozialversicherungsrecht nimmt auf die rechtliche Natur eines Beschäftigungs- bzw Dienstverhältnisses, insbesondere seine Zugehörigkeit zum öffentlichen oder zum privaten Recht, grundsätzlich keine Rücksicht. So werden, wie das LSG zu Recht hervorgehoben hat, auch Beamte aufgrund ihrer Beschäftigung grundsätzlich von der Sozialversicherungspflicht erfaßt und lediglich in Anbetracht ihrer anderweitigen (beamtenrechtlichen) Versorgung ausnahmsweise, aber nur kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Sozialversicherungspflicht befreit (vgl BSGE 20, 123, 126; 31, 271, 273). Unerläßliche Voraussetzung für die Befreiung ist dabei die Gewährleistung der Versorgung.
Gilt aber das Sozialversicherungsrecht grundsätzlich auch für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, dann ist nicht ersichtlich, weshalb dies für diejenigen öffentlich-rechtlichen Bediensteten nicht gelten soll, die ihren Tätigkeitsmerkmalen nach einer bestimmten Gruppe versicherungspflichtiger Selbständiger zugeordnet sind. Wie sich bei Beamten die Befreiung von der Versicherungspflicht nur aus Normen des Sozialversicherungsrechts (zB § 169 RVO) ergibt, würde auch die Versicherungspflicht von Personen wie dem Kläger nur beim Vorliegen sozialversicherungsrechtlich normierter Gründe entfallen. Solche Gründe liegen aber beim Kläger nicht vor. Vergleichbare Befreiungsvorschriften wie für Beamte gibt es für die nach § 166 RVO Versicherten nicht, abgesehen davon, daß der Kläger wegen seiner Tätigkeit als Lehrbeauftragter keine Versorgung zu erwarten hat. Die Feststellungen des LSG und das Vorbringen der Beteiligten bieten keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger in der streitigen Zeit ein regelmäßiges Jahreseinkommen hatte, das 75 vH der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessungsgrenze (§ 1385 Abs 2 RVO) überstieg und daß er deshalb von der Versicherungspflicht nach § 166 Abs 1 RVO ausgeschlossen war (letzter Halbsatz dieser Vorschrift). Andererseits lagen seine Einkünfte aus der Tätigkeit als Lehrbeauftragter über den Geringfügigkeitsgrenzen des § 8 SGB 4, so daß auch eine Versicherungsfreiheit nach § 168 Halbs 1 RVO nicht in Betracht kam.
Die Versicherungspflicht nach § 166 Abs 1 Nr 2 RVO ist entgegen der Auffassung der Revision auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Tätigkeit nebenberuflich ausgeübt wird. Eine nur auf den Hauptberuf beschränkte Versicherungspflicht ist dem Sozialversicherungsrecht fremd. Das ergibt sich schon aus § 8 Abs 2 Satz 1 SGB 4. Nach dieser Vorschrift werden mehrere geringfügige Beschäftigungen (von denen naturgemäß nicht jede ein Hauptberuf sein kann) zusammengerechnet; sie führen, wenn dadurch insgesamt die Geringfügigkeitsgrenzen überschritten werden, zur Versicherungspflicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG unterliegen auch nebenberufliche Beschäftigungen oder Tätigkeiten von im Hauptberuf versicherungsfreien Beamten der Versicherungspflicht (vgl BSGE 20, 123; 31, 66; 40, 208), ohne daß die durch die Versorgung im Hauptberuf des Beamten bereits gewährleistete soziale Sicherung entgegensteht. Im übrigen besteht für eine hauptberufliche Tätigkeit des Klägers, die von der Beklagten erstmals im Revisionsverfahren behauptet wird, jedenfalls in dem streitigen Zeitraum der Jahre 1982/83 kein Anhalt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen