Leitsatz (amtlich)
Berechnet der Versicherungsträger eine wiederaufgelebte Witwenrente nach RVO § 1268 Abs 1 (als sogenannte große Witwenrente) und rechnet er gemäß RVO § 1291 Abs 2 auf die Rente einen Unterhaltsanspruch an, dann umfaßt die Bindungswirkung des Bescheides nicht die zugrundegelegte Berechnung nach RVO § 1268 Abs 1; bindend wird nur die sich nach der Anrechnung ergebende Rentenhöhe.
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1972-10-16; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 30.07.1976; Aktenzeichen L 3 J 189/75) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.06.1975; Aktenzeichen S 11 J 20/74) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. Juli 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der wiederaufgelebten Hinterbliebenenrente der Klägerin aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes eine nach § 1268 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder eine nach § 1268 Abs 2 RVO zu berechnende Witwenrente zugrunde zu legen ist (sogenannte "kleine" oder "große" Witwenrente).
Nach Scheidung der zweiten Ehe erteilte die Beklagte der Klägerin zunächst den Bescheid vom 12. Dezember 1973, durch den dem Antrag auf Wiederaufleben der Witwenrente "entsprochen" wurde und es weiter hieß: "Die Wiederauflebensrente beginnt mit dem 01.09.73 und beläuft sich auf monatlich 389,60 DM. Der infolge Auflösung der neuen Ehe erworbene neue Unterhaltsanspruch beträgt monatlich 500,- DM, so daß an Rente nach § 1291 RVO monatlich 0,0 DM zu zahlen sind".
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf mit der Begründung, der Unterhaltsanspruch sei zu hoch festgesetzt worden. Die Beklagte erteilte darauf den Bescheid vom 25. Juli 1974; darin setzte sie den anzurechnenden Unterhaltsanspruch auf 350,- DM fest; zugleich führte sie aus, daß der Klägerin, weil sie weder das 45.Lebensjahr vollendet habe, noch berufs- oder erwerbsunfähig sei, noch ein waisenrentenberechtigtes Kind erziehe, lediglich die kleine Witwenrente zustehe; sie betrage monatlich 102,90 DM. Die Beklagte kam erneut zu dem Ergebnis, daß somit keine Rentenzahlung erfolgen könne.
Im Bescheid vom 18. November 1974 teilte die Beklagte der Klägerin schließlich mit, sie sei zu der Auffassung gelangt, daß auf die wiederaufgelebte Rente kein Unterhaltsanspruch anzurechnen sei. Der Klägerin werde deshalb ab dem 1.September 1973 die (kleine) Witwenrente nach § 1268 Abs 1 RVO in Höhe von 92,60 DM und ab dem 1. Juli 1974 in Höhe von 102,90 DM gezahlt.
Mit Urteil vom 12. Juni 1975 hat das SG Düsseldorf die Beklagte "unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juli 1974 und unter Abänderung des Bescheides vom 18. November 1974 verurteilt, der Klägerin die mit Bescheid vom 12. Dezember 1973 festgesetzte Witwenrente zu zahlen".
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 30. Juli 1976 die Klage abgewiesen. Das LSG hielt die Beklagte für berechtigt, der wiederaufgelebten Witwenrente die der Klägerin nach den gesetzlichen Bestimmungen allein zustehende "kleine" Witwenrente zugrunde zu legen. Aus der Bindungswirkung des Bescheides vom 12. Dezember 1973 könne die Klägerin nicht einen Anspruch auf Auszahlung des dort fehlerhaft festgesetzten Betrages von 389,60 DM herleiten. Die Aussage dieses Bescheides gehe dahin, daß keine Rente auszuzahlen sei, nur hierauf erstrecke sich die Bindungswirkung. Für eine Aufteilung in einen Rentengewährungsakt und einen separaten Anrechnungsakt sei kein Raum. Der Berichtigung stehe dabei nicht entgegen, daß es sich um keine offenbare Unrichtigkeit gehandelt habe; die Klägerin habe nicht zu wissen brauchen, daß ihre Witwenrente nach Wegfall der Waisenrente für die Tochter niedriger gewesen sei. Der Fehler habe aber eine ähnliche Bedeutung wie Subsumptionsfehler bei den Berechnungsfaktoren der Rente. Derartige Berechnungsfehler könnten grundsätzlich, jedenfalls ex nunc und unter Wahrung des erreichten Besitzstandes, berichtigt werden.
Gegen das Urteil des LSG hat die Klägerin die von diesem zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Ansicht, das LSG habe Rechtsgrundsätze über die Bindungswirkung von Verwaltungsakten und damit § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.
Der Bescheid vom 12. Dezember 1973 enthalte zwei Grundverfügungen, von denen die eine die Gewährung der "großen" Witwenrente in Höhe von 389,60 DM bestimmt und die andere die Anrechnung des Unterhaltsanspruchs geregelt habe. Beide Regelungen hätten in getrennten Bescheiden erfolgen können. Deshalb müsse jede für sich bindend werden können. Sie habe sich mit der Klage nur gegen die Anrechnung von Unterhaltsansprüchen gewandt. Im übrigen handele es sich nicht um einen falschen "Berechnungsfaktor", sondern um eine fehlerhafte Beurteilung materiell-rechtlicher Anspruchsvoraussetzungen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG unter Aufhebung des Urteils des LSG zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Sie beanstandet zu Unrecht die Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente im Bescheid vom 18. November 1974. In diesem Bescheid, der nach § 96 SGG Verfahrensgegenstand geworden ist, hat die Beklagte die Rentenhöhe nicht wegen der Bindungswirkung des früheren Bescheides vom 12. Dezember 1973 auf den beanspruchten höheren Betrag von 389,60 DM festsetzen müssen.
Wie sich bei einem Urteil die Rechtskraftwirkung nur auf die in der Urteilsformel ausgesprochene Rechtsfolge erstreckt, nicht aber auf die im Urteil festgestellten Tatbestandsmerkmale die präjudiziellen Rechtsverhältnisse, sonstige Vorfragen und Folgerungen, die zu der Rechtsfolge geführt haben, erstreckt sich auch die sich aus § 77 SGG ergebende Bindungswirkung eines Bescheids nicht auf alle in dem Bescheid gemachten Ausführungen, insbesondere nicht auf die Begründung der verfügten Rechtsfolgen (vgl BSGE 14, 154). Bei einem Bescheid mag es nur schwieriger sein, den Umfang der Bindungswirkung festzustellen, weil für Bescheide kein formaler Aufbau wie bei Urteilen in § 136 Abs 1 SGG vorgeschrieben ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist jedoch anerkannt, daß bei einem Rentenbescheid in der Regel nur die Art, die Dauer und die Höhe der bewilligten Rente zu dem sog. Verfügungssatz gehören und daß demgemäß die Bindungswirkung allein sie erfaßt (BSG aaO; ferner BSGE 24, 236, 238; 26, 266, 269; SozR Nr 64 und 75 zu § 77 SGG; SozR 2200 § 1254 Nr 1).
Im vorliegenden Falle kommt es deshalb darauf an, welche Rentenhöhe in dem Bescheid vom 12. Dezember 1973 festgesetzt worden war. Dieser Bescheid hat insoweit aber nur bestimmt, daß an Rente "monatlich 0,0 DM" zu zahlen ist. Die weiteren Ausführungen darüber, weshalb eine monatliche Rentenzahlung unterbleiben müsse, gehörten zur Begründung; dies gilt auch für die Feststellung, daß die Rente an sich (ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen) 389,60 DM betrage und daß darauf ein Unterhaltsanspruch von 500,- DM anzurechnen sei. Die Ermittlung der Rentenhöhe ist ein Vorgang, der sich, wie die §§ 1253 ff RVO zeigen, in mehreren Stufen vollzieht und vielfältige Überlegungen bedingt. Festzustellen dabei sind zB die anrechnungsfähigen Versicherungsjahre, die persönliche Rentenbemessungsgrundlage sowie der Steigerungssatz; die Rente kann sich gegebenenfalls um Steigerungsbeträge der Höherversicherung und den Kinderzuschuß "erhöhen", umgekehrt im Falle der wiederaufgelebten Witwenrente aber auch um die nach § 1291 Abs 2 RVO anzurechnenden Ansprüche vermindern. Alle diese Fragen sind der Feststellung der Rentenhöhe vorgeschaltet. Die Anrechnung anderer Ansprüche stellt hierbei keine selbständige Regelung dar; sie mag bei der Rentenberechnung an letzter Stelle stehen, gehört aber noch in den Berechnungsvorgang hinein; zu Unrecht meint daher die Klägerin, daß die Beklagte insoweit getrennte Regelungen hätte treffen können.
Die Beklagte mußte sich auch nicht aus anderen Gründen an der im Bescheid vom 12. Dezember 1973 vorgenommenen Berechnung einer großen Witwenrente bzw wenigstens an dem damals ermittelten Betrag von 389,60 DM festhalten lassen. Bei ihrem Bescheid vom 18. November 1974 handelte es sich um einen Neufeststellungsbescheid. Bei solchen Neufeststellungen ist es dem Versicherungsträger nicht verwehrt, Fehler in der Berechnung der Rentenhöhe auch zum Nachteil des Versicherten zu berichtigen, sofern er nur die früher festgestellte Rentenhöhe im Ergebnis unangetastet läßt (vgl dazu Urteil des 11. Senates vom 15. Dezember 1977 - 11 RA 2/77 -). Dabei ist es unerheblich, in welchem Grade die bisherige Berechnung falsch, insbesondere, ob sie "offensichtlich" falsch gewesen ist.
Wenn aber die Klägerin nach alledem aus der Rentenberechnung im Bescheid vom 12. Dezember 1973 keine Rechte hinsichtlich der Höhe der im Bescheid vom 18. November 1974 festgestellten wiederaufgelebten Witwenrente herleiten kann, dann hat das LSG die Klage zu Recht abgewiesen, so daß die Revision gegen das Urteil des LSG zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen