Entscheidungsstichwort (Thema)
Tuberkulosebekämpfung. Beschränkung auf das Inland. Sozialversicherungsabkommen mit Österreich
Orientierungssatz
Zur Beschränkung der Tuberkulosebekämpfung auf das Inland nach RVO § 1244a Abs 9 (Festhaltung an BSG vom 2.12.1970 - 4 RJ 481/68 = BSGE 32, 122 = SozR Nr 18 zu § 1244a RVO).
Normenkette
RVO § 1244a Abs. 9, §§ 1236, § 1236ff; EWGV 3/58; SozSichAbk AUT
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 20.06.1968; Aktenzeichen L 9 Kr 43/67) |
SG Nürnberg (Urteil vom 25.07.1967) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. Juni 1968 und das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Juli 1967 werden aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin - eine Betriebskrankenkasse - verlangt von der beklagten Landesversicherungsanstalt Ersatz für die Aufwendungen, die ihr anläßlich der Tbc-Behandlung einer Versicherten entstanden sind. Die Versicherte besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, sie wohnt in Österreich und war bis zu ihrer Erkrankung als Wanderarbeitnehmerin in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Kosten der Behandlung in Österreich in der Zeit vom 12. Juli bis 7. Dezember 1965 kam die Klägerin auf. Die Beklagte lehnte die Übernahme dieser Kosten ab.
Die Klage führte zur Verurteilung der Beklagten (Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25. Juli 1967). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 20. Juni 1968). Das LSG hat die Auffassung vertreten, § 1244 a Abs. 9 der Reichsversicherungsordnung (RVO), wonach Heilbehandlung wegen Tuberkulose vom Träger der Rentenversicherung nur im Inland zu gewähren sei, werde zwar durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung vom 21. April 1951 (BGBl II 1952, 317) nicht berührt. Diese Vorschrift schließe aber entgegen der Auffassung der Beklagten die Durchführung der Heilbehandlung außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik nicht grundsätzlich aus. Insoweit habe der Rentenversicherungsträger vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen zu handeln. Dies bedeute für den vorliegenden Fall, daß die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die alsbaldige Verlegung der Versicherten in eine im Bundesgebiet gelegene Heilstätte zu veranlassen. Da sie dies unterlassen habe, müsse sie die der Klägerin erwachsenen Kosten erstatten.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 1244 a Abs. 9 RVO. Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und zur Abweisung der Klage. Der Anspruch der Klägerin ist unbegründet.
Der Träger der Rentenversicherung ist zwar nach § 1244 a RVO im Grundsatz verpflichtet, einem Versicherten im Sinne des Absatzes 2 aaO wegen einer Tbc-Erkrankung stationäre Heilbehandlung zu gewähren. Diesem Anspruch steht jedoch in dem vorliegenden Fall § 1244 a Abs. 9 RVO entgegen. Hiernach besteht der Anspruch auf Heilbehandlung gegen den Träger der Rentenversicherung nur, soweit die Betreuten im Geltungsbereich der RVO behandelt werden können. An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die Kosten, deren Erstattung die Klägerin beansprucht, sind wegen der Behandlung der Versicherten in Österreich entstanden.
Die Anwendung des § 1244 a Abs. 9 RVO ist durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherung vom 21. April 1951 nicht ausgeschlossen. Dieses Abkommen bezieht sich auf die Soziale Sicherheit im engeren Sinne, es umfaßt nach seinem Art. 1 die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten sowie die knappschaftliche Rentenversicherung. Die Tuberkulosehilfe gehört nicht zu den erfaßten Gebieten, sie kann dort nicht eingeordnet werden. Dies hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 2. Dezember 1970 - 4 RJ 481/68 - ausgesprochen. Diese Entscheidung ist zu der Verordnung des Rats der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Nr. 3 (EWG-VO Nr. 3) ergangen. In dem Urteil ist näher ausgeführt, daß es sich bei den Tbc-Hilfemaßnahmen des § 1244 a RVO vor allem um innerstaatliche Vorkehrungen gesundheitspolizeilicher Art handelt; sie haben eine Funktion zu erfüllen, die im wesentlichen außerhalb des Aufgabenbereichs der Sozialversicherung liegt. Sie werden deshalb von überstaatlichem Recht, das die Soziale Sicherheit im engeren Sinne - etwa die Sozialversicherung der Wanderarbeitnehmer - betrifft, nicht berührt. Dies hat der Senat aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift und vor allem aus dem Sinn der in § 1244 a RVO getroffenen Regelungen hergeleitet. Er hält nach erneuter Überprüfung der Rechtslage an der bisher vertretenen Auffassung fest. Für zwischenstaatliche Verträge, die das Recht der Sozialen Sicherheit zum Gegenstand haben, kann in der Regel nichts anderes gelten (vgl. Urteil des Senats vom 26. Februar 1971 - 4 RJ 253/70 - hinsichtlich des Verhältnisses zu Griechenland). Hiernach könnte sich für den vorliegenden Fall eine abweichende Entscheidung nur dann ergeben, wenn das deutsch-österreichische Sozialversicherungsabkommen hinsichtlich der Tbc-Hilfe eine besondere Regelung enthielte. Dies ist aber nicht der Fall. Die Tbc-Hilfe ist in diesem Abkommen nicht erwähnt. Weil der Versicherten selbst der Beklagten gegenüber kein Anspruch zustand, kann die Klägerin von der Beklagten die Erstattung ihrer Aufwendungen nicht verlangen.
In seinem Urteil vom 2. Dezember 1970 hat der Senat bereits darauf hingewiesen, daß fremde Staatsangehörigkeit und ausländischer Wohnsitz die Entscheidung nicht beeinflußt haben. Gleiches gilt für den vorliegenden Fall. Das bedeutet, daß dieselbe Regelung auch für einen Deutschen gilt, der in Österreich wegen einer Tbc-Erkrankung behandelt wird.
Das hier gewonnene Ergebnis wird im übrigen gestützt durch Art. 4 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Soziale Sicherheit vom 22. Dezember 1966, dessen unmittelbare Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt. Es besteht eine ausdrückliche Regelung dahingehend, daß Vorschriften über Maßnahmen der Träger der Rentenversicherung zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit durch das Abkommen nicht berührt werden. Für die Erbringung solcher Leistungen gelten somit auch im Verhältnis zu Österreich und dessen Staatsangehörigen uneingeschränkt die in der RVO normierten Voraussetzungen. Wenn man die Maßnahmen des § 1244 a RVO überhaupt der Rentenversicherung zuordnen wollte, so könnten sie allenfalls als Rehabilitationsmaßnahmen im Sinne der §§ 1236 ff RVO angesehen werden. Diese werden von dem vorbezeichneten Abkommen - und damit auch von dem früheren Abkommen - nicht erfaßt. Die diesen Punkt betreffende Neufassung des Abkommens kann nicht als Neuregelung gewertet werden. Sie ist eine Klarstellung; ihrer bedurfte es, weil die in dem ersten Abkommen getroffene Regelung in dieser Hinsicht möglicherweise nicht eindeutig war. Einer anderen Auslegung steht die Erwägung entgegen, daß neue Sozialversicherungsabkommen in der Regel weitere Begünstigungen der Versicherten der vertragsschließenden Staaten - nicht dagegen Schlechterstellungen - enthalten.
Eine Verpflichtung der Beklagten zur Erstattung der Behandlungskosten läßt sich nicht etwa damit begründen, daß im Ausland erkrankte Versicherte vom Träger der Rentenversicherung alsbald in eine im Bundesgebiet gelegene Heilstätte zu verlegen seien. Eine solche Verpflichtung ist in § 1244 a RVO nicht normiert; sie würde auch mit dem durch diese Vorschrift angestrebten Zweck, eine Seuche zu bekämpfen, in Widerspruch stehen.
Die Urteile der Vorinstanzen können hiernach keinen Bestand haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen