Leitsatz (redaktionell)

Wirksamkeit einer unter der Geltung des fremden Rechts ergangenen Zusage oder Auskunft des Versicherungsträgers über die Erhaltung der Anwartschaft aus fremden Versicherungszeiten.

 

Normenkette

AVG § 26 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1249 Fassung: 1957-02-23; SVAnpG § 4 Abs. 2 Fassung: 1949-06-17

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Februar 1964 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin führt als Rechtsnachfolgerin des im Laufe des Rechtsstreits verstorbenen Versicherten (geb. 1894) das Verfahren fort. Streitig ist, ob dieser bis zu seinem Tode - an Stelle der ihm von der Beklagten gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beanspruchen konnte.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf das Altersruhegeld ab, weil die gesetzliche Wartezeit von 180 Versicherungsmonaten (§ 25 Abs. 4 AVG) nicht erfüllt sei. Anzurechnen seien nach § 26 AVG nur die von 1949 an entrichteten 81 Beiträge, nicht auch die vor 1924 liegenden Versicherungszeiten, weil in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 kein Beitrag zur Rentenversicherung entrichtet worden sei (Bescheid vom 22. Januar 1960). Nach der Meinung der Klägerin sind die Versicherungszeiten vor 1924 dennoch anzurechnen, weil die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen mit einem an den Versicherten gerichteten Schreiben vom 14. März 1951 bescheinigt habe, die Anwartschaft aus den bisherigen Beitragsleistungen sei zum 31. Dezember 1948 erhalten, ohne daß es einer Nachentrichtung von Beiträgen bis dahin bedürfe. Hierin liege ein Anerkenntnis, an das die Beklagte gebunden sei.

Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen billigte - entgegen der Auffassung des Sozialgerichts (SG) Dortmund, das der Klage stattgab (Urteil vom 30. März 1961) - die Rechtsauffassung der Beklagten und wies die Klage unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und unter Zulassung der Revision ab: Auf die Wartezeit für den Rentenanspruch des verstorbenen Versicherten seien die vor 1924 zurückgelegten Beitrags- und Ersatzzeiten nicht anzurechnen, weil die Voraussetzungen des § 26 AVG nicht gegeben seien. Das Schreiben der beigeladenen LVA vom 14. März 1951 könne diese gesetzlichen Voraussetzungen nicht ersetzen; darin seien weder Beitragsleistungen des Versicherten noch die Erhaltung der Anwartschaft aus den vor 1924 entrichteten Beiträgen verbindlich anerkannt worden. Deshalb treffe auch die Beklagte aus dem genannten Schreiben keine Verpflichtung (Urteil vom 4. Februar 1964).

Mit der Revision beantragt die Klägerin,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Sie rügt, das LSG habe das Schreiben der beigeladenen LVA vom 14. März 1951 zu Unrecht nicht als Anerkenntnis angesehen. In diesem Schreiben sei die Entrichtung von Beiträgen an die beigeladene Ruhrknappschaft für die Monate Januar und Februar 1924 anerkannt worden. Ein solches Anerkenntnis sei auch dann möglich, wenn die Beiträge tatsächlich nicht erbracht seien, und werde selbst dann bindend, wenn es ohne gesetzliche Grundlage, ja sogar gegen eine solche erfolgt sein sollte. Die Rechtssicherheit und der Vertrauensschutz des Versicherten ließen auch die Beklagte bei der Berechnung der Rente an die versicherungsrechtlichen Feststellungen der übrigen Versicherungsträger gebunden sein.

Die Beklagte und die Beigeladenen beantragten

die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Ein Anspruch des Versicherten auf das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 1 AVG hat nicht bestanden, weil die nach § 25 Abs. 4 AVG hierfür erforderliche Wartezeit nicht erfüllt ist. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anrechnung der vom Versicherten bis 1923 zurückgelegten Versicherungszeiten auf die Wartezeit nicht erfüllt, weil - wie die Revisionsklägerin selbst einräumt - in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. November 1948 für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 kein Beitrag entrichtet worden ist (§ 26 AVG) idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - vom 23. Februar 1957). Die durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 476) geänderte Fassung des § 26 AVG (Art. 1 § 2 Nr. 11 RVÄndG), die eine Milderung bei der Anrechnung der fraglichen Versicherungszeiten gebracht hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht anzuwenden; sie ist erst zum 1. Juli 1965 in Kraft getreten (Art. 5 § 10 Buchst. e RVÄndG) und wirkt sich deshalb auf den Anspruch des schon 1961 verstorbenen Versicherten nicht aus.

Der Anspruch auf das Altersruhegeld kann aber auch nicht auf das Schreiben der beigeladenen LVA vom 14. März 1951 gestützt werden. Die in der Revisionsbegründung geäußerte Meinung, in diesem Schreiben sei "die Entrichtung von Beiträgen für die Monate Januar und Februar 1924 ausdrücklich anerkannt", findet schon im Wortlaut dieses Schreibens - wie ihn der Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergibt - keine Stütze. Hier ist an keiner Stelle von Beiträgen die Rede, die für die Monate Januar und Februar 1924 geleistet worden sind. Es wird lediglich auf eine Beitragsbescheinigung der Ruhrknappschaft Bezug genommen. Diese im Tatbestand des angefochtenen Urteils ebenfalls erwähnte Urkunde weist aber gerade das Fehlen von Beiträgen für die genannten Monate aus. Das Anerkenntnis einer wirksamen Beitragsleistung, in den genannten Monaten läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß es im Schreiben der beigeladenen LVA vom 14. März 1951 heißt:" Aus den bisherigen Beiträgen ist die Anwartschaft bis zum 31. Dezember 1948 erhalten, ohne daß es der Nachentrichtung von Beiträgen bis dahin bedarf". Eine bestimmte Beitragsleistung, die als vorliegend und wirksam angesehen wurde, ist daraus nicht erkennbar. Die bloße Möglichkeit, daß dem Verfasser des Schreibens vom 14. März 1951 - entgegen dem Inhalt der Bescheinigung der Ruhrknappschaft - eine Beitragsleistung des Versicherten in den Monaten Januar und Februar 1924 - etwa auf Grund der vom Kläger eingereichten Bescheinigung der Gewerkschaft "Alte Haase" - vorgeschwebt hat, reicht aber nicht aus, um in diesem Schreiben das Anerkenntnis einer wirksamen Beitragsleistung für die genannten Zeiten im Sinne von § 1445 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF bzw. § 1423 Abs. 3 Satz 2 RVO nF = § 145 Abs. 3 Satz 2 AVG nF zu erblicken. Unter diesen Umständen braucht auch nicht auf die Frage eingegangen zu werden, ob die beigeladene LVA zu einem derartigen Anerkenntnis nach dem Gesetz überhaupt befugt gewesen wäre, obwohl es sich dabei um eine Beitragsleistung nicht zur Rentenversicherung der Arbeiter, sondern zur knappschaftlichen Versicherung gehandelt hätte.

Aus der Erklärung in dem Schreiben vom 14. März 1951, daß die Anwartschaft aus den bisherigen Beiträgen des Versicherten bis 1948 erhalten sei, können auch sonst keine Rechtsfolgen hergeleitet werden. Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob es sich bei dieser Erklärung um die bloße Äußerung einer - inhaltlich unrichtigen - Rechtsansicht (Rechtsauskunft) oder - wie die Klägerin meint - um eine verbindliche behördliche Zusage für die künftige Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem Versicherungsträger gehandelt hat. Es ist auch nicht darüber zu entscheiden, ob die Beklagte als der für die Rentenfeststellung zuständige Versicherungsträger in Fällen der vorliegenden Art (Wanderversicherung - frühere treuhänderische Wahrnehmung der Aufgaben der Angestelltenversicherung durch die Landesversicherungsanstalten) an eine etwaige Zusage des Trägers der Arbeiterrentenversicherung gebunden wäre und ob dem Empfänger der Zusage oder Auskunft auf Grund derselben ein Vorteil gewährt werden müßte, der ihm bei richtiger Unterrichtung nicht zugeflossen wäre (vgl. dazu Urteil vom 25. Oktober 1966 - 11 RA 166/66 - SozR Aa 1 Nr. 1 zu § 1324 RVO und Urteil des BFH vom 22. April 1966 - IV 264/65 - BStBl III 1966 S. 395). Auf die Prüfung dieser Fragen kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits deshalb nicht an, weil sich aus der Erklärung der beigeladenen LVA schon aus anderen Gründen keine Rechtsfolgen für den Rentenanspruch mehr ergeben. Denn die Erklärung ist vor dem 1. Januar 1957 abgegeben worden und berücksichtigt nach ihrem Inhalt (Erhaltung der Anwartschaft) nur das bis dahin geltende Recht. Der Rentenanspruch des Versicherten ist aber nicht nach diesem früheren Recht, sondern nach dem vom 1. Januar 1957 an geltenden Recht zu beurteilen, das die Vorschriften über die Erhaltung der Anwartschaft im allgemeinen nicht mehr kennt. Wie der Senat in seinem Urteil vom 16. Februar 1966 - 1 RA 153/63 - in einem ähnlich liegenden Rechtsstreit bereits entschieden hat, kann sich ein Versicherter auf eine unter der Geltung des früheren Rechts ergangene Zusage oder Auskunft des Versicherungsträgers nicht mehr berufen, wenn - wie hier - in der Zeit zwischen der abgegebenen Verwaltungserklärung und dem Eintritt des Versicherungsfalls eine für den Versicherungsträger nicht voraussehbare Gesetzesänderung eingetreten ist. Mit ihr ist der Rechtsgrund des Vertrauensschutzes entfalle. Vom Inkrafttreten des neuen Rechts an (1. Januar 1957) ist vielmehr die Rechtslage nur nach den neuen Rechtsvorschriften zu beurteilen, hier also nach § 26 AVG, der eine in ihren Voraussetzungen dem früheren Recht (§ 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes) zwar ähnliche, aber von der Erhaltung der Anwartschaft unabhängige Regelung über die Anrechenbarkeit von Versicherungszeiten vor 1924 enthält. Sie gilt für den geltend gemachten Anspruch auf das Altersruhegeld auch insoweit, als etwa die sog. Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG in Betracht kommt. Diese Vorschrift betrifft nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, sondern lediglich die Zusammensetzung und Berechnung der Rente und läßt nur hierfür das vor dem 1. Januar 1957 geltende Recht weiter anwendbar sein.

Da mit dem im Jahre 1951 nicht voraussehbaren Inkrafttreten des neuen Rechts zum 1. Januar 1957 die unter der Geltung und zur Anwendung des früheren Rechts gegebene Zusage oder Auskunft des Versicherungsträgers über die Erhaltung der Anwartschaft aus früheren Beiträgen ihre Wirkung verloren hat, ist sie für die Feststellung einer Rente nach dem vom 1. Januar 1957 an geltenden Recht bedeutungslos geworden. Irgendeine rechtliche Verpflichtung ist der Beklagten hieraus nicht erwachsen. Im übrigen hat der Ehemann der Klägerin, wie das LSG im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, aus der Verwaltungserklärung vom 14. März 1951 einen Schaden weder für seine Rentenversicherung noch sonst erlitten.

Die Revision der Klägerin erweist sich danach als unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387483

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