Leitsatz (amtlich)

Für die Reihenfolge der Kinder iS des Kindergeldrechts ist das Lebensalter (Geburtsdatum) maßgebend. Dies gilt nicht nur bei natürlicher Abstammung, sondern aus Gründen der Rechtssicherheit ebenso bei Stief- und Pflegekindern sowie für an Kindes Statt angenommene Kinder.

 

Normenkette

BKGG § 2 Abs. 3 S. 5 Fassung: 1965-04-05, Abs. 3 Fassung: 1964-04-14; KGG § 4 Abs. 1, § 1

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Mai 1965 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Der Kläger beantragte im Oktober 1963 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der damaligen Familienausgleichskasse (FAK) bei der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft, Kindergeld für seine Kinder A und U Er hat drei Kinder aus erster Ehe. M. (geb. 1948), A (geb. 1950) und U (geb. 1952). M und A leben bei ihrer Mutter in Schweden. Die zweite Ehefrau des Klägers hat eine Tochter K (geb. 1946), die seit 1956 in seinem Haushalt lebt und von ihm 1963 an Kindes Statt angenommen wurde.

Die FAK gewährte nur für das Kind U Kindergeld. Für A lehnte sie dieses ab (Bescheid vom 29. November 1963), weil das Kind im Ausland lebt.

Hiergegen klagte der Kläger vor dem Sozialgericht (SG). Den ursprünglichen Anspruch, Kindergeld für A zu gewähren, ließ er fallen und beantragte statt dessen Kindergeld für K, die sein viertes Kind sei. Diese Tochter sei erst nach allen anderen Kindern in ein Kindschaftsverhältnis zu ihm getreten.

Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil vom 17. März 1964). Nach Auffassung des SG müsse bei der Zählung für die Anspruchsberechtigung von der Reihenfolge der Kinder im Alter ausgegangen werden. Demgemäß stehe K, die 1946 geboren wurde, an erster Stelle. Es sei nicht statthaft, von der Altersreihenfolge willkürlich abzuweichen.

Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung des Klägers zurück (Urteil vom 19. Mai 1965). Es ließ dahinstehen, ob die vom SG und der FAK für die Feststellung der Gesamt-Kinderzahl und der Anspruchsberechtigung zugrunde gelegte Zählweise richtig ist. Seiner Rechtsansicht nach könnten M. und A., die in Schweden lebten, nicht als Kinder im Sinne des Kindergeldgesetzes (KGG) mitgezählt werden.

Wenn § 34 Abs. 2 KGG bestimme, daß für Kinder, die im Ausland leben, Anspruch auf Kindergeld nicht besteht, so müsse aus dieser Vorschrift zugleich gefolgert werden, daß sie auch in der Zählordnung nicht als sogenannte stützende Kinder mitgerechnet werden. Der Anspruch auf Kindergeld könne nicht davon abhängig sein, welche Kinder im Ausland leben. Das würde zu unverständlichen und ungerechtfertigten Ergebnissen führen. Der Begriff "Kind" im Sinne des KGG dürfe nicht verschieden ausgelegt werden, je nachdem, ob es sich um ein "Zahlkind" oder ein "Zählkind" handele. Diese Ansicht werde schließlich bestätigt durch das am 1. Juli 1964 in Kraft getretene Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vom 14. April 1964 (BGBl I 265). Nach dessen § 2 Abs. 3 würden die im Ausland lebenden Kinder nicht mehr als Kinder im Sinne des BKGG berücksichtigt. Der Gesetzgeber habe aber durch das neue Recht keine ungünstigere Rechtslage schaffen wollen. Der Kläger habe nach alledem nur zwei Kinder im Sinne des KGG. Somit bestehe für ihn kein Anspruch auf Kindergeld.

Revision wurde zugelassen.

Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,

die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 19. Mai 1965 und des SG Koblenz vom 17. März 1964 sowie den Bescheid vom 29. November 1963 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Kindergeld für das Kind K zu gewähren,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Zur Begründung hat er im wesentlichen ausgeführt:

Aus § 34 Abs. 2 KGG ergebe sich nicht, daß für Zählkinder ebenfalls der Wohnsitz entscheidend sei. Die Änderung dieser Vorschrift durch § 10 Nr. 10 des Kindergeldergänzungsgesetzes (KGEG) bezwecke allein die Gleichstellung von In- und Ausländern, indessen keine sonstige Einschränkung. M und A seien deshalb als Zählkinder zu berücksichtigen. Darüber hinaus könne die vom SG angewandte Zählordnung nur für leibliche Kinder gelten. Für Stief-, Adoptiv- oder Pflegekinder sei nicht die Reihenfolge im Lebensalter entscheidend, vielmehr müsse auf den Zeitpunkt der Begründung des Kindschaftsverhältnisses abgestellt werden. Erst von da ab könne von einem "Kind" des Berechtigten gesprochen werden. Danach stehe ihm aber Kindergeld für K zu, weil sie sein viertes Kind sei. Im übrigen habe das LSG nicht beachtet, daß vom 1. April 1965 an für den Anspruch des Klägers nicht mehr das KGG, sondern das BKGG maßgebend sei, das in der Neufassung des § 2 Abs. 3 zulasse, auch im Ausland lebende Kinder zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie schließt sich im Ergebnis der Begründung des Berufungsurteils an. Nach einhelliger Rechtsauffassung seien im Bereich des KGG die Kinder allein nach der Reihenfolge der Geburt zu zählen.

II. Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Revisionsbeklagte ist die Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft als Rechtsnachfolgerin der nach §§ 33 Abs. 2 Satz 1, 47 Satz 2 BKGG (BGBl 1964 I 265) mit Ablauf des 30. Juni 1964 aufgelösten FAK. Sie ist nach § 33 Abs. 2 Satz 2 BKGG in deren Rechte und Verbindlichkeiten eingetreten und hat den vorliegenden Rechtsstreit aufgenommen.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger für das Kind K Kindergeld zu gewähren ist.

Nach § 1 KGG erhalten Arbeitnehmer, Selbständige und mithelfende Familienangehörige Kindergeld, wenn sie drei oder mehr Kinder haben und nach der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei einer Berufsgenossenschaft versichert sind oder sich versichern können oder nach § 541 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 RVO versicherungsfrei sind. Das KGG setzt voraus, daß der Anspruchsberechtigte mindestens drei Kinder hat (§ 4 Abs. 1 KGG). Welche Kinder im Sinne des Gesetzes zu berücksichtigen sind, bestimmt § 2 Abs. 1 KGG. Nach dem Aufbau des KGG ist zu unterscheiden zwischen Kindern, die nur mitzählen, den sogenannten "Zählkindern" und solchen, die einen Anspruch auf Kindergeld begründen, den sogenannten "Zahlkindern" (Lauterbach/Wickenhagen, Die Kindergeldgesetzgebung, Anm. 9 b zu § 1 KGG; Witting/Meier, Kindergeldhandbuch, Vorbemerk. zu § 3 KGG; Sixtus/Haep, Das Kindergeldgesetz und seine Anwendung, Fußnote 5 zu § 1 KGG). Diese Unterscheidung ergibt sich schon daraus, daß die beiden ersten Kinder, für die nach dem Gesetz kein Kindergeldanspruch besteht, jeweils mitzuzählen sind, um festzustellen, ob ein drittes oder weiteres Kind vorhanden ist, für das ein Berechtigter Kindergeld beanspruchen kann. Aber auch ein drittes Kind erscheint bei einem grundsätzlich Anspruchsberechtigten möglicherweise nur als "Zählkind", wenn zB eine andere Person auf Grund der Konkurrenzregelung des § 3 Abs. 1 KGG mit ihrem Kindergeldanspruch gerade für dieses Kind vorgeht, da für jedes Kind grundsätzlich nur ein Kindergeld gewährt wird.

Der Kläger, von dem drei Kinder aus erster Ehe abstammen und der das Kind seiner zweiten Ehefrau an Kindes Statt angenommen hat, besitzt tatsächlich vier Kinder. Der Kindergeldanspruch für K ist allerdings nicht, wie das LSG aus § 34 Abs. 2 KGG herleiten will, schon deshalb unbegründet, weil die beiden Töchter M und A. in Schweden leben und daher nicht als Kinder im Sinne des KGG mitzuzählen seien. Wäre dem so, dann hätte der Kläger allerdings nur zwei zu berücksichtigende Kinder und könnte dann kein Kindergeld nach dem KGG erhalten. Nach dieser Vorschrift besteht Anspruch auf Kindergeld nicht für Kinder, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 haben. Bis zur Neufassung des § 34 Abs. 2 KGG durch § 10 Nr. 10 des KGEG vom 23. Dezember 1955 (BGBl I 841) erhielten deutsche Staatsangehörige auch für Kinder, die außerhalb des Bundesgebietes lebten, Kindergeld. Solange wurden die Kinder ebenfalls als stützende Kinder jeweils mitgezählt, auch wenn für sie kein Anspruch bestand. Die Neuregelung durch das KGEG hat allein die "Zahlkinder", nicht jedoch die "Zählkinder" betroffen. Der Gesetzgeber bezweckte mit der Vorschrift des § 10 Nr. 10 KGEG einmal eine Anpassung des deutschen Rechts an das anderer Staaten, die grundsätzlich den Wohnsitz der Kinder innerhalb ihres Staatsgebiets für den Anspruch auf Kindergeld voraussetzten (Territorialitätsprinzip). Zum anderen hatte sich gezeigt, daß Kindergeld an Personen gezahlt wurde, die für ihre im Ausland lebenden Kinder nicht sorgten oder dazu nicht in der Lage waren, so daß auch eine Anordnung des Vormundschaftsgerichts nach § 8 KGG meist keine Abhilfe schaffen konnte (BT-Drucksache 1884, II. Wahlperiode, S. 10). Weder die Fassung des Gesetzes noch die Motive dazu besagten etwas über die im Ausland lebenden Kinder, für die von vornherein kein Kindergeldanspruch gegeben war (erste und zweite Kinder). Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 KGG (idF vom 23. Dezember 1955) war nur der Anspruch auf Kindergeld für Kinder ausgeschlossen, die im Ausland wohnen oder sich dort gewöhnlich aufhalten. Da aber das KGG nur für die dritten oder weiteren Kinder überhaupt einen solchen Anspruch einräumte (§ 1, § 4 Abs. 1 KGG), konnte der gesetzliche Anspruchsausschluß - für die Zeit bis einschließlich 30. Juni 1964 - sich allein auf diese Kinder beziehen. Sofern beim Gesetzgeber eine andere Vorstellung hierzu bestanden hätte, wäre in den Jahren zwischen 1954 und 1964 bei den zahlreichen Änderungen oder Ergänzungen zum KGG hinreichend Gelegenheit gewesen, diese gesetzlich zum Ausdruck zu bringen.

Erst die Neuregelung durch § 2 Abs. 3 BKGG vom 14. April 1964 (BGBl I 265) bewirkte, daß Kinder, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem Gebiet des Deutschen Reiches nach dem Stand vom 31. Dezember 1937 haben, überhaupt keine Berücksichtigung finden. Nach dieser neuen Vorschrift können sie also weder "Zählkinder" noch "Zahlkinder" sein. Die Begründung des Entwurfs zum BKGG zeigt, daß der Gesetzgeber insoweit eine andere Regelung als im früheren Recht anstrebte (BT-Drucksache 818, IV. Wahlperiode, S. 13 zu § 2 Abs. 3). Dort wird ausdrücklich hervorgehoben, daß es nicht gerechtfertigt erscheine, die im Ausland lebenden Kinder zu berücksichtigen.

Da es mithin unter der Geltung des KGG auf den Wohnsitz oder den Aufenthalt der sogenannten Zählkinder nicht ankam, sind die beiden Töchter M und A des Klägers als Zählkinder bei der Feststellung der Gesamtkinderzahl mitzurechnen (Lauterbach/Wickenhagen, Anm. 8 zu § 34 KGG; Sixtus/Haep, Anm. 5 zu § 34 KGG; Witting/Meier, Anm. 3 zu § 34 KGG; Rundschreiben des Gesamtverbandes der FAKen vom 4. Februar 1956 in KG-Kartei Nr. 157 und vom 30. Dezember 1958 in KG-Kartei Nr. 541).

Gleichwohl kann der Kläger aber nicht für Kristin, das dem Geburtsdatum nach älteste Kind, Kindergeld mit der Begründung beanspruchen, diese Tochter sei als letzte in ein Kindschaftsverhältnis im Sinne des § 2 Abs. 1 KGG zu ihm getreten.

Nach § 1 KGG ist eine der Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld das Vorhandensein ("haben") von drei oder mehr Kindern. Diese Vorschrift wird durch § 4 Abs. 1 KGG dahin ergänzt, daß das Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind gewährt wird. Danach besteht jeweils nach dem KGG grundsätzlich nur ein Kindergeldanspruch für das dritte und jedes weitere Kind. Das Gesetz selbst enthält jedoch keine besondere Begriffsstimmung des "dritten Kindes".

Praxis und Schrifttum, Rechtslehre und Rechtsprechung halten sich für eine Reihenfolge der Kinder allgemein an das Lebensalter (Geburtsdatum). Als "drittes Kind" wird demnach auch im Kindergeldrecht das nach seiner Geburtszeit drittälteste Kind angesehen (Lauterbach/Wickenhagen, Anm. 9 d zu § 1 KGG; Witting/Meier, Anm. 2 zu § 4 KGG; Sixtus/Haep, Anm. 1 zu § 4 KGG; Thiede/Bürger/Wingen, Anm. 4 zu § 1 KGG; LSG Celle, Breithaupt 1958 S. 734; LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1960, 886; Wickenhagen/Krebs. Komm. z. BKGG 1965, Anm. 14 zu § 1; Dienstbl. der BfArb 1964, 300).

Der Senat hat keine Bedenken, dieser herrschenden Meinung beizutreten. Bei leiblichen Kindern (Abstammungsverhältnis) kommt eine andere Zählweise als die nach dem Alter aus natürlichen Gründen nicht in Betracht. Sie entspricht sowohl dem Sprachgebrauch wie der Lebens- und Verkehrsauffassung. Aber auch bei Stief-, Adoptiv- und Pflegekindern kann im Interesse klarer und eindeutiger Verhältnisse (Rechtssicherheit) nichts anderes gelten, soweit nicht besondere Rechtsvorschriften ausdrücklich etwas Abweichendes festlegen. Das Lebensalter (Geburtstag) eines Kindes stellt einen unverrückbaren Zeitpunkt dar, während die Begründung eines Kindschaftsverhältnisses vom Willen der Adoptiv- oder Pflegeeltern, also der Anspruchsberechtigten abhängt. Insoweit sind aber Manipulationen hinsichtlich des Zeitpunkts und damit der Reihenfolge immerhin denkbar Im übrigen wird die Zählweise entsprechend der Geburten der Kinder durch das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 24. Dezember 1954 (BVBl 1955, 11) betr. Kindergeld, das - wenn auch nur bedingt - zur Auslegung des gesetzgeberischen Willens dienen kann, bestätigt. Sofern sich aus dieser Reihenfolge der Kinder Unbilligkeiten und Härten im Einzelfall ergeben sollten, liegt die Ursache nicht in der Art der Zählweise sondern darin, daß das Kindergeld nach dem KGG nicht für das erste und zweite Kind, sondern erst für das dritte und jedes weitere Kind gewährt wird.

Ob der Kläger für die Zeit vom 1. April 1965 an nach dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 5. April 1965 (BGBl I 222) anspruchsberechtigt für ein weiteres Kind geworden ist, vermochte der Senat nicht zu entscheiden. Hierüber muß allenfalls auf Grund eines neuen Antrags erst ein Bescheid (Verwaltungsakt) des nunmehr zuständigen Leistungsträgers (Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung als Kindergeldkasse) herbeigeführt werden. Immerhin ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß § 2 Abs. 3 Satz 5 der Neufassung des BKGG eine sogenannte Kann-Vorschrift zum Inhalt hat, deren Anwendung an eigene Voraussetzungen gebunden ist.

Nach alledem stand dem Kläger für sein Kind K bislang kein Anspruch als Kindergeld zu. Die Revision ist deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 291

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