Leitsatz (amtlich)
RVO § 1244a Abs 9 wird von zwischenstaatlichen Verträgen, die sich auf die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer beziehen, nicht berührt (hier: Österreich; so auch BSG 1971-02-26 4 RJ 253/70 = SozR Nr 20 zu § 1244a RVO hier: Griechenland und BSG 1971-02-26 4 RJ 363/70 = SozR Nr 20 zu § 1244a RVO hier: Türkei und Weiterführung BSG 1970-12-02 4 RJ 481/68 = BSGE 32, 122).
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. April 1969 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin - eine Allgemeine Ortskrankenkasse - begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt Erstattung der Kosten, die sie für die stationäre Tbc-Heilbehandlung einer Versicherten in Österreich aufgewendet hat. Die Versicherte besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, sie wohnte in Österreich und war bis zu ihrer Erkrankung als Wanderarbeitnehmerin in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Kosten der Behandlung in Österreich in der Zeit vom 25. März bis 8. August 1966 kam die Klägerin auf. Die Beklagte lehnte die Übernahme dieser Kosten ab.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 5. Juni 1968, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 1. April 1969). In dem Urteil des LSG ist ausgeführt: § 1244 a Abs. 9 der Reichsversicherungsordnung (RVO) stehe dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch entgegen. Hiernach bestehe ein Anspruch auf Heilbehandlung wegen Tuberkulose gegen den Träger der Rentenversicherung nur, soweit die Betreuten im Geltungsbereich dieses Gesetzes behandelt werden könnten. Diese Vorschrift werde durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung vom 21. April 1951 (BGBl II 1952, 317) nicht berührt. Eine die Tuberkulosehilfe erfassende Regelung sei dort nicht getroffen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision. Sie ist der Meinung, daß § 1244 a Abs. 9 RVO in dem vorliegenden Fall keine Anwendung finde. Durch das deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen sei das im allgemeinen auf dem Gebiet der Sozialversicherung geltende Territorialitätsprinzip durchbrochen worden. Es bewirke auf diesem Gebiet eine Gleichstellung der beiden Staaten und deren Staatsangehörigen; dies führe dazu, daß der Erbringung von Leistungen aus der deutschen Rentenversicherung in Fällen der vorliegenden Art der Aufenthalt des Berechtigten in Österreich nicht entgegenstehe. Sie, die Klägerin sei also anstelle der Beklagten für die Tbc-Heilbehandlung der Versicherten aufgekommen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin die für die Versicherte aufgewendeten Kosten zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
Der Träger der Rentenversicherung ist zwar nach § 1244 a RVO im Grundsatz verpflichtet, einem Versicherten im Sinne des Absatzes 2 aaO wegen einer Tbc-Erkrankung stationäre Heilbehandlung zu gewähren. Dieser Verpflichtung steht jedoch in dem vorliegenden Fall § 1244 a Abs. 9 RVO entgegen. Hiernach besteht der Anspruch auf Heilbehandlung gegen den Träger der Rentenversicherung nur, soweit die Betreuten im Geltungsbereich der RVO behandelt werden können. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Kosten, deren Erstattung die Klägerin beansprucht, sind wegen der Behandlung der Versicherten in Österreich entstanden.
Die Anwendung des § 1244 a Abs. 9 RVO ist durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung vom 21. April 1951 nicht ausgeschlossen. Dieses Abkommen bezieht sich auf die Soziale Sicherheit im engeren Sinne, es umfaßt nach seinem Art. 1 die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie die knappschaftliche Rentenversicherung. Die Tuberkulosehilfe gehört nicht zu den erfaßten Gebieten, sie kann dort nicht eingeordnet werden. Dies hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 481/68 - ausgesprochen. Diese Entscheidung ist zu der Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Nr. 3 (EWG-VO Nr. 3) ergangen. In dem Urteil ist näher ausgeführt, daß es sich bei den Tbc-Hilfemaßnahmen des § 1244 a RVO vor allem um innerstaatliche Vorkehrungen gesundheitspolizeilicher Art handelt; sie haben eine Funktion zu erfüllen, die im wesentlichen außerhalb des Aufgabenbereichs der Sozialversicherung liegt. Sie werden deshalb von überstaatlichem Recht, das die Soziale Sicherheit im engeren Sinne - etwa die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer - betrifft, nicht berührt. Dies hat der Senat aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und vor allem aus dem Sinn der in § 1244 a RVO getroffenen Regelungen hergeleitet. Er hält nach erneuter Überprüfung der Rechtslage an der bisher vertretenen Auffassung fest. Für zwischenstaatliche Verträge, die das Recht der Sozialen Sicherheit zum Gegenstand haben, kann in der Regel nichts anderes gelten (vergl. Urteil des Senats vom 26. Februar 1971 - 4 RJ 253/70 - hinsichtlich des Verhältnisses zu Griechenland). Hiernach könnte sich für den vorliegenden Fall eine abweichende Entscheidung nur dann ergeben, wenn das deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen hinsichtlich der Tbc-Hilfe eine besondere Regelung enthielte. Dies ist aber nicht der Fall. Die Tbc-Hilfe ist in diesem Abkommen nicht erwähnt. Weil der Versicherten selbst der Beklagten gegenüber kein Anspruch zustand, kann die Klägerin von der Beklagten die Erstattung ihrer Aufwendungen nicht verlangen.
In seinem Urteil vom 2. Dezember 1970 hat der Senat bereits darauf hingewiesen, daß fremde Staatsangehörigkeit und ausländischer Wohnsitz des Versicherten die Entscheidung nicht beeinflußt haben. Gleiches gilt für den vorliegenden Fall. Das bedeutet, daß dieselbe Regelung auch für einen Deutschen gilt, der in Österreich wegen einer Tbc-Erkrankung behandelt wird.
Das hier gewonnene Ergebnis wird im übrigen gestützt durch Art. 4 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966, dessen unmittelbare Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt. Es besteht eine ausdrückliche Regelung dahingehend, daß Vorschriften über Maßnahmen der Träger der Rentenversicherung zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durch das Abkommen nicht berührt werden. Für die Erbringung solcher Leistungen gelten somit auch im Verhältnis zu Österreich und dessen Staatsangehörigen uneingeschränkt die in der RVO normierten Voraussetzungen. Wenn man die Maßnahmen des § 1244 a RVO überhaupt der Rentenversicherung zuordnen wollte, so könnten sie allenfalls als Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne der §§ 1236 ff RVO angesehen werden. Diese werden von dem vorbezeichneten Abkommen - und damit auch von dem früheren Abkommen - nicht erfaßt. Die diesen Punkt betreffende Neufassung des Abkommens kann nicht als Neuregelung gewertet werden. Sie ist eine Klarstellung; ihrer bedurfte es, weil die in dem ersten Abkommen getroffene Regelung in dieser Hinsicht möglicherweise nicht eindeutig war. Einer anderen Auslegung steht die Erwägung entgegen, daß neue Sozialversicherungsabkommen in der Regel weitere Begünstigungen der Versicherten der vertragsschließenden Staaten - nicht dagegen Schlechterstellungen - enthalten.
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der Behandlungskosten läßt sich nicht etwa - wie die Klägerin meint - damit begründen, daß im Ausland erkrankte Versicherte vom Träger der Rentenversicherung alsbald in eine im Bundesgebiet gelegene Heilstätte zu verlegen seien. Eine solche Verpflichtung ist in § 1244 a RVO nicht normiert; sie würde auch mit dem durch ihn angestrebten Zweck, eine Seuche zu bekämpfen, in Widerspruch stehen.
Hiernach muß die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen