Leitsatz (amtlich)
AVAVG § 143b und die auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Richtlinien zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft vom 1960-09-16 (BArbBl 1960, 641) schließen es nicht aus, einem Unternehmen des Ausbaugewerbes zur Durchführung von Bauten in der Schlechtwetterzeit Zuschüsse oder Darlehen zu gewähren.
Normenkette
AVAVG § 143b Fassung: 1959-12-07
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1965 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der Kläger betreibt in M ein Malergeschäft. Am 26. Juli 1962 beantragte er beim Arbeitsamt (ArbA) die Gewährung eines Darlehns in Höhe von 16.500 DM zur Anschaffung von drei Baustellenwagen als Winterbauausrüstung. Zur Begründung gab er an, seine Firma führe mit etwa 60 Arbeitskräften vorwiegend Industrie- und Brückenanstriche sowie Sandstrahlentrostungen auf auswärtigen Baustellen aus; die Baustellenwagen sollten dazu dienen, die sonst im Malergewerbe üblichen Einrichtungen von Unterkünften in Räumen von Neubauten zu ersetzen, um die Arbeitskräfte gegen Witterungseinflüsse - besonders im Winter - zu schützen, sowie ihre Weiterbeschäftigung in den Wintermonaten zu ermöglichen. Durch Bescheid vom 1. Oktober 1962 und Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1963 lehnte das ArbA den Antrag ab, weil nach § 143 b des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) und den dazu vom Verwaltungsrat der Beklagten ergangenen Richtlinien vom 16. September 1960 Darlehn nur an Unternehmen des Baugewerbes gewährt würden; die Firma des Klägers sei aber als Malerbetrieb kein Unternehmen des Baugewerbes. Das gehe schon daraus hervor, daß auf sie die tariflichen Bestimmungen des Baugewerbes keine Anwendung fänden und sie nicht zu den Betrieben gehöre, in denen nach § 143 d AVAVG Schlechtwettergeld gewährt werde.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage durch Urteil vom 18. September 1963 ab und ließ die Berufung zu. Das Landessozialgericht (LSG) hob mit Urteil vom 3. Juni 1965 das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten auf und verpflichtete sie, den Kläger neu zu bescheiden. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Der Begriff "Unternehmen des Baugewerbes" umfasse auch Unternehmen des Ausbaugewerbes, zu denen die Malerbetriebe gehörten.
Weder aus der Wortfassung des § 143 b AVAVG noch aus den Richtlinien des Verwaltungsrats lasse sich eine Beschränkung der förderungsfähigen Betriebe auf solche Unternehmen herleiten, die im Gegensatz zu dem Ausbaugewerbe nur am Rohbau beteiligt seien. Genausowenig ergebe sich eine derartige Beschränkung aus dem Sinn und Zweck der Maßnahmen zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft. Zur Zeit der Entscheidung der Vorinstanz seien zwar die Förderungsmaßnahmen gemäß § 143 a AVAVG nach den Richtlinien des Verwaltungsrats nur auf Arbeiten zur Erstellung des Rohbaues beschränkt gewesen; diese Beschränkung habe aber der Verwaltungsrat durch Beschluß vom 30. Oktober 1963 wieder aufgehoben. Förderungsfähig nach § 143 a AVAVG seien nunmehr alle im Zusammenhang mit der Gebäudeherstellung anfallenden Arbeiten, also auch Ausbauarbeiten. Demnach lasse sich daraus nicht schließen, der Begriff "Baugewerbe" sei in § 143 b AVAVG eng auszulegen. Die Schlechtwettergeldregelung unterscheide sich durch eine Verknüpfung von gesetztem und tariflichem Recht von den anderen Förderungsmaßnahmen. Eine derartige Verknüpfung mit dem Tarifrecht bestehe aber im Gegensatz zu der Regelung des § 143 d AVAVG bei den Leistungen nach § 143 b und c AVAVG sowie den hierzu ergangenen Richtlinien nicht. Die einschränkende Regelung des § 2 der 8. Durchführungsverordnung (DVO) zum AVAVG gelte insoweit nicht. Somit könnten alle Unternehmen des Baugewerbes Darlehn oder Zinszuschüsse erhalten, wenn dadurch das Bauen in der Schlechtwetterzeit ermöglicht werde. Die Arbeiter des Klägers seien aber, "soweit sie Entrostungs- und Eisenanstricharbeiten an Stahlbauten ausführten", ebenso wie die im Stahlbau tätigen Arbeitskräfte den Unbilden der Witterung ausgesetzt. Für diese Arbeiten, mit denen der Betrieb des Klägers "nach seinen Angaben zu ungefähr einem Drittel befaßt" sei, könnten die im Antrag genannten Baustellenwagen als Winterbauausrüstung angesehen werden. Ob dies auch für die Anstreich- und Verputzarbeiten auf auswärtigen Baustellen zu gelten habe, könne dahinstehen.
Die Beklagte habe jedenfalls die Grenzen ihres Ermessens im Rahmen der Richtlinien vom 16. September 1960 für enger gehalten, als sie in Wahrheit seien.
Die Revision wurde zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt.
Sie trägt im wesentlichen vor: Der Begriff "Baugewerbe" sei in der 8. DVO zum AVAVG verbindlich abgegrenzt worden. Wenn sich auch diese Abgrenzung formal nur auf § 143 d AVAVG beziehe, so lasse sich innerhalb des Gesamtkomplexes der Winterbauförderung auch für die übrigen Förderungsmaßnahmen keine andere Begriffsbestimmung für die Zugehörigkeit eines Betriebes zum Baugewerbe vertreten. Da Malerbetriebe nicht zu den in der 8. DVO aufgeführten Betrieben gehören, könne die Firma des Klägers nicht gefördert werden. Die Sonderregelung für Stahlbaubetriebe stehe dem nicht entgegen, weil die Durchführung der in Stahlskelettbauweise vorgesehenen Winterbaumaßnahmen von der Fertigstellung der Stahlkonstruktion abhänge. Darüber hinaus dienten die Baustellenwagen beim Kläger nicht oder nicht in erster Linie als Winterbauausrüstung. Bei Malerarbeiten pflegten sich seit jeher die Arbeiter in Räumen der Neubauten Tagesunterkünfte einzurichten. Es bedürfe deshalb keiner weiteren Schutzmaßnahme. Außenarbeiten, wie das Streichen von Stahlkonstruktionen, würden bereits im Oktober zur Vermeidung von witterungsbedingten Schäden eingestellt. Soweit bei diesen Arbeiten Unterkünfte oder Schutzeinrichtungen nötig seien, träfe dies nur in der witterungsgünstigen Jahreszeit und nicht in der Schlechtwetterzeit zu.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1965 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Münster vom 18. September 1963 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die nach § 162 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig und begründet.
II
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten, mit dem das beantragte Darlehn zur Anschaffung von drei Baustellenwagen als Winterbauausrüstung abgelehnt wurde, weil der Malerbetrieb des Klägers kein Unternehmen des Baugewerbes im Sinne des § 143 b AVAVG und den hierzu vom Verwaltungsrat der Beklagten erlassenen Richtlinien vom 16. September 1960 sei.
Durch § 143 b AVAVG hat der Gesetzgeber den Verwaltungsrat ermächtigt, Unternehmen des Baugewerbes Darlehen oder Zinszuschüsse zur Förderung von Winterbauausrüstungen im Wege autonomer Rechtssetzung zu gewähren. Mit den Richtlinien zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft vom 16. September 1960 (ANBA 1960, 437 = BABl 1960, 641) hat der Verwaltungsrat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Diese Richtlinien stellen einmal eine Selbstbindung der Verwaltung dar, dahingehend, daß die Beklagte im Einzelfall nicht davon abweichen kann, ohne ermessensfehlerhaft zu handeln. Zum anderen müssen sich diese Bestimmungen auch als Akt autonomer Rechtssetzung innerhalb der durch die Ermächtigungsnorm des § 143 b AVAVG gezogenen Grenzen halten (BSG, SozR AVAVG § 143 b Nr. 1).
Aus dem Wortlaut des § 143 b AVAVG ergeben sich keine grundsätzlichen Einschränkungen hinsichtlich der Förderung der von dem Kläger für seinen Betrieb geplanten Beschaffung von Baustellenwagen. Der Begriff "Unternehmen des Baugewerbes", der im Gesetz nicht definiert ist, umfaßt nach Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Vorschrift nicht nur die Baubetriebe im engeren Sinn, sondern auch die Unternehmen des Ausbau-, Bauhilfs- und Baunebengewerbes. Da der Gesetzgeber nur entscheidend darauf abstellt, daß es sich um Unternehmen des Baugewerbes handelt, können nach § 143 b AVAVG alle Arten von Baubetrieben gefördert werden, wenn durch die angeschafften Einrichtungen die Durchführung von Bauarbeiten in der Schlechtwetterzeit ermöglicht und die Arbeitsplätze der Bauarbeiter auch für diese Jahreszeit gesichert werden. Die Malerbetriebe gehören aber - wie das LSG zu Recht angenommen hat - als Bauausstatter grundsätzlich zu der Berufsgruppe der Bauberufe (Klassifizierung der Berufe, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden, Ausg. 1961, Berufsgruppe 24, Nr. 2478). Diese Auslegung entspricht auch dem Ziel und Zweck der gesamten Vorschriften über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft, nämlich Beseitigung der winterlichen Arbeitslosigkeit und Ausdehnung der Bausaison auf die witterungsungünstigen Wintermonate.
Obgleich die gesetzliche Ermächtigung des § 143 b AVAVG eine Förderung des Baugewerbes ganz allgemein zuläßt, könnte die Beklagte in ihren Richtlinien die Grenzen der Förderung enger gezogen und das Ausbau- bzw. Bauhilfs- und Baunebengewerbe ausgeschlossen haben. Eine derartige Einschränkung ergibt sich aber aus den Richtlinien des Verwaltungsrats nicht. In Abschnitt II Nr. 3 Abs. 1 heißt es:
"Unternehmen des Baugewerbes, die bereit und nach Beschaffung der erforderlichen Winterbauausrüstung in der Lage sind, Bauaufträge während der Schlechtwetterzeit auszuführen, können ... aus Mitteln der Bundesanstalt Darlehen oder ... Zinszuschüsse gewährt werden."
Weder aus der Wortfassung noch aus dem Sinnzusammenhang dieser Bestimmung kann entnommen werden, das Ausbau- oder Bauhilfsgewerbe sei von einer Förderung ausgeschlossen. Unter dem Begriff "Ausführen von Bauaufträgen" kann in diesem Zusammenhang bei objektiver Betrachtung und sinnvoller Auslegung der Richtlinien nur die "Durchführung auftragsgemäß übernommener Arbeiten an Bauten" verstanden werden. Es ergibt sich aber daraus keine Beschränkung auf Arbeiten zur Herstellung des Rohbaues, da die Richtlinien allein darauf abstellen, daß ein Unternehmen des Baugewerbes bereit und durch die geförderte Einrichtung in der Lage sein muß, auch in den Wintermonaten Bauaufträge auszuführen. Bauaufträge im Sinne des Abschnitts II Nr. 3 Abs. 1 der Richtlinien des Verwaltungsrates führen grundsätzlich auch Betriebe des Ausbaugewerbes, wie der Malerbetrieb des Klägers, aus.
Ebensowenig wie die Richtlinien vom 16. September 1960 den Betrieb des Klägers von einer Förderung ausschließen, geschieht dies nach § 143 d AVAVG i. V. m. § 2 der 8. DVO zum AVAVG vom 9. Dezember 1959 (BGBl I 720), weil diese Vorschriften nur für das Schlechtwettergeld gelten. Die Gewährung von Schlechtwettergeld unterscheidet sich schon rechtssystematisch von den übrigen Förderungsmaßnahmen nach § 143 a bis c AVAVG. Die besonderen Leistungen für die Bauherren, Bauunternehmer und Bauarbeiter dienen dazu, den Winterbau als solchen zu fördern, sowie den Bauarbeitern die Arbeitsplätze auch im Winter zu erhalten. Dagegen bezweckt die Zahlung von Schlechtwettergeld die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses des Bauarbeiters an Tagen, an denen aus witterungsbedingten Gründen nicht gearbeitet werden kann. Das Schlechtwettergeld stellt eine Leistung mit Lohnersatzfunktion dar, um das an sich anfallende Arbeitslosengeld zu ersetzen. Dieser Unterschied kommt auch darin zum Ausdruck, daß auf Schlechtwettergeld ein Rechtsanspruch besteht, während über die Gewährung der Leistungen nach § 143 a bis c AVAVG die die Bundesanstalt im pflichtgemäßen Ermessen entscheidet. Dem entspricht auch einerseits die abschließende gesetzliche Regelung der Voraussetzungen des Anspruchs auf Schlechtwettergeld, während andererseits die nähere Ausgestaltung der Förderungsmaßnahmen nach § 143 a bis c AVAVG der Autonomie der Bundesanstalt überlassen ist.
Die 8. DVO zum AVAVG vom 9. Dezember 1959, in der die Malerbetriebe nicht aufgeführt sind, gründet sich auf die gesetzliche Ermächtigung des § 143 d Abs. 2 AVAVG. Eine derartige Vorschrift besteht aber für die Regelung der Förderungsmaßnahmen nach § 143 b AVAVG nicht. Dessen ungeachtet wäre der Verwaltungsrat auf Grund eigener Rechtsautonomie befugt, zu bestimmen, daß nur ganz bestimmte Betriebe zu fördern sind. Eine derartige einschränkende Regelung hat er aber nicht getroffen; sie geht insbesondere nicht aus den Richtlinien vom 16. September 1960 hervor. Aus diesem Grunde kann somit die 8. DVO zum AVAVG auf die Förderungsmaßnahmen nach § 143 b AVAVG nicht entsprechend angewandt werden. Dafür spricht schon der Wortlaut des § 143 d Abs. 2 AVAVG. Wenn es hierin heißt, der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bestimme durch Rechtsverordnung, in welchen Betrieben des Baugewerbes die Gewährung von Schlechtwettergeld zulässig sei, so ergibt sich daraus, daß nicht alle Betriebe des Baugewerbes durch die Verordnung erfaßt zu sein brauchen, daß es also auch Baubetriebe geben kann, die nicht in die Schlechtwettergeldregelung der §§ 143 d ff AVAVG einbezogen sind. Ein Malerbetrieb, wie ihn der Kläger ausübt, ist daher grundsätzlich nicht von der Förderung nach § 143 b AVAVG ausgeschlossen.
Es fehlen jedoch, wie die Beklagte mit Recht rügt, ausreichende Feststellungen des LSG darüber, ob der Kläger Maler- und Entrostungsarbeiten der von ihm bezeichneten Art in der Schlechtwetterzeit überhaupt ausführen kann, und ob die Baustellenwagen hierzu erforderlich sind. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 12. November 1964 wäre es notwendig gewesen, den Sachverhalt insoweit näher aufzuklären.
Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Diesem bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen