Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Ruhen der von der RfA geschuldeten Renten. Einwohner der SBZ

 

Orientierungssatz

1. Aufgrund der Stillegung und des Verbotes der Weitergewährung der bisherigen Rente ist die Leistung der von der RfA geschuldeten Renten schlechthin unmöglich gewesen. Rentenansprüche waren hier darum nur gegeben, wenn das im Bundesgebiet nach der Aufsplitterung Deutschlands neugeschaffene Recht Rentenansprüche gegen Versicherungsträger in diesem Gebiet gewährte.

2. Die in den Gebieten der späteren Bundesrepublik nach 1945 geschaffenen Vorschriften erfaßten nach ihrem Geltungswillen nur die in ihrem Geltungsbereich wohnenden Personen. Sie erstreckten sich nicht auf die Einwohner der SBZ.

 

Normenkette

RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Juni 1966 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin eine wiederaufgelebte Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes beanspruchen kann.

Die Klägerin, die bis 1953 in Quedlinburg lebte, bezog nach dem Tode (1945) ihres ersten Ehemannes von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) bis zum Kriegsende Witwenrente. Am 24. September 1949 schloß sie in Quedlinburg eine neue Ehe. Im Mai 1953 übersiedelte sie mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik. Der Ehemann starb 1964. Die Klägerin beantragte danach die Wiedergewährung von Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemannes. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 16. September 1964): Ein Witwenrentenanspruch sei nicht wieder aufgelebt, denn bei der Wiederheirat habe kein Anspruch auf eine Witwenrente bestanden.

Das Sozialgericht (SG) Hannover wies die Klage unter Hinweis auf die Entscheidung in BSG 19, 97 ab (Urteil vom 4. März 1966).

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen wies die Berufung der Klägerin zurück und ließ die Revision zu (Urteil vom 24. Juni 1966). Es bezog sich ebenfalls auf BSG 19, 97: Zur Zeit der Wiederheirat habe kein Witwenrentenanspruch nach sowjetzonalem Recht bestanden. Solange die Klägerin in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) gewohnt habe, habe sie auch keinen Anspruch nach damaligem Bundesrecht erwerben können. Das fehlende Tatbestandsmerkmal des Witwenrentenanspruchs im Zeitpunkt der Wiederheirat könne nicht unterstellt werden. Weder das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FAG) noch das Fremdrenten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (FANG) enthielten allgemeine Grundsätze des Inhalts, daß alle versicherungsrechtlichen Vorgänge so zu behandeln seien, als habe die Klägerin in der Bundesrepublik gewohnt.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des ersten Ehemannes zu verurteilen. Zur Begründung bringt sie vor, ihr Witwenrentenanspruch sei in der SBZ nicht untergegangen, sondern habe nur geruht; da die Bundesrepublik die Regierung der SBZ nicht anerkenne, habe sie auch, solange sie in der SBZ gewohnt habe, den Gesetzen der Bundesrepublik unterstanden; sie habe nur ihr Recht auf Witwenrente nicht ausüben können. Die Klägerin verweist auf das Urteil in BSG 16, 202; sie meint, danach seien die Wiederauflebensvorschriften nur dann nicht anzuwenden, wenn vor der zweiten Eheschließung überhaupt noch kein Rentenanspruch bestanden habe.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie stützt sich auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. Mai 1966 (SozR Nr. 15 zu § 1291 RVO).

Beide Beteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes. Nach dem Tod des zweiten Ehemannes ist kein Witwenrentenanspruch wieder aufgelebt, weil beim Eingehen der zweiten Ehe kein Witwenrentenanspruch weggefallen ist (§ 68 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG zu § 68 Abs. 2 AVG und § 1291 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kann nur ein Witwenrentenanspruch wieder aufleben, der durch die Wiederheirat weggefallen ist. Dieser Anspruch muß auf Vorschriften des Reichsrechts oder Bundesrechts beruht haben und von Versicherungsträgern im Geltungsbereich des AVG zu erfüllen gewesen sein (BSG 14, 238; 19, 97; SozR Nr. 15 zu § 1291 RVO; BSG Urteil vom 23.9.1966 - 12 RJ 388/64).

Zur Zeit der Wiederheirat hatte die Klägerin keinen auf Reichsrecht oder Bundesrecht beruhenden Anspruch, den ein im Bundesgebiet ansässiger Versicherungsträger hätte erfüllen müssen.

Die Klägerin hatte zwar nach dem Tode ihres ersten Ehemannes einen Anspruch auf Witwenrente nach Reichsrecht erworben. Der Anspruch ist jedoch noch vor der Wiederheirat infolge des Zusammenbruchs des Deutschen Reiches im Jahre 1945 und der dadurch bedingten Aufspaltung Deutschlands in mehrere Sozialversicherungssysteme untergegangen; er hat im Bundesgebiet nicht etwa deswegen fortbestanden, weil die damals stillgelegte RfA bis zu ihrer Auflösung am 1. August 1953 noch die Aufgabe hatte, das vorhandene Vermögen zu verwalten (BSG 4, 91, 93). Darauf folgt nicht, daß der Anspruch der Klägerin nur geruht habe, wie die Klägerin meint. Ruhen bedeutet, daß ein bestehender Anspruch zeitweilig wegen eines bestimmten Ruhenstatbestandes nicht zu erfüllen ist (BSG 2, 147; 7, 191; 10, 295). Ein solcher Tatbestand hat hier nicht vorgelegen. Aufgrund der Stillegung und des Verbotes der Weitergewährung der bisherigen Rente ist die Leistung der von der RfA geschuldeten Renten vielmehr schlechthin unmöglich gewesen. Rentenansprüche waren hier darum nur gegeben, wenn das im Bundesgebiet nach der Aufsplitterung Deutschlands neugeschaffene Recht Rentenansprüche gegen Versicherungsträger in diesem Gebiet gewährte (BSG 3, 286, 290 ff; 5, 60, 61; 19, 97, 98). Das war nicht der Fall. Denn die in den Gebieten der späteren Bundesrepublik nach 1945 geschaffenen Vorschriften erfaßten nach ihrem Geltungswillen nur die in ihrem Geltungsbereich wohnenden Personen (BSG aaO). Sie erstreckten sich nicht auf die Einwohner der SBZ.

Daß die Klägerin von dem Recht der Bundesrepublik nicht erfaßt wurde, hat nichts mit der Frage zu tun, ob die SBZ von der Bundesrepublik Deutschland als Staat anerkannt wird oder nicht. Fehl geht auch der Hinweis der Klägerin auf BSG 16, 202; sie übersieht dabei, daß dort ein Witwenrentenanspruch gegen einen im Bundesgebiet ansässigen Versicherungsträger bestand und daß nur der für die Zahlung von Rente nötige Antrag fehlte.

Die Klägerin hat auch nicht nach späteren Bundesgesetzen einen Witwenrentenanspruch nach Bundesrecht erworben. Nach der ersten bundeseinheitlichen Regelung im FAG hatte die Klägerin zur Zeit der Wiederheirat schon deshalb keinen Rentenanspruch, weil dieses Gesetz Ansprüche im allgemeinen frühestens vom 1. April 1952 an entstehen läßt. Das FANG begründet Ansprüche erst vom 1. Januar 1959 an. Zu diesen Zeitpunkten war die Klägerin keine Witwe mehr. Zu Recht hat das LSG dabei auch angenommen, daß das Fremdrentenrecht bei Wiederheirat 1949 außerhalb des Bundesgebiets keinen - bundesrechtlichen - Witwenrentenanspruch für diesen Zeitpunkt fingiert.

Sonach bestand zur Zeit der Wiederheirat kein Anspruch auf Witwenrente, der von einem Versicherungsträger des Bundesgebiets zu erfüllen gewesen wäre und der durch die Wiederheirat hätte wegfallen können. Aus diesem Grunde konnte mit der Auflösung der zweiten Ehe kein Witwenrentenanspruch wieder aufleben.

Die Berufung der Klägerin ist sonach nicht begründet und zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2387498

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